[swahili, "Geschichte, Legende"]

Stumme Liebe

Es war einmal ein reicher Kaufmann, Melchior von Bremen genannt, der sich immer hohnlächelnd den Bart strich, wenn vom reichen Mann im Evangelium gepredigt wurde, den er, im Vergleich mit sich, nur für einen kleinen Krämer schätzte. Er hatte des Geldes so viel, dass er seinen Speisesaal mit harten Talern pflastern ließ. In jenen frugalen Zeiten herrschte dennoch, so gut als in den unsrigen, ein gewisser Luxus, nur mit dem Unterschiede, dass er bei den Vätern mehr als bei den Enkeln aufs Solide gestellt war. Ob ihm diese Hoffart gleich, von seinen Mitbürgern und Konsorten, sehr verarget und für eine Prahlerei ausgedeutet wurde: so war´s damit doch mehr auf kaufmännische Spekulation, als Aufschneiderei angesehen. Der schlaue Bremer merkte wohl, dass die Neider und Tadler dieser scheinbaren Eitelkeit nur den Ruf seines Reichtums ausbreiten und seinen Kredit dadurch mehren würden. Er erreichte diese Absicht vollkommen: das tote Kapital von alten Talern, das so weislich im Speisesaal zur Schau ausgestellt war, brachte hundertfältige Zinsen durch die stillschweigende Bürgschaft, die es in allen Handelsgeschäften für die Valuta leistete; aber endlich wurde es doch eine Klippe, woran die Wohlfahrt des Hauses scheiterte.

Melchior von Bremen starb auf einen jähen Trunk bei einem Quabbenschmause, ohne dass er Zeit hatte sein Haus zu bestellen, und hinterließ all sein Hab und Gut einem einzigen Sohne im blühenden Jünglingsalter, der eben die Jahre erreicht hatte, die väterliche Erbschaft gesetzmäßig anzutreten. Franz Melcherson war ein herrlicher Junge, und hatte von der Natur die besten Anlagen empfangen. Sein Körper war regelmäßig gebaut, dabei fest und konsistent; seine Gemütsart heiter und jovialisch, als wenn geräuchert Ochsenfleisch und alter Franzwein auf seine Existenz Einfluss gehabt hätten. Auf seinen Wangen blühte Gesundheit, und aus den braunen Augen sah Behaglichkeit und froher Jugendsinn hervor. Er glich einer markigen Pflanze, die nur Wasser und ein magres Erdreich bedarf, um wohl zu gedeihen; in allzu fettem Boden aber geilen Überwuchs treibt, ohne Frucht und Genuss. Der väterliche Nachlass war, wie es oft der Fall ist, des Sohnes Verderben. Kaum hatte er das Vergnügen empfunden, Besitzer eines großen Vermögens zu sein, und damit nach Belieben schalten zu können: so suchte er sich dessen, nicht anders als einer drückenden Bürde, zu entledigen, spielte den reichen Mann im Evangelium im Wortverstande, und lebte alle Tage herrlich und in Freuden. Kein Gastmahl am Hofe des Bischofs kam den seinigen gleich an Pracht und Überfluss, und so lange die Stadt Bremen steht, wird solch ein Ochsenfest nicht wieder erlebt, als er jährlich zu begehen pflegte: an jeden Bürger in der Stadt spendete er einen Krüselbraten aus und ein Krüglein spanischen Wein. Davor ließ die ganze Stadt den Sohn des Alten hoch leben, und Franz war der Held des Tages.

Bei diesem fortwährenden Taumel von Schwelgerei wurde an keine Bilanzrechnung gedacht, die ehemals das Vademekum der Handelsleute war, jetzt aber immer mehr außer Brauch kommt, daher das Zünglein der merkantilischen Waage sich oft, mit magnetischer Kraft, zum Fallissement neiget. Einige Jahre verliefen, ohne dass der verschwenderische Gauch eine Abnahme seiner Renten spürte; denn bei des Vaters Hinscheiden waren Kisten und Kasten voll. Die gefräßige Schar der Tischfreunde, das luftige Völklein der lustigen Brüder, die Spieler, Lungerer und alle, die von dem verlornen Sohn Nutz und Gewinn hatten, sahen sich wohl vor, ihn zu einiger Besonnenheit kommen zu lassen; sie rissen ihn von einem Vergnügen zum andern fort, und erhielten ihn immer im Atem, damit nicht ein nüchterner Augenblick die Vernunft aufwecken, und ihren räuberischen Klauen die Beute entführen möchte.

Aber plötzlich versiegte das Brünnlein des Wohllebens, die Tonnen Goldes, aus dem väterlichen Nachlass, waren abgezapft bis auf die Hefen. Franz kommandierte eines Tages eine große Zahlung, der Kassierer war außerstand, die Ordre seines Herrn zu honorieren und gab sie mit Protest zurück. Das fuhr dem jungen Schlemmer mächtig vor die Stirn; doch fühlte er nur Verdruss und Unwillen über seinen widerspenstigen Diener, dem er allein, keineswegs aber seiner eignen übeln Wirtschaft, die Unordnung in seinen Finanzen beimaß. Er gab sich auch keine weitere Mühe, die Ursache davon zu ergründen, sondern, nachdem er zu der gewöhnlichen Litanei des Unsinns seine Zuflucht genommen und einige Dutzend Flüche abgedonnert hatte, ließ er an den achselzuckenden Haushalter den lakonischen Befehl ergehen: Schaff Rat.

