[swahili, "Geschichte, Legende"]

Richilde

Gunderich der Pfaffenfreund, Graf von Brabant, lebte um die Zeit der Kreuzzüge mit so exemplarischer Frömmigkeit, dass er den Namen des Heiligen so gut verdient hätte, als Kaiser Heinrich der Hinker; seine Hofburg sah einem Kloster ähnlich, man hörte da keine Sporen klirren, keine Rosse wiehern, keine Waffen rauschen, aber die Litaneien andächtiger Mönche und das Geklingel der Silberglocken tönten ohne Unterlass durch die Hallen seines Palastes. Der Graf versäumte keine Messe, wohnte fleißig den Prozessionen bei und trug eine geweihte Wachskerze, wallfahrte auch an alle heilige Örter, wo Ablass erteilt wurde, auf drei Tagereisen weit rings um sein Hoflager. Dadurch erhielt er die Politur seines Gewissens so rein und unbefleckt, dass auch kein sündlicher Hauch daran haften konnte; dennoch wohnte bei dieser großen Gewissensruhe keine Zufriedenheit in seinem Herzen, denn er lebte in kinderloser Ehe und besaß gleichwohl große Schätze und Renten. Diese Unfruchtbarkeit nahm er für eine Strafe des Himmels an, weil, wie er sagte, seine Gemahlin zuviel eiteln Weltsinn habe.

Die Gräfin grämte sich innerlich über diesen frommen Wahn. Obgleich die Andächtelei eben nicht ihre Passion war, so wusste sie doch nicht eigentlich, wodurch sie das Strafgericht der Unfruchtbarkeit verdienet haben sollte, denn die Fruchtbarkeit ist ja nicht eben eine Prämie der weiblichen Tugend. Indessen verabsäumte sie nichts, den Himmel, wenn die Vermutung ihres Gemahls allenfalls Grund haben sollte, durch Fasten und Kasteien zu versöhnen, aber diese Bußübungen wollten nicht anschlagen, und ihre Taille wurde bei dem strengen Regime nur immer schlanker. Zufälligerweise traf sich's, dass Albertus Magnus, als er auf Befehl Gregor des Zehnten von Köln aufs Konzilium nach Lyon zog, seinen Weg durch Brabant nahm, und beim Grafen einsprach, dessen Gastfreigebigkeit gegen die Klerisei keine Grenzen hatte. Er empfing seinen Gast nach Standesgebühr und Würden, ließ sich auch von ihm eine Messe lesen, für die er hundert Goldstücke zahlte, die Gräfin wollte ihrem Gemahl an Freigebigkeit nicht nachstehen, darum ließ sie sich gleichfalls eine Messe lesen und zahlte dafür hundert Goldgulden, nicht minder begehrte sie an den ehrwürdigen Dominikaner, dass er sie Beicht hören möchte, wo sie ihm das Anliegen wegen ihrer Unfruchtbarkeit offenbarte und getröstet von ihm hinwegging. Er untersagte der betrübten Beichttochter alle Pönitenz und ferneres Kasteien, schrieb ihrem Herrn und ihr eine reichlichere Diät vor und verhieß mit prophetischem Geiste, dass sie, eh er noch vom Konzilium zurückkehrte, mit Leibesfrucht würde gesegnet sein. Die Prophezeiung traf ein: bei der Wiederkehr von Lyon fand Albertus in den Armen der erfreuten Gräfin ein zartes Fräulein, der holden Mutter Ebenbild, welche allen Heiligen dankte, dass ihre Schmach nun von ihr genommen war. Vater Gunderich hätte zwar einen männlichen Erben lieber ankommen sehen, aber weil das kleine Geschöpf so niedlich und freundlich war und ihm so unschuldsvoll entgegenlachte, trug er's oft auf den Armen und hatte große Freude daran. Weil nun der Graf in den Gedanken stund, der fromme Albertus habe ihm diesen Ehesegen vom Himmel erbeten, so erdrückt' er ihn schier mit Wohltaten, und bei seinem Abzug verehrt' er ihm ein prächtiges Messgewand, wie der Erzbischof von Toledo keins in seiner geistlichen Garderobe haben mag. Die Gräfin bat um Albens Benediktion für ihr Töchterlein, und er erteilte solche mit einer Inbrunst und Teilnehmung, dass die Lästerchronik des Hofs dadurch Anlass nahm, allerlei zu munkeln, was die Genealogisten über die Abkunft des Fräuleins hätte irreführen können; doch Vater Gunderich nahm keine Notiz von dem Gerede und ließ alles gutmütig beim gleichen bewenden.

Albertus Magnus war ein sonderbarer Mann, der bei seinen Zeitgenossen in zweideutigem Rufe stund. Einige hielten ihn für einen Heiligen, als irgendeiner im Kalender zu finden ist, andre schrieen ihn für einen Schwarzkünstler und Teufelsbanner aus, noch andre sprachen, er sei keins von beiden, sondern ein hochgelehrter Philosophus, der die Natur beschlichen und ihr alle Geheimnisse abgewonnen habe. Er verrichtet' auch wunderbare Dinge, darob männiglich erstaunte; denn als Kaiser Friedrich der Zweite begehrte, seine Künste zu schauen, lud er ihn im Eismonat zu Köln am Rhein auf ein Frühstück in den Klostergarten ein und gab ihm ein Schauspiel, das seinesgleichen nicht hatte. Hyazinthen und Tulpen stunden da im schönsten Flor, einige Obstbäume blühten, andre trugen reife Früchte, die Nachtigallen ließen sich nebst der Grasmücke im Gebüsche hören, und die fröhlichen Stechschwalben schwirrten hoch in der Luft um den Klosterturm. Wie der Kaiser das alles genug bewundert hatte, führt' er ihn nebst seinen Höflingen an ein Traubengeländer, gab jedem Gast ein Messer in die Hand, sich eine reife Traube abzuschneiden, doch gebot er's nicht eher zu tun, bis er's ansagen würde; aber plötzlich nahm er die künstliche Täuschung hinweg, da ergab sich, dass jeder Gast seine eigne Nase erfasst und das Messer angesetzt hatte, sie abzuschneiden, welcher Schwank Friedrichen so zu lachen machte, dass er den kaiserlichen Bauch halten musste. Wenn das mit rechten Dingen zuging, so war's traun ein Stück, welches weder der postische Professor Pinetti, noch Philadelphia der Jud dem Tausendkünstler Albertus nachzutun vermochten.

Nachdem der ehrwürdige Dominikaner der kleinen Richilde die geistliche Benediktion erteilt hatte und nun von hinnen ziehen wollte, begehrte die Gräfin noch ein Andenken für ihr Töchterlein, eine Reliquie, ein Agnus Dei, ein Amulett oder einen Segen fürs Fräsch und Herzgespann. Albertus schlug sich vor die Stirn und sprach: »Ihr erinnert wohl, edle Frau, schier hätte ich es aus der Acht gelassen, Euer Fräulein mit einer Gabe zu bedenken; aber lasst mich allein und saget mir genau an, zu welcher Stunde das Fräulein zuerst die vier Wände beschrieen hat.« Darauf verschloss er sich neun Tage lang in eine einsame Klause und laboriert' fleißig, dass er ein Kunststück zuwege brächte, dabei sich die kleine Richilde seiner erinnern möchte.

Wie der Kunstmeister das Werk vollendet hatte und merkte, dass es wohl gediehen sei, bracht er's insgeheim zur Gräfin, sagt' ihr an alle Tugend und Wirkung seines Machwerks, gab ihr Bescheid und Unterricht, wie's zu gebrauchen sei und wie sie die Tochter, wenn sie heranwuchs, von Nutz und Brauch des Werks belehren sollt, nahm freundlichen Abschied und ritt davon. Die Gräfin, hocherfreut über die Gabe, nahm die magische Heimlichkeit und verbarg sie in der Schublade, wo sie ihre Kleinodien verwahrte. Gunderich der Pfaffenfreund lebte noch einige Jahre in weltentflohner Abgeschiedenheit in seiner Burg, stiftete viel Klöster und Kapellen und legte dennoch einen großen Teil seiner Renten zum Brautschatz des lieben Töchterleins bei, denn das Lehn war einem Agnaten verschrieben. Wie er spürte, dass es mit ihm bald zu Ende gehen würde, ließ er sich ein Mönchskleid anlegen und verschied darin mit den hoffnungsvollsten Ansprüchen auf das Recht der Maskenfreiheit im ewigen Leben. Die Gräfin wählte ein Nonnenkloster zum Witwenaufenthalt und wendete ihre ganze Tätigkeit auf die Erziehung ihrer Tochter, welche sie, sobald sie volljährig sein würde, selbst in die große Welt einführen wollte. Ehe sie das bewerkstelligen konnte, wurde sie vom Tode übereilt, eben zu der Zeit, da das Fräulein mit dem fünfzehnten Jahre ihres Lebens im Blütenmond der weiblichen Schönheitsepoche eintrat.

