[swahili, "Geschichte, Legende"]

Sachatdurdy

Dshumanasar-aga ging tagtäglich nach Saksaul in die Wüste und verkaufte ihn auf dem Basar. Für das Geld holte er Mehl und Aigul-Edshe buk Tschureks daraus. Meist wurden es drei kleine Fladen: einer für den Mann, einer für den Sohn Sachatdurdy und der kleinste für sie selbst. Sachatdurdy pflegte seinen Tschurek zu verzehren, wickelte sich in einen zerschlissenen Chalat und legte sich in Erwartung des nächsten Fladens schlafen. Er ging nirgendwohin und arbeitete auch nicht. Dshumanasar-aga wollte den Sohn oftmals mit sich nehmen, damit er helfe, den Lebensunterhalt zu verdienen, doch alles war vergeblich. So lebten sie. Wach, kann man so leben? fragte sich eines Tages Sachatdurdy. Ich will meinem alten Vater nicht länger zur Last fallen. Will ausziehen, um mich bei fremden Leuten zu verdingen. Er bat den Vater: »Vater, lass mich ausziehen und mich ein Tagewerk suchen gehen.« Dshumanasar-aga war es gewohnt, dass sein Sohn auf der faulen Bärenhaut lag, und beachtete deshalb gar nicht die Worte. Ohne eine Entgegnung abzuwarten, warf sich Sachatdurdy den Chalat über die Schultern und wanderte in den Nachbaraul.

Dort sah er, wie Leute ein Haus bauten. Der Besitzer, offensichtlich ein Ischan, ging auf der Baustelle umher, schimpfte und trieb die Arbeiter an. »Ischan-aga«, sagte Sachatdurdy, »ich bin bereit, mich bei dir zu verdingen.«

»Gern«, entgegnete Ernasar-Ischan, »ich habe nichts dagegen, dich zu nehmen, mein Sohn, doch zuerst zeige, was du kannst. Hier hast du einen Spaten, rühre den Lehm an.« Sachatdurdy nahm bereitwillig den Spaten, stieg in die Grube und rührte, während der Putzer die Wand mit Stuck bewarf, soviel Lehm an, wie nicht einmal zwei Arbeiter zubereitet hätten. »Gut so!« lobte Ernasar-Ischan. »Ich behalte dich. Will dir doppelt soviel Lohn zahlen wie allen anderen. Jeder bekommt bei mir am Tag eine Piale voll Pilaw und ein Kännchen Tee. Außerdem zahle ich einen Tanga Tageslohn. Du aber sollst das Doppelte erhalten.«

Sachatdurdys Freude kannte keine Grenzen, und er werkte unermüdlich bis zum Abend. Als er den versprochenen Pilaw bekam, verzehrte er eine Piale voll und trank den Tee, die zweite Schale aber trug er heim. Die Eltern waren arg verwundert, weil der Sohn so lange von Hause fort gewesen war. Kaum war jener über die Schwelle getreten, da sagte er: »Vater, ich bringe dir eine Piale Pilaw und zwei Tanga. Der Pilaw reicht für Mutter und dich, und von dem Geld könnt ihr noch zwei Tage leben.« Unwillig brummte der Vater: »Wenn du dich nur allein durchbringen wolltest, wäre ich schon zufrieden. Du hängst mir wie ein Stein am Hals.« Diese Worte kränkten Sachatdurdy, und er ging, ohne ein weiteres Wort zu verlieren, aus dem Haus geradewegs zum Ischan. Dort aß er seinen Pilaw und überlegte: Lehm anrühren, ist eine zu schwere Arbeit. Dabei verliere ich alle Kraft, die ich in den Jahren, da ich auf der Bärenhaut lag, gesammelt habe. Will lieber weiterziehen und mir etwas anderes suchen. Zu seinem Dienstherrn sagte er: »Ischan-aga, lebt wohl, ich ziehe weiter.« Ernasar-Ischan redete Sachatdurdy lange zu, bei ihm zu bleiben, doch da jener nicht umzustimmen war, ließ er ihn mit Allah ziehen.

Abends langte Sachatdurdy in einem anderen Aul an. Dort hörte er, dass der Kaufherr Nobatgeldy einen Knecht brauche. Der Kaufherr sprach: »Folge mir zu meinen Kamelen, junger Mann, wollen sehen, ob du sie zu warten vermagst. Sattle hier diesen Ner.« Geschickt warf Sachatdurdy dem Tier den Chatab-kala über, zog die Riemen stramm und prüfte, ob der Sattel fest saß. Dem Kaufherrn gefiel die Gewandtheit des Jünglings, und er sprach: »Heute noch ziehen wir nach Tschin-Matschin. Ich bin Karawanen-baschi. Wenn du magst, nehme ich dich mit.« Die neue Arbeit schien Sachatdurdy wesentlich leichter zu sein als Lehm zu rühren, und er stimmte bereitwillig zu. Wie man weiß, war er ein großer Faulpelz. Doch wenn er an einer Beschäftigung Freude fand, so machte er sich mit großem Eifer ans Werk.

Diesmal war es nicht anders. Die Karawane hatte noch nicht den halben Weg nach China zurückgelegt, da hielt es die Faulheit nicht länger bei Sachatdurdy aus und blieb im Straßenrand zurück. Nachdem sich der Jüngling von ihr befreit hatte, legte er sich in jeder Karawanserei als letzter zur Ruhe und stand des Morgens als erster auf. Seine Kamele waren stets gefüttert und getränkt und bereit für den Weg. Der Kaufherr konnte sich gar nicht genug tun vor Freude über seinen Diener.