Die Geldmäkler, die Wucherer und Wechsler wurden nun in Tätigkeit gesetzt. Gegen hohe Zinsen flossen, im Kurzen, wieder große Summen in die ledigen Kassen: der Saal mit harten Talern gepflastert galt damals, in den Augen der Gläubiger, mehr als in unsern Tagen ein offener Kreditbrief des amerikanischen Generalkongresses, oder aller dreizehn vereinigten Staaten. Das Palliativ leistete eine Zeitlang gute Dienste; doch unter der Hand breitete sich das Gerücht in der Stadt aus, das silberne Pflaster im Speisesaal sei in aller Stille aufgehoben und mit einem steinernen vertauscht worden. Die Sache wurde von Stund an, auf Verlangen der Darleiher, gerichtlich untersucht und in der Tat also befunden. Nun war nicht zu leugnen, dass ein Pflaster von buntfarbigem Marmor, à la mosaique, sich in einem Speisesaal ungleich besser ausnahm, als die verblichenen alten Taler; allein die Gläubiger respektierten den feinen Geschmack des Eigentümers so wenig, dass sie ohne Verzug ihre Zahlung forderten, und da diese nicht erfolgte, wurde der Konkursprozeß eröffnet, das väterliche Haus nebst allen annexis, Vorratshäusern, Gärten, Feldgütern, auch allen Mobilien, bei brennender Kerze versteigert, und der Besitzer, der sich zur Notwehr mit einigen rechtlichen Schikanen noch verbollwerkt hatte, judizialiter exmittiert.

Jetzt war´s zu spät über seine Unbesonnenheit zu philosophieren, da die vernünftigsten Betrachtungen nichts bessern und die heilsamsten Entschließungen den Schaden nicht mehr heilen konnten. Nach der Denkungsart unsers verfeinerten Zeitalters hätte nun der Held mit Würde von der Bühne abtreten, seine Existenz auf irgend eine Art vernichten, die große Reise in die weite Welt antreten oder sich entgurgeln müssen, da er in seiner Vaterstadt nicht mehr, als ein Mann von Ehre, leben konnte. Franz tat indessen weder das eine noch das andere. Das qu´en dira-t-on? welches die gallische Sittlichkeit, als Zaum und Gebiss für Torheit und Unbesonnenheit, erfunden hat, sie damit zu zähmen, war dem zügellosen Wicht bei seinem Wohlstande nicht eingefallen, und sein Gefühlssinn war noch nicht fein genug, die Schande seiner mutwilligen Verschwendung zu empfinden. Es war ihm wie einem berauschten Zecher zu Mute, der eben aus dem Weintaumel wieder erwacht, und sich nicht zu besinnen weiß, was mit ihm vorgegangen ist. Er lebte nach der Weise verunglückter Verschwender, schämte sich nicht und grämte sich nicht. Zum Glück hatte er noch einige Reliquien aus dem Familienschmucke vom Schiffbruch geborgen, die ihn noch eine Zeitlang für drückenden Mangel schützten.

Er bezog ein Quartier in einem abgelegnen Gäßgen, in welches die Sonne das ganze Jahr nicht schien, außer in den längsten Tagen, wenn sie ein wenig über die hohen Dächer blickte. Hier fand er, für seine jetzt sehr eingeschränkten Bedürfnisse, alles was er brauchte: die frugale Küche des Wirts schützte ihn für Hunger, der Ofen für Kälte, das Dach für den Regen, die vier Wände für den Wind; nur für die peinliche Langeweile wusste er weder Rat noch Zuflucht. Das lockere Gesindel der Schmarotzer war mit dem Wohlstande davon geflohen, und von seinen ehemaligen Freunden kannte ihn keiner mehr. Die Lektüre war damals noch kein Zeitbedürfnis, man verstund sich nicht auf die Kunst, mit den hirnlosen Spielen der Phantasie, die gewöhnlich in den seichtesten Köpfen der Nation spuken, die Zeit zu töten. Es gab keine empfindsamen, pädagogischen, psychologischen, komischen, Volks- und Hexenromane; keine Robinsonaden, keine Familien- noch Klostergeschichten, keine Plimplamplaskos, keine Kakerlaks, und die ganze fade Rosenthalsche Sippschaft hatte ihren Höckenweibermund noch nicht aufgetan, die Geduld des ehrsamen Publikums mit ihren Armseligkeiten zu ermüden. Aber doch tummelten sich die Ritter schon wacker auf der Stechbahn herum, Dietrich von Bern, Hildebrand, der gehörnte Seyfried, der starke Rennewart gingen auf die Drachen- und Lindwurmsjagd, und erlegten Riesen und Zwerge von zwölf Mannsstärke. Der ehrwürdige Theuerdank war das höchste Ideal von deutscher Art und Kunst, und damals das neueste Produkt des vaterländischen Witzes, doch nur für die schönen Geister, Dichter und Denker seines Jahrhunderts. Franz gehörte zu keiner von diesen Klassen, daher wusste er sich mit nichts zu beschäftigen, als dass er seine Laute stimmte und zuweilen drauf klimperte, hiernächst zur Abwechselung aus dem Fenster schaute und Wetterbeobachtungen anstellte, aus welchen sich gleichwohl so wenig ein Resultat ergab, als aus der verlornen Mühe unsrer windsüchtigen Meteorologen. Sein Beobachtungsgeist bekam indessen bald eine andere Nahrung, wodurch der leere Raum in Kopf und Herzen auf einmal ausgefüllt wurde.