Die gute Mutter sträubte sich anfangs mit einigem Unwillen gegen die ungelegene Trennung von der schönen Richilde, in der sie noch einmal aufzuleben gedachte; doch als sie vermerkte, dass ihr Stündlein vorhanden sei, unterwarf sie sich standhaft dem Gesetz des alten Bundes und schickte sich zur Heimfahrt. Sie rief ihre Tochter beiseite, hieß ihr die milden Zährlein trocknen und redete zum Valet also: »Ich verlasse Euch, geliebte Richilde, zu einer Zeit, wo Euch der mütterliche Beistand am nötigsten tut; aber kümmert Euch nicht, der Verlust einer guten Mutter soll Euch durch einen treuen Freund und Ratgeber ersetzt werden, der, wenn Ihr weise und klug seid. Eure Schritte leiten wird, dass Ihr nie irre gehet. Dort in der Schublade, die meine Juwelen aufbewahrt, befindet sich ein natürlich Geheimnis, welches Ihr nach meinem Ableben in Empfang nehmen sollt. Ein hocherfahrner Philosophus, genannt Albertus Magnus, der an der Freude über Eure Geburt großen Anteil nahm, hat solches unter einer gewissen Konstellation verfertiget und mir anvertraut. Euch den Gebrauch desselben zu lehren. Dieses Kunstwerk ist ein metallischer Spiegel, in einen Rahmen von gediegenem Golde gefasst. Er hat für die, welche hineinschauen, alle Eigenschaften eines gemeinen Spiegels, die Gestalten getreu zurückzugeben, die er empfängt. Aber für Euch ist ihm außer diesem Gebrauch noch die Gabe verliehen, alles, warum Ihr ihn befragt, in deutlichen, redenden Bildern darzustellen, sobald Ihr den Spruch aussprecht, welchen Euch dieses Gedankentäflein, dass Ihr hier empfangt, nachweisen wird. Hütet Euch, ihn nie aus Vorwitz und Neugier zu konsultieren oder ihm unbesonnen das zukünftige Schicksal Eures Lebens abzufragen. Betrachtet diesen wunderbaren Spiegel als einen achtungswerten Freund, den man mit nichtswürdigen Fragen zu ermüden sich scheuet; an dem man aber in den wichtigsten Angelegenheiten des Lebens immer einen treuen Ratgeber findet. Darum seid weise und vorsichtig beim Gebrauch und wandelt auf den Wegen der Tugend, damit der blanke Spiegel nicht, durch den vergifteten Hauch des Lasters angeweht, vor Eurem Angesicht erblinde.«

Nachdem die sterbende Mutter diesen Schwanengesang vollendet hatte, umfasste sie die jammernde Richilde, empfing den heiligen Chrisam, kämpfte flugs ihren Todeskampf und verschied.

Das Fräulein empfand tief in ihrem Herzen den Verlust der zärtlichen Mutter, hüllte sich in Trauerkleider und verweinte eins der schönsten Lebensjahre zwischen den Mauren der klösterlichen Klausur in Gesellschaft der ehrwürdigen Domina und der frommen Klosterschwestern, ohne einmal den zeitlichen Nachlass ihrer Mutter nachzusehen oder in den geheimnisvollen Spiegel zu schauen. Die Zeit milderte nach und nach diese kindlichen Schmerzensgefühle, der Tränenquell versiegte, und wie das Herz des Fräuleins durch Leidensergießung keine Beschäftigung mehr fand, fühlte sie in der einsamen Zelle das Ungemächliche der Langenweile. Sie besuchte oft das Sprachgemach, fand unvermerkt Geschmack, mit den Tanten und Vettern der Nonnen zu kosen, und die letztern waren so eifrig, den frommen Cousinen aufzuwarten, dass sie sich scharenweise ans Gitter drängten, wenn die schöne Richilde im Sprachzimmer war. Es fanden sich viel stattliche Ritter ein, die der ungeschleierten Kostgängerin viel Schönes sagten, und in diesen Schmeicheleien lag das erste Samenkorn der Eitelkeit, welches hier auf kein unfruchtbar Land fiel, sondern bald Wurzel schlug und aufkeimte. Fräulein Richilde bedachte, dass es draußen im Freien besser sei als in dem Käfig hinter dem eisernen Gitter, sie verließ das Kloster, richtete ihre Hofstatt zu, nahm wohlstandshalber eine Aja zur Ehrenhüterin an und trat mit Glanz in die große Welt ein. Der Ruf ihrer Schönheit und Sittsamkeit breitete sich aus gegen die vier Winde des Himmels. Viel Prinzen und Grafen kamen von fernen Landen, ihr den Hof zu machen. Der Tagus, die Seine, der Po, die Themse, und der Vater Rhein schickten ihre Heldensöhne nach Brabant, der schönen Richilde zu huldigen. Ihr Palast schien ein Feenschloss zu sein; die Fremden genossen da der besten Aufnahme und unterließen nicht, die Höflichkeiten der reizenden Besitzerin mit den feinsten Schmeicheleien zu erwidern. Es verging kein Tag, wo nicht die Hofstechbahn mit einigen wohlgerüsteten Rittern besetzt war, die durch ihre Wappenkönige auf den Märkten und an den Eckhäusern der Stadt die Herausforderung verkünden ließen: wer die Gräfin von Brabant nicht für die schönste Dame ihrer Zeitgenossenschaft erkenne oder das Gegenteil zu behaupten sich erdreiste, solle sich in den Schranken des Turnierplatzes einfinden und mit den Waffen seine Behauptung gegen die Paladins der schönen Richilde erhärten. Gemeiniglich meldete sich niemand oder, wenn man ja an einem Hoffeste gern stechen wollte und einige Ritter sich bereden ließen, die Ausforderung anzunehmen und der Dame ihres Herzens den Preis der Schönheit zuzueignen, so geschah das nur zum Schein; die Delikatesse der Ritter erlaubte ihnen nie, den Champion der Gräfin aus dem Sattel zu heben; sie brachen ihre Lanzen, erkannten sich überwunden und gestanden der jungen Gräfin den Preis der Schönheit zu, welches Opfer sie mit jungfräulicher Sittsamkeit anzunehmen pflegte.

Bisher war es ihr noch nicht eingefallen, den magischen Spiegel zu konsultieren, sie brauchte ihn nur als einen gemeinen Spiegel, um ihren Kopfputz dadurch zu prüfen, ob die Jungfrauen sie zu ihrem Vorteil aufgesetzt hätten. Keine Frage hatte sie sich noch nicht erlaubt, entweder weil ihr zurzeit noch kein kritischer Umstand vorgekommen war, der eines Ratgebers bedurft hätte, oder weil sie zu scheu war und befürchtete, ihre Frage könnte vorwitzig und unbesonnen sein, und der blanke Spiegel dürfe darüber erblinden. Unterdessen machte die Stimme der Schmeichelei ihre Eitelkeit immer mehr rege und erzeugte in ihrem Herzen den Wunsch, das in der Tat zu sein, was das Gerüchte ihr tagtäglich laut in die Ohren gellte; denn sie besaß die so seltne Penetration der Großen, in die Sprache ihrer Höflinge ein gerechtes Misstrauen zu setzen. Einem aufblühenden Mädchen, wes Standes und Würden sie sei, ist die Frage über ihre Wohl- oder Missgestalt ein so wichtiges Problem, als einem orthodoxen Kirchenlehrer die Frage über die vier letzten Dinge. Daher war eben nicht zu verwundern, dass die schöne Richilde Lehr und Unterricht begehrte über eine Materie, die ihrer Wissbegierde so interessant war; und von wem konnte sie hierüber sichrere und ungezweifeltere Auskunft erwarten, als von ihrem unbestechlichen Freunde, dem Spiegel? Nach einiger Überlegung fand sie die Anfrage so gerecht und billig, dass sie kein Bedenken trug, solche an die Behörde gelangen zu lassen. Sie verschloss sich eines Tages in ihr Gemach, trat vor den magischen Spiegel und hob ihren Spruch an: Spiegel blink,
Spiegel blank,
Goldner Spiegel an der Wand,
Zeig mir an die schönste Dirn
in Brabant.
Behänd zog sie den seidenen Vorhang auf, blickte hinein und sah darinnen mit großer Zufriedenheit ihre eigne Gestalt, welche ihr der Spiegel unbefragt schon gar oft gezeigt hatte. Darüber war sie hocherfreut in ihrer Seele, ihre Wangen färbten sich höher, und die Augen funkelten vor Vergnügen, aber ihr Herz wurde stolz und hoffärtig wie das Herz der Königin Vasthi. Die Lobsprüche über ihre Wohlgestalt, die sie vorher mit Bescheidenheit und sanftem Erröten angenommen hatte, begehrte sie nun als einen rechtmäßigen Tribut. Auf alle Jungfrauen des Landes sah sie mit Stolz und Verachtung herab, und wenn von ausländischen Fürstentöchtern die Rede war und irgendeine ihrer Schönheit wegen gepriesen wurde, fuhrs ihr durchs Herz, sie verzog den Mund und bekam Vapeurs. Die Höflinge, die bald die Schwachheit ihrer Gebieterin wahrnahmen, schmeichelten und heuchelten ihr aufs unverschämteste und medisierten über die ganze weibliche Welt, dass sie außer ihrer Herrschaft keiner Dame für einen Deut Ehre ließen, wenn sie im Rufe der Schönheit war. Selbst die berühmten Schönheiten der Vorwelt, die doch seit vielen hundert Jahren verblüht waren, wurden nicht verschont, und sie mussten sich auf das schärfste kritisieren lassen.

