[swahili, "Geschichte, Legende"]

Vom Blitz und seinen Söhnen

Uantu hatte einmal eine Yamspflanzung angelegt. Er setzte die Antilope als Wächter ein und gab ihr den Auftrag, gut darauf zu achten, dass die Affen nicht über den jungen Yams herfielen. Die Antilope gehorchte. Sie baute sich eine kleine Hütte und bewachte den ganzen Tag über den Yams. Einen Teil der Pflanzung hatte Uantu der Antilope zugewiesen. »Von diesem Stück kannst du ruhig essen«, hatte er gesagt, »das macht nichts, aber auf alles Übrige gib gut Acht.«

Eines Tages, die Antilope wollte sich eben von ihrem Yams eine Mahlzeit bereiten, kam Kulo, der Blitz, angefahren. Er setzte sich zu ihr und befahl: »Du wirst die Schalen essen, das Innere gehört mir!«

»Hast du etwa die Pflanzung meines Vaters angelegt?« erwiderte die Antilope. Aber da wurde der Blitz böse, schlug die kleine Antilope auf den Mund und sprach: »Wer hat dich gelehrt. Erwachsenen gegenüber so freche Reden zu führen. Da hast du doch zuzustimmen, wie es sich gehört!« Was blieb da der Antilope übrig, sie musste sich fügen: Kulo verspeiste das zarte Innere, die Antilope begnügte sich mit den Schalen. »So, nun kratz mich am Hinterteil«, verlangte der Blitz, als er sein Mahl beendet hatte, und die Antilope tat, was er verlangte. Anschließend furzte er und fragte: »Na, wie riecht das?«

»Wie die schlechten Sachen, die du im Wald isst«, gab die Antilope zurück. Da sprang Kulo auf, prügelte auf das Tier ein und sprach: »Du mit deinen ungezogenen Reden! Ich will dir zeigen, wie man sich benehmen muss! Du musst mindestens sagen: ›Es riecht so gut wie Haarpulver!‹« Und dann schloss er: »Jetzt gehe ich.« Aber als die Antilope nichts darauf erwiderte, machte er kehrt und fuhr sie an: »Ich denke, beim Abschied sagt man: ›Leb wohl!‹!« Die Antilope sagte ihm Lebewohl, und der Blitz fuhr davon.

Am nächsten Tag kam Kulo wieder. Alles lief ab wie am Tag zuvor, nur wagte es die Antilope nicht noch einmal, dem Blitz zu widersprechen. So ging das eine ganze Zeit, bis Uantu eines Tages kam, um nach seiner Pflanzung zu sehen. »Ich habe dir doch erlaubt, von dem Yams zu essen. Hast du das nicht getan, oder warum bist du so ausgemergelt?« fragte er. Da erzählte ihm die Antilope, was ihr zugestoßen war, und schloss: »Ohne jeden Grund schlägt mich dieser böse Kerl fortwährend, dabei verlangt er das Beste vom Yams, und ich muss mich mit den Schalen begnügen!«

»Nun gut«, sagte Uantu darauf, »hol jetzt ein großes Bündel Blätter und reichlich Feuerholz. Ich verstecke mich hinter der Hütte, und sobald Kulo hier auftaucht, werde ich mit ihm kämpfen. Leg die Blätter unter, wenn ich während des Kampfes auf die Erde falle, Kulo dagegen lass ins Feuer stürzen.« Die kleine Antilope holte alles herbei, Uantu aber versteckte sich. Es dauerte nicht lange, da erschien der Blitz. »Kannst du nicht grüßen?« herrschte er die Antilope an. »Kümmere dich um deine eigenen Angelegenheiten!« gab sie zurück. Da schlug der Blitz die Antilope und schimpfte: »Habe ich dir das so beigebracht?« Uantu blieb in seinem Versteck, und die Antilope bereitete eine Yamsmahlzeit. Auch diesmal verlangte Kulo das Gute, während die Antilope mit den Schalen vorlieb nehmen sollte. »Heute wirst du überhaupt keinen Yams essen«, wies sie ihn ab. Kulo wollte sich schon auf die Antilope stürzen, um sie wegen ihrer Widerworte zu verprügeln, da verließ Uantu sein Versteck, griff den Blitz an, und sie kämpften miteinander. Der Blitz riss Uantu mit hoch in die Luft, aber jedes Mal, wenn Uantu als erster wieder auf der Erde angelangt wäre, schob die Antilope rasch ein dickes Blätterbündel unter. Den Blitz dagegen ließ sie jedes Mal ins Feuer stürzen. Kulo holte sich viele schlimme Verbrennungen und starb schließlich. Als er nun tot dalag, ließ die Antilope noch einmal ihre Wut aus: »Warte!« rief sie, »dafür, dass du mich so oft grundlos verprügelt hast!« und schlug ihn auf den Mund. Gemeinsam trugen Uantu und die Antilope dann den Leichnam ins Dorf. Dort wurde der Blitz zerlegt, aufgeteilt und schließlich gegessen. Die Knochen aber warf man hinters Haus. Einige Zeit später ging Uantus Sohn einmal austreten, stieß mit dem Fuß an, und es erklang ein Ton. Da hob er die Knochen auf, schlug sie gegeneinander, und sie gaben einen wunderbaren Klang, in dem man den Namen Kulo vernehmen konnte. Der Sohn zeigte das merkwürdige Spielzeug nun seinem Vater, und sie brachten die Knochen ins Haus, um sie dort aufzubewahren.