In dem engen Gäßgen, seinem Fenster gerade gegenüber, wohnte eine ehrbare Matrone, die auf Hoffnung besserer Zeiten, sich kümmerlich vom langen Faden nährte, den sie nebst einer wunderschönen Tochter durch die Spindel gewann.

Sie zogen tagtäglich denselben so lang aus, dass sie die ganze Stadt Bremen, mit Wall und Graben und allen Vorstädten, leicht damit hätten umspannen mögen. Die beiden Spinnerinnen waren eigentlich nicht für die Spindel geboren, sie waren von gutem Herkommen, und lebten ehedem im behaglichen Wohlstande. Der schönen Meta Vater hatte ein eignes Schiff auf der See, das er selbst befrachtete und damit jährlich nach Antwerpen fuhr: aber ein schwerer Sturm begrub das Schiff, mit Mann und Maus und einer reichen Ladung, in den Abgrund des Meeres, als Meta noch nicht ihre Kinderjahre zurückgelegt hatte. Die Mutter, eine verständige gesetzte Frau, ertrug den Verlust ihres Gatten und des sämtlichen Vermögens, mit weiser Standhaftigkeit, entschlug sich, aus edlem Stolze, bei ihrer Dürftigkeit, aller Unterstützungen des wohltätigen Mitleids ihrer Freunde und Anverwandtschaft, die sie für schimpfliche Almosen hielt, solange sie noch in ihrer eignen Tätigkeit Mittel zu finden glaubte, durch ihrer Hände Fleiß sich zu ernähren. Sie überließ ihr großes Haus und all das köstliche Geräte darin den harten Gläubigern ihres verunglückten Mannes, bezog eine kleine Wohnung im engen Gäßgen, und spann vom frühen Morgen an bis in die späte Nacht, ob ihr dieser Broterwerb gleich schwer einging, und sie den Faden oft mit heißen Tränen netzte. Dennoch erreichte sie, durch diese Emsigkeit, den Endzweck von niemand abzuhängen und keinem Menschen einige Verbindlichkeit schuldig zu sein. In der Folge lehrte sie die heranwachsende Tochter zu gleicher Beschäftigung an, und lebte so genau, dass sie von ihrem Erwerb noch einen Sparpfennig zurücklegte, den sie anwendete, nebenher einen kleinen Flachshandel zu treiben.

Sie vermeinte jedoch keineswegs, in diesem dürftigen Zustande ihr Leben zu beschließen, vielmehr stärkte die wackere Frau ihren Mut mit günstigen Aussichten in die Zukunft, hoffte dereinst wieder in eine behagliche Lage zu kommen und in dem Herbste des Lebens auch noch ihren Weibersommer zu genüßen. Diese Hoffnung gründete sich nicht so ganz auf leere Träume der Phantasie, sondern auf eine planmäßige und vernünftige Erwartung. Sie sah ihre Tochter wie eine Frühlingsrose aufblühen, dabei war sie tugendlich und sittsam, und mit so vielen Talenten des Geistes und Herzens begabt, dass die Mutter Freude und Trost an ihr empfand, und sich den Bissen aus dem Munde absparte, um nichts an einer anständigen Erziehung mangeln zu lassen. Denn sie glaubte, wenn ein Mädchen der Skizze gleich käme, welche Salomon der weise Philogyn von dem Ideal einer vollkommnen Gattin entworfen hat: so könne es nicht fehlen, dass eine so köstliche Perl zum Hausschmuck eines rechtlichen Mannes werde aufgesucht und darum gehandelt werden: denn Schönheit und Tugend miteinander vereinbart, galten zu Mutter Brigittens Zeiten gerade soviel in den Augen der Freier, als in unsern Tagen Sippschaft und Vermögen. Zudem gab es auch mehr Ehekompetenten: man hatte damals den Glauben, die Frau sei der wesentlichste, nicht aber nach der verfeinerten ökonomischen Theorie, der entbehrlichste Hausrat in der Wirtschaft. Die schöne Meta blühte zwar nur wie eine köstliche seltene Blume im Gewächshaus, nicht unter Gottes freiem Himmel; sie lebte unter mütterlicher Aufsicht und Gewahrsam höchst eingezogen und stille, ließ sich auf keiner Promenade und in keiner Gesellschaft blicken; kam im ganzen Jahre kaum einmal vors Tor ihrer Vaterstadt, und das schien den Grundsätzen einer gesunden Mutterpolitik gerade entgegen. Die alte Frau E** in Memel verstund´s weiland anders, schickte die reisende Sophie, wie klar am Tage liegt, eigentlich nur auf Heuratsspekulation von Memel nach Sachsen, und erreichte ihre Absicht vollkommen: wie viel Herzen steckte die wandernde Nymphe in Brand, wie viel Kompetenten warben um sie! Wenn sie als ein häusliches sittsames Mädchen daheim geblieben war, würde sie in der Klausur ihrer jungfräulichen Zelle vielleicht abgeblüht haben, ohne sogar an dem Magister Kübbuz eine Eroberung zu machen. Andere Zeiten, andere Sitten. Töchter sind bei uns ein Kapital, das in Umlauf muss gesetzt werden, wenn´s rentieren soll; ehemals wurden sie wie Spargeld unter Schloss und Riegel aufbewahrt; aber die Wechsler wussten doch, wo der Schatz verborgen lag und wie ihm beizukommen sei. Mutter Brigitta steuerte sich auf einen wohlhabenden Eidam, der sie einst wieder aus dem babylonischen Gefängnis im engen Gäßgen, in das Land des Überflusses, wo Milch und Honig innen fleußt, zurückführen würde, und vertraute fest darauf, die Urne des Schicksals werde das Los ihrer Tochter mit keiner Niete zusammen paaren.