Die schöne Judith war zu plump und vierschrötig, wenigstens nach dem Malerkostüm, das ihr von undenklichen Zeiten her die robuste Gestalt eines Schlächterweibes attribuiert, wenn sie den krausbärtigen Kapitän Holofernes entgurgelt; die schöne Esther war ihnen zu rachsüchtig, weil sie die zehn hübschen Jungen des Exminister Hamans, die doch nichts verschuldet hatten, henken ließ; von der schönen Helena hieß es, sie sei ein artiger Rotkopf gewesen und habe aller Vermutung nach Sommersprossen gehabt; an der Königin Kleopatra wurde der kleine Mund gelobt, aber die wulstig aufgeworfenen Lippen und die hoch stehenden ägyptischen Ohren, die Professor Blumbach noch vor kurzem an den Mumien bemerkt haben will, getadelt; die Königin Thalestris musste bei aller Gelegenheit wegen der nach amazonischer Gewohnheit zerstörten rechten Brust herhalten, und ihre schiefe Taille, welche sich bei diesem wesentlichen Schönheitsmangel nicht verhehlen ließ, wollte kein Höfling goutieren, weil der künstliche Panzer der ausgepolsterten Schnürbrüste, die so manchen weiblichen Mangel bedecken, damals noch nicht erfunden war.

Die schöne Richilde galt an ihrem Hofe für das einige und höchste Ideal der weiblichen Schönheit, und weil sie laut Zeugnis des magischen Spiegels in der Tat die schönste Dame in Brabant war und überdem großen Reichtum besaß nebst vielen Städten und Schlössern, so gebrach es ihr nicht an illüstern Ehewerbern; sie zählte deren mehr als weiland Dame Penelope und wusste sie so fein und trüglich mit süßer Hoffnung hinzuhalten, als nachher die Königin Elisabeth. Alle Wünsche, die sich die Töchter Teuts in unseren Tagen zu erträumen pflegen, bewundert, fetiert, angebetet zu sein, in der Reihe ihrer Gespielen hervorzustechen und über alle andre wegzuglänzen, wie der liebliche Mond unter den kleinen Sternen, einen Nimbus von Bewunderern und Anbetern um sich zu haben, die bereit sind, für ihre Dame nach alter Sitte auf der Stechbahn das Leben aufzuopfern und auf ihr Geheiß auf Abenteuer auszuziehen und Riesen und Zwerge für sie einzuhaschen, oder nach heutigem Brauch zu weinen, zu girren, zu winseln, trübsinnig in den Mond zu schauen, zu rasen, vor Liebeswut Gift zu fressen, sich den Hals abzustürzen, ins Wasser zu rennen, sich aufzuhängen, die Gurgel abzuschneiden, oder ehrsamer eine Kugel sich durchs Hirn zu jagen: alle diese Träume schwindelnder Mädchen wurden bei der Gräfin Richilde realisiert. Ihre Reize hatten schon manchem jungen Rittersmann das Leben gekostet, und bei manchem unglücklichen Prinzen hing das Hochgefühl geheimer Liebesqual nur noch zwischen Haut und Knochen. Die grausame Schöne weidete sich insgeheim an den Opfern, die sie ihrer Eitelkeit täglich schlachtete, und die Martern dieser Unglücklichen ergötzten sie mehr als die sanften Gefühle der beglückenden Liebe. Ihr Herz hatte bisher nur leichte Eindrücke einer überhingehenden Leidenschaft empfunden; sie wusste eigentlich selbst nicht, wem es angehörte, es stund jedem seufzenden Dämon offen, aber nach der Regel des Gastrechts gemeiniglich nicht länger als drei Tage. Wenn ein neuer Ankömmling davon Besitz nahm, so wurde der zeitige Inhaber kaltsinnig dimittieret. Der Graf von Artois, der von Flandern, von Brabant, von Hennegau, der von Namur, von Geldern, von Gröningen, kurz alle siebenzehn niederländische Grafen, mit Ausnahme einiger, die bereits vermählt oder schon Greise waren, buhlten um das Herz der schönen Richilde und begehrten sie zur Gemahlin.

Die weise Aja fand, dass es mit der Koketterie ihrer jungen Herrschaft nicht lange Bestand haben könne; ihr guter Ruf schien sich zu mindern, und es war zu befürchten, dass die plantierten Freier ihre Schmach an der schönen Spröden rächen möchten. Sie tat ihr deshalb wohlmeinenden Vorhalt und nötigte ihr das Versprechen ab, binnen drei Tagen sich einen Gemahl zu wählen. Über diesen Entschluss, der öffentlich bei Hofe bekannt gemacht wurde, erfreuten sich alle Brautwerber höchlich, jeder Kompetent hoffte, das Los der Liebe werde ihn treffen. Sie vereinigten sich, die Wahl, sie begünstige, wen sie wolle, gutzuheißen und mit gesamter Hand solche aufrecht zu erhalten. Die strenge Aja hätte mit ihrer wohlgemeinten Zudringlichkeit indessen nichts weiter gefruchtet, als der schönen Richilde drei schlaflose Nächte zu machen, ohne dass das Fräulein, da der dritte Morgen herandämmerte, mit ihrer Wahl weitergekommen war als in der ersten Stunde. Sie hatte binnen der dreitägigen Frist unzählige Mal ihre Freierliste durchgemustert, geprüft, verglichen, gesondert, gewählt, verworfen, von neuem gewählt, von neuem verworfen und zehnmal gewählt und zehnmal verworfen; und durch alles Dichten und Denken war nichts erhalten als ein bleicher Teint und ein Paar matte, getrübte Augen.

