[swahili, "Geschichte, Legende"]

Wie ein Bergbewohner den Wolf in den Sack steckte

Ein Bergbewohner zog aus auf Suche nach Arbeit. Er besaß nichts außer einem Reisesack und einem Wanderstab. Da begegnete ihm ein Wolf und bat: »Versteck mich, ich bitt dich, ein böser Jäger verfolgt mich. Wenn du mir hilfst, will ich es dir lohnen.« Der Bergbewohner steckte den Wolf in seinen Reisesack und ging seines Wegs. Da kam ihm der Jäger entgegen und fragte: »Hast du zufällig einen Wolf gesehen?« Verneinend schüttelte der Bergbewohner den Kopf. Der Jäger ging weiter, und der Bergbewohner ließ den Wolf wieder aus dem Sack. Sprach der Wolf: »Du hast mir zwar das Leben gerettet, aber ich werde dich trotzdem fressen, weil ich nicht anders kann.« Der Bergbewohner schlug vor: »Weißt du, wir wollen noch ein Wegstück gemeinsam gehen, bis wir jemanden treffen, der uns sagt, wer recht hat. Wenn du im Recht bist, magst du mich fressen.« Gesagt, getan. In der Nähe eines Auls weidete ein Pferd. Es war ein abgemagerter alter Klepper und zudem auf einem Auge blind. Die Weggefährten traten zu ihm und baten um seinen Schiedsspruch. Das Pferd sagte: »Ich hab meinem Herrn zwanzig Jahre treu gedient. Nun bin ich völlig vom Fleisch gekommen und halb blind. Da sagte mein Herr: ›Du bist alt und kannst nicht mehr arbeiten!‹ Daraufhin jagte er mich fort. Du hast Recht, Wolf, friß den Menschen.« Doch der Bergbewohner bat: »Komm, wir wollen noch jemanden fragen.« Sie setzten ihren Weg fort, begegneten einem Hund und verlangten nach seinem Urteil. Der Hund sprach: »Zehn Jahre habe ich dem Khan gedient, hab nachts nicht geschlafen und fand auch tagsüber keine Ruhe. Jetzt bin ich alt, ich sehe und höre nichts mehr. Da sagte mein Herr: ›Die Töle bellt nicht‹, verprügelte mich und jagte mich fort. Man soll dem Menschen nichts Gutes tun. Friß ihn, Wolf!«

Doch der Bergbewohner bewies Starrsinn. »Nein, ich finde, auch der Hund hat Unrecht. Wir wollen noch jemanden befragen. Wenn du auch vom dritten Recht bekommst, will ich mich in mein Los schicken. Dann magst du mich fressen.« Der Wolf war einverstanden, und sie zogen weiter. Kurz darauf begegnete ihnen ein Fuchs, und sie erzählten ihm ihre Geschichte. Erstaunt meinte der Fuchs: »Ich kann mir nicht vorstellen, dass so ein großer Wolf in diesem Reisesack Platz findet.«

»Wieso glaubst du mir nicht?« rief der Wolf empört. »Ich hab wirklich Platz darin.« »Das beweis mir erst mal«, forderte der Fuchs. Der Wolf kroch in den Reisesack und steckte den Kopf heraus. »Glaubst du's jetzt?«

»Nein«, erwiderte der Fuchs. »Der Jäger hat deinen Kopf gesehen.«

»Den hatte ich eingezogen«, erklärte der Wolf. »Und außerdem war der Sack zugeschnürt.« Der Fuchs schüttelte zweifelnd den Kopf. »Das glaub ich nicht. Du hast einen so dicken Kopf, den kannst du gar nicht verstecken.« Der Wolf zog den Kopf ein, und der Bergbewohner knüpfte den Sack fest zu. Da sprach der Fuchs: »Und nun gerbe dem Grauwolf kräftig den Pelz!« Der Bergbewohner schlug den Wolf tot, zog ihm das Fell ab und ging seiner Wege. Der Fuchs aber labte sich am Wolfsfleisch.