[swahili, "Geschichte, Legende"]

Wie Aldar-Kosse dem Tod entkam

Der Khan befahl, Aldar-Kosse einzufangen, und verhängte ein hartes Todesurteil über ihn. »Den widerspenstigen Dummkopf zähme mit der Peitsche, den widerspenstigen Schlaukopf mit dem Schwert! Lange habe ich mir die Streiche dieses Unruhstifters gefallen lassen. Jetzt wollen wir mal sehen, mit welchen Späßen sich dieser Schwätzer beim Henker herausscherzt, mit welcher List er den Krallen des Todes entrinnt...« Sogleich ließ er verfügen: »Das Volk zur Hinrichtung versammeln!« Die Boten stoben in alle Himmelsrichtungen, jagten die Pferde ohne Unterlass, und bald schon strömte eine Menschenmenge zum Lager des Khans, die einen freudig, die anderen kummervoll, um zuzuschauen, wie Aldar-Kosse der Kopf abgehackt wird. Der arme Aldaken saß unterdessen in einer leeren Jurte und harrte auf sein Los. In gleichmäßigem Abstand voneinander standen zwölf mit Säbeln und Picken bewaffnete Wächter um seine Jurte herum. Sie durften nicht sprechen, nicht den Blick von der Jurte lassen, sich nicht bewegen, mussten lauschen, ob der Verbrecher vor dem Tod ein Wort von sich gibt.

Aldar-Kosse saß mit gekreuzten Beinen mitten in der Jurte auf dem blanken Boden und schwieg. Er dachte nach. Wäre ich ein Vogel, breitete ich die Flügel aus und flöge durch den Rauchabzug in die Freiheit, überlegte er. Wäre ich ein Maulwurf, grübe ich einen Gang unter der Erde und flöhe in die Steppe. Wäre ich ein Löwe, würde ich mich auf die Wächter stürzen und sie in Stücke reißen. Wie aber kann sich ein Mensch in meiner Lage retten? Plötzlich kam ihm die Erleuchtung. Er steckte die Hand in die Tasche und fühlte dort einen alten Kupferknopf. Den hatte er vor langer Zeit auf einem Basar aufgehoben. Nun konnte er ihm nützlich sein.

Das ist meine Rettung! triumphierte Aldar-Kosse und rieb den nachgedunkelten Knopf eifrig mit Sand blank. Die Nacht kam. Die Dämmerung fiel durch den Rauchabzug in die Jurte ein. Aldaken hielt den Knopf ins Mondlicht, und er funkelte wie Gold. Da vernahmen die Wächter die Stimme des Gefangenen: »Was für ein Dummkopf ist unser Khan!« sprach Aldar-Kosse, als würde er laut denken. »Wenn er die Menschen zum Tod verdammt, rechnet er anscheinend selbst auf Unsterblichkeit. Aber jeder weiß doch, früher oder später packt der Tod jeden am Kragen. Also ist auch der Khan zur Hinrichtung verurteilt. Ist also sein Schicksal besser als meins? Warum soll ich, ein gewöhnlicher Sterblicher, dann den Tod fürchten!« Nach einigem Schweigen fuhr er fort: »Nein, den Tod fürchte ich nicht, aber es dauert mich, dass mit mir auch mein Schatz aus der Welt schwindet...« Die Wächter hielten den Atem an. »Schatz? Was für ein Schatz?«

»O Allah!« rief Aldar-Kosse herzzerreißend. »Du hast mir geholfen, den Ring des iranischen Padischahs zu erhaschen, den ich jetzt an meiner verurteilten Hand trage. Ich bewahrte ihn viele Jahre vor den Blicken der Menschen, nähte ihn in meine Hose ein. Weder Vater noch Bruder, weder Feind noch Freund, weder Dieb noch ehrlicher Mensch- niemand wusste das! Der herrliche Stein aber ist unbezahlbar! Man braucht bloß in den Iran zu gehen, den Ring dem Padischah zu bringen, und man erhält die Hälfte aus seiner Kasse und seine schöne Tochter zur Frau...«

Die Wächter erstarrten förmlich, die Kehle wurde ihnen vor Erregung trocken. Sollte der Bartlose wirklich den Ring des Padischahs besitzen? dachte jeder Wächter. Und so ein Ring geht nun sinnlos verloren! Vielleicht wird der Verurteilte vor der Hinrichtung abgesucht, und den Stein erhält der Khan? Hat der nicht schon genug Schätze? Wenn ich an den Ring herankäme! Ich würde ihn nicht unter dem Hosenflicken tragen, sondern schnell den Weg in den Iran finden! Da war wieder Aldars Stimme zu vernehmen: »Ich weiß, was ich mit dem Ring mache! Allah hat mir einen klugen Gedanken eingegeben! Ich werfe den Stein durch den Rauchabzug in die Steppe. Weder die Erde noch der Khan, der Mörder, sollen ihn bekommen. Möge ihn ein armer Mensch aufheben und glücklich werden!«

Kaum hatte er das letzte Wort gesagt, glitzerte über der Jurte etwas wie ein Blitz, etwas Blankes flog im hohen Bogen heraus und rollte in die Büsche. Die zwei am nächsten stehenden Wächter, die den Befehl des Khans vergaßen, stürzten sich ins Gebüsch. »Meins!« zischte der eine. »Meins!« zischte der andere. Nun verließen auch die anderen Wächter ihre Plätze und rannten sich über den Haufen, entrissen sich gegenseitig das glitzernde Ding. Schließlich geriet es dem Stärksten in die Hand. »Dummköpfe!« raunzte der langgeschossene Kerl lauthals. »Aufhören! Aldar-Kosse hat uns hereingelegt, das ist kein Ring, sondern ein Kupferknopf! Auf die Plätze, Maulaffen, ehe der Bartlose aus der Jurte verschwindet!« Die Wächter liefen auf ihre Plätze und erstarrten wieder, als wäre nichts geschehen.

Am Morgen versammelte sich am Lager des Khans eine unübersehbare Menschenmenge, dicht gedrängt standen die Leute nebeneinander. Die Diener breiteten weiße Filzmatten aus. Mit gewichtiger Miene ließen sich der Khan und seine Wesire darauf nieder. Der Khan gab ein Zeichen, und die Henker gingen auf die Jurte des Verurteilten zu, um die in gleichmäßigem Abstand bewegungslos die zwölf mit Säbeln und Picken bewaffneten Wächter standen. Die Menge hielt den Atem an. Die Henker öffneten den Eingang der Jurte und wichen zurück. »Was ist?« brüllte der Khan missfällig. »Führt den Verbrecher heraus!«

»Großmächtiger Khan, der Verbrecher ist weg!« antworteten die Henker. »Hier liegt nur sein löchriger Chalat herum.« Der Khan machte eine Handbewegung und fiel auf die Matte.