In Herzensangelegenheiten ist der Verstand immer ein armseliger Schwätzer, der mit seinem kalten Räsonnement das Herz so wenig erwärmt, als ein ungeheizter Kamin ein Gemach. Des Fräuleins Herz nahm keinen Teil an den Beratschlagungen und verweigerte seinen Assent zu allen Motionen des Sprechers im Oberhause des Kopfes, darum konnte auch keine Wahl zu Recht bestehen. Mit großer Aufmerksamkeit wog sie Geburt, Verdienst, Reichtum und Ehre ihrer Eheprätendenten; aber keine dieser rühmlichen Eigenschaften interessierten sie, und ihr Herz schwieg. Sobald sie indessen die Wohlgestalt der Freier mit in Anschlag brachte, gab's darin einen sanften Anklang. Die menschliche Natur hat sich seit dem halben Jahrtausend, welches von dem Zeitalter der schönen Richilde bis auf uns verflossen ist, nicht um ein Haarbreit geändert. Gebt einem Mädchen aus dem achtzehnten oder aus dem dreizehnten Jahrhundert einen weisen, verständigen, tugendhaften Mann, mit einem Worte einen Sokrates zum Ehewerber, und stellt neben ihn einen schönen Mann, einen Adonis, Ganymed oder Endymion und lasst ihr die Wahl, ihr könnt hundert gegen eins wetten, dass sie an dem ersten kaltsinnig vorbeigehet und einen von den letzten wählt. Gerade so die schöne Richilde! Unter ihren Ehewerbern fanden sich verschiedene wohlgestaltete Männer; es kam darauf an, den schönsten daraus zu wählen. Die Zeit war über diesen Konsultationen verlaufen, der Hof versammelte sich in Gala, die Grafen und edlen Ritter kamen schon im vollen Ornat angeschritten, die Entscheidung ihres Schicksals mit Herzpochen erwartend. Das Fräulein befand sich in keiner geringen Verlegenheit; ihr Herz weigerte sich, ungeachtet der Zudringlichkeiten des Verstandes, zu entscheiden. Ein Weg musste gleichwohl ins Holz gehen. Sie sprang hastig von ihrem Sofa auf, trat vor den Spiegel, solchen also ratfragend: Spiegel blink,
Spiegel blank,
Goldner Spiegel an der Wand,
Zeig mir an den schönsten Mann
in Brabant
Es war also hier nicht die Frage von dem besten, das ist von dem tugendhaftesten, dem treuesten und zärtlichsten Manne, sondern von dem schönsten. Der Spiegel antwortete, wie er gefragt worden war; als sich der seidne Vorhang hob, präsentierte sich gar anschaulich auf der wassergleichen Oberfläche ein stattlicher Ritter in vollem Harnisch, doch ungehelmt, schön wie der jugendliche Adonis, da er der holden Cythere das Herz stahl. Sein Haar wallte in geflammten, kastanienfarbnen Locken die Scheitel herab, die schmalen und dichten Augenbrauen ahmten die Gestalt des Regenbogens nach, aus seinem Feuerauge blitzte Kühnheit und Heldenmut, die männlich braune, mit Rot fingierte Wange glühte von Wärme und Gesundheit; die sanft sich erhebende Oberlippe des Purpurmundes schien einem gefühlvollen Kuss entgegen zu streben, und die volle Wade strotzte von Rüstigkeit und Manneskraft. Sobald das Fräulein den herrlichen Ritter erblickte, wachten auf einmal in ihrer Seele die annoch schlafenden Gefühle der Liebe auf, sie trank aus seinen Augen Wonne und Entzücken und tat das feierliche Gelübde, keinem andern Mann als diesem ihre Hand zu geben. Nur nahm sie groß Wunder, dass die Gestalt des schönen Ritters ihr ganz unbekannt und fremde war; sie hatte ihn nie an ihrem Hofe gesehen, obgleich nicht leicht ein junger Kavalier in Brabant sein mochte, der solchen nicht besucht hatte. Sie beschaute deshalb die Merkzeichen seiner Rüstung und die Livrei derselben genau, stund eine Stunde lang vor dem Spiegel und verwendete kein Auge von der interessanten Gesichtsform, welche sie darin erblickte, jeder Zug, die ganze Attitüde und die kleinste Eigenheit, die sie wahrnahm, ging in ihre Seele über. Unterdessen wurde es laut im Vorgemache, die Aja und das Frauenzimmer harrten, dass ihre Herrschart hervortreten sollte; das Fräulein ließ endlich mit Unwillen den Vorhang fallen, öffnete die Tür und, wie sie die Aja erblickte, umarmte sie die ehrwürdige Dame und sprach mit liebreicher Gebärde: »Ich hab ihn gefunden, den Mann meines Herzens, freuet euch mit mir, ihr Lieben: der schönste Mann in Brabant ist mein! Der heilige Bischof Medardus, mein Schutzpatron, ist mir diese Nacht im Traum erschienen, hat diesen Gemahl, vom Himmel auserkoren, mir zugeführt und im Beisein der heiligen Jungfrau und vieler himmlischen Zeugen mir angetraut.« Diese fromme Lüge erfand die schlaue Richilde aus dem Stegreif, denn das Geheimnis des magischen Spiegels wollte sie nicht offenbaren, und außer ihr war's keinem Sterblichen kund. Die Hofmeisterin, hocherfreut über den Entschluss ihrer jungen Herrschaft, fragte mit Begier, wer der glückliche Prinz sei, vom Himmel erkoren, die schöne Braut heimzuführen. Alle edlen Frauen des Hofes spitzten das Ohr und rieten in Gedanken gar scharfsinnig bald auf den, bald auf jenen wackern Ritter, meinten all, sie hätten's getroffen und raunten eine der anderen den Namen des vermeinten Ehekandidaten etwas vorlaut ins Ohr. Aber die schöne Richilde, nachdem sie ihre Lebensgeister etwas gesammelt hatte, tat ihren Mund auf und sprach: »Meinen Sponsen namentlich euch anzuzeigen oder zu sagen, wo er hause, steht nicht in meiner Macht; er ist nicht unter den Fürsten und Edlen meines Hofes, hab ihn auch nie mit Augen gesehen, aber seine Gestalt schwebt meiner Seele vor, und wenn er kommt, mich heimzuführen, werd ich ihn nicht verkennen.«

Über diese Rede wunderten sich die weise Aja und alle Damen nicht wenig, vermeinten, das Fräulein habe diesen Fund erdacht, der abgenötigten Wahl eines Gemahls auszuweichen; aber sie beharrte bei ihrer Erklärung standhaft, keinen anderen Sponsen sich aufdringen zu lassen, als den ihr der fromme Bischof Medardus im Traum angetrauet habe. Die Ritter hatten bei dieser Kontroverse lang' im Vorgemach geharrt und wurden nun eingelassen, ihre Sentenz zu vernehmen. Die schöne Richilde trat auf, hielt einen herrlichen Sermon mit vieler Würde und Anstand und beschloss mit dieser Apostrophe: »Vermeinet nicht, edle Herren, dass ich mit trügerischen Worten zu euch rede, ich will euch Anzeige tun von der Gestalt und den Merkzeichen der Waffen des unbekannten Ritters, ob jemand sei, der mir Bericht gebe, wer er sei und wo er zu finden ist.« Hierauf beschrieb sie die Gestalt desselben vom Kopf zum Fuß und fügte noch hinzu: »Sein Harnisch ist gülden, lasurblau verschmelzt, auf dem Schilde schreitet ein schwarzer Löwe in silbernem, mit roten Herzen bestreutem Felde, und die Livrei seiner Feldbinde und des Wehrgehänges ist die Farbe der Morgenröte, Pfirsichblüt und Orangengelb.« Als sie nun schwieg, nahm der Graf von Brabant, des Landes Erbe, das Wort und sprach: »Wir sind nicht hie, geliebte Base, mit Euch zu rechten; Ihr habt freie Macht und Willkür, zu tun, was Euch gefällt. Uns genügt. Eure Meinung zu wissen, dass Ihr uns ehrlich verabschiedet und nicht weiter mit trüglicher Hoffnung täuschen möget, dafür gebührt Euch billig Dank. Was aber den ehrenfesten Ritter anbelangt, den Ihr im Traum gesehen habt und von welchem Ihr wähnet, dass er vom Himmel Euch zum ehelichen Gemahl beschieden sei, so mag ich Euch nicht verhalten, dass mir derselbe wohlbekannt und mein Lehnsmann ist; denn nach Eurer Beschreibung und den Merkzeichen seiner Livrei kann das kein andrer sein als Graf Gombald von Löwen; doch der ist bereits beweibt und kann nicht der Eure werden.«

Bei diesen Worten entfärbte sich die Gräfin, dass sie dachte umzusinken. Sie hatte nicht vermutet, dass ihr der Spiegel den Streich spielen und einen Mann darstellen würde, dessen gesetzmäßiger Liebe sie nicht teilhaftig werden konnte, auch hatte sie keinen Arg, dass der schönste Mann in Brabant andere Fesseln als die ihrigen tragen könnte. Bei so bewandten Umständen kam der heilige Medardus ziemlich ins Gedränge, dass er mit seinen geistlichen Pflegetöchtern solch Possenspiel treibe und sie in verbotner Liebesglut entbrennen lasse. Dennoch wollte die Gräfin ihren Schutzpatron bei Ehren erhalten und behauptete, ihr Traumgesicht könne vielleicht eine verborgene Deutung haben, wenigstens schien es anzuzeigen, dass sie sich vor der Hand in keine Ehetractaten einlassen sollte. Die Freier zogen also insgesamt davon, der eine da hinaus, der andre dort hinaus, und der Hof der Gräfin war auf einmal einsam und verödet.

