[swahili, "Geschichte, Legende"]

Wie Aldar-Kosse das Lied in Schutz nahm

Dombra spielend und sorglos singend, weder im Schritt noch im Trab, erreichte Aldar-Kosse einen großen Aul. Leute liefen ihm entgegen und fuchtelten mit den Händen. »Schweige, Aldaken, schweige! In unserem Aul darf nicht gesungen werden.«

»Darf nicht gesungen werden?« Aldar richtete sich in seinem Sattel auf. »Warum denn nicht? Traurig ist eine Wohnstatt ohne Herrn, noch trauriger eine Siedlung ohne Lied. Oder hat euch ein Unglück ereilt?«

»Ein wahres Unglück, mein Lieber, schlimmer als die schwarzen Pocken... In unserem Aul hat sich ein Mullah eingenistet. Bald ist ein Jahr verstrichen, er denkt aber nicht ans Weggehen. Wir haben hier einen gottesfürchtigen Hodscha Jussup, bei dem wohnt der Mullah. Ist Jussups Gast, aber frisst und säuft das Unsere. Bringt den ganzen Aul auf den Hund. Und die beiden Nichtstuer sitzen den lieben langen Tag über dem Koran und zwingen uns zum Beten und zum Fasten. Verboten uns zu singen, zu scherzen und zu lachen. Wir wohnen wie in der Moschee: Kinder dürfen nicht spielen, junge Leute dürfen nicht ausgelassen sein, die Alten dürfen sich nicht über die Kinder freuen. Nicht nur für ein Lied, für ein Lächeln droht der Mullah mit der Strafe des Propheten und mit ewigen Qualen...«

»Da seid ihr aber übel dran«, bemerkte Aldar-Kosse. »Nichts ist schlimmer, als dem Lied den Mund zu verbieten. Was haltet ihr davon, wenn ich versuche, den Mullah zu verscheuchen?«

»Für diese Worte wünschen wir dir hundert Jahre Leben, Dshigit! Verjagst du den Mullah, gibst du uns Licht und Freude wieder.«

»Nun zeigt mir mal, wo der Mullah wohnt.«

Vor der Jurte des Hodscha Jussup hustete Aldaken, atmete tief ein und begann mit einer hässlichen Stimme: »Im Namen Allahs, des Einzigen, Allmächtigen, Allbarmherzigen, Allwissenden, des Herren der Welt, des Schöpfers aller Dinge, des Ewigen, des Weisen, des Gnädigen, des Ruhmreichen, des Vollkommenen...« Aus der Jurte trollte sich ein untersetzter Mann mit Turban, eckig wie eine Truhe, und fragte ärgerlich: »Was willst du, Fremder?«

»Gestatten Sie zu fragen, ob nicht Ihr der gottesfürchtige Hodscha Jussup, Zierde der Frommen seid?« Aldar-Kosse verbeugte sich vor ihm. »Ja, das bin ich«, antwortete der Mann mit Turban ein wenig freundlicher. »Gottesfürchtiger Hodscha, wohnt nicht bei Euch der ehrwürdige Mullah, der treueste aller Diener des Propheten?«

»Bei mir. Was willst du von ihm?«

»Dank sei Allah, dass ich endlich den ehrenwerten Mullah gefunden habe!« sagte Aldar-Kosse und rollte dabei die Augen. »Ich brachte dem Heiligen Vater ein Geschenk«, setzte er so laut fort, dass es in der Jurte zu hören war, »ein herrliches Geschenk, so eines hat er noch nie erhalten. Ich bitte, Euer Gnaden, geben Sie ihm das...« Hiermit versetzte Aldar-Kosse dem Hodscha vom Sattel herunter eine solche Ohrfeige, dass der fast umgefallen wäre. Dem Hodscha verschlug es vor Schreck die Sprache, Aldar-Kosse trieb sein Pferd mit der Peitsche an und war verschwunden.

Sich die Backe haltend, die Augen von dem Mullah abwendend, wütend, kehrte Hodscha Jussup in die Jurte zurück. Der Mullah ließ keinen Blick von ihm. Sogleich bemerkte er, dass der Hodscha nichts in den Händen hielt, und dachte: Der Schweinehund hat das Geschenk an der Brust versteckt. »Wer war denn das?« fragte der Mullah argwöhnisch. »Ach, so ein Ruchloser«, brummte der Hodscha finster. »Ein Ruchloser preist Allah nicht mit solchen Worten«, entgegnete der Mullah gereizt. »Und was hat er dir gesagt?«

»Lohnt es sich, die Worte jedes Sünders zu wiederholen?« Nun war der Mullah sicher, dass der Hodscha ihn an der Nase herumführt. »Du hältst den für einen Sünder, der seinen Mullah ehrt und ihm nach der Eingebung Allahs Geschenke bringt? Keine Hinterlist! Ich habe nämlich euer Gespräch belauscht. Rück sofort das Geschenk heraus!«

Der Hodscha lief vor Zorn rot an, aber er beherrschte sich. »Ich schwöre beim Propheten, dass ich das nicht tun kann, Heiliger Vater. Fordere von mir nicht das Unmögliche.«

»Wie?« fragte der Mullah außer sich vor Wut. »Du willst dir den Besitz deines Gastes, des armen Mullahs aneignen? Du kannst schröpfen, wen du willst, nur nicht mich. Heraus mit dem, was du gestohlen hast! Sonst verdamme ich dich, Abtrünniger, und du musst im Höllenfeuer braten!...« Dem Hodscha brummte noch der Kopf von der Ohrfeige, von dem Geschimpfe des Mullahs verlor er gänzlich den Verstand: »Du dummer Mullah möchtest das, was jener Galgenvogel mir gegeben hat?« Jussup trat ein paar Schritte näher. »Na, hier hast du!...« Damit holte er aus und gab dem Mullah eine Ohrfeige. Der Mullah, der seine Würde vergaß, stürzte sich auf den Hodscha, und obwohl er dem Anschein nach sehr dünn war, drückte er ihm die Kehle zu wie mit einer Zange. »Untreuer Hund, du! Speichellecker des Teufels! Dieb!« kreischte er. »Du hast mich beraubt und wagtest es noch, die Hand gegen deinen geistlichen Vater zu erheben!...« Sie rollten sich über den Teppich. Von ihrem Geraufe wackelte die Jurte, schwankte und fiel ein. Mit Müh und Not könnten die Leute die beiden Heiligen herausholen und auseinanderzerren.

Am gleichen Tag verschwand der Mullah und ließ sich in dieser Gegend nie wieder blicken. Auch der Hodscha zog bald darauf in die Berge, um dem Spott zu entgehen. Nun wurde es wieder fröhlich im Aul. Von früh bis spät erklangen Lieder, als wäre dort stets Feiertag. Viele Jahre erzählten dann die Alten ihren Kindern, wie Aldar-Kosse das Lied in Schutz nahm und den verhaßten Mullah aus dem Aul vertrieb