[swahili, "Geschichte, Legende"]

Von dem Riesen, der sein Herz nicht bei sich hatte

Es war einmal ein König, der hatte sieben Söhne, von denen hielt er so viel, dass er nicht leben konnte ohne sie. Einer wenigstens musste immer um ihn sein. Als die Söhne groß waren, sollten die sechs ältesten ausziehen und sich eine Frau suchen. Den jüngsten aber wollte der Vater bei sich zu Hause behalten, und die andern sollten eine Prinzessin für ihn mitbringen. Der König gab nun den sechs Prinzen die schönsten Kleider, die man sehen konnte. Sie waren so schön, dass man den Glanz schon weit in der Ferne sah, und jedem gab er ein Pferd, das kostete viele, viele hundert Taler. Und damit reisten sie fort.

Als sie nun an vielen Königshöfen gewesen waren und viele Prinzessinnen gesehen hatten, kamen sie endlich auch zu einem König, der sechs Töchter hatte. So schöne Königstöchter aber hatten die Prinzen noch nie gesehen, und jeder freite um eine von ihnen und bekam sie zur Braut, und darauf begaben sie sich mit den Prinzessinnen wieder auf den Heimweg zu ihrem Vater. Sie waren aber in ihre Bräute so verliebt, dass sie ganz vergaßen, auch eine Prinzessin für Askeladden mitzubringen, der zu Hause geblieben war. Wie sie nun schon eine gute Strecke Weges zurückgelegt hatten, kamen sie an einer steilen Bergwand vorbei, wo ein Riesenschloß war. Der Riese kam heraus, und als er sie sah, verwandelte er sie alle in Stein, sowohl die Prinzen als die Prinzessinnen.

Der König wartete immerfort auf seine Söhne; aber wie lange er auch warten mochte, sie kehrten nicht zurück. Da ward der König sehr betrübt und konnte nimmer wieder froh werden. »Hätte ich nicht dich noch«, sagte er zu Askeladden, »so möchte ich gar nicht mehr in der Welt leben.« Askeladden aber bat den König, dass er ihm erlauben möchte, fortzureisen, um seine Brüder zu suchen. »Nein, das kann ich nicht«, sagte der König. »Denn du kommst nachher auch nicht wieder.«

Aber Askeladden wollte durchaus fort und bat seinen Vater so lange, bis er ihn endlich reisen ließ. Nun hatte der König aber kein anderes Pferd für Askeladden als eine alte elende Kracke; denn die sechs Königssöhne hatten alle die andern Pferde bekommen. Das kümmerte Askeladden aber wenig. Er setzte sich auf seine alte Kracke und reiste fort. »Lebe wohl, Vater!« sagte er, als er abreiste. »Ich werde schon wiederkommen, und vielleicht bringe ich dann meine Brüder auch mit.«

Als er ein Ende geritten war, traf er auf dem Wege einen Raben an, der lag da und schlug mit den Flügeln und konnte vor lauter Hunger und Mattigkeit nicht von der Stelle. »Ach, gib mir doch ein wenig zu essen«, sagte der Rabe. »Dann will ich dir auch wieder helfen, wenn du mal in Not kommst.«

»Ja, viel hab ich eben nicht«, sagte der Königssohn. »Und du siehst auch gar nicht danach aus, dass du mir große Hilfe leisten könntest; weil du es aber so nötig zu haben scheinst, will ich dir geben, was ich vermag.« Darauf öffnete er seinen Ranzen und gab dem Raben zu essen.

Wie er nun ein Ende weiter gereist war, kam er zu einem Bach. Nicht weit davon lag ein großer Lachs, der auf das trockne Land gekommen war und zappelte und nicht wieder zurück konnte. »Ach, hilf mir doch ins Wasser«, sagte der Lachs. »Ich will dir auch wieder helfen, wenn du mal in Not kommst.«

»Ja, deine Hilfe wird mir wohl nicht viel nützen«, sagte der Königssohn. »Aber es wäre ja Sünde, dich hier umkommen zu lassen«, und damit setzte er den Fisch wieder in den Bach.

Nun reiste er ein gutes Ende weiter. Da traf er auf dem Wege einen Wolf an, der lag da und wand und krümmte sich vor lauter Hunger. »Ach, gib mir doch dein Pferd zu fressen«, sagte der Wolf; »denn ich bin so hungrig, dass mir der Magen schlottert, weil ich in zwei Jahren nichts zu essen bekommen habe.«

»Nein«, sagte Askeladden, »das kann ich nicht! Erst kam ich zu einem Raben, dem musste ich mein Essen geben; darauf kam ich zu einem Lachs, dem musste ich wieder ins Wasser helfen; und du willst gar mein Pferd haben. Das geht nicht. Dann weiß ich nicht, wie ich meine Reise fortsetzen soll.«

»Ja, du musst mir helfen«, sagte der Wolf. »Du kannst nachher auf mir reiten. Ich will dir auch wieder helfen, wenn du mal in Not kommst.«

»Ja, was du mir helfen kannst, hat wohl nicht viel zu bedeuten«, sagte der Prinz. »Aber nimm das Pferd nur hin, weil du's doch so nötig hast.«

Als der Wolf das Pferd gefressen hatte, gab Askeladden ihm das Gebiss ins Maul und legte ihm den Sattel auf den Rücken; denn der Wolf war jetzt so stark und so groß geworden von dem, was er gefressen hatte, weit größer als ein Pferd. Wie Askeladden sich aufgesetzt hatte, legte der Wolf mit ihm los. Aber so schnell war Askeladden noch nie geritten.

