[swahili, "Geschichte, Legende"]

Wildvöglein und die Puppenspieler

Es war einmal ein Sufi. Seine Nase war spitz und länger als ein Strick. Er las ständig in heiligen Büchern, war aber immer sofort zur Stelle, wenn es irgendwo appetitlich nach Pilaw duftete. Der Sufi hatte eine Frau. Man sagt, ein Geschenk Allahs sei nicht etwa die Ware auf dem Basar. Deshalb zeigte der Sufi nie seine Frau den Leuten. Wozu auch! Ihr Anblick sättigte nicht, und ihre Umarmung spürte man nicht. So schön war sie, so federleicht, rank und schlank. Der Sufi hatte auch einen Nachbarn. Der sah, wie reich der Sufi war, wie er ohne Not dahinlebte, und großer Neid packte ihn. Eines Tages dachte er: Dieser Sufi ist so heilig und er betet so inständig zu Allah, dass wahrscheinlich nur er ganz allein ins Paradies kommt. Warum soll ich mir nicht wenigstens einen kleinen Winkel durch Gebete sichern. Und er beschloss, nach Mekka zu pilgern, um vor der Kaaba einen Kniefall zu tun. Wenn sich der Mann auf Wallfahrt nach Mekka begibt, so finden sich Pilger, die unterdessen gern seine Frau besuchen. Deshalb sprach der Mann: »Weib, komm mit auf die Hadsch!«

»Und wer wird derweilen unser Haus sehen?«

»Anchil bleibt ja hier, unsere Tochter.«

»Und wer wird sie vor bösen Menschen bewahren?« Der Mann überlegte nicht lange: »Das werden wir dem Sufi übertragen.« Wenn der Mann amen sagt, geziemt es dem Weibe nicht, über den Anfang des Gebetes nachzudenken. So erwiderte denn die Frau: »Du hast alles vorausbestimmt wie der Prophet. Also will auch ich mir keine Sorge machen um unser Vöglein, unsere arme Anchil. Die Heiligkeit des Sufi und der Wille Allahs sind fürwahr eine feste Burg.«

Mann und Frau machten sich also auf nach Mekka.

Doch kaum hatte der Esel beim Laufen den ersten Atemzug getan und so unsere Pilger ihrem Ziel näher gebracht, da begann auch schon der Sufi die Burg Allahs um die Tochter zu errichten. Er war nämlich in heller Leidenschaft zu dem Vöglein Anchil entbrannt, und als sie den vollen Wasserkrug von der Quelle heim trug, berührte er scherzhaft ihre Bürde und drückte dabei ihre zarten Finger gegen den Krug. Abends, als das Mädchen wiederum von der Quelle zurückkam, strich er lüstern über den Schmuck an ihrem Kleide, und am nächsten Morgen hatte er sich etwas so Schamloses ausgedacht, dass die arme Anchil zu einem alten Besen griff, um sich des Sufis zu erwehren. Dann flüchtete sie Hals über Kopf aus dem heimatlichen Aul, denn sie wollte den Nachstellungen des Mannes entgehen. Der Sufi befürchtete, dass man ihn beschuldigen könne, das Mädchen verkauft zu haben, und er begab sich auf Suche nach Anchil. Um aber in den Augen der Menschen nichts von seiner Heiligkeit einzubüßen, verbreitete er das Gerücht, Anchil habe einen sündigen Lebenswandel geführt, und er habe sie, um sie vor schlimmerem Unheil zu bewahren, in seinem Haus eingesperrt.

Nun geschah es, dass ein bekannter Kaufmann in geschäftlichen Angelegenheiten in jene Gegend musste, in die sich Anchils Eltern begeben hatten. Als er sie auf ihrer Pilgerfahrt nach Mekka einholte, erzählte er ihnen: »Euer Vöglein beschmutzt sich bereits das Gefieder. Gelobt sei Allah, der Sufi hat sie in seinen Käfig gesperrt.« Anchils Mutter brach in Tränen aus, doch der Vater, der sich bereits im Paradies lustwandeln sah, wollte nicht umkehren. Als sie in einer Karawanserei nächtigten, bat er deshalb einen Bettler: »Deine Bürde ist leicht. Im Winter gehst du dorthin, wo es wärmer ist, im Sommer in Gegenden, in denen es kühler ist. Dir ist es sicherlich einerlei, wohin du deine Schritte lenkst. Nimm hier diesen Abbas, mach dich auf in unsere Heimat, und wenn es stimmt, was man über Anchil spricht, so töte sie.« Der Bettler zog in den Aul, in dem der Sufi und dessen fromme Nachbarn lebten, doch unterwegs überlegte er: Wozu soll ich eine fremde Tochter töten? Ihr Vater ist ein frommer Pilger, er reinigt sich von allen Sünden und kommt zur Belohnung in den Himmel. Die Tochter ist schließlich ohnehin in Sünde gefallen, warum soll ich nicht versuchen, mir meinen Lohn schon auf Erden zu verdienen? Als er mit seinen Überlegungen so weit war, sann er darüber nach, wie er Zutritt zum Haus des Sufi bekommen könne.