Kulos Söhne, die ihren Vater vermissten, suchten überall nach ihm, aber er blieb verschwunden. Eines Tages erschien einer der Söhne auch in Uantus Dorf. »Hast du vielleicht meinen Vater gesehen?« fragte er den Sohn von Uantu. »Wie heißt denn dein Vater?« lautete die Gegenfrage. »Kulo«, antwortete der Sohn des Blitzes. »Wie heißt er?«

»Kulo!«

»Den Namen habe ich schon gehört«, meinte Uantus Sohn, ging ins Haus, holte die Knochen und ließ sie klingen. Nun wusste Kulos Sohn, dass sein Vater von Uantu und seinen Leuten getötet worden war. Er sprach kein Wort mehr, kehrte in sein Dorf zurück und überlegte, wie er sich rächen könnte.

Einige Tage später gab er bekannt, dass er für seinen Vater die Totenfeier ausrichten wolle, und lud alle Leute dazu ein. Uantu, der ebenfalls zu der Feier gebeten war, machte sich auf den Weg. In seiner Begleitung befanden sich die Fliege, die Schildkröte, der Bohrkäfer und das Erdferkel. Zuerst ging die Fliege voran, denn sie hat eine besonders feine Nase. Bald spürte sie eine Zaubermedizin auf, die der Sohn des Blitzes auf dem Weg zu seinem Dorf vergraben hatte, um Uantu zu töten. Dank der Fliege vermochte Uantu der gefährlichen Stelle auszuweichen. Dann setzte sich die Schildkröte, von allen Tieren das klügste, an die Spitze, und als sie schon in der Nähe des

Dorfes waren, entdeckte auch sie in der Erde eine todbringende Medizin und wusste natürlich sofort, dass sie für Uantu bestimmt gewesen war. Sie zeigte ihm die Stelle, und Uantu machte einen Bogen darum.

Nun trafen sie im Dorf von Kulos Sohn ein und tanzten und vergnügten sich auf dem Dorfplatz. Als die Essenzeit herankam, bat der Sohn des Blitzes die Gäste ins Haus. Er selbst blieb draußen, um seinen Anschlag auszuführen. Uantu und die anderen aber hatten schon eine Vorahnung gehabt, und so waren sie dem Rat der Schildkröte gefolgt und in einen Kochtopf gekrochen. Als Kulos Sohn jetzt mit einem lauten »Wuuumm« ins Haus fuhr, traf er niemanden. Draußen wieder angekommen. hörte er die Leute in dem Topf lachen und ihn verhöhnen: »He. Blitz! Uns zu töten ist nicht so einfach!« Zornig fuhr er wieder ins Haus und »Wuuumm«, direkt in den Kochtopf. Der zersprang, aber er war leer. Geführt von der Fliege waren Uantu und die anderen längst in eine Kalebasse geschlüpft, und von dort aus lachten sie den Blitz, der wütend vor seinem Haus stand, erneut aus. Kulos Sohn zertrümmerte nun die Kalebasse. Aber auch diesmal ohne Erfolg, der Bohrkäfer hatte im Hausbalken ein Loch gegraben, in das hatten sich Uantu und seine Leute geflüchtet, und als der Blitz nun in das Bohrloch fuhr, wobei der Balken völlig zersplitterte, befanden sie sich schon in einer vom Erdferkel gegrabenen Höhle, und zwar in einem Gang, der nach links abzweigte. Kaum war Kulos Sohn ihnen hierher auf der Spur, flohen sie in den Gang nach rechts. Der Blitz suchte zwar auch dort noch, aber als er wieder ins Leere stieß, weil sich die Verfolgten längst im Mittelgang verborgen hielten, gab er auf. Uantu und seine Begleiter konnten nach Hause ziehen, ohne dass die Rache des Blitzes sie getroffen hatte.