Einmal rastete die Karawane auf dem langen beschwerlichen Weg zwei oder drei Tage an einem Brunnen. Doch als sie ihren Weg fortsetzen wollten, erkrankte der Kaufherr. Er rief Sachatdurdy zu sich und sprach: »Wenn ich unterwegs sterbe, so lass meinen Leichnam nicht in der Steppe zurück, sondern nähe ihn in einen ledernen Überwurf und lass ihn heimbringen. Du aber kehre nicht nach Hause zurück, sondern stelle dich an die Spitze der Karawane und führe sie ans Ziel.«

»Es soll alles nach Eurem Willen geschehen«, versprach Sachatdurdy. Der Kaufherr dankte ihm und verschied.

Sachatdurdy richtete alles, wie sein Dienstherr es verlangt hatte, er sammelte die Leute um sich und verkündete: »Nobatgeidy-aga hat mir aufgetragen, seinen Platz an der Spitze der Karawane einzunehmen. Er selbst musste in dringenden Geschäften vorzeitig heimkehren.« Die Leute blickten einander verwundert an, stellten jedoch keine Fragen, warum der Kaufherr zurückgekehrt sei. Er musste es besser wissen, war schließlich ihr Herr. So langten sie in Tschin-Matschin an, mieteten sich in der Karawanserei ein und begannen Handel zu treiben. Nachdem sie ihre Waren vorteilhaft verkauft hatten, begannen sie einzukaufen, was sie benötigten.

Doch wir wollen nun die Karawane verlassen, um zu erfahren, was das Töchterlein des Padischahs von Tschin-Matschin unterdessen trieb. Das Mägdelein hielt nämlich Ausschau nach einem würdigen Bräutigam. Die Söhne vieler Padischahs, Khans, Wesire und Beks hatten bereits um sie gefreit. Doch bislang hatte sie an keinem Gefallen gefunden. Einmal legte sie Männerkleidung an und schlenderte durch die Stadt. Sie ging durch alle Straßen, über alle Basare und erblickte endlich Sachatdurdy. Der hoch gewachsene, stattliche Jüngling fiel in der Menge auf. Diesen Jüngling will ich zum Manne nehmen, dachte sie und beschloss, sich alsbald mit ihm bekannt zu machen. Doch da sie ein sehr schüchternes und bescheidenes Mädchen war, wollte ihr nichts einfallen, wie sie ihre Absicht verwirklichen könnte, und so bat sie ihre alte Amme um Rat. Erwiderte die Amme: »Ach, liebes Kind, zu dem Jüngling werden wir schon einen Weg finden, aber ob dein Vater zu dieser Heirat seinen Segen gibt? Hast du das überlegt? Doch wenn es einmal dein Wille ist, so will ich dir helfen. Wir setzen die Trauung in aller Heimlichkeit an. Sage du dem Jüngling, dass er alsdann unser Land verlassen müsse, damit dein Vater nichts erfährt. Sonst tut er ihm am Ende gar etwas Böses an.« Die Tochter des Padischahs war es zufrieden und fragte: »Was muss ich weiter tun, Amme?« Die alte Frau belehrte sie: »lass eine schöne gediegene Truhe anfertigen, mein Kind. Sie muss so fest sein, dass sie vierzig Jahre im Wasser liegen kann, ohne zu verderben. Schlüpfe in diese Truhe und bitte einen Kaufherrn - ich will einen finden -, diese Truhe dem Jüngling zu verkaufen.«

»Und wenn der Kaufherr sie an einen anderen verkauft?« fragte die Tochter des Padischahs zweifelnd. »lass das nicht deine Sorge sein. Zeige mir jenen herrlichen Jüngling, alles andere will ich auf mich nehmen.«

Die schöne Jungfrau tat, wie die Amme sie geheißen. Die getreue Dienerin schleppte die Truhe auf den Basar zu einem Kaufherrn und sprach: »Verkaufe die Truhe an denjenigen, den ich dir weisen will. Aber öffne sie nicht. Wenn andere dich nach der Truhe fragen, so sprich: Ich verkaufe sie nicht. Wenn sie dir allzu arg zusetzen, so fordere den hundertfachen Preis. Dafür, dass die Truhe in die rechten Hände gerät, erhältst du eine hohe Belohnung.« Der Kaufherr ging mit Freuden auf das Angebot ein. Die Truhe war so herrlich anzusehen, dass sich alsbald, kaum hatte er sie ausgestellt, Käufer zuhauf einfanden. Doch allen gab der Kaufherr Bescheid, wie ihn die Alte gelehrt hatte. Als Sachatdurdy die Menge sah, trat er in den Kreis. Da blinzelte die Dienerin dem Kaufherrn zu. Der verneigte sich untertänig vor dem Fremden und pries ihm seine Ware an: »Junger Mann, schau her, welch herrliche Truhe! Dir allein will ich sie verkaufen. Denn du gefällst mir.«

»Ich würde sie gern erwerben, Ehrwürdiger«, entgegnete Sachatdurdy, »doch ich bin fern meiner Heimat, da ist sie für mich eine unnötige Bürde, hier aber brauche ich sie nicht.«

Abermals blinzelte die Alte dem Kaufherrn zu. Der drängte dem Jüngling noch eifriger seine Ware auf: »Mein Khan, nimm dieses Stück, du wirst es nicht bereuen! Eine Truhe, so schön und solid, findest du nirgendwo in der Welt. Kannst all dein Hab und Gut darin verwahren und nichts wird dir verderben.« Warum soll ich sie eigentlich nicht nehmen, überlegte Sachatdurdy, wenn er sie mir so herzlich anträgt. Er zahlte den geforderten Preis, brachte die Truhe in die Karawanserei und stellte sie in seine Stube.

