[swahili, "Geschichte, Legende"]

Wie ein armer Bauernjunge sein Glück fand

In der Umgegend von Mailand wohnte ein Bauer, der sehr geschickt war, aber nur einen Sohn von zwar schöner Gestalt besaß, der aber nicht gerade gescheit war. Er nannte ihn Pincaruolo (Kürbiskopf). Als nun der Bauer starb, hinterließ er seine Frau mit Namen Buona. Diese wohnte in dem Häuschen mit ihrem Sohn zusammen, der bereits zwölf Jahre alt war. Eines Tages sagte die Mutter zum Knaben: »Mein lieber Pincaruolo, weil dein Vater gestorben ist, müssen wir mit dem wenigen leben, was er uns hinterlassen hat. Und darum, liebes Kind, gehen wir mitunter in den Wald, um Holz zu hauen. Das bringen wir dann mit unserm Eselchen nach Mailand zum Verkauf und können uns so leidlich durchschlagen wie unsere Nachbarn auch.« Pincaruolo antwortete: »Mutter, ich will tun, was Euch gefällt.« Er ging also in den Wald und fing an, Holz zu hauen, führte es mit dem Esel nach Mailand und brachte der Mutter das Geld heim. So ging es geraume Zeit.

Es war aber einmal viel Regen gefallen, so dass alles unter Wasser stand. Da wollte Pincaruolo in einem Erlenwald Holz hacken. Er hatte sein Tier bereits voll beladen. Weil aber das arme Eselein zuwenig Futter, dafür aber mehr Stockschläge erhielt, brach es unter der Last erschöpft auf dem morastigen Boden zusammen, war nicht mehr weiterzubringen und starb. Als Pincaruolo das sah, dachte er, es wäre am besten, wenn er dem Tiere die Haut abzöge und sie auf dem Markt in Mailand verkaufte. Und das tat er auch. Sobald er das Geld für das Fell erhalten hatte, kehrte er zu seiner Mutter heim und sprach: »Hier hast du das Geld, das ich für die Haut unseres Esels erhalten konnte.«

Nun wollte die Mutter wissen, auf welche Weise das Tier gestorben war. Pincaruolo erzählte ihr alles. Darauf sprach die Mutter: »Mein Sohn, du musst dich darüber nicht allzu sehr grämen. Wir werden uns wieder ein anderes Tier kaufen.« Trotzdem verbrachte die Mutter den ganzen Abend mit ihrem Sohn voller Sorgen darüber, dass sie das Tier verloren hatten, und sie gingen mit Kummer zu Bett.

Am anderen Morgen sagte Pincaruolo: »Mutter, ich will nochmals in den Wald gehen und nachsehen, was aus dem Esel geworden ist.«

Die Mutter aber erwiderte: »Mach dir keine Sorgen deswegen; wir bringen das Geld für ein neues Lasttier schon zusammen.« Hierauf versetzte Pincaruolo: »Ich will gleichwohl hinausgehen.« Und damit lief er fort in den Wald hinaus, an die Stelle, wo er sein Eselchen gelassen hatte. Da sah er viele Vögel, die um das tote Tier flatterten, und meinte bei sich: »Wenn ich nur einen dieser Vögel hätte, dann wäre ich reich.« Und sogleich nahm er Steine, lockte die Vögel herbei, ging zum Esel in der Absicht, in dessen Bauch hineinzukriechen und, wenn dann die Raben herbeikämen, einen davon an den Beinen festzuhalten. Er tat so und lockte die Raben herbei, versteckte sich im Leib des Tieres, und als die Raben herbei flogen, fasste Pincaruolo einen. Dann kroch er aus dem Rachen des Esels heraus und band den Raben mit einer starken Schnur fest.