Das hundertzüngige Gerücht breitete indessen die seltsame Novelle von dem wunderbaren Traum auf allen Heerstraßen aus, und sie kam auch dem Grafen Gombald warm zu Ohren. Dieser Graf war ein Sohn Theobalds, Bruderherz genannt, weil er seinem jüngeren Bruder Botho mit so treuer Liebe zugetan war, dass er mit ihm in beständiger Eintracht lebte und den Nachgebornen an allen Prärogativen der Erstgeburt Anteil nehmen ließ. Beide Brüder wohnten in einem Schlosse beisammen, ihre Gemahlinnen liebten sich gleichfalls als Schwestern, und weil der ältere Bruder nur einen Sohn, der jüngere nur eine Tochter hatte, gedachten die Eltern, das Band der Freundschaft auch auf die Kinder auszudehnen und verlobten sie in der Wiege. Das junge Paar wurde beisammen auf erzogen, und als der Tod die Erbverbrüderung von selten der Eltern frühzeitig trennte, verklausulierten sie ihren letzten Willen dergestalt, dass den Kindern keine andre Wahl übrig blieb, als sich zu heiraten. Seit drei Jahren waren sie bereits vermählt und lebten nach dem Beispiel ihrer friedlichen Eltern in einer glücklichen Ehe, als Graf Gombald den wunderbaren Traum der schönen Richilde vernahm. Der Ruf, der alle Dinge vergrößert, setzte noch hinzu, sie sei so heftig in ihn verliebt, dass sie das Gelübde getan habe, ins Kloster zu gehen, weil sie seiner Liebe nicht teilhaftig werden könne. Graf Gombald hatte bisher im Schoß einer friedlichen Familie und in den Armen einer liebenswerten Gattin nur die stillen Freuden der häuslichen Glückseligkeit gekannt, es war noch kein Funken in den Zunder seiner Leidenschaften gefallen, sie zu entflammen; aber plötzlich erwachten in seinem Herzen mächtige Begierden, Ruhe und Zufriedenheit schwand daraus hinweg, es gebar törichte Wünsche, nährte sich insgeheim mit der schandbaren Hoffnung, dass der Tod das Ehebündnis vielleicht trennen und ihm seine Freiheit wiedergeben werde. Kurz, das Ideal der schönen Richilde verdarb das Herz eines sonst guten und tugendhaften Mannes und macht' es aller Laster fähig. Wo er ging und stund, schwebte ihm das Bild der Gräfin von Brabant vor, es schmeichelte seinem Stolz, der einzige Mann zu sein, der die spröde Schöne überwunden habe, und die erhitzte Phantasie malte ihm den Besitz derselben mit so bunten Farben ab, dass seine Gemahlin dabei ganz in Schatten zu stehen kam; alle Liebe und Zuneigung verlosch gegen sie, und er wünschte nur ihrer los zu sein. Sie bemerkte bald den Kaltsinn ihres Herrn und verdoppelte deshalb ihre Zärtlichkeit gegen ihn, sein Wink war ihr Gebot. Aber sie könnt ihm nichts mehr zu Danke tun, er war finster, mürrisch und grämisch, absentierte sich von ihr bei jeder Gelegenheit, trieb sich auf seinen Landschlössern und in den Wäldern umher, indes die Einsame zu Haus sich grämte und jammerte, dass es einen Stein hätte erbarmen mögen.

Eines Tages überraschte er sie in einer Anwandelung ihrer Leidensergießung: »Weib«, fuhr er auf, »was hast du stets zu winseln und zu stöhnen, dass mir die Ohren gellen, was soll das Eulengeschrei, das mir Unlust macht und weder dir noch mir zu etwas frommen kann?«

»Lieber Herr«, antwortete die sanfte Dulderin, »lasst mir meinen Schmerz. Ich bin ein betrübtes Weib, des ich wohl Ursach habe, sintemal ich Eurer Lieb und Gunst verlustig gehe und nicht weiß, wodurch ich diesen Unwillen verschulde. Hab ich Gnade für Euch gefunden, so tut mir kund Euer Missbehagen, dass ich sehe, wie ich's wenden mag.« Gombald wurde durch diese Rede gerührt: »Gutes Weib«, sprach er und fasste sie traulich bei der Hand, »Ihr habt nichts verschuldet, doch will ich Euch nicht verbergen, was mir's Herz abdrückt, und das möget Ihr nicht wenden. Unser beider Eh macht mir Gewissensskrupel; ich denke, sie sei Blutschand und große Sünd, die sich nicht abbüßen lässt, weder in dieser noch in jener Welt. Wir sind im verbotnen Grad geheiratet, Geschwisterkind, das ist bald als eine Ehe zwischen

Bruder und Schwester; dafür hilft keine Absolution und keine Dispensation. Sehet, das quält mein Gewissen Tag und Nacht und brennt mich auf der Seele.«

In den Zeiten, wo es noch ein Gewissen gab, war dieses, absonderlich bei großen Herren, so fein, zart und empfindsam, wie das Häutlein Periostium genannt, wo die geringste Verletzung große Qual und Angst verursacht, denn obgleich es durch den Schlaftrunk der Begierden gar leicht zu betäuben und einzuschläfern war, dass man daran sägen und drein bohren konnte wie man wollte, ohne dass es sich regte oder bewegte, so erwacht' es doch über kurz oder lang, und verursachte Brennen und Jucken unter der Hirnhaut. Bei keiner Gelegenheit aber war es reizbarer, als wenn ein Zweifelsknoten über einen verbotnen Ehegrad es drückte. Alle christlichen Könige und Fürsten gehören, wie bekannt, zu einer Familie; folglich, da sie von jeher nicht außer ihrem Clan heiraten durften, mussten sie sich mit ihren Muhmen und Basen vermählen, und solange diese jung und schön waren, wiegte das sinnliche Gefühl der Liebe alle moralischen Gefühle in einen narkotischen Schlummer. Wenn aber die geliebte Cousine an der Seite ihres Eheherrn zu altern begann, oder Sättigung Überdruss gebar, oder eine andre Dame seinen Augen besser gefiel, erwachte mit einemmal das zarte Gewissen des tugendhaften Gemahls, zwängte und drängte ihn, dass er weder ruhen noch rasten konnte, bis er einen Scheidebrief in Rom vom heiligen Vater gelöst hatte, Frau Base ins Kloster wandern und ihre ehelichen Gerechtsame einer andern einräumen musste, an welche das kanonische Recht keinen Anspruch hatte. So schied sich Heinrich VIII. von Catharinen von Arragonien, seiner Schwägerin, bloß auf Antrieb seines zarten Gewissens, obgleich er mit dessen völliger Zustimmung zwo Nachfolgerinnen derselben einer angeblichen Liebelei halber enthalsen ließ, und so schieden sich laut Zeugnis der Geschichte vor ihm gar viele gewissenhafte Fürsten und Monarchen von ihren Gemahlinnen, obwohl keiner nachher in des frommen Königs Fußtapfen getreten ist. Es war also kein Wunder, dass Graf Gombald, der Sitte und Denkungsart seines Zeitalters gemäß, eine schwere Gewissensrüge über die zu nahe Verwandtschaft mit seiner Gemahlin empfand, sobald ihm eine Liebschaft vorkam, die seiner Sinnlichkeit mehr behagte als diese. Die gute Dame mochte remonstrieren, soviel sie wollte, das Gewissen ihres Herrn zu beruhigen, es war vergebne Müh. »Ach, liebster Gemahl«, sprach sie, »wenn Ihr kein Erbarmen mit Eurer unglücklichen Gattin habt, so erbarmet Euch des unschuldigen Pfandes Eurer erstorbnen Liebe, welches ich unterm Herzen trage. Könnt ich's doch augenblicks Euch in die Armen geben, vielleicht rührte Euch der Anblick der Unschuld und brächte mir Euer abwendiges Herz zurück.«

Ein Strom bittrer, gesalzener Zähren stürzte diesen Worten nach. Aber die eherne Brust des hartherzigen Mannes fühlte nicht die siebenfachen Leiden seiner Gemahlin, er verließ sie eilends, schwang sich aufs Ross und ritt gen Mecheln zum Erzbischof, löset' mit schwerem Gelde einen Scheidebrief und verstieß sein treues, gutes Weib ins Kloster, wo sie sich so härmte und abzehrte, dass ihre Gestalt ganz zerfiel. Als ihre Stunde kam, genas sie eines Töchterleins, welches sie brünstiglich herzet', an den treuen mütterlichen Busen drückte und mit heißen Zähren netzte. Aber der Engel des Todes stund neben ihr und drückt' ihr schnell die Augen zu, dass sie sich des Anblicks des holden Kindes nicht lang' erfreuen konnte. Bald darauf kam der Graf angeritten, nahm das Kindlein zu sich, tat es unter die Hand einer Gouvernante in eins seiner Schlösser und gab dem zarten Fräulein einige Dirnen und Hofzwerge zur Aufwartung; er aber rüstete sich aufs stattlichste aus: denn sein Streben und Sorgen war, die schöne Brabanterin zu erlangen.