Eines Tages, als Nachbar Franz zum Fenster ausschaute, um Wetterbeobachtungen anzustellen, erblickte er die reizende Meta, welche mit der Mutter aus der Kirche zurückkam, wo sie täglich Messe zu hören nicht verfehlte.

In seinem Glücke hatte der unstete Wüstling für das schöne Geschlecht keine Augen gehabt, die feinern Gefühle schliefen noch in seiner Brust, und alle Sinnen waren, von dem unaufhörlichen Rausche des Wohllebens, gleichsam umnebelt. Jetzt hatten sich die stürmischen Wellen der Ausgelassenheit gelegt, und bei der großen Windstille wirkte das kleinste Lüftgen auf die Spiegelfläche seiner Seele. Er wurde von dem Anblick der lieblichsten weiblichen Figur, die ihm jemals vorgeschwebt hatte, bezaubert, gab von Stund an das dürre meteorologische Studium auf, und stellte nun ganz andere Beobachtungen an zu Beförderung der Menschenkunde, die ihm weit unterhaltendere Beschäftigung gaben. Er zog bei seinem Wirt bald Kundschaft von der angenehmen Nachbarschaft ein, und erfuhr das größtenteils, was wir bereits schon wissen.

Jetzt fiel ihm der erste reuige Gedanke über seine unbesonnene Verschwendung auf, es regte sich ein geheimes Wohlwollen in seinem Herzen gegen die neue Bekanntschaft, und er wünschte nur um deswillen sein väterliches Erbgut wieder zurück, die liebenswürdige Meta damit auszusteuern. Das Quartier im engen Gäßgen war ihm jetzt so lieb, dass er´s nicht mit dem Schudding würde vertauscht haben. Er kam den ganzen Tag nicht mehr vom Fenster hinweg, um die Gelegenheit zu erlauren, das liebe Mädchen zu beäugeln, und wenn sie sich sehen ließ, fühlte er mehr Entzücken in seiner Seele, als der Beobachter Horockes zu Liverpool empfand, da er zum ersten Mal die Venus durch die Sonne wandern sah.

Zum Unglück stellte die wachsame Mutter Gegenbeobachtungen an, und merkte bald, was der Lungerer gegenüber im Schilde führte, und weil er als ein Wüstling ohnehin bei ihr gar schlecht akkreditiert war, so entrüstete sie dieses tägliche Angaffen so sehr, dass sie ihr Fenster mit einer Schleierwolke verhüllte und die Vorhänge dichte zuzog. Meta erhielt strengen Befehl, sich nicht mehr am Fenster sehen zu lassen, und wenn die Mutter mit ihr in die Messe ging, hing sie ihr ein Regentuch übers Gesichte, vermummte sie wie eine Favoritin des Großherrn, und sputete sich, dass sie mit ihr um die Ecke des Gäßleins herumkam, um dem Auflaurer aus den Augen zu gehen.

Franz stund eben nicht im Rufe, dass der Scharfsinn sein vorzüglichstes Talent sei; aber die Liebe weckt alle Fähigkeiten der Seele auf. Er merkte, dass er durch sein unbescheidenes Spähen sich verraten hatte, und zog sich alsbald von seinem Fensterposten zurück, mit dem Entschluss, nicht wieder auszuschauen, wenn auch das Venerabile vorbeigetragen würde. Dagegen sann er auf einen Fund, seine Beobachtungen dennoch unbemerkt fortzusetzen, und das gelang seiner Erfindsamkeit ohne große Mühe.