Vor lauter Freude, die er darüber empfand, dachte er nicht mehr daran, zu seiner Mutter heimzukehren, sondern zog mit seinem Raben von dannen gen Westen. Als es Abend geworden war, kam er zu einem Landhaus etwa fünfzehn Meilen von Mailand entfernt. Und weil es dunkel wurde, blieb er beim Haus eines Bauern stehen. Dort fragte er die Bauersfrau, ob er mit seinem Vogel hier übernachten könne. Die Frau erwiderte: »Mein Mann ist nicht da, aber warte eine Weile. Er wird bald heimkommen und dir schon Herberge geben.« Pincaruolo wartete, verspürte aber großen Hunger und setzte sich mittlerweile auf die Schwelle der Haustür. Und während er dort saß, nahm die Bäuerin plötzlich einen gekochten Kapaun aus dem Kochtopf, hüllte ihn in ein Tüchlein und brachte ihn in den Mehltrog. Dann zog sie aus zwei alten Geschirren einen Hühnerbraten hervor und tat diesen in ein Kästchen. Hierauf öffnete sie den Backofen, zog einen Kuchen heraus, der mit Käse bestreut war, und versorgte diesen ebenfalls in den Mehltrog. Pincaruolo tat, als habe er nichts gesehen, und die Frau meinte, der Jüngling achte nicht darauf, was sie tue.

Bald danach kam der Bauer Bartolo vom Feld heim, rief seine Frau Sofia und fragte sie: »Wer ist dieser junge Bursche da?« Und sie gab ihm zur Antwort: »Es scheint mir ein armer Wanderer zu sein, der gern über Nacht hier bleiben möchte. Deshalb, wenn es dir recht ist, bitte ich dich darum.« Bartolo erwiderte ihr: »Meinetwegen soll er bei uns bleiben.« Und damit hieß er den Jüngling ins Haus treten, schloss die Tür hinter sich, zündete ein Licht an, setzte sich an den Tisch zum Essen und lud den Burschen ein, mitzuhalten. Pincaruolo, der freilich einen großen Hunger hatte und meinte, er bekäme von dem feinen Braten, den die Bäuerin versorgt hatte, war gern bereit und nahm mit seinem Raben auf dem Arm Platz.

Jetzt trug die Bauersfrau für ihren Mann und seinen Tischgenossen ein Hirsebrot auf, ferner ein bisschen kalte Bohnen sowie ein paar Knoblauch mit einigen Lauchstängeln. Bartolo, der den ganzen Tag lang ein Feld unweit von seinem Haus umgespatet hatte, aß mit großem Appetit und ebenso der Jüngling. Das bescheidene Essen mundete ihnen so gut, als wenn es Schinken gewesen wäre. Dann brachte die Bäuerin noch Wein herbei, setzte sich auch zu Tisch, steckte einige Stücklein in den Mund, und so aßen sie mitsammen zur Nacht.

Als sie fertig waren, sagte Bartolo zu dem Jüngling: »Geh, leg dich in dieses kleine Bett schlafen«, und ging dann mit seiner Frau auch zur Ruhe.

Als nun Pincaruolo mit angesehen hatte, dass sie von dem guten Essen, das die Bäuerin versorgt hatte, nichts angerührt hatten, hielt er es für gewiss, dass sie eine Frau von schlechter Gesinnung sein müsse. Und er begann darüber nachzudenken, wie er es anstellen solle, dem Bauern Bartolo die Sache zu verraten, damit er etwas Besseres zu essen bekomme, als er gehabt hatte. Er zwickte daher nach einer Weile den Raben ein wenig ins Bein, so dass der Vogel laut krächzte. Dann schalt er den Raben, er möge doch stille sein, indem er zu ihm sagte: »Wie kannst du nur den guten Mann und die brave Frau wecken, da du doch weißt, welche Ehre und Gastfreundschaft sie uns heute Abend erwiesen haben!« Da fragte Bartolo, der den Vogel hatte schreien hören: »Was hat der Rabe zu dir gesagt?« Und Pincaruolo erwiderte: »Mein lieber Vogel sagte, er hätte gern was von jenem Hühnerbraten, der in der Truhe ist.«