Frohen Mutes zog er an den Hof der Gräfin Richilde, warf sich wonnetrunken ihr zu Füßen, und als sie den herrlichen Mann erblickte, nach welchem ihr Herz so lange geseufzt hatte, fühlte sie darinnen unausredbares Entzücken und schwur dem Ritter von Stund an den Bund der Treue. Ihr Palast verwandelte sich in ein Ida und Paphos, denn die Göttin Cythere schien ihre Residenz dahin verlegt zu haben. In dem süßen Freudentaumel, unter den ausgesuchtesten Ergötzlichkeiten, entschwanden dem glücklichen Paare Tage und Jahre wie ein heitrer Morgentraum, und Gombald und Richilde beteuerten einander oft, dass man in den Vorhöfen des Himmels nicht glücklicher sein könne, als er und sie zusammen lebten; kein Wunsch war ihnen übrig als der, äonenlang ihr wechselseitiges Glück zu genießen ohne Wandel. Allein das glückliche Paar besaß zu wenig Philosophie, um einzusehen, dass ein fortwährender Genuss des Vergnügens eigentlich das Grab des Vergnügens ist, und dass diese Würze des Lebens, in zu starken Dosen genommen, demselben allen Hochgeschmack und Anmut raubt. Unvermerkt erschlafft die Reizbarkeit der Organen, das Gefühl der Lebensfreuden; alle Ergötzlichkeiten gewinnen einen einförmigen Gang, und die raffinierteste Abwechslung wird endlich auch ein fades Einerlei. Dame Richilde, nach ihrer veränderlichen Gemütsart, verspürte diese Unbequemlichkeit zuerst, wurde launisch, herrisch, kalt und mitunter eifersüchtig. Der Herr Gemahl befand sich auch nicht mehr in der ehemaligen Lage der Behaglichkeit: ein gewisser Spleen drückte seine Seele, der Minneblick im Auge war erloschen, und das Gewissen, womit er ehedem heuchlerischen Scherz getrieben, fing nun an, zu ernsten. Es kam ihm der Skrupel ein, dass er seine erste Gemahlin gemordet habe; er gedachte derselben öfters mit Wehmut und vielen Lobsprüchen, und der Sage nach soll's nie gut Geblüt in der zwoten Ehe geben, wenn von der seligen Frau zu oft die Rede ist; es gab oft verschiedne Debatten mit Dame Richilde, und er sagt' ihr zuweilen gerade ins Angesicht, dass sie die Stifterin alles Unglücks sei. »Wir können nicht ferner zusammen hausen«, sprach er einstmals nach einem Ehezwist zu seiner Gemahlin, »mein Gewissen drängt mich, meine Schuld zu versühnen, ich will gen Jerusalem wallfahrten zum Heiligen Grabe und versuchen, ob ich dort die Ruhe meines Herzens wieder finden kann.«

Gesagt, getan! Richilde widersetzte sich diesem Vorschlag nur schwach; Graf Gombald rüstete sich zur Wallfahrt, machte sein Testament, nahm lauen Abschied und zog davon. - Eh ein Jahr verging, kam Botschaft nach Brabant, dass der Graf in Syrien an der schwarzen Pest gestorben sei, ohne den Trost gehabt zu haben, am Heiligen Grabe seine Sünden abzubüßen. Die Gräfin empfing diese Zeitung mit großer Gleichmütigkeit, gleichwohl beobachtete sie äußerlich alle Regeln des Wohlstandes, sie wehklagte, weinte, hüllte sich in Boy und Flor nach den Vorschriften der Etikette, ließ auch dem seligen Herrn ein prächtiges Zenotaphium errichten, an welchem weinende Genien mit ausgelöschten Fackeln und Tränenkrügen nicht fehlten. Inzwischen hat ein schlauer Menschenspäher längst bemerkt, dass junge Witwen geartet sind wie grünes Holz, welches an einem Ende brennt, wenn am andern das Wasser herausträufelt. Das Herz der Gräfin Richilde konnte nicht lange unbeschäftigt bleiben. Die Trauer erhob ihre Reize so sehr, dass sich jedermann herzudrängte, die schöne Witwe zu sehen. Viel Glücksritter zogen an ihren Hof, ihr Heil zu versuchen und diese reiche Beute zu erhaschen, sie fand Anbeter und Bewunderer in Menge, und die Hofschmeichler waren, was das Lob ihrer Gestalt betraf, wieder vollkommen in Odem gesetzt. Das gefiel der eitlen Frau ungemein wohl, weil sie aber doch gern Gewissheit von der Sache zu haben und überzeugt zu sein wünschte, dass der Finger der Zeit in fünfzehn Jahren keinen ihrer Reize verwischt habe, ratfragte sie deshalb ihren Wahrheitsfreund, den magischen Spiegel mit dem gewöhnlichen Spruche: Spiegel blink,
Spiegel blank,
Goldner Spiegel an der Wand,
Zeig mir das schönste Weib
in Brabant
Schauer und Entsetzen befiel sie, als der seidne Vorhang aufrauschte und eine fremde Gestalt ihr ins Auge fiel, schön wie eine Huldgöttin, der liebenswürdigste weibliche Engel voll sanfter Unschuld, aber das Bild hatte von ihr selbst keinen Zug. Es ist schwerlich zu entscheiden, ob hier zwischen Frag und Antwort nicht ein Missverstand obwaltete. Die Gräfin nahm das Wort Weib vielleicht im engern Sinn und verlangte zu wissen, ob sie unter den Frauen ihrer Provinz, mit Ausschluss junger, aufblühender Mädchen, noch den Preis der Schönheit behaupte, der Genius des Spiegels aber gab dem Wort eine größere Ausdehnung und verstand darunter die ganze Flora des Geschlechts. Dem sei wie ihm wolle, die schöne Witwe geriet über die unerwartete Antwort auf ihre Frage in große Wut, und es fehlte wenig, dass sie den indiskreten Spiegel solches hätte entgelten lassen, und das hätte man ihr verzeihen müssen: denn für eine Dame, die kein anderes Talent als Schönheit empfangen hat, gibt es keine größere Kränkung als die, wenn der Wahrheitsfreund auf der Toilette den unwiederbringlichen Verlust des ganzen Wertes ihrer Existenz verkündet.

Dame Richilde, untröstlich über die gemachte Entdeckung, fasste gegen die unschuldige Schöne, die sich im Besitz ihres prätendierten Eigentums befand, einen tödlichen Hass, sie prägte sich das liebliche Madonnengesicht genau ins Gedächtnis, und forschte mit großem Fleiß nach der Inhaberin desselben. Diese Entdeckung kostete wenig Mühe; sie erfuhr gar bald, dass der Beschreibung nach ihre eigne Stieftochter Blanca, von ihr der Balg zubenannt, ihr den Preis der Schönheit abgewonnen habe. Alsbald gab ihr der Satan ins Herz, diese edle Pflanze, die dem Garten Eden zum Schmuck würde gedient haben, zu vernichten. Die Grausame berief in dieser Absicht den Hofarzt Sambul zu sich, gab ihm einen gezuckerten Granatapfel, zählt' ihm fünfzig Goldstücken in die Hand und sprach: »Richte mir diesen Apfel so zu, dass die eine Hälfte davon ganz unschädlich sei, die andere aber von Gift beschwängert werde, dass, wer davon geneußt, in wenig Stunden sterbe.«

Der Jud strich freudig sich den Bart und das Geld in seinen Säckel und verhieß zu tun, wie ihm die arge Frau geboten hatte. Er nahm eine spitze Nadel, grub damit drei Löchlein in den Apfel und ließ darein fließen einen scharfen Liquor, und nachdem die Gräfin den Apfel in Empfang genommen, stieg sie auf ihr Ross und trabte in Begleitung weniger Hofdiener zu ihrer Tochter Blanca hin, auf das abgelegne Schloss, wo das Fräulein hauste. Unterwegs schickte sie einen reitenden Boten voraus, der ansagen sollt, dass die Gräfin Richilde im Anzuge sei, das Fräulein heimzusuchen und mit ihr über des Papas Verlust zu weinen.

Diese Botschaft brachte das ganze Schloss in Aufruhr. Die feiste Duena watschelte im Haus umher, treppauf, treppnieder, setzte alle Kehrbesen in Bewegung, ließ eilends aufputzen, die Spinnweben zerstören, die Gastzimmer schmücken und die Küche bereiten; schalt und trieb die trägen Mägde zu Fleiß und Arbeit an, lärmte und kommandierte mit lauter Stimme wie ein Kaperkapitän, der einen Kauffahrer in der Ferne wittert. Das Fräulein aber schmückte sich bescheiden, kleidete sich in die Farbe der Unschuld, und wie sie die Rosse antrappeln hörte, flog sie ihrer Mutter entgegen, empfing sie ehrerbietig und mit offenen Armen. Die Gräfin fand das Fräulein beim ersten Anblick siebenmal schöner als die Kopie, welche sie im Spiegel erblickt hatte, und dabei so klug, so verständig und so sittsam. Das engte ihr das Herz ein; aber die Schlange verbarg das Nattergift tief in ihrem Busen, tat falschfreundlich gegen sie, klagte über den hartherzigen Papa, der ihr, solang er lebte, den holden Anblick des Fräuleins geweigert hätte, und verhieß von nun an, mit treuer Mutterliebe sie zu umfangen. Bald darauf bereiteten die Zwerglein die Tafel und trugen ein herrlich Mahl auf. Beim Dessert ließ die Hofmeisterin das köstlichste Obst aus dem Schlossgarten aufsetzen. Richilde kostete davon, fand es dennoch nicht schmackhaft genug und forderte von einem Diener ihren Granatapfel, womit sie, wie sie sagte, jede Mahlzeit zu beschließen pflegte. Der Diener reichte ihr solchen auf einem silbernen Teller dar. Sie zerlegt' ihn gar zierlich und bot der schönen Blanca gleichsam zum Zeichen ihres Wohlwollens, die Hälfte davon.

