[swahili, "Geschichte, Legende"]

Von dem Guten und dem Bösen

Es waren einmal, lang ist es her, Shaksylyk und Shamandyk. Eines Tages begab sich Shamandyk auf einen langen Weg. Er wanderte weit und wurde müde. Ein Dshigit, hoch zu Ross, holte ihn ein. Der Dshigit aber war keiner anderer als Shaksylyk. Der Zufall wollte es, dass sie beide denselben Weg nahmen. »Nimm mich mit«, bat ihn Shamandyk, »du hast ein gutes Pferd, es trägt uns beide. Zu zweit vergeht die Zeit schneller.«

»Na gut, ich bin einverstanden«, antwortete Shaksylyk. »Doch nur unter einer Bedingung: Wir werden der Reihe nach reiten. Siehst du dort die Bäume? Dort lässt du das Pferd stehen, gehst zu Fuß weiter und ich reite. Dann kommst du wieder an die Reihe. Überleg' doch mal, wir beide sind zu schwer für das Pferd.« Shamandyk willigte ein. Er schwang sich aufs Pferd und ritt los.

Shaksylyk wanderte lange. Der Tag ging schon zur Neige, und ein dichter dunkler Wald säumte von beiden Seiten den Weg, aber weder das Pferd noch Shamandyk waren zu sehen. Also hatte Shamandyk den Gefährten hintergangen.

Ja, so war es. Shamandyk war, dem Blick des Gefährten entschwunden, seelenruhig seines Weges geritten. Was tun, ein sattes Pferd hat acht Beine, dachte Shaksylyk, der keinem Menschen etwas nachtrug. Im Wald geriet er an eine verlassene Hütte, in der er rasten wollte. In der Hütte war es still, er fand dort keine Seele. Nur in der Mitte stand ein großer Kessel, darunter brannte ein Feuer, in dem Kessel kochte Fleisch. Shaksylyk wunderte sich: So ein herrlicher Geruch zieht durch die Hütte, aber die steht leer. Wer mag hier wohnen? »Nun, dann will ich einmal kosten!« sagte sich Shaksylyk. Er steckte den Finger in den Kessel, leckte ihn ab und sagte: »Ein köstlicher Schmaus!« Aber er aß nicht, er wollte den Hausherrn nicht beleidigen. Auf dem Dach suchte Shaksylyk ein bequemes Plätzchen und legte sich aufs Ohr.

Bald hielten drei auf die Hütte zu: ein Wolf, ein Fuchs und ein Löwe. Dem Wolf brannten die Augen wie eine Laterne, der zottige Löwe schüttelte seine Mähne und knurrte grimmig, der Fuchs lief schwebend, hielt fortwährend die Nase in die Luft. »Ei, ei, ei! Wer hat aus unserem Kessel gegessen?« rief der Fuchs plötzlich aufgeregt, noch bevor er an den Kessel getreten war. »Ach, Füchslein, was du faselst, wer kann schon in unsere Hütte einkehren und von unserem Essen kosten! Das bildest du dir ein.« Der Fuchs beruhigte sich. Die drei hockten sich um den Kessel und aßen.

Als sie satt waren, erzählten sie sich die Abenteuer, die sie am Tag erlebt hatten. »Wo bist du gewesen, was hast du gesehen, was hast du Aufregendes gehört?« wandten sich der Wolf und der Löwe an den Fuchs. Der Fuchs aber war wortkarg. »All diese Tage gehe ich zu den Ruinen eines alten Winterlagers, denn dort ist ein kleiner Topf mit Silber vergraben. Ihn behüte ich für einen guten Menschen.« Auch der Wolf wollte von seinem Edelmut erzählen, aber er zögerte. »Kein Tag und keine Nacht verging, da ich mich nicht an die Schafherden des Beis heranschlich«, hob er an. »Besonders schön ist ein buntes Schaf. Aber ich rühre es nicht an. Der Herr dieser Schafe hat eine wunderschöne Tochter, sie ist schon einige Jahre krank, und niemand vermag sie zu heilen. Der Vater versprach dem die Tochter zur Frau, der sie heilt, aber niemand kann das Heilmittel für sie finden. Dabei gibt es nur ein Mittel: Schneide dem bunten Schaf das Herz heraus, koche es, gib es dem Mädchen zu essen, und es wird sogleich gesund. Aber ich zürne dem Herrn, denn er jagte mir mit dem Fangseil nach, und deshalb behalte ich das Geheimnis für mich.«

Der Löwe gestand: »Jede Nacht schleiche ich mich an die Pferdeherde des Beis heran, töte eines, schleppe es fort, fresse es und gehe nach Hause. Der Herr der Herde weiß nicht, wer seine Pferde raubt. Vor ein paar Tagen ließ er die Bewohner des Auls zusammentrommeln, sprach lange mit ihnen und versprach dem die ganze Pferdeherde, der den Räuber fängt. Aber ich habe keine Furcht. Nicht ein Pferd des Beis ist so schnell wie ich. Zwar gibt es in der Herde ein Fohlen mit einem weißen Sternchen auf der Stirn. Das könnte mich einholen. Nur weiß der Herr das nicht.« Als sie des Sprechens müde waren, schlummerten sie ein, wachten aber bald schon auf und gingen wieder ihren Geschäften nach.