Bartolo stand sogleich auf, ging zur Truhe und fand dort das gebratene Huhn. Da rief er dem Jüngling, er solle aufstehen, schnitt etwas Brot ab, und sie verzehrten den Braten, wobei sie auch dem Raben ein Stückchen gaben. Und während sie miteinander plauderten, sprach der Bauer: »Meine Frau Sofia behandelt mich so schlecht und gibt mir bloß Hirsebrot und ein paar Bohnen zu essen, wahrend sie selber sich's mit einem andern am Huhnbraten gütlich tut.« Als das die Frau hörte, verwünschte sie, dass der Jüngling ins Haus gekommen war. Sowie Bartolo mit dem Essen fertig war, kehrte er ins Bett zurück, ohne mit seiner Frau zu schelten.

Nach etwa zwei Stunden brachte Pincaruolo seinen Raben abermals zum Schreien und tadelte ihn mit heftigen Worten, worauf der Bauer wiederum fragte, was der Vogel gesagt habe. Der Jüngling erwiderte sein Vogel habe nur etwas von einem Kapaun und einem guten Kuchen geplaudert, der sich im Mehltrog befände und von dem er offenbar auch gern ein Stückchen haben möchte. Kaum hatte Bartolo das gehört, so sprang er aus dem Bett, ging zum Mehltrog und fand dort richtig den Kapaun samt dem feinen Kuchen. Jetzt rief er den Jüngling herbei, und sie verzehrten mit einem Glas Wein zusammen den ganzen Kapaun und den Kuchen, wobei sie auch nicht vergaßen, dem Raben etwas davon zu geben. Die Bäuerin aber brummelte unwillig im Bett vor sich hin, dass der Jüngling auch dieses Geheimnis verraten hatte.

Darauf sprach Bartolo zu Pincaruolo: »Ei, sag mir doch, was ist's mit diesem Vogel?« Und der Jüngling erwiderte: »Er ist ein Wahrsager, der alles erraten kann, was man bei Tag oder Nacht tut.«

»Das glaube ich auch«, versetzte Bartolo, »denn ich habe es mit eigenen Augen gesehen. Und darum bitte ich dich, dass du mir ihn geben mögest.« Pincaruolo aber entgegnete: »Das ist ein sehr kostbares Tier und einen ganzen Schatz Goldes wert.«

»Nun gut«, sprach Bartolo hierauf, »ich gebe dir dafür fünfhundert florentinische Dukaten und dazu noch ein Paar Ochsen aus meinem Stall, und du gibst mir diesen Zaubervogel.«

»Nun denn«, versetzte Pincaruolo, »weil Ihr mich so freundlich aufgenommen und bewirtet habt, bin ich's zufrieden.« Frau Sofia, die alles mit angehört hatte, verhielt sich inzwischen mäuschenstill, bis es Morgen war.

Als der Tag anbrach, machte sich Pincaruolo mit seinen fünfhundert Dukaten und den beiden Ochsen auf den Weg und wanderte weiter gen Westen. Unterwegs verkaufte er die Ochsen und bekam dafür ein Reitpferd und überdies dreihundert Dukaten. Als Pincaruolo sich auf das Pferd geschwungen hatte und achthundert Dukaten sein eigen nennen durfte, sagte er hocherfreut zu sich selber: 'Jetzt bin ich ein reicher Herr, und da ich reite und ein so schönes Vermögen besitze, will ich mich künftig Torre (Turm) und nicht mehr Pincaruolo nennen lassen.' Und er ritt gegen Troia in Campagna und zog so lange, bis er die Alpe di Briga überschritten hatte und in die große Campagna (Frankreich) gelangte. Und wie er so durch die Ebene ritt, sah er einen, der dastand, als wollte er gerade einen Wettlauf beginnen. Torre hielt sein Pferd an, und weil er außer dem Wettläufer sonst niemand bemerkte, dachte er bei sich selbst: »Was macht denn der da?« Er näherte sich ihm, und auf die Frage, was er tue, antwortete der andere: »Ich warte, bis ich ein junges Reh fangen kann.« Torre meinte: »Oh, du hast ja weder Hunde noch Garne. Wie willst du denn etwas fangen?«