Sobald der Apfel verzehrt war, saß die Mutter mit ihrem Hofgesinde wieder auf und ritt von dannen. Bald nach ihrem Abzug ward dem Fräulein weh ums Herz, die rosenfarbenen Wangen erbleichten, alle Glieder ihres zarten Leibes erbebten, die Nerven zuckten und hüpften, ihre liebevollen Äuglein brachen und schlummerten in den endlosen Todesschlaf hinüber.

Ach, was erhob sich für Jammer und Herzeleid innerhalb der Mauren des Palastes über das Hinscheiden der schönen Blanca, die wie eine hundertblätterige Rose von einer räuberischen Hand in der schönsten Blüte gepflückt wurde, weil sie die Zierde des Gartens war. Die wohlbeleibte Duena regnete Tränenströme wie ein aufgedunsener Schwamm, der durch einen heftigen Druck alle eingesogne Feuchtigkeit auf einmal von sich gibt. Die kunstreichen Zwerge aber zimmerten einen Sarg von Föhrenholz, mit silbernen Schildern und Handhaben, und machten, um des Anblicks ihrer holden Gebieterin nicht auf einmal beraubt zu sein, ein Glasfenster darein, die Dirnen fertigten ein Sterbekleid vom feinsten Brabanter Linnen, kleideten die Leiche darin, setzen die Keuschheitskrone, einen frischen Myrtenkranz, auf ihr Haupt, und brachten mit Trauergepränge den Sarg in die Schlosskapelle, wo der Pater Meßner das Seelamt hielt und das Glöcklein vom Morgen bis zur späten Mitternachts stunde dumpfen Sterbeklang tönte.

Indessen langte Donna Richilde wohlgemut in ihrer Heimat an. Das erste, was sie tat, war, dass sie ihre Frage an den Spiegel wiederholte und behänd den Vorhang aufflattern ließ. Mit inniger Freude und der Miene des Triumphs erblickte sie ihre eigne Gestalt zwar wieder, aber auf der metallenen Oberfläche hatten sich hie und da große Rostflecken angesetzt, wodurch die helle Politur derselben, wie durch Blatternarben ein jungfräuliches Gesicht, entstellt war. Was schadet's, dachte die Gräfin bei sich selber, immer besser, dass sie auf dem Spiegel haften, als auf meiner Haut, er ist dennoch zu gebrauchen und vergewissert mich wieder meines Eigentums. In Gefahr, ein Gut zu verlieren, lernt man gemeiniglich den Wert desselben erst schätzen. Die schöne Richilde hatte oft Jahre vorübergehen lassen, ohne den Spiegel über ihre Schönheit zu quästionieren, jetzt ließ sie keinen Tag vorbei. Sie genoss verschiedene Mal das Vergnügen, ihrer Gestalt ein Götzenopfer zu bringen. Wie sich aber eines Tages zu eben dieser Absicht der Vorhang hob, Wunder über Wunder, da schwebte im Spiegel ihren Augen wieder die Gestalt der reizenden Blanca vor. Bei diesem Anblick wandelte die eifersüchtige Frau eine Ohnmacht an, aber sie zog eilends ihr Riechfläschgen hervor, und durch Hülfe des Hirschhorngeistes ging das Übel bald vorüber, sie sammelte alle Kräfte, um zu erforschen, ob sie ein falscher Wahn getäuscht habe, doch der Augenschein belehrte sie eines andern.

Sogleich brütete sie über einer neuen Bosheit. Sambul der Hofarzt wurde vorbeschieden, zu dem sprach die Gräfin mit zornmütiger Gebärde: »Oh, du schändlicher Betrüger, schelmischer Jud! verachtest du also mein Gebot, dass du meiner spotten darfst? Hieß ich dir nicht einen Granatapfel also zurichten, dass sein Genuss töte, und du hast Lebenskraft und Balsam der Gesundheit hineingelegt? Das sollen mir dein Judasbart und deine Ohren entgelten.« Sambul der Arzt entsetzte sich ob dieser Rede seiner erzürnten Gebieterin, antwortet' und sprach: »Au, weih mir! Wie geschieht mir? Weiß nicht, gestrenge Frau, wie ich Eure Ungnade verwirkt hab. Was Ihr mir befohlen, hab ich fleißig ausgerichtet; hat die Kunst falliert, so ist die Ursach davon, was ich nicht weiß.« Die Dame schien sich etwas zu besänftigen und fuhr fort: »Diesmal sei dir dein Fehl verziehen, doch mit dem Beding, dass du mir eine wohlriechende Seife bereitest, die das unfehlbar leiste, was der Granatapfel verfehlt hat.« Der Arzt verhieß, sein Bestes zu tun, sie zahlte ihm wieder fünfzig Goldstücken in seinen Säckel und entließ ihn. Nach Verlauf einiger Tage brachte der Arzt der Gräfin die mörderische Komposition. Flugs staffierte sie ihre Amme, ein abgefeimtes Weib, als eine Krämerin mit kurzer War heraus, gab ihr feinen Zwirn, Nähnadeln, wohlriechende Pomade, Riechfläschgen und marmorierte Seifenkugeln mit rotem und blauem Geäder in ihren Kasten und hieß sie damit zu ihrer Tochter Blanca wandern, um ihr die Giftkugel in die Hand zu spielen, verhieß ihr dafür große Belohnung. Das feile Weib zog hin zu dem Fräulein, welches keinen Betrug ahndete und sich durch die arglistige Schwätzerin bereden ließ, die Seife, welche die Schönheit der Haut bis ins höchste Alter konservieren sollt, einzuhandeln und ohne Vorwissen ihrer Duena einen Versuch damit zu machen. Die arge Stiefmutter konsultierte indes den verrosteten Spiegel fleißig, vermutete aus der Beschaffenheit desselben, dass ihr Anschlag müsse geglückt sein, denn die Rostflecken hatten sich wie Salpeterfraß in einer Nacht über die ganze Spiegelfläche ausgebreitet, dass sich auf ihr Befragen nur ein trüber Schatten auf der matten Oberfläche darstellte, welchem keine Gestalt mehr abzugewinnen war. Der Verlust des Spiegels ging ihr zwar zu Herzen, doch glaubte sie dadurch den Ruhm, die erste Schönheit im Lande zu sein, nicht zu teuer bezahlt zu haben.

Eine Zeitlang genoss das eitle Weib mit geheimer Zufriedenheit dieses eingebildete Vergnügen, bis ein fremder Ritter an ihren Hof kam, der in dem Schloss der Gräfin Blanca unterwegs eingesprochen und sie nicht in der Gruft, sondern an der Toilette gefunden, und von ihrer Schönheit gerührt, sie zur Dame seines Herzens erkoren hatte. Weil er nun die Gräfin von Brabant gern erlustieren und sich vor ihr auf dem Turnierplatz zeigen wollte, doch nicht vermeinte, dass die Mutter auf die Tochter eifersüchtig sei, warf er bei einem Freudenmahl, von Weindunst erhitzt, seinen eisernen Handschuh auf den Tisch und sprach: Wer das Fräulein Blanca von Löwen nicht für die schönste Dame in Brabant erkläre, solle den Handschuh an sich nehmen, zum Zeichen, dass er tags darauf zu Schimpf oder Ernst eine Lanze mit ihm. brechen wolle. Über diese Unbesonnenheit des Gaskoniers skandalisierte sich der ganze Hof höchlich, man schalt ihn insgeheim Meister Duns und Ritter Großbrot. Richilde erbleichte über die Novelle, dass Fräulein Blanca nochmals aufgelebt sei; die Ausforderung war ihr ein Dolchstich ins Herz; doch zwang sie sich zu einem huldreichen Lächeln und genehmigte die Partie, hoffend, dass die Ritter ihres Hofes sich um den Handschuh reißen würden. Wie aber keiner hervortrat, den Kampf anzunehmen, denn der Fremdling hatte ein keckes Ansehen, war fast nervich und von starken Knochen, machte sie ein gar trübselig Gesicht, dass männiglich Verdruss und Herzeleid ihr abmerken konnte. Das erbarmt' ihren getreuen Stallmeister, dass er den eisernen Handschuh aufnahm. Aber wie der Kampf des folgenden Tages begann, behielt der Gaskonier nach einem wackern Rennen den Sieg und empfing den Ritterdank von der Gräfin Richilde, die vor Unmut zu sterben gedachte.