Er heuerte den größten Spiegel der aufzutreiben war, und hing diesen, in seiner Stube, unter einer solchen Richtung auf, dass er durch denselben alles, was in der Wohnung seiner Nachbarinnen vorging, deutlich bemerken konnte. Da man in vielen Tagen nichts mehr von dem Lauerer wahrnahm, öffneten sich allmählich die Gardinen wieder, und der große Spiegel empfing zuweilen die Gestalt des herrlichen Mädchens, und gab sie, zur großen Augenweide seines Inhabers, getreulich zurück. Je tiefer die Liebe in seinem Herzen Wurzel schlug, desto mehr erweiterten sich seine Wünsche. Jetzt kam es darauf an, der schönen Meta seine Leidenschaft zu veroffenbaren, und ihre gegenseitige Gesinnung zu erforschen. Der gewöhnliche und gangbarste Weg, den Verliebte unter einer solchen Konstellation ihrer Neigungen und Wünsche einzuschlagen pflegen, war ihm in seiner gegenwärtigen Lage ganz unzugänglich. In jenem sittsamen Zeitalter hielt es überhaupt schwer für verliebte Paladins, sich bei den Töchtern vom Hause zu introduzieren: Toiletten-Besuche waren noch nicht Sitte, trauliche Zusammenkünfte unter vier Augen, waren mit dem Verluste des guten Rufs von Seiten der weiblichen Teilhaberschaft verpönt, Promenaden, Esplanaden, Maskeraden, Pickeniks, Goutés, Soupés, und andere Erfindungen des neuern Witzes, die süße Minne zu begünstigen, gab es noch nicht; nur die verschwiegene Ehekammer gestattete die Konkurrenz beider Geschlechter, zur Erörterung ihrer Herzensangelegenheiten. Dem ungeachtet gingen alle Dinge ihren Gang, so gut wie bei uns. Gevatterschaften, Hochzeitschmäuse, Leichenmahle, waren, vornehmlich in Reichsstädten, privilegierte Vehikel, Liebschaften anzuspinnen und Ehetraktaten zu betreiben, darum sagt das alte Sprichwort: Es wird keine Hochzeit vollbracht, es wird eine neue erdacht. Aber einen verarmten Schlemmer begehrte niemand in seine geistliche Verwandtschaft aufzunehmen, er wurde zu keinem Hochzeitmahl, zu keinem Leichenessen geladen. Der Schleifweg, durch die Zofe, durch die junge Magd oder einen andern dienstbaren Geist von Unterhändlerin zu negoziieren, war hier versperrt: Mutter Brigitta hatte weder Magd noch Zofe, der Flachs- und Garnhandel ging allein durch ihre Hand, und sie verließ die Tochter so wenig als ihr Schatten.

Unter diesen Umständen war´s unmöglich, dass Nachbar Franz der geliebten Meta sein Herz entweder mündlich oder schriftlich entdecken konnte. Er erfand aber bald ein Sprachidiom, das für die Darstellung der Leidenschaften ausdrücklich gemacht scheinet. Zwar gebühret ihm nicht die Ehre der ersten Erfindung: lange vor ihm hatten die empfindsamen Seladons in Welschland und Spanien, schmelzende Harmonien bei ihren Serenaden, die Sprache des Herzens, unter dem Balkon ihrer Donna, reden lassen, und dieses melodische Pathos soll in Liebesdeklarationen des Zwecks nicht leicht verfehlen, und nach dem Geständnis der Damen herzanfassender und hinreißender sein, als weiland die Wohlredenheit des ehrwürdigen Vaters Chrysostomus, oder die Beredsamkeit des schulgerechten Cicero und Demosthenes. Aber davon hatte der schlichte Bremer nie ein Wort gehöret, folglich war die Erfindung, seine Herzgefühle in musikalische Akkorde überzutragen, und sie der geliebten Meta vorzulautenieren, ganz die seinige.

In einer empfindsamen Stunde ergriff er sein Instrument, ließ es jedoch nicht wie sonst bei dem bloßen Stimmen bewenden, sondern lockte rührende Melodien aus den harmonischen Saiten hervor, und in minder als einem Monat, schuf die Liebe den musikalischen Stümper zum neuen Amphion um. Die ersten Versuche schienen eben nicht bemerkt zu werden; aber bald wurde im engen Gäßgen alles Ohr, wenn der Virtuos einen Akkord anschlug, die Mütter schwiegen die Kinder, die Väter wehrten den lärmenden Knaben vor den Türen, und er hatte das Vergnügen, durch den Spiegel zu bemerken, dass Meta mit ihrer alabasternen Hand zuweilen das Fenster öffnete, wenn er anfing zu präludieren. War´s ihm gelungen sie herbeizuziehen, dass sie ihm das Ohr lieh, so rauschten seine Phantasien im frohen Allegro, oder hüpften in scherzenden Tanzmelodien daher; hielt sie aber der Umtrieb der Spindel oder die geschäftige Mutter ab, sich sehen zu lassen, so wälzte ein schwerfälliges Andante sich über den Steg der seufzenden Laute, welches in schmachtenden Modulationen ganz das Gefühl des Kummers ausdrückte, den Liebesqual in seine Seele goss.

