[swahili, "Geschichte, Legende"]

Schneiderlein Nadelfein

Es war einmal ein Schneider, den alle, weil er die hübschesten und zierlichsten Kleider weit und breit nähte, Schneiderlein Nadelfein nannten. Eines Nachts träumte der Schneider, dass er durch die Welt wanderte und ihn die Leute fragten, ob er ihr König werden will. Als der Schneider erwachte, lachte er über seinen Traum. Aber der Traum kam auch in den folgenden Nächten immer wieder. Da dachte das Schneiderlein, dass er in die weite Welt wandern und sein Glück suchen solle. Er zog seinen besten Rock und seine beste Hose an, nahm hundert Nadeln, hundert Zwirnsrollen, drei Scheren, Fingerhut und Bügeleisen und machte sich auf den Weg. Er wanderte und wanderte und kam zu einer Wiese. Dort bat er den Wind: »Wind, Wind, trag mich fort an einen fernen Ort.« Der Wind fasste den Schneider und trug ihn mit sich fort. Es war herrlich so zu fliegen. Als der Wind müde wurde, setzte er das Schneiderlein sanft an einem Feldrand ab. »Wer ist da zu mir ins Gras gepurzelt?« knarrte eine Stimme hinter dem Schneider. Der Schneider sah sich um und entdeckte eine wunderliche Gestalt. »Ich bin eine Vogelscheuche und bewache die Felder und Wälder. Und wer bist du?« »Ich bin Schneiderlein Nadelfein. Der Wind hat mich hergeweht. Ich bin auf dem Weg nach Irgendwo, um dort König zu werden.« »Lass mich mit dir ziehen, hier ist es so einsam«, bat die Vogelscheuche. Der Schneider dachte, ja zu zweit ist es lustiger und willigte ein. »Kannst du mir nicht meine Jacke, Hose und Hut flicken? Wenn du König wirst, will ich auch schick aussehen.« »Gern«, antwortete Nadelfein. Er flickte sorgfältig alle Löcher, reparierte auch die Hutfeder und dann wanderten sie los. Endlich kamen sie in ein Land, das aussah, wie das, von dem der Schneider geträumt hatte. Mitten in dem Land war auch eine Stadt, die der in seinem Traum glich. Seltsamerweise aber regnete es über der Stadt, während ringsherum die Sonne schien. Und es regnete nicht nur, es goss wie aus Eimern. »Ach Nadelfein, ich mag nicht in die Stadt gehen, dort werden meine schönen Kleider nass«, sagte die Vogelscheuche. »Und ich will lieber überhaupt nicht König sein, als König in einer so nassen Stadt.«, entgegnete Nadelfein. Sie wollten weiterwandern, aber da kamen die Bewohner der Stadt schon durch das Tor gelaufen und riefen: »Rettet uns. Rettet uns bevor wir im Regen umkommen!« »Warum regnet es bei euch, während ringsherum die Sonne scheint?«, fragte Nadelfein. »Das wissen wir nicht. Unser guter König starb und seine Tochter weinte drei Wochen lang. In der vierten Woche lachte sie wieder und da haben wir vor Freude alle Kanonen abgeschossen. Seitdem regnet es ununterbrochen«; antworteten die Leute. Sie führten die Gäste in die Stadt. Überall quoll das Wasser hervor. Die Bewohner hatten alle Schnupfen. Ihre Nasen trieften. Es gab längst nicht mehr genug Taschentücher. Die Kinder mussten in den Häusern bleiben, damit das Wasser sie nicht wegtrug. Die Vogelscheuche wollte schnell weg. Doch Nadelfein überlegte laut: »Ihr habt bestimmt mit den Kanonen ein Loch in den Himmel geschossen. Ich weiß, was man da tun muss!« Er bat die Leute, alle Leitern, die sie finden können, zu bringen. Dann stellten sie die Leitern auf. Eine über die andere. Nadelfein nahm seine hundert Nadeln, den Zwirn, die Scheren, den Fingerhut und das Bügeleisen und kletterte hoch und immer höher, bis hinauf zum Himmel. Er fädelte eine Nadel ein und begann zu nähen. Er verbrauchte hundert Nadeln und die hundert Zwirnrollen und als die letzte aufgebraucht war, war der Himmel kunstvoll geflickt. Er nahm das Bügeleisen und glättete den Himmel, dann stieg er hinab. Das Wasser fing an zu versickern, die Kinder begannen in den Pfützen zu spielen und lachten. Die Prinzessin kam und fragte: »Schneiderlein Nadelfein, willst du mein Gemahl sein?« Sie küsste ihn und Nadelfein wurde König. Die Vogelscheuche aber blieb als bester Freund bei ihm und wachte über die Spatzen im Land.