Abends kamen die jungen Leute aus seiner Karawane, mit denen er auf dem langen Weg bereits Freundschaft geschlossen hatte, zu ihm, und nahmen das Nachtmahl ein. Plötzlich öffnete sich die Truhe, und heraus stieg eine wunderschöne Jungfrau. Alle saßen reglos vor Staunen. Zweien oder dreien schwanden gar die Sinne. Die Jungfrau reichte ihnen rasch ein Riechwässerlein, und ihre Ohnmacht verging. »Bist ein böser Geist du oder ein Engel gar?« fragte Sachatdurdy. »Weder das eine noch das andere«, gab das Mädchen ihm lächelnd Bescheid. Dieses Lächeln ließ sie noch schöner erscheinen. »Ich bin die Tochter des Padischahs, der dieses Land regiert. Hab dich, schöner Jüngling, von ganzem Herzen lieb gewonnen und musste zu einer List greifen, um nimmermehr von dir zu scheiden. Ich flehe dich an, lass mich noch heute aus der Stadt fortschaffen, sonst wird uns beiden großes Leid widerfahren. Mein Vater wird mich suchen lassen und findet mich gewiss bei dir.« Nachdem die Freunde sich von ihrem Staunen erholt hatten, begannen sie Sachatdurdy zu seiner schönen Braut zu beglückwünschen und beschlossen, sie also gleich in die Heimat des Bräutigams zu schicken. Einer der Jünglinge lud die Truhe auf ein Kamel, nahm Abschied von allen und machte sich auf den Weg.

Über kurz oder lang erreichte er das ersehnte Ziel und gab die Truhe bei den Eltern ab. Der Vater betrachtete die Truhe von allen Seiten - auf dem langen Weg war sie recht schäbig geworden und hatte all ihre Pracht eingebüßt. Unzufrieden brummte er: »Als ob es in Tschin-Matschin nichts Besseres gibt! Was zum Teufel soll ich mit diesem Möbelstück?« Sicher hätte der alte Mann noch lange gemurrt, doch just in diesem Augenblick hob sich der Deckel, und aus der Truhe stieg ein Mädchen von unsagbarer Schönheit. Sie schaute sich um und erblickte zwei alte Leutchen auf einer zerschlissenen Koschma in einer schwarzen Kibitka.

Die Alten standen fassungslos. Niemals zuvor hatten sie so ein schönes Mädchen geschaut. »Ich bin Sachatdurdys Frau«, sprach das Mädchen mit einer Stimme, zarter als das Zwitschern der Vöglein im Paradies, »ihr seid wohl seine Eltern gar?«

»gewiss, Töchterchen«, nickte Dshumanasar-aga. »Wir sind Sachatdurdys Eltern. Rasch, Alte, bewirte das Schwiegertöchterlein mit allem, was Allah uns gesandt.«

»Wach, wach!« Die alte Frau machte sich hurtig in der kleinen Wirtschaft zu schaffen. »Ich kann dir nichts anderes vorsetzen als einen Tschurek.«

»Macht euch darum keine Sorgen!« Die Tochter des Padischahs suchte die alten Leutchen zu beruhigen und zog einen Beutel mit Gold hervor. »Hier, nehmt Geld, soviel ihr wollt, und kauft alles, was ihr braucht.« Ängstlich nahm Dshumanasar-aga ein paar Münzen und kaufte das Notwendigste. Die Schwiegertochter fragte: »Vater, hat es keine Früchte und keine Süßigkeiten gegeben?«

»Ich habe nicht gewagt, so viel Geld auszugeben«, sagte Dshumanasar und senkte verlegen den Kopf. »Dann wollen wir ein schönes Haus mit Garten kaufen oder einfach einen Garten.«

Dshumanasar-aga tat, wie die junge Frau ihm geraten. Er kaufte einen Garten, zäunte ihn ein, mochte jedoch seine altgewohnte Wohnstätte nicht verlassen und blieb mit seinem Weib in der Kibitka. Die Schwiegertochter suchte sie lange umzustimmen. Als sie merkte, dass all ihre Überredungskünste vergebens waren, zog sie endlich ohne die Alten in den prächtigen Garten. Doch da sie sich allein fürchtete, nahm sie ein paar Dienerinnen mit. So lebten sie fürderhin.

Zu jener Zeit regierte Padischah Pendig das Reich, in dem Sachatdurdys Eltern lebten. Sein Sohn liebte die Falkenjagd und frönte dieser Leidenschaft, sooft er Muße dafür fand. Eines Tages geriet er auf der Jagd weit fort vom Palast. Unvermittelt stand er vor einem herrlichen Garten. Ein Fasan plusterte sein Gefieder auf. Der Sohn des Padischahs ließ den Falken frei. Der Raubvogel stürzte sich auf sein Opfer, verfehlte es jedoch, landete auf einem Aprikosenbaum und blinzelte ins Gehölz. Der Jüngling richtete sich im Sattel auf, um den Vogel wieder einzufangen, und erblickte ein Mädchen von unsagbarer Schönheit. Vor Überraschung schwankte er und stürzte vom Ross. Ihm schwanden die Sinne. Ein Mann, der gerade des Weges kam, hob den Jüngling in den Sattel und führte das Pferd zum Palast.