Meta war keine ungelehrige Schülerin, und lernte bald diese ausdrucksvolle Sprache verstehen. Sie machte verschiedene Versuche, zu prüfen, ob sie sich alles recht verdolmetscht hätte, und fand, dass sie nach ihrer Willkür die Virtuosenlaune des unsichtbaren Lautenschlägers regieren konnte: denn die stillen sittsamen Mädchen haben, wie bekannt, einen ungleich schärfern Gefühlblick, als die raschen flatterhaften Dirnen, die mit schmetterlingsartigem Leichtsinn von einem Gegenstande zum andern forteilen, und an keinen ihre Aufmerksamkeit heften. Sie fand ihre weibliche Eitelkeit dadurch geschmeichelt, und es behagte ihr, durch eine geheime Zaubermacht, die nachbarliche Laute bald in den Ton der Freude, bald in den wimmernden Klageton stimmen zu können. Mutter Brigitta aber hatte mit dem Erwerb im Kleinen immer den Kopf so voll, dass sie nicht darauf achtete, und die schlaue Tochter hütete sich wohl, ihr die gemachte Entdeckung mitzuteilen, und dachte vielmehr darauf, eine Gelegenheit auszuspähen, diese harmonischen Apostrophen an ihr Herz, aus einem gewissen Wohlwollen gegen den girrenden Nachbar, oder aus Eitelkeit, um ihren hermeneutischen Scharfsinn zu veroffenbaren, durch eine symbolische Gegenrede zu erwidern. Sie äußerte ein Verlangen, Blumentöpfe vor dem Fenster zu haben, und dieses unschuldige Vergnügen ihr zu gestatten, fand bei der Mutter keine Schwierigkeit, die nichts mehr von dem lauersamen Nachbar fürchtete, nachdem sie ihn nicht mehr vor Augen sah.

Nun hatte Meta einen Beruf ihre Blumen zu warten, zu begießen, für die Sturmwinde sie zu sichern und anzubinden, auch ihr Wachstum und Gedeihen zu beobachten. Mit unaussprechlichem Entzücken erklärte der glückliche Liebhaber diese Hieroglyphen ganz zu seinem Vorteil, und die beredte Laute ermangelte nicht, seine frohen Empfindungen in das horchsame Ohr der schönen Blumenfreundin, über das enge Gäßgen hinüberzumodulieren. Das tat in dem zarten jungfräulichen Herzen Wunder. Es fing an sie heimlich zu kränken, wenn Mutter Brigitta, bei ihren weisen Tischreden, wo sie mit der Tochter zuweilen ein Stündchen zu kosen pflegte, den musikalischen Nachbar in die Zensur nahm, ihn einen Taugenichts und Lungerer schalt; oder mit dem verlornen Sohne verglich. Sie nahm immer seine Partei, wälzte die Schuld seines Verderbens auf die leidige Verführung, und legte ihm nichts zur Last, als dass er das goldne Sprüchlein nicht erwogen hätte: Junges Blut spar dein Gut! Indessen verteidigte sie ihn mit schlauer Vorsicht, dass es schien, es sei damit mehr auf die Unterhaltung des Gesprächs abgesehen, als das sie an der Sache selbst Anteil nahm.

Während dass Mutter Brigitta innerhalb ihrer vier Wände gegen den jungen Wildfang eiferte, hegte dieser für sie gleichwohl die besten Gesinnungen und machte die ernsthafteste Spekulation, wie er nach Vermögen ihre dürftigen Umstände verbessern, und die wenige Habe, die ihm noch übrig war, mit ihr teilen möchte, so dass es ihr doch gänzlich verborgen blieb, dass ein Teil seines Eigentums in das ihrige übergegangen sei. Eigentlich war´s mit dieser milden Spende freilich nicht auf die Mutter, sondern auf die Tochter abgesehen. Unter der Hand hatte er vernommen, dass der schönen Meta nach einem neuen Leibrock gelüste, welchen zu kaufen die Mutter ihr abschlug, unter dem Vorwand schwerer Zeiten. Er urteilte aber ganz recht, dass ein Geschenk oder ein Stück Zeug, von unbekannter Hand, wohl schwerlich dürfte angenommen werden, oder die Tochter sich darein kleiden möchte, und dass er alles verderben würde, wofern er sich als der Geber zu der Spende legitimieren wollte. Unversehens führte der Zufall eine Gelegenheit herbei, diesen guten Willen auf die schicklichste Art zu realisieren.

Mutter Brigitta beklagte sich gegen eine Nachbarin, der Flachs sei nicht geraten, und koste mehr im Einkauf, als die Abnehmer dafür bezahlen wollten, daher sei dieser Nahrungszweig vor der Hand nichts anders als ein dürrer Ast. Horcher Franz ließ sich das nicht zweimal sagen, er lief alsbald zum Goldschmied, und vermäkelte die Ohrenspangen seiner Mutter, kaufte einige Steine Flachs ein, und ließ sie durch eine Unterhändlerin, die er gewann, seiner Nachbarin für einen geringen Preis anbieten. Der Handel wurde geschlossen, und wucherte so reichlich, dass die schöne Meta, auf Allerheiligentag, in einem neuen Leibrock prangte. Sie leuchtete in diesem Prunk dem spähenden Nachbar dergestalt in die Augen, dass er die heiligen elftausend Jungfrauen samt und sonders würde vorbeigegangen sein, wenn ihm vergönnt gewesen war, sich ein Herzgespiel darunter zu suchen, um die reizende Meta zu wählen.