»Ich erjage sie im Laufen«, erwiderte der andere. Verwundert fragte Torre: »Ja, wie ist das möglich?«

»Wenn du ein Weilchen warten kannst, wirst du es selber sehen können.« Und richtig, nicht lange ging es, da sprang ein junges Reh aus dem Wald heraus. Der Läufer war rasch hinterdrein, hatte es mit wenigen Schritten erreicht und brachte es dem Torre herbei mit den Worten: »Siehst du jetzt, dass ich laufen kann?«- »Du kannst wirklich sehr schnell springen«, versicherte Torre. »Ich will dir was sagen: Willst du mit mir kommen, so gebe ich dir hundert Florin und das Essen, und falls ich irgendetwas gewinne, so sollst du auch deinen Anteil bekommen. Nun aber sage mir bitte, wie du heißest.«

»Rondello nenne ich mich«, entgegnete der Schnellläufer. »Ich bin bereit, mit dir zu gehen, und du gibst mir die hundert Dukaten.« Torre öffnete seine Börse und übergab ihm die hundert Dukaten. Darauf machte sich Rondello mit ihm auf den Weg.

Als sie eine Weile gewandert waren, sah Torre in der Ferne einen am Boden liegen und sagte zu Rondello: »Schau, der dort ist gewiss tot.« Rondello sprach: »Ich will hingehen und nachschauen.« Und im Augenblick war er bei ihm und bemerkte, dass er keineswegs tot war. Da ritt Torre auf ihn zu und sah, wie jener das Ohr auf den Boden hielt. Torre fragte: »Was tust du da?«

»Ich höre das Gras wachsen«, versetzte der andere. Torre war höchst verwundert darob und wollte es nicht glauben. Da sagte der Unbekannte: »Ich habe von fern gehört, wie Ihr sagtet: ›Schau, der dort ist gewiss tot.‹« Torre fragte ihn, wie er heiße und ob er mit ihm ziehen wolle, worauf der andere erwiderte: »Ich heiße Sentimento (Feinohr) und bin zufrieden, wenn ich nur etwas bekomme.« Torre bot ihm hundert Dukaten an. Sentimento nahm es an, und sie zogen zu dritt weiter.

Als sie wieder ein gutes Stück gewandert waren, sah Torre einen, der mit gespannter Armbrust und einem Pfeil bereitstand. »Was machst du da?« fragte ihn Torre. »Ich warte, bis ich einen Vogel erwische, damit ich etwas zu Mittag essen kann.«

»Aber wie willst du hier nur einen erjagen können, wo doch kein einziger Baum zu sehen ist, auf den sich die Vögel setzen können.«

»Wenn du warten kannst«, meinte der andere, »so wirst du das sehen können, was du nicht glaubst.« Und es dauerte nicht lange, da flog eine Schwalbe durch die Luft. Der Armbrustschütze legte an, und die Schwalbe fiel herab, gerade Torre zu Füßen.

Als dieser die Geschicklichkeit des Armbrustschützen gewahrte, dachte er, der würde gut zu seiner Gesellschaft passen. Er fragte ihn nach seinem Namen und bot ihm hundert Dukaten an, wenn er mit ihm ziehen wolle. Der Schütze antwortete, er heiße Diritto (Geradaus), er sei einverstanden, nahm die hundert Florin in Empfang, und sie zogen zu viert weiter.