Der Bettler hatte einen Weggefährten, einen Puppenspieler, der die Leute in den Aulen mit seinen Vorführungen erheiterte und sich so seinen Lebensunterhalt verdiente. Sprach der Puppenspieler: »Ich bring dich in das Haus des Sufi, selbst wenn es von Festungsmauern umgeben ist. Tu nur, was ich dir sage.« Aus einer alten flauschigen Decke fertigte der Puppenspieler einen Hund und aus einem Teppich eine Ziege. Den Hund gab er dem Bettler, die Ziege behielt er selbst. Mitten auf der Straße vor dem Haus des Sufi führten sie so kunstvoll einen Kämpf zwischen Hund und Ziege auf, dass alle Einwohner des Auls die Puppenspieler umdrängten. Das Spiel ergötzte sie, dass ihnen vor Lachen Tränen in die Augen traten und sie sich den Bauch hielten. Dabei ging es lärmend zu, dass zuerst die Dienerin des Sufi und dann auch dessen Frau aus dem Fenster schaute. Die Frau hatte ganz und gar vergessen, dass ihr Mann es ihr untersagt hatte, sich den Menschen zu zeigen.

Der Bettler stieß den Puppenspieler an und sagte: »Astawpirulla! Da ist sie, meine Anchil! Von solchen Frauen heißt es zu Recht: Ihr Anblick sättigt nicht, und ihre Umarmung spürst du nicht!« Der Puppenspieler, der indes die Dienerin betrachtete, erwiderte: »Allah hat den Sufi mit seiner Frau auch nicht gerade benachteiligt. Tu jetzt, was ich dir sage, und wenn uns der Prophet gnädig ist, so erhalte auch ich einen Himmelslohn.« Er stieß mit der Teppichziege den Deckenhund nieder und sprang in den Hof des Sufi. Mit lautem Bellen stürzte sich der Hund auf ihn.

Der Kampf war beendet. Die Leute gaben dem Puppenspieler Kupfermünzen zum Lohn, und die Dienerin des Sufi trat in den Hof, um den fahrenden Spielern eine ganze Silbermünze zu reichen. Da es bereits Abend wurde, fragte der Puppenspieler, ob sie im Hof übernachten dürften. Dann bat er um trockenes Reisig, entfachte ein Feuer und bereitete das Nachtmahl. Dabei stellte er sich jedoch so ungeschickt an, dass die Dienerin, aufs äußerste verwundert, ins. Haus lief. »Schau nur, Herrin, was der Puppenspieler da anstellt«, rief sie, »das ist noch lustiger als der Kampf zwischen Ziege und Hund.« Daraufhin trat die Frau des Sufi in den Hof und sah, dass die Puppenspieler verwechselt zu haben schienen, wo Himmel und Erde ist. Sie hatten den Kessel mit Essen auf die Erde gestellt, darauf den Dreifuß gesetzt, auf ihn das Reisig gelegt und so das Feuer entzündet. Während der Frau des Sufi und ihrer Dienerin vor Lachen die Tränen in den Augen standen, glaubten die Puppenspieler, ihr Essen sei fertig, und taten, als vermochten sie nicht allein zu essen. Die Dienerin konnte sich nicht enthalten zu fragen: »Wer hebt denn den Löffel zu den Augen und schiebt sich das Essen in die Ohren, stau die Bissen in den Mund zu stecken?« Antwortete der Puppenspieler: »Das liegt daran, dass bei uns daheim die Puppenspieler und ihre Puppen immer gefüttert werden.« Als die Frau des Sufi bemerkte, dass die Puppenspieler ihre Dienerin für die Hausherrin, sie selbst aber für die Bedienstete hielten, erheiterte sie dieser Umstand noch mehr, und sie sagte zu ihrer Dienerin: »Herrin! Menschen, die nicht allein essen können, sind nun einmal wie Kinder. So wollen wir sie denn auch wie Kinder ins Haus nehmen und füttern.«

Gesagt, getan.