Doch eben da er sich über den guten Erfolg seiner unschuldigen List in der Seele freute, wurde das Geheimnis verraten. Mutter Brigitta wollte der Flachströdlerin, die ihr so reichlichen Erwerb eingebracht hatte, zur Vergeltung auch eine Güte tun, und bewirtete sie mit einem wohlgezuckerten Reisbrei und einem Quartiergen spanischen Sekt. Diese Näscherei setzte nicht nur den zahnlosen Mund, sondern auch die geschwätzige Zunge der Alten in Bewegung, sie verhieß den Flachshandel fortzusetzen, wenn ihr Kommittent sich ferner geneigt dazu finden ließ, wie sie aus guten Gründen vermute. Ein Wort gabs andere. Mutter Evens Töchter forschten, mit der ihrem Geschlechte gewöhnlichen Neugier so lange nach, bis sie das morsche Siegel der weiblichen Verschwiegenheit auflösten. Meta erbleichte für Schrecken über diese Entdeckung, die sie würde entzückt haben, wenn nicht die Mutter Teilhaberin derselben gewesen wäre. Aber sie kannte ihre strengen Begriffe von Sittlichkeit und Anstand, und die machten ihr für den Verlust des neuen Leibrocks bange. Die ernste Frau geriet nicht minder in Bestürzung über diese Novelle, und wünschte ihrerseits gleichfalls, dass sie allein Notiz von der eigentlichen Beschaffenheit ihres Flachshandels möchte erhalten haben, denn sie fürchtete, die nachbarliche Großmut möchte auf das Herz der Tochter einen Eindruck machen, der ihren ganzen Plan verrückte. Daher beschloss sie, den noch zarten Keim des Unkrautes, auf frischer Tat, aus dem jungfräulichen Herzen zu vertilgen. Der Leibrock wurde, aller Bitten und Tränen der lieblichen Besitzerin ungeachtet, vorerst in Beschlag genommen, und des folgenden Tages auf den Trödelmarkt geschickt, das daraus gelöste Geld, mit dem übrigen aufs gewissenhafteste berechneten Gewinn von dem Flachsnegoz, zusammengepackt und als eine alte Schuld unter der Aufschrift: an Herrn Franz Melcherson, sesshaft in Bremen, durch Beihülfe des Hamburger Boten zurückspediert. Der Empfänger nahm auf guten Glauben das Päcktgen Geld als einen unvermuteten Segen an, wünschte, dass alle Schuldner seines Vaters in Abzahlung der alten Reste so gewissenhaft sein möchten, als dieser biedere Unbekannte, und ahndete nichts von dem wahren Zusammenhange der Sache; die schwatzhafte Mäklerin hütete sich auch wohl, von ihrer Plauderei ihm Confidence zu machen, sie begnügte sich nur ihm zu sagen, Mutter Brigitta habe den Flachshandel aufgegeben.

Unterdessen belehrte ihn der Spiegel, dass gegenüber die Adspekten in einer Nacht sich gar sehr verändert hatten. Die Blumentöpfe waren insgesamt verschwunden, und die Schleierwolken bedeckten wieder den freundlichen Horizont der gegenseitigen Fenster. Meta war selten sichtbar, und wenn sie ja einmal auf einen Augenblick zum Vorschein kam, wie der Silbermond in einer stürmischen Nacht aus dem Gewölke, so erschien sie mit gar trübseligem Gesicht, das Feuer ihrer Augen war verloschen, und ihm bedünkte, sie zerdrücke zuweilen ein perlendes Tränlein mit dem Finger. Das griff ihm gewaltsam ans Herz, und die Laute hallte schwermutsvolle Mitempfindung in weichen lydischen Tönen. Er quälte sich und sann, die Ursache des Trübsinns seiner Liebschaft zu erforschen, ohne mit seinem Dichten und Denken etwas zu enden. Nach Verlauf einiger Tage bemerkte er mit großer Bestürzung, dass sein liebster Hausrat, der große Spiegel, ihm völlig unbrauchbar sei. Er lagerte sich an einem heitern Morgen in den gewöhnlichen Hinterhalt, und wurde gewahr, dass die Wolken gegenüber alle wie nächtliche Nebel verschwunden waren, welches er anfangs einer großen Wäsche zuschrieb; aber bald sah er, dass inwendig im Zimmer alles öd und ledig war: die angenehme Nachbarschaft war abends zuvor in aller Stille dekampieret, und hatte das Quartier verändert.

Nun konnte er mit aller Muße und Bequemlichkeit wieder der freien Aussicht genüßen, ohne zu befürchten, irgend jemand durch sein Ausschauen lästig zu fallen; allein für ihn war´s ein peinlicher Verlust, des wonnigen Anblicks seiner platonischen Liebschaft entbehren zu müssen. Stumm und fühllos stund er da, wie ehemals sein Kunstgenoß der harmonische Orpheus, als der geliebte Schatten seiner Eurydice wieder zum Orkus hinabschwand, und wenn zu seiner Zeit das Tollhäuslergefühl unserer Kraftmänner, die im abgewichenen Jahrzehend tosten, nun aber, wie die Hummeln beim ersten Froste, verschwunden sind, zur Existenz wär gediehen gewesen: so würde diese Windstille in einen plötzlichen Orkan übergegangen sein. Das wenigste was er hätte tun können, wäre gewesen, sich die Haare auszuraufen, auf der Erde sich herumzuwälzen, oder den Kopf gegen die Wand zu rennen, den Ofen und die Fenster einzuschlagen, und seiner als ein Unsinniger zu beginnen. Alles das unterblieb, aus dem ganz einleuchtenden Grunde, weil wahre Liebe nie Toren macht, sondern das Universale ist, kranke Gemüter von Torheit zu heilen, der Ausschweifung sanfte Fesseln anzulegen, und jugendliche Unbesonnenheit, von dem Wege des Verderbens, auf die Bahn der Vernunft zu leiten: denn der Wüstling, welchen die Liebe nicht wieder zurechte bringt, ist unwiederbringlich verloren.