Als das Hofgesinde den ohnmächtigen Sohn des Padischahs erblickte, hob ein lautes Klagen an. Alle Heilkundigen, die Tabibs, wurden gerufen. Mit großer Mühe gelang es ihnen, den Sohn des Padischahs zur Besinnung zu bringen. Von diesem Tage an siechte der Jüngling dahin. Welche Arzneien man ihm auch reichen, welche Tabibs man auch in den Palast rufen mochte, nichts wollte dem Thronerben helfen. Der Padischah ließ landauf und landab verkünden, dass derjenige, der herausfindet, woran sein Sohn erkrankt und wie er zu heilen sei, eine hohe Belohnung erhalte.

Alsbald kam ein uraltes Weiblein in den Palast. Sie bat, mit dem Thronerben allein gelassen zu werden. Als alle gegangen waren, rieb sie den Jüngling ab, befühlte seine Knochen und fragte schließlich: »Erzähle mir, wo du in der letzten Zeit gewesen bist, was du geschaut und was du vernommen hast.« Da sie dem Sohn des Padischahs vertrauenswürdig erschien, gestand er dem Weiblein: »Ich geriet auf der Jagd in einen fremden Garten und erblickte eine Jungfrau von unsagbarer Schönheit. Sie hat mir mein Herz geraubt. Seither finde ich keine Ruhe mehr. Nur die Vermählung mit ihr vermag mich von meinem Leiden zu heilen.«

Die alte Frau ging zum Padischah und erzählte alles, was sie erfahren hatte. »Vielleicht ist dieses Mädchen schon irgendeinem wackeren Manne versprochen«, fügte die Alte hinzu. »Ich weiß nicht, ob ich imstande bin, Euren Sohn mit ihr zu vermählen, doch ich will zumindest alles erkunden.«

»Wenn sie frei ist, so wirb um sie!« rief der Padischah. also gleich begab sich die alte Frau auf die Suche nach dem schönen Mädchen. Als sie herausbrachte, dass es die Frau von Sachatdurdy war, wurde die Greisin arg betrübt und hinterbrachte die Nachricht dem Sohn des Padischahs. »Oh«, rief der Jüngling verzweifelt, »was soll ich Unglücklicher nur tun!«

»Beruhige dich, mein Sohn«, suchte die Alte ihn zu trösten, »es wird uns schon etwas einfallen, um deinen Schmerz zu lindern... Wenn wir nun jemanden nach Tschin-Matschin schicken, um Sachatdurdy einen Brief zu überbringen?«

»Was für einen Brief, Großmutter?«

»Was für einen Brief? Von seinem Vater! Wir wollen ihm schreiben: ›Mein lieber Sohn Sachatdurdy! Die Schwiegertochter, die du uns gesandt, erwies sich als liederliches Frauenzimmer. Bald nach ihrer Ankunft hat sie sich von uns getrennt, sich ein eigenes Haus gebaut und lebt nun dort, wie sie mag. Es ist eine Schande, was man sich von ihr erzählt. Nein, so ein Weib haben wir nicht für dich gewollt. Trenne dich von ihr, solange es nicht zu spät ist! Sie soll sich nicht länger dein Eheweib nennen.‹ Wenn Sachatdurdy diesen Brief liest, jagt er sie sicher davon. Dann aber wollen wir um sie freien.« Dem Sohn des Padischahs gefiel der Plan der heimtückischen Alten. Schon zwei Tage später ritt ein Bote nach Tschin-Matschin mit einem Brief. Sachatdurdy öffnete den Brief. Als der Reiter nach der Antwort kam, erschlug er ihn auf der Stelle, vergrub ihn und lebte fort, als sei nichts geschehen. Der Sohn des Padischahs wartete sehnsüchtig auf seinen Boten, doch der kehrte nicht heim. So schickte er einen zweiten aus. Auch der kam nicht zurück. Ein dritter begab sich auf den Weg. Ihn ereilte das gleiche Schicksal.

Nachdem Sachatdurdy alle Geschäfte erledigt hatte, wie ihm der verstorbene Kaufherr aufgetragen hatte, machte er sich auf den Heimweg. Er wollte sich selbst davon überzeugen, ob die Briefe der Wahrheit entsprächen. Deshalb näherte er sich um Mitternacht der Kibitka seiner Eltern. »Wer ist dort?« fragte der Vater verschlafen, als er das Klopfen vernahm. »Öffne, Ata!«

»Ach, lieber Sohn! Sei uns willkommen!«

»Ich danke Euch für Euren Gruß«, erwiderte der Sohn. »Wo ist mein Weib?«

»Sie hat den alten Garten von Kutly-aga instand gesetzt und wohnt jetzt dort...« Der Sohn erzitterte, er ahnte Unheil, stürzte hastig aus der Kibitka, schwang sich auf sein Ross und ritt davon. Er versuchte heimlich in den Garten zu kommen. Doch das wollte ihm lange nicht gelingen. Der hohe Duwal und dorniges Strauchwerk bildeten ein unüberwindbares Hindernis. Endlich fand er im Gesträuch einen Durchschlupf.