Als die Frau des Sufi und ihre Dienerin die Puppenspieler neben sich gesetzt hatten und fütterten, berührte der Puppenspieler wie zum Scherz mit den Lippen die Finger der Dienerin, statt sich den Löffel mit Pilaw in den Mund schieben zu lassen, und der Bettler, der satt und schläfrig vom reichlichen Essen war, kuschelte sich an die Frau des Sufi und seufzte: »Warum muss der Pilaw alle werden? Warum kann der Magen nicht unersättlich sein?« Sie lachten. Da jeder Pilaw nun aber einmal alle und auch der hungrigste Magen einmal gesättigt ist, ging auch dieses Nachtmahl zu Ende, und die Frauen führten die Männer in die Gästestube, damit sie nach dem Essen der Ruhe pflegen konnten.

In der Stube warfen der Puppenspieler und der Bettler das Bettzeug auf einen Haufen und taten, als wüssten sie nicht, wie man sich schlafen legt. Die Frau des Sufi lachte, dass sie fast erstickte, die Dienerin aber fragte: »Wer bereitet sich bloß seine Bettstatt, als sei es trockenes Heu, und kriecht mit dem Kopf voran in den Schober, statt sich bequem hinzulegen und zuzudecken?« Entgegnete der Puppenspieler: »Herrin, das liegt daran, dass man uns daheim immer zur Ruhe bettet. Wir können nicht einmal allein einschlafen.« Die Frau des Sufi dauerten die müden Gäste, und so sagte sie zur Dienerin: »Höre, meine Liebe! Menschen, die nicht einschlafen können, sind wie Kinder. Komm, wir wollen ihnen zu Diensten sein.« Und leise flüsternd, fügte sie hinzu: »Wenn der Sufi zurückkommt, sind unsere Gäste längst fort aus dem Aul.« Wenn die Herrin sündigen will, bleibt die Dienerin auch keine Heilige. Mit Hilfe der Frau des Sufi und der Dienerin schliefen die Puppenspieler endlich ein.

Morgens taten sie, als könnten sie sich nicht einmal aus dem Bett erheben. »Wie steht ihr denn bei euch daheim auf?« fragte die Dienerin. »Bei uns holte man uns jeden Morgen mit Geschenken aus dem Bett«, entgegnete der Puppenspieler. Die Frau des Sufi lachte und sagte zu ihrer Dienerin: »Geben wir ihnen den goldenen Ring und den neuen Rosenkranz des Sufi! Wir werden ihm weismachen, dass er beides mit sich genommen hat.«

Bis der Ring der Frau und der Rosenkranz des Sufi die Eigenschaften eines Magneten erhalten und die schlauen Puppenspieler aus den Betten gezogen haben, wollen wir schauen, was der Eigentümer des Rosenkranzes unterdessen erlebte.

Als sich der Sufi auf die Suche nach Anchil begab, verkleidete er sich als armer Derwisch und veränderte seinen Bart, damit ihn das Mädchen nicht erkenne und nicht wieder nach einem alten Besen griffe. Unterwegs begegnete ihm der Sohn unseres Puppenspielers und trat in seine Dienste, denn er glaubte, er würde in der Menge, die sich am Puppenspiel erfreute, rascher das entflogene Vöglein entdecken.

Eines Tages, als der Sohn des Puppenspielers und der als Derwisch verkleidete Sufi durch einen finsteren Wald zogen, um in einen entlegenen Aul zu gelangen, verschwand der Sufi plötzlich in einer Senke und blieb hinter seinem Weggefährten zurück. Erst gegen Abend holte er ihn ein. »Was hast du dort im Wald gesucht?« fragte ihn der Puppenspieler. »Ich habe auf einem Baum ein Wildvöglein bemerkt«, erzählte der Sufi, »und ich glaubte, es sei Anchil. Doch als ich in die Senke kam, war es fort.«

»Warte hier in diesem Aul auf mich«, bat der Puppenspieler. »Ich verstehe mich darauf, einen Wildvogel aus dem Wald zu locken.« Er fertigte aus Pelz und Federn einen Fuchs, einen Wolf, einen Specht und andere Waldbewohner und machte sich früh am Morgen auf zu der Stelle, wo der Sufi das Wildvöglein bemerkt hatte.