Als sie nun schon einen guten Weg hinter sich hatten, sagte der Wolf: »Wenn wir noch ein kleines Ende weiter gekommen sind, dann werde ich dir das Riesenschloß zeigen.« Es dauerte nicht lange, so waren sie da. »Hier siehst du das Schloss«, sagte der Wolf. »Dies sind deine sechs Brüder, die der Riese in Stein verwandelt hat, und das da sind ihre sechs Bräute. Dort siehst du auch die Tür zu dem Schloss, und da musst du hineingehen.«

»Nein«, sagte der Königssohn. »Der Riese bringt mich um.«

»Sei nur ohne Furcht«, versetzte der Wolf. »Denn wenn du hineinkommst, triffst du dort eine Prinzessin an, die wird dir sagen, wie du es machen musst, den Riesen zu töten. Und tu dann nur, wie sie dir sagt.«

Askeladden ging darauf hinein, und wie er durch mehrere Zimmer gekommen war, saß in dem einen die Prinzessin. Aber eine so schöne Jungfrau hatte er noch nie gesehen. »Ach, Gott steh dir bei!« sagte sie, als sie ihn erblickte. »Wie bist du hier hereingekommen? Dein Tod ist dir gewiss; denn hier wohnt ein Riese, den kann niemand töten, weil er kein Herz im Leibe hat.«

»Ich will es aber doch versuchen«, sagte Askeladden; »denn darum bin ich hergekommen. Und meine Brüder, die hier in Stein verwandelt sind, wollte ich auch gern erretten und dich dazu, wenn ich könnte.« Wie nun die Prinzessin ihn durchaus nicht überreden konnte, wieder fort zu gehen, sagte sie zu ihm: »lass uns denn zusehen, wie wir's am besten anfangen: Krieche hier unter dieses Bett, und da musst du still liegen bleiben und genau zuhören, was der Riese sagt, wenn ich ihn ausfrage.«

Er kroch nun unters Bett, und kaum war das geschehen, so kam. der Riese an. »Hutetu! Hier riecht's so nach Menschenfleisch!« sagte der Riese, als er eintrat. »Oh, das ist wohl noch der Knochen von gestern«, sagte die Prinzessin. Und damit war der Riese zufrieden. Mach einer Weile fragte er, wer denn all die schönen Blumen auf die Türschwelle gestreut hätte. »Oh, das habe ich getan«, sagte die Prinzessin. »Und wozu soll das?« sagte der Riese. »Meinst du denn nicht, dass ich dich so lieb habe, um die Schwelle mit Blumen zu bestreuen, wenn ich weiß, dass dein Herz darunter liegt?« sagte die Prinzessin. »Ach so!« sagte der Riese. »Sonst liegt es aber nicht da.«

Als sie sich am Abend zu Bett gelegt hatten, bat die Prinzessin ihn, er möchte ihr doch sagen, wo sein Herz wäre; denn sie hielte so viel von ihm, sagte sie, und darum möchte sie es so gern wissen. »Oh, es liegt dort in dem Wandschrank«, sagte der Riese.

Haha! dachte Askeladden. Da wollen wir's schon finden!

Den nächsten Morgen machte der Riese sich wieder früh auf und streifte nach dem Wald zu. Kaum aber war er gegangen, als Askeladden und die Königstochter den ganzen Schrank durchsuchten, um sein Herz zu finden. Aber wie fleißig sie auch suchten, sie fanden nichts. »Wir müssen's noch einmal probieren«, sagte die Prinzessin. Sie schmückte nun den Schrank mit Blumen und mit Kränzen, und gegen Abend musste Askeladden wieder unters Bett kriechen. Darauf kam der Riese an. »Hutetu! Hier riecht's so nach Menschenfleisch!« sagte er, als er eintrat. »Ach, es ist wohl immer noch der alte Knochen«, sagte die Prinzessin. »Der Geruch will gar nicht wieder fort.« Damit war der Riese zufrieden und sagte weiter nichts. Wie er aber darauf den Schrank erblickte, der mit Blumen und Kränzen geschmückt war fragte er die Prinzessin, wer das getan hätte. »Das habe ich getan«, sagte sie. »Und wozu soll die Torheit?« fragte er. »Meinst du denn nicht, dass ich dich so lieb habe, um den Schrank mit Blumen und Kränzen zu schmücken, wenn ich weiß, dass dein Herz darin liegt?« sagte sie. »Kannst du so närrisch sein und das glauben?« sagte der Riese. »Ich muss es ja wohl glauben, wenn du es sagst«, versetzte die Prinzessin. »Du bist ein Narr!« sagte der Riese. »Wo mein Herz ist, dahin kommst du nie.«

