[swahili, "Geschichte, Legende"]

Wie sich die Vögel einen König wählten

Als die Vögel hörten, dass alles, was auf der Erde atmet, welches Volk es auch sei, einen König hätte, von dem es regiert wird, da wollten auch sie einen Herrscher, der über sie bestimme. Sie erließen einen Befehl, dass sich alle versammeln sollten, um einen König zu wählen. Zuerst wollten sie sich bei der Grasmücke treffen, aber die fand, sie sei zu gering, sie könne die Vögel nicht aufnehmen. Wo sie es auch versuchten, nirgends konnten sie unterkommen, so dass sie einen Platz im Wald lichten mussten, um sich dort zu lagern. War es vielleicht nicht so? Ja, gewiss war es so!

Als sie endlich zusammen saßen, fragte der Rabe nach dem Grund des Treffens. Da erhob sich der kleine Nashornvogel und legte die Sache dar. Als er fertig war, sagten fast alle Vögel: »Das ist gut, es gehört sich, dass wir das tun.« Aber die Zwergtaube und ein paar andere wollten nicht mitmachen, und der Zwergreiher, der ebenfalls meinte, dass die Vögel keinen König brauchten, stand auf und rief: »Ich habe einige Worte zu sagen«, und alle Vögel wurden ganz still, um zu hören, was er zu sagen hatte. Aber kaum hatte er den Mund geöffnet und begonnen: »Auch ich will nicht ...«, da ließen sie ihn gar nicht ausreden, sondern verhöhnten ihn. Der Zwergreiher senkte den Kopf und schämte sich sehr. Er konnte niemanden mehr anschauen und wagte nicht, den Kopf zu heben. Daran sieht man, dass der Zwergreiher der schüchternste von allen Vögeln ist. Auf niemanden kann er seine Augen richten, denn er fürchtet. wenn ihn dein Blick träfe, könntest du sagen: »Zwergreiher, schäme dich, schäme dich!«, und er stände kläglich da, das Gesicht zur Erde gerichtet. Auch sein Name, den man jetzt abgekürzt hat in »Musole«, bedeutet ja »der Schüchterne« oder »der, der sich schämt«. Ist es vielleicht nicht so? gewiss ist es so!

Als es nun zur Wahl kam, wollten die Vögel zuerst den Reiher zum König bestimmen. Aber der Reiher weigerte sich und sagte: »Ich verstehe mich wohl auf meinen Gesang, aber dieser Aufgabe bin ich nicht gewachsen.« Dann suchten sie den Silberreiher zu bewegen, aber auch der mochte nicht, sondern entgegnete: »Ich kann bestimmt nicht gewählt werden, ich verstehe mich nur aufs Herausputzen und Fische fangen.« Nun versuchten sie, noch andere Vögel zu überreden, aber auch die lehnten ab. Als aber der Pelikan den Wunsch äußerte, dass sie ihn zum König nehmen sollten, da wiesen die Vögel ihn zurück und sagten: »Dir wollen wir die Königsmacht nicht geben. Du bist ein unordentlicher und gieriger Kerl und darum nicht würdig, König zu sein.« Das erzürnte den Pelikan gewaltig, und weil er so groß ist, fürchteten sich die anderen Vögel und gaben ihm das Amt doch. Sie übertrugen dem Pelikan die Königsrechte mit den Worten: »Da du nun unser König bist, hast du jetzt volle Freiheit. Doch darfst du auf keinen Fall mehr auf Fischfang gehen, das werden wir für dich besorgen, du bekommst dein Essen gebracht. Wohin du dich auch begeben musst, du wirst getragen. Du darfst auch nicht heiraten und dich mit keinem Vogel mehr in Streit einlassen!« Sie machten dem Pelikan noch andere Vorschriften und nahmen ihm schließlich folgendes Versprechen ab: »Du hast nun alle diese Vorschriften vernommen. Wenn du auch nur eine davon brichst, wirst du deines Amtes enthoben! Vermagst du dich an all das zu halten?« Der Pelikan antwortete: »Ja!«

Bei Anbruch des nächsten Tages erklärten die Vögel ihrem neuen Gebieter: »Bleib du hier, wir gehen etwas für den Bauch suchen.« Der Pelikan stimmte zu. So fischten nun die Vögel vom Morgen bis zum Abend und fingen doch nichts, was der Rede wert gewesen wäre. Dann kehrten sie nach Hause zurück und legten ihrem König vor, was sie mit Mühe zusammengetragen hatten. Da aber der Pelikan sehr gefräßig ist, wurde er nicht im Mindesten satt und sagte sich in seinem Herzen: »Was soll das noch werden! Erst wenn ich selber wieder auf Fischfang gehe, werde ich mich ein wenig satt essen können. Man kann doch gewiss keinen anderen für sich selbst auf den Markt schicken.« Am anderen Tag zogen die Vögel erneut zum Fischfang aus, fischten vom Morgen bis zum Abend, konnten aber auch diesmal nichts fangen. Als der Pelikan das sah, wurde er sehr zornig. Das Unglück wollte es aber, dass die Vögel in jener Zeit nichts fingen. Dem Pelikan, der sehr ungeduldig und gefräßig ist, war das unerträglich, denn er dachte, dass sie ihn vielleicht betrogen und das, was sie fingen, aufäßen, ohne ihm etwas zu bringen.