Sie waren nur noch eine Tagereise von Paris entfernt, da sahen sie einen, der hatte eine Mühle vor sich, die weder mit Wasser noch mit Wind getrieben wurde. Torre sagte zu seinen Kameraden: »Ei, was macht denn der da?« So gingen sie zu ihm hin und fragten ihn, was er tue. Da gab er zur Antwort: »Ich mahle Korn mit meinem Blasen.«

»Oho, da müsstest du freilich einen guten Atem haben, wenn du Korn mahlen wolltest«, meinte Torre. Der Bläser erwiderte: »Du sollst die Probe gleich sehen.« Damit schüttete er drei Scheffel Korn in den Trichter, blies die Mühle mit einem kräftigen Atemstoß an, und die Räder blieben nicht eher stehen, bis die drei Scheffel Korn zu Mehl gemahlen waren. Als Torre sah, wie geschickt dieser war, fragte er ihn nach dem Namen und ob er mit ihm ziehen wolle, wenn er ihm wie den andern hundert Dukaten gäbe. »Spazza (Blaser) ist mein Name«, erklärte der, »und ich bin's zufrieden, wenn Ihr mir hundert Dukaten geben wollt.« Torre bezahlte ihm sogleich das Geld, und der Bläser schloss sich ihnen an.

So zog Torre mit seinen vier kunstreichen Gesellen die Straße weiter, und als sie schon nicht mehr weit von der schönen Stadt Paris waren, hörte er erzählen, der König Philipp von Frankreich habe eine junge und heiratsfähige Tochter namens Drusiana. Es sei aber Sitte, dass sie nur derjenige zur Frau erhalte, der sie im Wettlauf besiege. Verliere er aber, so müsse er sterben. Und da wären schon viele, die mit ihr um die Wette gelaufen seien und dabei ihr Leben verloren hätten, weil sie alle überflügelte.

Als Torre das hörte, beriet er sich mit Rondello und fragte ihn, ob er an seiner Stelle mit Drusiana Wettlaufen wolle. Er, Torre, würde dafür seinen Kopf zum Pfand setzen. Rondello antwortete: »Mein Herr, habt keine Angst, auch wenn sie beim Rennen mit ihren Beinen fliegen könnte, so werde ich sie doch besiegen. Und dann könnt Ihr durch sie Euer Glück finden.« Diese schönen Worte und das freundliche Anerbieten gefielen Torre. Jetzt wandte er sich an die drei andern Gefährten und fragte: »Was meint ihr dazu?« Spazza entgegnete: »Unser Herr, da du die Tochter des Königs Philipp zur Frau begehrst, die flink ist wie der Wind und schön, so versichere ich dir, dass ich dir gewiss dazu verhelfen will. Wenn nämlich Rondello nicht so schnell laufen könnte wie sie, so werde ich sie mit meinem Atem zurückhalten. Dann wird er reichlich vor ihr ans Ziel gelangen, und auf diese Weise sollst du Drusiana gewinnen.« Das gefiel Torre, und er sagte: »Und nun, ihr andern, was sagt ihr dazu?« Da erklärten Sentimento und Diritto, dass sie mit ihrer Kunstfertigkeit bereitstellen würden, und wenn es nötig werden sollte, wollten sie ihm so viel wie möglich helfen.

Torre war damit zufrieden, und nachdem er dieses Versprechen von allen erhalten hatte, gelangten sie nach Paris und stiegen in einer Herberge ab. Dann verschaffte er sich und seinen Gefährten schöne Kleider, und nachdem sie sich einige Tage ausgeruht hatten, begab sich Torre an den Hof des Königs und erklärte, er sei gekommen, mit dem Edelfräulein um die Wette zu laufen und sein Schwiegersohn zu werden. Im Übrigen wolle er die Bestimmungen einhalten. Der König war damit einverstanden und setzte den Tag fest. Auch befahl er, Torre gefangen zu halten, damit er mit seinem Leben hafte, falls derjenige, der für ihn um die Wette renne, verliere.