»Du könntest mir aber doch sagen, wo es ist«, sagte sie. Nun konnte der Riese nicht anders, sondern musste es ihr sagen: »Weit, weit von hier in einem Wasser«, sagte er, »liegt eine Insel. Auf der Insel steht eine Kirche. In der Kirche ist ein Brunnen. In dem Brunnen schwimmt eine Ente. In der Ente ist ein Ei. Und in dem Ei - da ist mein Herz.«

Am Morgen früh, als es noch nicht dämmerte, streifte der Riese schon wieder nach dem Walde zu. »Ja, nun muss ich auch fort«, sagte Askeladden. »Wenn ich bloß den Weg wüsste.« Er sagte darauf der Prinzessin Lebewohl, und als er draußen vors Schloss kam, stand der Wolf noch da und wartete auf ihn. Askeladden erzählte ihm alles, was ihm im Schloss begegnet war, und sagte, nun möchte er gern zu dem Brunnen in der Kirche, wenn er bloß den Weg dahin wüsste. Der Wolf aber sagte, den Weg wolle er schon finden, er solle sich nur auf seinen Rücken setzen; und darauf ging es fort über Klippen und Hügel, über Berg und Tal, dass es nur so sauste.

Nachdem sie schon manchen lieben Tag gereist waren, kamen sie endlich zu einem Wasser. Nun wusste der Königssohn nicht, wie er hinüberkommen sollte. Aber der Wolf sagte zu ihm, er solle sich bloß nicht fürchten, und dann sprang er ins Wasser und schwamm mit dem Prinzen zu der Insel.

Als sie aber zu der Kirche kamen, hing der Schlüssel ganz oben an der Turmspitze. Nun wusste der Königssohn wieder nicht, wie er ihn herunterkriegen sollte. »Du musst den Raben zu Hilfe rufen«, sagte der Wolf. Das tat der Prinz. Da kam der Rabe geflogen, schwang sich hinauf zu der Turmspitze und holte den, Schlüssel herunter. Nun konnte der Prinz in die Kirche kommen.

Und als er zu dem Brunnen kam, schwamm die Ente darin auf und ab, so wie der Riese gesagt hatte. Der Prinz fing nun an, sie zu locken, und lockte so lange, bis sie nahe genug kam, dass er sie greifen konnte. Wie er sie aber aus dem Wasser hob, ließ sie das Ei in den Brunnen fallen. Nun wusste Askeladden nicht, wie er das Ei wiederbekommen sollte. »Du musst jetzt den Lachs zu Hilfe rufen«, sagte der Wolf. Da rief der Prinz den Lachs, und dieser kam sogleich und holte das Ei herauf.

Nun, sagte der Wolf zu dem Prinzen, solle er das Ei in der Hand drücken. Und wie der Bursche das tat, schrie der Riese laut auf. »Drück noch einmal zu!« sagte der Wolf. Und wieder Prinz noch einmal zudrückte, erhob der Riese ein klägliches Gewinsel und bat und flehte um sein Leben. Er wolle auch alles tun, was der Königssohn verlangte, wenn er ihm bloß nicht das Herz entzwei drücke, beteuerte er. »Sage ihm, wenn er deine sechs Brüder, die er in Stein verwandelt hat, wieder in Prinzen umschafft und ihre Bräute in Prinzessinnen, dann solle er das Leben behalten«, sagte der Wolf. Und das tat der Prinz. Ja, dazu war der Riese sogleich bereit. Er verwandelte die sechs Brüder wieder in Prinzen und ihre Bräute wieder in Prinzessinnen. »Drück jetzt das Ei entzwei!« sagte der Wolf. Nun zerdrückte Askeladden das Ei, und da barst der Riese mitten auseinander.

Wie sie nun quitt waren, ritt Askeladden wieder zurück nach dem Bergschloß. Da standen alle seine Brüder mit ihren Bräuten frisch und gesund vor ihm, und Askeladden ging in den Berg und holte sich die Prinzessin, die wurde nun seine Braut. Und darauf reisten sie alle miteinander zurück nach dem Schloss des Königs.

Wie nun der alte König seine sieben Söhne mit ihren Bräuten ankommen sah, da freute er sich nicht wenig, kannst du glauben. Aber die schönste von allen Prinzessinnen war doch die Braut von Askeladden! Und er musste sich mit ihr bei Tafel obenan setzen. Darauf hielten alle Prinzen Hochzeit mit ihren Bräuten und es wurde gegastet und gejubelt, viele Tage lang.

Und haben sie nicht ausgejubelt, so jubeln sie wohl noch.