Leise, um keine Menschenseele zu wecken, drang er in den Garten ein und begann sein Weib zu suchen. In einer Stube bemerkte er ein trübes Licht, blickte durchs Fenster und sah: Sein Weib lag auf vierzig Teppiche gebettet auf einem Lager aus Atlasseide, und zu beiden Seiten saßen ihre Dienerinnen und rieben behutsam ihren Körper mit wohlriechenden Salben ein. Sachatdurdy überlegte: Wenn ich sie wecke, so wird sie sich rechtfertigen und mein Mitleid erwecken. Mit gezogenem Dolch stürzte er in das Schlafgemach. Bevor die Dienerinnen vor Schreck aufschreien konnten, war der Mörder bereits verschwunden.

Morgens machte das Gerücht die Runde: Sachatdurdys Weib ist ermordet! Die Praktischsten, die sahen, dass die Wirtschaft verlassen lag, nahmen alles mit, was ihnen unter die Finger kam. Noch hatte der Tag sich geneigt, da war das Haus ausgeraubt und geplündert. Als letzte kamen zwei Freunde in das verlassene Haus - ein Tabib und ein Hufschmied. Sie gingen durch die leeren Räume und suchten, was sie mit sich nehmen könnten, fanden jedoch nichts außer der Truhe, in der die Tochter des Padischahs herbeigeschafft worden war, und den Leichnam der schönen Frau. Sie dachten nach und beschlossen, beides mit sich zu nehmen. Unterwegs sagte der Hufschmied: »Tabib, gib mir die Truhe. Ich bin ein armer Mann und will sie wieder herrichten. Du aber hast genug zum Leben, du brauchst sie sowieso nicht.« Der Tabib gab ihm ohne ein Wort der Widerrede die Truhe und nahm sich den Leichnam. Daheim bettete er das Mädchen in die Nähe des Herdfeuers und wusch ihre Wunden. Da war ihm, als würde in ihren Adern noch leise das Leben pulsen. Der Tabib holte geschwind eine Arznei, die er aus verschiedenen Heilkräutern gebraut hatte, und rieb dem Mädchen behutsam Hände und Füße ein. Der Tag verging, die Nacht brach an, er aber behandelte das schöne Kind. Morgens, kaum, dass die Sonne aufgegangen war, schlug das Mädchen die Augen auf. Nach vierzig Tagen war die Tochter des Padischahs genesen und begann der Frau des Tabibs in der Wirtschaft zu helfen. Sie fertigte wunderschöne Handarbeiten an, und bald kehrte Wohlstand im Haus des Tabibs ein.

Eines Tages kam die Frau des Hufschmieds zu Gast zum Tabib. Als sie das junge Mädchen erblickte, sagte sie zur Hausfrau: »Wach, warum hast du mir nie erzählt, dass du so eine schöne Tochter besitzt? Sie scheint mir nur wenig älter als unser Sohn zu sein, wirkt aber sehr erwachsen. Die Mädchen wachsen halt schneller heran.«

»Wohin denkst du, liebe Nachbarin«, das Weib des Tabibs winkte ab, »das ist doch nicht unsere Tochter. Es ist das junge Mädchen, das der Vater meiner Kinder zusammen mit deinem Mann aus Sachatdurdys geplündertem Garten mitgebracht hat.«

»Das hab' ich doch immer gewusst«, rief die Frau des Hufschmieds empört, »dass sich mein alter Dummkopf betrügen lässt. Hat eine alte Kiste angeschleppt und so eine kunstfertige Meisterin laufen lassen.«

»Nun höre einmal, Nachbarin, wenn sie zu einem anderen ins Haus gekommen wäre, so wäre sie sicher gestorben.«

»Nein, sag das nicht! Dein Kerl hat meinen Mann einfach betrogen, so ist's! Aber das lassen wir uns nicht gefallen. Wir werden euch schon beikommen.« Die Frau des Hufschmieds maß die andere mit funkelnden Blicken, drohte ihr mit der Faust und rannte davon. Heimgekommen, rief sie schon von der Schwelle nach ihrem Mann: »Nimm den Stock und komm mit!«

»Wohin willst du?« fragte der Hufschmied erstaunt. »Der Tabib hat dich betrogen wie einen kleinen dummen Jungen. Hat dir eine völlig unnütze Kiste gegeben und sich eine Jungfrau genommen, schön wie der silberne Mondenschein.«

»Wie das?« Der Schmied war aufrichtig verblüfft.

»Ganz einfach. Die Frau von Sachatdurdy hat überhaupt keiner erschlagen. Sie war nur in einen sehr tiefen Schlaf gefallen. Dieser Tabib hatte sie einfach verzaubert und sie dir dann in dem Durcheinander vor der Nase weggeschnappt.«

»Komm!« sagte der Hufschmied entschlossen. »Wir wollen sie dem Unverschämten fortnehmen.« Der Hufschmied nahm eine lange Stange, sein Weib einen Stock, und so eilten sie zum Tabib. Der bat den Freund und dessen Frau, ohne Böses zu ahnen, in seine Kibitka. »Wir treten ein«, drohte der Schmied, »wenn du uns unsren Anteil für die Jungfrau auszahlst.«

»Was für einen Anteil?« Der Tabib war verwundert. »Du hast doch selbst gesagt, dass du arm seiest und keine Mittel besäßest, um die Tote in allen Ehren zu bestatten, und hast mich gebeten, dir die Truhe zu geben. Stimmt das oder nicht?«

»Das stimmt wohl«, brummte der Schmied. »Aber sprich, gibst du mir nun meinen Anteil oder nicht?« Wieder näherte er sich drohend dem anderen. »Ich will sehen, was du tust, wenn du nichts von mir erhältst.« Der Tabib riss einen Pfahl aus dem Zaun und ging auf den Schmied los. Die Frau des Hufschmiedes hub zu schreien an. Aus der Kibitka kam die Frau des Tabibs gelaufen. Ein Faustkampf begann.

