[swahili, "Geschichte, Legende"]

Vierfacher Verstand

Es war einmal ein gar dummer Mensch. Da er gern klug werden wollte, beschloss er auszuziehen, um sich Verstand zu suchen, und zwar gleich vierfachen. Endlich gelangte er in einen Aul, wo er einem weißbärtigen Greis begegnete. Ihm erzählte er von seinen Sorgen und sagte ihm auch, dass er sich vierfachen Verstand erwerben wolle. Der Greis erteilte ihm darauf vier Lehren. »Vertraue deiner Frau keine Geheimnisse an. Gib keinem etwas, bevor man dich darum bittet. Frage jeden, der dir begegnet, nach seinem Namen. Wenn du irgendwo zu Gast bist, setze dich nie auf einen Platz, der dir nicht zukommt.« Der dumme Mensch kehrte freudig nach Hause zurück und erzählte seiner Frau, er habe unterwegs die »Peitschen« von Wassermelonen gesehen. Die Frau erzählte die Wundermär sofort den anderen Frauen, und die wiederum sagten es ihren Männern. Nicht faul, gingen die Männer zum Dummkopf und begannen mit ihm einen Streit. »Peitschen an Wassermelonen gibt es nicht. Du konntest das also gar nicht sehen.«

Einer der Männer, der insgeheim die Frau des Dummkopfes liebte, stritt lauter als alle anderen und forderte, an jenen Ort zu gehen, um sich davon zu überzeugen, ob der Dummkopf die Wahrheit sage. Sie beschlossen: Wenn der Dummkopf gelogen habe und also die Wette verlöre, müsse er demjenigen, der als Sieger aus dem Streit hervorgehe, das zum Geschenk geben, was er auf des Trottels Hof oder in dessen Haus dreimal mit seiner Hand berühre. Nachts machten sich die Streithähne auf zu dem Ort, wo der Dummkopf in der Tat die Ranken der Wassermelonen, von ihm »Peitschen« genannt, entdeckt, kurzerhand abgeschnitten und weggeworfen hatte. So fanden sie also nichts, und der Dumme hatte das Nachsehen.

Als er erkannte, dass er die Wette verloren hatte, bat er: »Gebt mir drei Tage Zeit, dann will ich dem Sieger erlauben, dreimal mit der Hand jeden beliebigen Gegenstand in meiner Wirtschaft zu berühren. Mag er ihm, alsdann gehören.« Was aber führte der Sieger im Schilde? Er wollte natürlich die Frau unseres Dummkopfes berühren! Der Dummkopf machte sich indes auf zu dem weisen Greis, um sich neuen Rat zu holen. Es fiel ihm schwer, den alten Mann ausfindig zu machen, denn er hatte selbstverständlich vergessen, ihn nach seinem Namen zu fragen. Endlich sah er den Alten in einem Aul und erzählte ihm von seinem Unglück. Betrübt seufzte der Greis: »Meine Lehren haben dir also keinen Nutzen gebracht. Warum hast du deiner Frau ein Geheimnis anvertraut? Gut, ich will dir noch einmal helfen. Wenn du heimkehrst, lass deine Frau ihr schönstes Kleid anlegen und sich in Wohlgerüche hüllen. Alsdann mag sie sich ins Obergeschoß setzen. Du aber stell eine Leiter an. Sobald der Mann, der eure Wette gewonnen hat, deine Sakija betritt, wird er die Leiter hinauf zu deiner Frau klettern wollen. Wenn er die Leitersprossen dreimal mit der Hand berührt hat, halte ihn fest. Auf diese Weise ist eure Abmachung eingehalten, und du behältst deine Frau.«

Der Dummkopf eilte nach Hause und tat, wie ihm der Greis geraten. Der Sieger trat in die Sakija, erblickte im Oberstock die Frau des Dummkopfes und wollte die Leiter hinauf. Kaum, dass er die dritte Sprosse berührt hatte, hielt ihn der Trottel an: »Da, nimm die drei Sprossen und mach, dass du fort kommst!« So musste der Sieger unverrichteterdinge aus dem Haus.

Der Dummkopf beschloss, bei dem Greis in die Lehre zu gehen. Sie lebten unter einem Dach. Eines Tages wurde der alte Mann zu Gast geladen, er versuchte jedoch, sich zu entschuldigen. »Ich kann leider nicht kommen, denn ich habe gerade selbst Besuch.« Da wurde auch der Kunak zum Fest geladen. Der Kluge kannte seinen Platz an der Tafel, der Dummkopf aber setzte sich auf den Ehrenplatz. Als die anderen Gäste kamen, musste er seinen Platz für die Ehrengäste räumen. So stand er am Ende draußen vor der Tür. Dies alles beobachtete der Kluge und bedauerte, dass der Dummkopf keinen einzigen seiner Ratschläge beherzigt hatte. Als zum Nachtisch eine Wassermelone gereicht wurde, zog der Dummkopf ungebeten sein Messer aus der Tasche und reichte es hin. Da rief einer der jungen Leute: »Das ist mein Messer, du hast's gestohlen, ich bringe dich vor Gericht oder schlage dich tot!« Vergeblich suchte der Greis den Jüngling zu besänftigen, doch der beharrte darauf, dass der Dummkopf sein Messer gestohlen habe. Endlich stimmte der Greis zu, den Fall vor Gericht zu bringen, und schwor dem Jüngling, dem Dummkopf keine Ratschläge mehr zu erteilen. Der Greis, der nicht meineidig werden, andererseits aber seinem dummen Kunak helfen wollte, trug eine Katze vom Hof in die Sakija und sprach vorwurfsvoll zu ihr: »Habe ich dir nicht gesagt, dass du jeden, dem du begegnest, nach seinem Namen fragen sollst? Habe ich dir nicht gesagt, dass du deiner Frau keine Geheimnisse anvertrauen sollst? Habe ich dir nicht gesagt, dass du dich, wenn du zu Gast bist, auf den Platz setzen sollst, der dir gebührt? Habe ich dir nicht gesagt, dass du nichts hergeben sollst, ohne dass man dich darum bittet?«

Bei diesen Worten versetzte der Greis der Katze einen Klaps und sagte: »Nun geh und sag zu dem, der dir dein Messer genommen hat: ›Das ist ja großartig, dass dieses Messer dir gehört. Dich habe ich schon lange gesucht. Mit diesem Messer wurde nämlich mein Vater ermordet, beraubt und am Wegesrand liegengelassen. Jetzt habe ich dich gefunden. Selbst wenn du die Sache ruhen lassen willst, so werde nun ich den Fall vor Gericht bringen.‹« Der Dummkopf verstand die Worte, ging zu dem, der ihm sein Messer genommen haue, und wiederholte alles, was der Greis zur Katze gesprochen haue. Da erschrak der Jüngling und gab dem rechtmäßigen Besitzer das Messer zurück.