Eines Tages flogen alle Vögel wieder bei Tagesanbruch auf Fang aus. Als aber die Morgenröte hervorbrach, sagte sich der hungrige Pelikan: »Warum werde ich hier ohnmächtig vor Hunger? Glauben die denn, sie können sich davonmachen und anderswo die besten Speisen essen, während ich das Haus hüte und von der Luft lebe? Warum sollte ich denn hier bleiben? Ich fliege zu einer anderen Stelle, so dass sie gar nicht merken, dass ich auf Fischfang bin, und bis sie dorthin kommen, bin ich längst satt, fliege heim und setze mich ganz wie sonst hin. Da wird doch niemand merken, dass ich auf Fischfang war.« Ist es vielleicht nicht so? gewiss ist es so! Gedacht, gesagt - gesagt, getan, der Pelikan ging also auf Fischfang, fischte eine ganze Weile, und dachte immer daran, dass er vor den anderen zu Hause sein musste. Aber mit der Zeit siegte die Fresslust. Während er sich vorgaukelte, dass die anderen Vögel bestimmt noch nicht zu Hause wären, waren sie in Wahrheit längst heimgekehrt.

Als sie bei der Ankunft ihren König nicht an seinem Platz fanden, erschraken die Vögel furchtbar. Sie schickten auf der Stelle Leute los, um ihn zu suchen und festzustellen, ob er austreten oder baden gegangen sei, oder ob er sich ausruhe. Doch die Leute konnten ihn nirgends finden. Das beängstigte die Vögel noch mehr, denn sie dachten, es habe vielleicht in ihrer Abwesenheit ein Kriegszug stattgefunden, auf dem ihr König getötet worden war. Deshalb suchten sie ihn jetzt überall mit großem Aufwand. Schließlich bemerkte die Schwalbe: »Dieser Kerl. der Pelikan, frisst doch so gern. Ob es ihn nicht geärgert hat. dass wir so lange auf Fischfang waren? Ihn hat gewiss der Hunger geplagt, und so ist er seiner Wege gegangen. Warum sollen wir uns den Kopfzerbrechen?« Da fielen die Vögel über die Schwalbe her: »Hältst du den Pelikan denn für dumm? Gerade erst übernahm er dieses ehrenvolle Amt und soll sich gleich selbst wieder darum bringen?« Die Schwalbe entgegnete nur: »Glaubt es oder glaubt es nicht! Wann wird das Wort dessen, der nur kleine Krebse fängt, je von den Leuten geschätzt?«

Als die Vögel nach einiger Zeit hinausschauten, kam der Pelikan angeflogen, über und über mit Schmutz bedeckt. Sie erkannten ihn zuerst gar nicht und hielten ihn für irgend so ein Scheusal von einem Vogel. Der Pelikan aber war ganz bestürzt, schämte sich furchtbar und wollte sich verstecken, doch wie sollte er das anstellen? Er versuchte, den Schmutz abzustreifen, um wieder ordentlich auszusehen, aber auch das gelang ihm nicht, so dass ihn schließlich alle Tiere als den Pelikan erkannten. War es vielleicht nicht so? gewiss war es so!

Welche Bestürzung und welches Staunen aber erfasste die Vögel, als sie den Pelikan so in Schmutz und Schande vor sich sahen. Die einen dachten, er sei wahnsinnig geworden, andere hielten ihn für betrunken, wieder andere dachten noch Schlimmeres. Das erste, was sie fragten, war: »Aber König, wo bist du denn gewesen?« Zuerst redete er allerlei Zeug, um sich herauszuwinden, aber es glückte ihm nicht. So gestand er: »Ich hatte zu großen Hunger. Das brachte mich dazu, auf Fischfang zu gehen.« Da erhob sich der Rabe und sprach: »Pelikan, du bist dumm! Als wir uns weigerten, dir die Macht zu übertragen, hast du darauf bestanden. Wir meinten, du wärst zu unordentlich und all den Aufgaben eines Königs nicht gewachsen. Du aber bildetest dir ein, du wärst dazu schon in der Lage. Zu alledem trafen wir noch die Abmachung, wenn du irgendeines der Gebote verletztest, solltest du nicht mehr König sein. Damit sind wir nun unserer Verpflichtung enthoben, das ist klar. Wisse, von heute an bist du nicht mehr unser König!« Ist es vielleicht nicht so? gewiss ist es so!

So verlor der Pelikan die Königswürde wegen seiner Gier und seiner Liederlichkeit. Er versuchte es noch mit Bitten, doch die Vögel wollten ihn auf keinen Fall wieder zum König ernennen.

Dass der Pelikan nicht mehr mit anderen Vögeln zu tun haben will, rührt von dieser Sache her. Ist es vielleicht nicht so? gewiss ist es so!

Die Vögel nahmen nun das Anwesen und übergaben es dem Marabu und erwählten danach auch den Kiebitz, den Fischreiher und noch einige andere Vögel zu Herrschern.