Die Frauen packten einander bei den Haaren, und die Männer rückten einander mit den Stöcken zu Leibe. Als die Schlägerei immer hitziger wurde, trat die Tochter des Padischahs unter sie.

»Haltet ein«, gebot sie. »Was könnt ihr nicht untereinander teilen?«

»Dich, gutes Kind«, entgegnete der Hufschmied atemlos. »Es heißt: Die Waise zerschneidet ihren Nabel selbst«, sagte das Mädchen. »Aga«, sie wandte sich an den Schmied, »bring meine Truhe, ich will die Beute gerecht unter euch verteilen.« Der Schmied lief, so schnell ihn seine Füße trugen, in die Kibitka und brachte die unglückselige Truhe. Das Mädchen öffnete sie mit ihrem Schlüssel und holte einen Köcher heraus. Sie nahm einen Pfeil, spannte den Bogen und schoss. Der Pfeil stieg hoch auf in die Lüfte und entschwand ihren Blicken. »Wer als erster den Pfeil findet und ihn mir zurückbringt, dem will ich hinfort angehören.« Der Tabib und der Schmied rannten, so rasch sie es vermochten, in die Richtung fort, in die der Pfeil geflogen war. Ihre Frauen folgten ihnen. Derweilen stieß das Mädchen die Truhe in den Fluss, sprang hinein und verschloss den Deckel von innen.

Über kurz oder lang trieben die Wellen die Truhe nach Chiwa. Just an jenem Tag ergingen sich die Frauen des dortigen Padischahs am Ufer, es waren ihrer dreißig. Eine von ihnen, die jüngste, bemerkte, dass in der Flußmitte etwas schwamm. Sie schickte Ruderer mit einem Boot aufs Wasser. Jene zogen die Truhe ans Ufer und brachten sie auf Befehl der ältesten Frau in den Palast. Kaum hatten sie die Truhe abgestellt, da klappte das schloss, der Deckel hob sich, und heraus stieg die Tochter des Padischahs, die Frau von Sachatdurdy, das wunderschöne Mägdelein. Alsbald wurde dem Padischah die Kunde hinterbracht. Er kam und gewann das schöne Mädchen auf den ersten Blick von Herzen lieb. Viele Tage und Nächte quälte ihn Schlaflosigkeit, schließlich vermochte er nicht länger an sich zu halten und entdeckte dem Mädchen seine Gefühle. Sprach das Mägdelein: »Oh, großer Padischah, noch ist die Zeit meiner Trennung nicht abgelaufen. lass uns ein wenig warten. Wenn sie verstrichen ist, will ich Euch gern zu Willen sein.« Der Padischah vernahm die Antwort voller Ungeduld, fand sich jedoch bereit, zu warten. Er musste aber noch zwei Monde und zehn Tage lang warten.

Morgens riefen die Frauen des Padischahs das schöne Mägdelein zum Baden. Gern folgte sie ihnen. Als sie an den Fluss kam und das Boot erblickte, tat die holde Maid, als wisse sie nicht, was das sei. Sie wies auf das Boot und fragte: »Was ist das?«

»Ein Boot.«

»Kann man in ihm auf dem Fluss schwimmen?«

»Man kann sogar mit ihm ans andere Ufer schwimmen«, riefen die Frauen durcheinander. »Ich würde so gern einmal Boot fahren.« Das Mädchen seufzte vor Verlangen. »Steig ein.«

»Wir fahren selbst für unser Leben gern Boot.«

»Wirst du dich auch nicht fürchten?« fragten die Frauen besorgt.

Alle stiegen ein, und das Boot schwamm fort. Als sie weit vom Ufer entfernt waren, beschlossen die Frauen, umzukehren. »Oh!« rief das Mädchen begeistert aus. »Ist das schön, ist das herrlich hier! Lasst uns doch am anderen Ufer anlegen, dort wollen wir rasten und kehren dann heim!« Ein paar der Frauen gaben zu bedenken, dass es gefährlich sei, so weit fort zu schwimmen, doch das Mädchen hob drohend das einzige Ruder und schrie die aufsässigsten Frauen an. So glitten sie stromabwärts von dannen, bis der Abend dämmerte. Nachts war es auf dem Wasser gefährlich und auch zu kalt - die Frauen des Padischahs hatten ja ihre Gewänder am Ufer abgelegt -, deshalb beschloss die Tochter des Padischahs im warmen Sand zu übernachten und anderntags die Flucht fortzusetzen.