Am Sonntag, an dem der Wettlauf stattfinden sollte, war jedes schnell bereit, zu springen, und viele Leute kamen, um zuzuschauen. Rondello stellte sich dem König vor und fragte, welchen Weg sie zurücklegen müssten. Da sprach König Philipp: »Ihr werdet euch beide mit einer Flasche aus Leder aufmachen und bis nach Saint-Denis laufen. Dort müsst ihr euer Gefäß mit Wasser aus der Quelle des heiligen Dionysius füllen, und wer von euch zuerst zurück ist, der hat gesiegt. Wer zurückbleibt, hat die Wette verloren.«

Als Rondello dies gehört hatte, sagte er sogleich: »Nun, Ew. Majestät, so lasset den Wettlauf beginnen.«

Spazza aber machte sich mit seinen Gefährten Sentimento und Diritto auf die Landstraße, und sie warteten, bis das Wettrennen begann. Dann hörte man aus der Ferne, wie das Zeichen gegeben wurde, und die beiden Wettläufer eilten wie der Wind davon. Das Edelfräulein war im Nu schon weit. Rondello jedoch, der leicht jedes Tier an Schnelligkeit übertraf, kam ihr voraus, war in kürzester Zeit in Saint-Denis, füllte an der besagten Quelle seine Flasche und kehrte schon wieder gegen Paris zurück. Etwa in der Mitte des Rückweges traf er auf Drusiana. Diese lief auf ihn zu und sprach: »Junger Mann, ich sehe wohl, dass du gesiegt hast, und ich muss gestehen, dass du trefflich gedient hast. Darum können wir, ohne uns weiter zu plagen, hier ein wenig ausruhen.« Als Rondello diese süßen Worte hörte, setzte er sich nieder aufs Gras neben Drusiana. Und so bezaubernd war die Wirkung der schmeichlerischen Lieder, die ihm die Königstochter vorsang, dass er dabei einschlief. Kaum hatte sie ihn eingeschläfert, so nahm sie ihm die mit Wasser gefüllte Flasche, die er unter den Kopf gelegt hatte, weg und stellte ihre eigene, noch leere, darunter. Dann lief sie, so schnell ihre Füße sie tragen konnten, nach Paris zurück.

Als Spazza die Königstochter schon wieder zurücklaufen sah, sagte er: »Die Sache steht gewiss schlecht.« Er ging darum dem Fräulein entgegen und blies sie mit seinem starken Atem zurück. Und so oft sie einen Schritt vorwärts tun wollte, brachte er sie um zehn Schritte rückwärts. Auf diese Weise konnte er sie eine Zeitlang aufhalten. Aber als er sah, dass Rondello immer noch nicht kam, sagte er zu den Kameraden: »Er ist sicherlich gestorben!« Darauf meinte Sentimento: »Wir werden gleich erfahren, wie es mit ihm steht.« Er hielt sein Ohr zu Boden, hörte, dass Rondello schlief, und sprach: »Er schläft« Da fragte Diritto: »Wie weit mag die Stelle von hier entfernt sein, wo er schläft? Und auf welcher Seite der Straße hat er sich hingelegt?« Sentimento erwiderte: »Drei Meilen ist er entfernt, und auf der rechten Seite der Straße schläft er.« Nun spannte Diritto seine Armbrust, legte einen Bolzen auf, drückte los, und der Pfeil traf gerade die Flasche, die Rondello unter dem Kopf hatte.

Jetzt endlich erwachte der Schläfer, sah den Bolzen und die leere Flasche und dachte bei sich selbst: »Man hat mich betrogen.« Weil er aber hoffte, Spazza werde die Königstochter zurückhalten, ergriff er blitzschnell die Flasche, kehrte nochmals nach Saint-Denis zurück, füllte das Gefäß mit Wasser, eilte von dannen und gelangte wie im Flug nach Paris zurück, noch bevor das Fräulein am Ziel war. Nachdem er also den Sieg errungen hatte, wurde Torre aus der Gefangenschaft befreit.

König Philipp ließ jetzt seine Tochter mit Torre vermählen, und es wurde eine prachtvolle Hochzeit gefeiert. Torre bekam einen Teil des Königreichs Frankreich. Er erhob seine Freunde Rondello, Spazza, Diritto und Sentimento zu Grafen, schenkte ihnen Ländereien, und sie lebten lange Zeit.

Und nun. Ihr edlen Damen und Herren, welcher hat am meisten Verdienst daran, dass Torre die Königstochter bekam? Er selber oder welcher seiner vier Gefährten?