Mitten auf der Waldwiese begann er eine fröhliche Vorstellung. Der dumme Wolf stolperte über einen Baumstumpf, und der listige Fuchs foppte ihn, bis er dessen überdrüssig wurde. Endlich verklemmte sich die Rute des Fuchses in der Astgabel einer jungen Eiche, und da die ganze Hinterlist und Schläue des Fuchses in seinem Schwanz liegt, konnte der Wolf dem Gevatter Fuchs alle Heimtücke heimzahlen, und zwar nicht mit Kupfermünzen, sondern mit einem großen Silberstück! Das aber war so erheiternd, dass selbst der Puppenspieler lächeln musste.

Im Wald war weit und breit keine Menschenseele, doch plötzlich ertönte aus der Baumkrone über ihm fröhliches Lachen. Der Puppenspieler erriet, dass dies das Wildvöglein war. Da nahm der Puppenspieler seinen selbst gebastelten Specht und begann laut gegen den Eichenstamm zu pochen. Der Wolf dachte, da sei ein Holzfäller am Werke, erschrak, ließ den Fuchs fahren und machte sich aus dem Staub. Als er später merkte, dass ihn kein Mensch, sondern nur ein simpler Specht erschreckt hatte, brabbelte er unzufrieden: »Du pochst und pochst mit deinem Schnabel, doch ein Meister wird nimmermehr aus dir!«

»Du bist zwar diebisch wie der Mullah, nennst aber noch immer keine Schafherde dein eigen«, gab der Specht lachend zurück. Wildvöglein auf dem Baum lachte ebenfalls. Andere Puppen mischten sich in den Streit, und als der Fuchs endlich die Hälfte seiner Rute befreit hatte, die andere Hälfte jedoch in der Gabelung zurücklassen musste, geschahen solche Wunderdinge, dass selbst der Puppenspieler sich das Lachen nicht mehr verbeißen konnte. Wildvöglein aber lachte so lange, bis ihm die Backenmuskeln wehtaten. Es merkte nicht einmal, wie es plötzlich auf den Waldboden fiel.

Es war Anchil. Aus Furcht vor dem Sufi war sie in den Wald geflohen und wollte hier warten, bis ihre Eltern aus Mekka zurückkehrten. Der Puppenspieler hatte an dem Mädchen ein solches Wohlgefallen, dass er beschloss, es zu heiraten. Anchil lernte Puppen basteln, sie zogen gemeinsam durch die Aule und belustigten die Menschen. Der als Derwisch verkleidete Sufi aber, der fürchtete, dass ihn die junge Frau erkennen könne, veränderte seinen Bart noch mehr und wusch sich nicht mehr, damit man unter dem Schmutz seine Gesichtszüge nicht ausmachen konnte.

Die fröhliche Anchil schenkte bald einem Knaben das Leben. Der Herbst kam, und der junge Puppenspieler beschloss, sie mit dem Sohn zu seiner Mutter zu schicken. Da aber im Herbst nach der Beendigung der Feldarbeiten für Puppenspieler und Akrobaten die richtige Arbeit erst beginnt, blieb er zurück. Deshalb trug er dem Sufi auf, Frau und Kind heim zu geleiten. Als der Sufi mit Anchil weit fort in den Bergen war, flammte in seinem Herzen die alte Leidenschaft zu der jungen Frau auf, er wusch sein Gesicht, um ihr zu gefallen, und sprach: »Nun kannst du mir nicht mehr entkommen. Wenn du mich jetzt nicht liebst, werfe ich deinen Sohn von dieser Felswand in den Abgrund!« Die junge Frau, zu Tode erschrocken, versuchte, dem Sufi ins Gewissen zu reden, doch als sie sah, dass seine Seele so sündig war wie sein Gesicht heilig, beschloss sie, den Sohn zurückzulassen und zu fliehen. Dabei dachte sie: Er wird es nicht wagen, meinem Sohn etwas zuleide zu tun, denn ich könnte den Menschen die Wahrheit über ihn erzählen. Und sie sprang von der Felswand und lief davon, bis sie eine Schafhürde entdeckte. Dort versteckte sie sich und wartete die Nacht ab. Der Sufi aber, der die Flüchtige nicht einzuholen vermochte, kehrte zum Puppenspieler zurück und erzählte ihm: »Dein Vöglein ist wirklich wild. Kaum war es in Freiheit, entfloh es.« Diese Worte betrübten den Puppenspieler, und er begab sich auf die Suche nach seiner Frau. Der Sufi kehrte unterdessen in seinen Aul zurück, um auf die Heimkehr der Nachbarn aus Mekka zu warten. Bei sich dachte er: Mag kommen, was will. Allah ist immer auf meiner Seite! Den Leuten redete er ein, Anchil habe sich so beschmutzt, dass sie die Rückkehr des Vaters fürchte und aus dem Haus entflohen sei.