Kaum hatte das Boot angelegt und sie waren ans Ufer gesprungen, da galoppierten auf flinken Trabern dreißig Räuber herbei. Sie verbrachten stets an dieser Stelle die Nacht und wollten, als sie die Fremdlinge bemerkten, jene vertreiben. Doch was sie da vor sich sahen, verblüffte sie. Gröhlend verteilten sie die Frauen des Padischahs untereinander. Nur die schöne Maid blieb übrig. Die Räuber betrachteten sie, und ein jeder wollte sie zum Weib, so schön erschien sie ihnen im Mondenschein. Drum huben die Räuber zu streiten an. Ein Faustkampf entfesselte sich. Als die Räuber einander grün und blau geschlagen hatten und sich kaum auf den Füßen hielten, fragte das Mädchen: »Was habt ihr untereinander nicht zu teilen vermocht?«

»Dich!« erwiderten sie wie aus einem Munde. »Hat es denn Sinn, sich meinetwegen zu prügeln? Einem jeden von euch habe ich eine Frau gebracht. Reicht euch das nicht aus? Ich will euch allen dienen.« Die Räuber wandten die Blicke ihren Gefangenen zu und dachten: In der Tat, warum schlagen wir uns eigentlich? Unsere Frauen sind schließlich nicht die hässlichsten! Alsbald erstarb der Lärm, die Räuber ließen sich zum Nachtmahl nieder und zogen ihre Gefangenen neben sich. Wein und herrliche Speisen wurden aufgetragen, und die Völlerei begann. »Doch nun wollen wir fröhlich sein«, rief der Räuberhäuptling endlich. Musik ertönte. Lieder wurden gesungen, und schließlich drehten sich alle im Tanz.

Die Männer sprachen reichlich dem Wein zu und waren bald so betrunken, dass sie, wo sie gingen und standen, umfielen und in tiefen Schlaf sanken. »Nun entkleidet eure Männer!«, sagte die Tochter des Padischahs lachend, »legt ihre Gewänder an und nehmt ihnen die Waffen ab. Wir machen uns auf den Weg.« Die Frauen kleideten sich alsbald an, schwangen sich auf die Pferde und galoppierten davon.

Sie ritten die ganze Nacht und einen Tag. Gegen Abend gelangten sie an eine Stadt. Vor dem Stadttor strömte ihnen eine Menschenmenge entgegen. Einige Männer schleuderten einen Vogel in die Luft und beobachteten, wo er sich niederlassen würde. Das erste Mal setzte sich der Vogel auf einen Duwal, das zweite Mal auf einen Baum, das dritte Mal aber auf die Schulter der Padischah-Tochter, die, ebenfalls in Männerkleidung, an der Spitze des Trupps ritt.

Einer der Aksakale verneigte sich bis zur Erde vor dem jungen Reitersmann und sprach: »Oh, hoch verehrter Gast! In unserem Reich herrscht dieser Brauch: Wenn ein neuer Padischah auf dem Thron eingesetzt werden muss, so lassen wir den Vogel aus seinem Käfig frei. Denjenigen, auf dessen Schulter er sich niederlässt, erklären wir zu unserem Gebieter. So will es Allah. Heute ist Euch diese hohe Ehre zugefallen.« Ehrerbietig neigte das Mädchen das Haupt und fügte sich in den Willen der Vorsehung. So wurde sie Padischah.

Eines Tages legte die Padischah-Frau ihr Mädchengewand an, hieß den Hofmaler tiefstes Schweigen bewahren und trug ihm auf, ihr Porträt zu malen. Als das Gemälde vollendet war, ließ sie die Höflinge rufen, zeigte ihnen das Bildnis und sprach: »Dieses Mädchen hat den Menschen viel Ungemach zugefügt. Ich will ihr Bildnis am Schloßtor aufhängen lassen. Jeden, der über sie Klage führt, bringt also gleich zu mir.« Das Gebot wurde zur selben Stunde erfüllt. Nach ein paar Tagen versammelte sich eine Gruppe von Männern in Unterkleidern vor dem Palast. »Diese Frau hat uns Böses angetan!«

»Gebt sie heraus!«

»Wir wollen mit ihr reden!« riefen sie durcheinander. Die Kläger wurden in den Palast geführt. Dort brachte man sie in eine Kammer, gab ihnen zu essen und zu trinken, ließ sie jedoch nicht mehr hinaus.

Wieder vergingen ein paar Tage, da kam ein Greis mit seiner Beschwerde. Auch er wurde in einer Kammer untergebracht. Dann erschienen der Hufschmied und der Tabib mit ihren Weibern. Mit ihnen wurde ebenso verfahren wie mit den anderen Klägern. Endlich stand auch Sachatdurdy vor dem Palast. »Ich will mit ihr abrechnen!« schrie er. »Der Padischah möge sie mir ausliefern!« Auch er wurde in eine Kammer geführt. So saßen die Kläger im Palast und sannen düster: Dieses Mädchen ist entweder die Schwester oder die Tochter des Padischahs. Sie gleichen einander aufs Haar! Wenn man uns nur ungeschoren unseres Weges ziehen lassen wollte! Sachatdurdy aber dachte: Ich möchte sie nur einmal mit meinen Blicken umfangen, alsdann können sie meinen Körper ruhig den Hunden zum Fraße vorwerfen!