Sobald sich sein Geist wieder gesammelt hatte, stellte er über das unerwartete Phänomenon am nachbarlichen Horizont mancherlei lehrreiche Betrachtungen an. Er vermutete allerdings, dass er der Hebel gewesen sein möchte, der die Bewegung im engen Gäßgen veranlasst und die Auswanderung der weiblichen Kolonie bewirket habe; der Geldempfang, der eingestellte Flachshandel, und die darauf erfolgte Emigration dienten einander zu wechselseitigen Exponenten, ihm alles aufzuklären. Er merkte, dass Mutter Brigitta hinter seine Geheimnisse gekommen sei, und sah aus allen Umständen, dass er nicht ihr Held war, und diese Entdeckung munterte eben seine Hoffnung nicht sehr auf. Die symbolische Rücksprache der schönen Meta hingegen, welche sie, mittelst der Blumentöpfe, auf seine harmonischen Liebesanträge mit ihm genommen hatte, ihr Trübsinn, und die Zähre, die er kurz vor der Auswanderung aus dem engen Gäßgen in ihren schönen Augen bemerkt hatte, belebten seine Hoffnung wieder und erhielten ihn bei gutem Mute. Sein erstes Geschäfte war, auf Kundschaft auszugehen und in Erfahrung zu bringen, wo Mutter Brigitta ihre Residenz hinverlegt habe, um das geheime Einverständnis mit der zärtlichen Tochter auf irgend eine Weise zu unterhalten. Es kostete ihn wenig Mühe, ihren Aufenthalt zu erfahren, gleichwohl war er zu bescheiden, ihr mit wesentlicher Wohnung zu folgen, und begnügte sich nur die Kirche auszuspähen, wo sie nun Messe hörten, um sich das Vergnügen des Anblicks seiner Geliebten täglich einmal zu verschaffen. Er verfehlte nie, ihr auf dem Heimwege zu begegnen, bald da bald dort in einem Laden, oder in einer Haustür, wo sie vorübergehen musste, ihr aufzupassen und sie freundlich zu grüßen, welches so viel galt als ein Billet doux und auch die nämliche Wirkung tat.

Wär Meta nicht allzu klostermäßig erzogen, und von der strengen Mutter wie ein Schatz von den Augen eines Geizigen bewacht worden, so hätte Nachbar Franz, mit seiner verborgenen Werbung auf ihr Herz, ohne Zweifel wenig Eindruck gemacht. Aber sie war in dem kritischen Alter, wo Mutter Natur und Mutter Brigitta, mit ihrer guten Lehr und Unterricht, immer in Kollision kamen. Jene lehrte sie durch geheimen Instinkt Empfindungen kennen, und pries ihr solche als die Panazee des Lebens an, für die sie keinen Namen hatte; diese warnte sie für den Überraschungen einer Leidenschaft, die sie nicht mit dem wahren Namen benennen wollte, die aber, ihrer Sage nach, für junge Mädchen schädlicher und verderblicher sein sollte als Blattergift. Jene belebte im blühenden Lenz des Lebens, nach Beschaffenheit der Jahreszeit, ihr Herz mit wohltätiger Wärme; diese wollte, dass es immer so frostig und kalt als ein Eiskeller bleiben sollte. Dieses ganz entgegengesetzte pädagogische System zweier guten Mütter, gab dem lenksamen Herzen der Tochter die Richtung eines Schiffs, das gegen den Wind gesteuert wird, und weder dem Winde noch dem Ruder folgt, sondern ganz natürlich eine dritte Direktion nimmt. Sie behielt die Sittsamkeit und Tugend bei, die ihr durch die Erziehung von Jugend an war eingeprägt worden, und ihr Herz war aller zärtlichen Empfindungen empfänglich. Weil nun Nachbar Franz der erste Jüngling war, der diese schlafenden Gefühle aufgeweckt hatte: so empfand sie ein gewisses Behagen an ihm, das sie sich kaum selbst gestand, das aber jedes minder unerfahrene Mädchen würde für Liebe erkläret haben. Darum ging ihr der Abschied aus dem engen Gäßgen so nahe, darum zitterte ein Tränlein von ihren schönen Augen, darum dankte sie dem lauersamen Franz so freundlich, wenn er sie auf dem Kirchwege grüßte, und wurde rot dabei bis an die Ohren. Beide Liebenden hatten zwar nie ein Wort miteinander gesprochen; aber er verstand sie, sie verstand ihn so vollkommen, dass sie unter vier Augen sich gegeneinander nicht deutlicher würden haben erklären können, und beide Kontrahenten schwuren, jeder Teil für sich im Herzen, unter dem Siegel der Verschwiegenheit, dem andern den Bund der Treue.