Am Abend kehrten die Schäfer in jene Hürde zurück, in der sich Anchil verborgen hielt. Nachdem sie gegessen und sich zur Ruhe gelegt hatten, ließ Anchil ihr Gewand zurück, verkleidete sich als Schäfer, nahm Sense und Fellmütze und zog in die Berge. Nach weiten Irrwegen gelangte sie endlich in ihren Heimataul. Hier erkannte keine Menschenseele sie wieder, denn die Hirtenkleider waren inzwischen abgerissen, und Anchil war so hager und schwach geworden, dass alle sie für einen Betteljungen hielten, und der Aulälteste beschloss, sie reihum in den Sakijas aufzunehmen. Tagsüber würde die Waise dem Hausherrn zur Hand gehen und dafür Essen und Nachtlager erhalten.

Am selben Tag kehrte der Nachbar des Sufi von seiner Hadsch zurück. Nun, da er bereits Hadschi geworden und ihm ein heiliger Platz im Jenseits sicher war, beschloss er, das Paradies schon auf Erden zu errichten. Er lud alle Nachbarn zu einem großen Fest. Der Sufi, der vor lauter Heiligkeit an dieser Festtafel natürlich nichts begehrte, schlug sich mit allen Speisen, die für die Gäste bereitet waren, den Bauch voll und sagte, keuchend vor Anstrengung: »Wie schön, dass du jetzt Hadschi bist und nicht mehr an irdische Dinge denkst, lieber Nachbar! Möge deine Heiligkeit auch die halbe Last aller Sünden, die deine Tochter begangen hat, auf sich nehmen. Bete für sie, wenn dieses Fest zu Ende ist, Nachbar!«

Doch das Fest war noch nicht zu Ende. Wo gefeiert wird, da treten auch Musikanten auf. Just an diesem Abend kam der Puppenspieler-Vater in den Aul, und aus der anderen Richtung stellte sich sein Sohn mit dem Knaben ein, und alle wurden noch fröhlicher. Nur der Sufi vermochte den Blick nicht vom älteren Puppenspieler zu wenden. Verblüfft überlegte er, wie jener zu seinem Rosenkranz gekommen war?

Der Aulälteste sprach: »Möge jener Waisenknabe, der heute in unseren Aul gekommen ist, auch ein wenig an unserer Freude teilhaben. Gib ihm zu essen! Morgen wird er dafür für zwei auf deinem Acker arbeiten.« Man rief die als Hirte verkleidete Hadschi-Tochter. Als sie ihren Mann, den Puppenspieler, ihren Sohn und die Eltern erblickte, die von ihrer Hadsch zurückgekehrt waren, erfasste sie überschäumende Freude, doch sie gab sich keinem zu erkennen, sondern setzte sich in einen Winkel und lachte von Herzen über das Puppenspiel. Als die Puppenspieler ihre Aufführung beendet hatten, fertigte sie schnell aus Gräsern und Federn ein Wildvöglein und aus Lappen, Dung und Lehm die Gestalt des alten gemeinen Sufi und stellte alles dar, wie es sich in Wirklichkeit zugetragen hatte. Die Zuschauer lachten. Das Gesicht des Sufi aber verwandelte sich vor Schreck aus einem Heiligenantlitz in eine Diebesvisage, und der Nachbar, der sofort hinter die Wahrheit gekommen war, packte den Sufi wütend beim Bart. Der junge Puppenspieler Schloss seine Frau in die Arme, und der alte Puppenspieler, sein Vater, ließ die Puppen fahren, so verdutzt war er darüber, dass sein Sohn einen fremden, zerlumpten Hirtenjungen umarmte. Doch dann griff er nach der Sufi-Puppe, fertigte rasch die Frau und die Dienerin des Sufi dazu und führte vor, wie man ihn und den Bettler im Hause des Sufi essen und schlafen gelehrt hatte. Darüber lachten alle aus vollem Halse, nicht nur an diesem Abend, sondern noch viele Tage.

Der Sufi verließ, mit Schmach und Schande bedeckt, den Aul. Sein Nachbar legte den Turban ab, um dessentwillen er die Pilgerfahrt unternommen hatte, und der junge Puppenspieler und seine Frau lebten in Eintracht und Glück und brachten den Menschen mit immer neuen Puppen Freude, beseitigt man bekanntlich doch mit Lachen manchen Schmutz, von dem es - möge Allah es nicht verübeln! - noch genügend gibt im Himmel und auf Erden.