So vergingen drei oder vier Tage. Endlich ließ der Padischah Sachatdurdy rufen und sprach: »Wir wollen jetzt einen Kläger nach dem anderen rufen lassen, höre mit an, was sie uns zu sagen haben.« Als erste wurden der Schmied und der Tabib mit ihren Weibern hereingeführt. »Sprecht«, gebot ihnen der Padischah. »Das Mädchen auf dem Bildnis, das wir vor dem Palast gesehen haben«, hub der Tabib an, »hat einen Pfeil abgeschossen und versprochen, demjenigen anzugehören, der ihn als erster zurückbringt. Doch wir konnten den Pfeil nirgendwo finden, das Mädchen aber ist geflohen.«

»Was wünschet ihr euch? Wollt ihr das Mädchen haben oder Geld für eure Mühen?«

»Geld wäre uns lieber«, entgegnete die Frau des Schmiedes. Der Padischah befahl, jedem der Vier eine Handvoll Goldmünzen zu geben, und sie zogen zufrieden von dannen. »Was führst du für eine Beschwerde«, wandte sich der Padischah alsdann an den Greis. »Ich bin Padischah von Chiwa. Ich nannte dreißig Frauen mein eigen. Eines Tages kam dieses Mädchen in meine Lande geschwommen. Sie gefiel mir, und ich begann sie mehr als mein Leben zu lieben. Nach ein paar Tagen war ich allein - ohne meine Frauen und ohne das Mädchen. Sie hat mir alle entführt.«

»Was wünschet mein königlicher Bruder, der Padischah von Chiwa? Will er das Mädchen zurückhaben oder seine Frauen?«

»Wenn meine Frauen heil und gesund wären«, entgegnete der Padischah von Chiwa, »so hätte ich für das Mädchen gar keinen Sinn mehr. Sie ist mir zu munter, ich bin schließlich ein alter Mann.« Der Padischah befahl, die Frauen des Gebieters von Chiwa in kostbare Seidengewänder zu hüllen, schenkte dem königlichen Bruder einen wertvollen Chalat und entließ ihn mit höchsten Ehrenbezeigungen.

Alsdann wurden die dreißig Kläger hereingeführt, die in Unterkleidern vor den Palast gezogen waren. »Was habt ihr mir zu sagen?« fragte der Padischah. Einer der Räuber, denn sie waren es natürlich, trat vor und sagte: »Oh, allmächtiger Padischah, dieses Mädchen hat jedem von uns ein Weib geschenkt und versprochen, uns zu dienen. Vor lauter Freude hielten wir ein Festgelage. Doch als wir des morgens erwachten, fanden wir weder die Frauen noch unsere Kleider, noch unsere Pferde vor.«

»Was wünschet ihr euch?« fragte der Padischah. »Wollt ihr die Frauen zurückhaben oder eure Kleider und die Pferde?«

»Wir wollen mit dem Geringsten zufrieden sein, mit dem, was uns zu Recht gehört. Alles andere liegt in Allahs barmherziger Hand.« Der Padischah gebot, den Klägern ihre Kleider und die Pferde zurückzugeben, und ließ sie in Frieden ziehen.

Kaum hatte sich die Tür hinter dem letzten Räuber geschlossen, da trat ein junger Mann ein in prunkvollen, doch recht zerschlissenen Kleidern und verneigte sich ehrerbietig. »Großer Padischah«, sagte er, »ich war leidenschaftlich in dieses Mädchen verliebt, doch da sie die Frau eines anderen war und seiner getreulich harrte, sandte ich ihrem Mann, wie es mir eine alte Kupplerin geraten, mehrere Briefe, in denen ich sein Weib als liederliches Frauenzimmer verleumdete. Ich tat dies, damit ihr Mann sich von ihr lossage. Doch er kam eines Nachts und erschlug sein unschuldiges Weib. Ich bin schuld an allem Unglück. Deshalb zog ich freiwillig in die Fremde und nahm viele Entbehrungen auf mich, um Allah um Vergebung für meine Sünde anzuflehen. Als ich hörte, dass gegen dieses Mädchen Klage geführt werde, verwunderte ich mich und bin gekommen, um zu sagen, dass sie keinem eine Kränkung zugefügt hat, vielmehr haben andere Menschen ihr großes Leid angetan.«

»Du hast ein gutes Werk vollbracht, hast deine Sünde bereut«, erwiderte der Padischah. »Ziehe in Frieden dahin, vollbringe Gutes und verdiene dir die Achtung der Menschen. Zur Erinnerung an diesen Tag nimm diesen Tschurek hier, du wirst ihn gebrauchen können.« Mit diesen Worten reichte der Padischah dem verblüfften Pilger einen großen runden Fladen und ließ ihn in Frieden ziehen. »Nun, Sachatdurdy-dshan, was hast du mir zu sagen?«

»Oh weiser Padischah«, rief der letzte der Kläger aus, »jetzt habe ich begriffen, was ich für eine schwere Schuld auf mich geladen habe, als ich die Ränke der Feinde meiner Frau nicht durchschaute und ein schweres Verbrechen auf mich lud. Ich bin bereit, die Strafe dafür zu tragen.« Erwiderte der Padischah: »Was die Strafe angeht, so haben wir sie bereits beschlossen.« Sachatdurdy blickte den Padischah an und wartete, was jener sagen werde. »Wir wollen dich mit diesem Mädchen auf ewig verbinden!« Der Jüngling sprang auf. Er glaubte, dass man ihn zur Hinrichtungsstätte führen würde. Auch der Padischah erhob sich. Er riss sich den angeklebten Bart vom Gesicht, nahm den Turban ab, und vor dem überwältigten Sachatdurdy stand sein heißgeliebtes Weib in all ihrer Schönheit. Die Padischah-Frau sprach: »Mein teurer Gemahl, nun will ich dem Volk verkünden, dass ich alle Macht an dich abtrete.« Vierzig Tag und vierzig Nächte währte das rauschende Festgelage. Fortan lebte das junge Paar in Ruhe und Glück. Und keiner sprach je von den Qualen, die sie in der Zeit ihrer Trennung durchlebt hatten.