Shaksylyk lauschte auf dem Dach dem Gespräch, und kaum hatten der Wolf, der Fuchs und der Löwe die Hütte verlassen, stieg auch er vom Dach. Er kleidete sich in das Gewand eines Wunderdoktors und ging durch den Aul, in dem die kranke Tochter des Beis wohnte. Als der Bei ihn sah, bat er: »Allah selbst hat dich zu mir geführt! Du hast armselige Gewänder, aber einen reichen Verstand! Tritt ein und gucke dir meine Tochter. an.« Schweigend willigte Shaksylyk ein, und als er die schöne Tochter sah, sagte er: »Warum habt ihr sie nicht behandelt?«

»Wir haben alles versucht, mein Lieber, doch kein Mittel hilft gegen das Leiden meiner Tochter. Vielleicht finde ich in deinem Mitleid Hilfe?«

»Ich helfe dir aus deiner Not«, sprach Shaksylyk. »Ich mache deine Tochter gesund, aber du musst sie mir zur Frau geben.« Der Bei versprach es. »Wisse«, fügte Shaksylyk hinzu, »du hast heute einen besonderen Gast, und zum Besbarmak musst du das bunte Schaf schlachten.« Der Bei zuckte vor Gier zusammen, als hätte man ihn mit einer Ahle gestochen, denn das bunte Schaf war das wohlgenährteste in der Herde. Doch es blieb ihm nichts anderes übrig, und er ließ das bunte Schaf schlachten, das Fleisch aufheben und für den Gast die Innereien kochen. Shaksylyk durchschaute den Bei, aber es war ihm ja nur recht so. Er gab dem Mädchen das Herz zu essen, es wurde gesund, und Shaksylyk nahm es mit sich.

Dann suchte er das alte verlassene Winterlager, von dem der Fuchs erzählt hatte, buddelte dort den Krug mit Silber aus und begab sich zu dem Bei, dem jede Nacht ein Pferd gestohlen wurde. »Wenn ich den finde, der dir jede Nacht ein Pferd stiehlt, was gibst du mir dafür?« fragte Shaksylyk den Bei. »Wenn du den Dieb findest, erhältst du eine ganze Pferdeherde.«

»Ich bin's zufrieden«, sagte Shaksylyk. Er ging zur Herde, nahm das kleine Fohlen mit dem weißen Sternchen auf der Stirn und wartete ab. Als der Löwe das Pferd packte, sprang Shaksylyk auf das Fohlen und jagte ihm nach. Bald hatte er den Löwen eingeholt und tötete ihn. Am nächsten Tag trat Shaksylyk mit der geschenkten Pferdeherde den Heimweg an.

Viel Zeit war ins Land gegangen. Eines Tages begegnete er Shamandyk wieder. Shamandyk glich einem Bettler. Er trug einen alten verschlissenen Beschmet und eine ebenso verschlissene Fellmütze, aus der schmutzige Watteklumpen herausragten. »O weh, o weh, Shaksylyk, ich habe dir damals Schlechtes angetan!« sagte Shamandyk. »Doch alles hat sich gewendet, wie du siehst. Shaksylyk, sage mir doch, wie du reich wurdest? Kann ich auch reich werden?« Shaksylyk erzählte alles der Reihe nach: Wie er in die Hütte geriet, wie er das Gespräch des Fuchses, des Wolfes und des Löwen belauschte und was sich weiter zutrug. »Nun, dann will ich auch mein Glück versuchen«, sagte Shamandyk. »Aber ich warne dich: Sei in der Hütte auf der Hut. Wenn im Kessel Fleisch kocht, darfst du es nicht essen, stecke nur den Finger hinein und koste es. Dann klettere auf das Dach und bleibe dort liegen, bis die Bewohner der Hütte kommen. Dann lausche aufmerksam den Worten und merke dir alles.«

»Gut.«

Shamandyk nahm sogleich Abschied von Shaksylyk und eilte in den Wald. Die Hütte fand er schnell, ging hinein und fand alles so vor, wie Shaksylyk es ihm beschrieben hatte. In der Mitte stand ein großer Kessel, darunter brannte Feuer, im Kessel kochte Fleisch. Müde und hungrig freute sich Shamandyk, dass niemand in der Hütte war. Die Herren der Hütte sind weit, sie merken nichts, dachte Shamandyk, fischte ein paar fette Fleischbrocken aus dem Kessel, schlang sie schnell herunter und kletterte auf das Dach, um zu verschnaufen.

Shamandyk war nach dem Mahl noch nicht eingeschlummert, da betraten der Wolf und der Fuchs die Hütte. Als der Fuchs in den Kessel blickte, rief er: »O weh, o weh, jemand hat unser Essen aufgegessen!« Der Wolf beschwichtigte den Fuchs: »Wer kann schon unser Fleisch essen! Überlege doch selber: Unsere Hütte steht in einem so dichten Wald, dass wir nur mit Mühe den Weg hierher finden. Du träumst.«

»Nein, nein, diesmal führst du mich nicht hinters Licht! Schau doch nur! Gibt es Knöchel im Kessel? Nein! Die Rippen sind auch nicht mehr da. Ich lege mich jetzt schlafen und sehe im Traum, wer in unserer Hütte war«, sagte der schlaue Fuchs.

Er legte sich auf einen Birkenzweig, schnarchte leise, als schliefe er wirklich. Shamandyk war auf dem Dach mehr tot als lebendig. Er wusste nicht aus noch ein, schalt sich, weil er sich von dem Essen verführen ließ. Da wachte der Fuchs auf und sprach: »Höre, Freund: Auf unserem Dach liegt jemand. Vielleicht hat der unser Fleisch gegessen?« Der Fuchs und der Wolf hasteten aufs Dach, fanden dort Shamandyk, zerrten ihn herunter und teilten ihn sich.