Vorerst ließ sie ihren Zorn an dem Arzt Sambul aus, er ward in den Turm geworfen, in Ketten geschlossen, und ohne weitern Verhör ließ ihm die gestrenge Frau den ehrwürdigen Bart Haar bei Haar ausraufen und reinweg beide Ohren abschneiden. Nachdem der erste Sturm vorüber war und die Grausame bedachte, dass ihre Tochter Blanca dennoch über sie triumphieren werde, wofern es ihr nicht gelingen sollte, sie durch List hinzurichten, denn das väterliche Testament hatte ihr alle Gewalt über die Tochter geraubt, so schrieb sie einen Brief an das Fräulein, so zärtlich, und freute sich ihrer Genesung so mütterlich, als ob ihr das Herz jedes Wort in die Feder diktiert hätte. Diesen Brief gab sie ihrer Vertrauten, der Amme, ihn dem eingekerkerten Arzt zu bringen, benebst einen Zeddel, darauf stunden geschrieben diese Worte: »Schleuß in diesen Brief Tod und Verderben ein für die Hand, die ihn öffnet. Hüte Dich, zum dritten Mal mich zu täuschen, so lieb Dir Dein Leben ist.« Sambul der Jud simulierte lang', was er tun sollte, und klimperte nachdenklich an dem Geschmeide, als bet er sein jüdisch Paternoster an den Ketten ab. Endlich schien die Liebe zum Leben, obgleich in einem traurigen Kerker, mit einem Kopf ohne Ohren und einem Kinn ohne Bart, alle andre Betrachtungen zu überwiegen und er verhieß zu gehorchen. Die Gräfin schickte den Brief durch einen reitenden Boten ab, der bei seiner Ankunft viel Grimassen machte, als enthalte der Brief Wunderdinge, auch wollt er nicht sagen, von wo er gekommen sei. Das Fräulein, begierig, den Inhalt zu erfahren, löste behänd das Siegel, las einige Zeilen, fiel auf den Sofa zurück, schloss die lichtvollen, blauen Augen und verschied. Seit der Zeit erfuhr die mörderische Stiefmutter nichts mehr von ihrer Tochter, und obgleich sie oft Kundschafter ausschickte, so brachten ihr diese keine andere Botschaft, als dass das Fräulein aus ihrem Totenschlummer nicht mehr erwacht sei. Also war die schöne Blanca durch die Ränke des hässlichen Weibes dreimal gestorben und dreimal begraben. Nachdem die getreuen Hofzwerge sie zum ersten Mal beigesetzt hatten und die Seelmessen angeordnet waren, hielten sie nebst den weinenden Dirnen bei der Gruft fleißig Wacht und schauten durch das Fensterlein oft in den Sarg, des Anblicks ihrer teuren Gebieterin noch solange zu genießen, bis die Verwesung ihre Gestalt vernichten würde. Aber mit Verwunderung wurden sie gewahr, dass sich nach einigen Tagen die bleichen Wangen mit einer sanften Röte überzogen, auf den erblassten Lippen fing an der Purpur des Lebens wieder zu glühen, bald darauf schlug das Fräulein die Augen auf. Als das die aufwartenden Diener wahrnahmen, hoben sie freudig den Deckel vom Sarge, die schöne Blanca richtete sich auf und wunderte sich bass, da sie sich in einer Totengruft, und ihre Bedienung um sich her in tiefer Trauer erblickte. Eilends verließ sie den grausenvollen Ort und zitterte wie die Eurydice mit wankendem Knie aus dem Schattenreiche zum erquickenden Tageslicht herauf.

Der Arzt Sambul war im Grunde ein frommer Israelite, der an keiner Büberei Gefallen trug, außer wenn die Prädilektion für die edlern Metalle sein enges Gewissen zuweilen ins weite dehnte. Bei dem Granatapfel, welchen die Gräfin ihm darreichte, fiel ihm der Unglücksapfel aus dem Paradies ein, auch der goldne Apfel aus dem Garten der Hesperiden, welcher drei Göttinnen entzweite und Ursach war, dass eine herrliche Königsstadt verwüstet wurde, und er dachte alsbald bei sich selbst, es sei genug an dem Unfug, welchen zwei Äpfel bereits in der Welt gestiftet hätten, der dritte solle die Äpfelschuld nicht mehren. Anstatt des Giftes, den er darin verbergen sollte, tingiert' er die Hälfte davon mit einer narkotischen Essenz, welche die Sinnen betäubte, ohne den Leib zu zerstören. Ebenso verfuhr er das zweite Mal mit der Seifenkugel, nur dass er die Poition des Mohnsafts mehrte, daher das Fräulein nicht zu der Zeit wie vorher erwachte und die Zwerglein wähnten, sie sei und bleibe tot, trugen sie also abermals zu Grabe und hüteten solches mit großem Fleiße, bis sie zur Freude ihres Hofgesindes dennoch wieder erwachte. Der Schutzengel des Fräuleins sah die Gefahr, in welcher das Leben seiner Pflegebefohlnen schwebte, als die Todesfurcht den Arzt entschlossen machte, das Bubenstück der Vergiftung wirklich zu begehen. Darum schlüpft' er unsichtbar ins Gefängnis und begann mit der Seele des Juden einen heftigen Streit, die er nach langem Kampfe überwältigte und dem Überwundnen den Entschluss abnötigte, seiner Gewissenhaftigkeit den Hals ebenso standhaft aufzuopfern, als vorher den Bart und beide Ohren. Vermöge seiner einmischen Kenntnisse quintessentierte er seinen einschläfernden Liquor in ein flüchtiges Salz, welches von der freien Luft alsbald aufgelöst und eingesogen wurde, damit bestrich er den Brief an die schöne Blanca, und als sie solchen las, empfing ihre ganze Atmosphäre eine betäubende Eigenschaft, indem sie den verfeinerten Magsamengeist einatmete. Die Wirkung davon war so gewaltsam, dass die Erstarrung des Körpers länger dauerte, also dass die ungeduldige Duena an dem Wiederaufleben ihrer jungen Herrschaft gänzlich verzweifelte und ihr zum dritten Mal die Exequien halten ließ.

Als das Hofgesinde eben mit dieser traurigen Feierlichkeit beschäftiget war und das Trauergeläut unablässig tönte, kam ein junger Pilger angeschritten, ging in die Kapelle, kniete sich vor den Altar in der Frühmetten und verrichtete seine Andacht. Er hieß Gottfried von Ardenne, war ein Sohn Teutebald des Wüterichs, den die heilige Kirche seiner bösen Taten halber ausgestoßen und mit dem Bann beleget hatte, darunter er gestorben war, weshalb er von den Flammen des Fegfeuers wohl gepeinigt ward. Weil's ihm nun in der Glut viel zu heiß war, bat er den Engelpförtner flehentlich, ihn ein wenig hinaus ins Freie zu lassen, frische Luft zu schöpfen und den Seinen kund zu tun, welche Qual er leide. Diese Bitte ward ihm, auf sein Ehrenwort, sich zu rechter Zeit und Stunde wieder einzustellen, leicht zugestanden; denn in den damaligen Zeiten war gar schlechte Polizei in der Unterwelt, die Seelen schweiften scharenweise in die Oberwelt herauf, gaben ihren hinterlassenen Freunden nächtliche Besuche und hatten Freiheit, mit ihnen nach Belieben zu kosen. Heutzutage sind sie dagegen unter strenger Klausur, dürfen nicht mehr so frank und frei herumtosen und spuken gehen, die Lebenden molestieren und zu fürchten machen. Teutebald nützte die Zeit seiner Beurlaubung aufs fleißigste, erschien seiner tugendsamen Wittib drei Nächte hintereinander, weckte sie aus dem süßen Schlafe, indem er ihre Hand mit der Spitze seines glühenden Fingers berührte und sprach: »Liebes Weib, habt Erbarmen mit Eurem abgeschiedenen Gemahl, den die Qualen der Vorhölle peinigen, versöhnet mich mit der heiligen Kirche und erlöset meine arme Seele, auf dass Euch auch dereinst Barmherzigkeit widerfahre.« Die Wittib nahm diese Worte zu Herzen, redete davon mit ihrem Sohn, gab ihm Juwelen und Geschmeide, und der biedere Jüngling nahm einen Pilgerstab in seine Hand, wallfahrtete barfuss nach Rom zum Papst und erhielt Ablass für seinen Vater unter dem Beding, auf dem Heimwege in jeder Kirche, wo er vorüberzöge, eine Messe zu hören. Er nahm einen großen Umweg, um viele heilige Orte zu besuchen, und so kam er auch durch Brabant.

Wie der fromme Pilger seinem Gelübde Genüge geleistet und seiner Gewohnheit nach in den Armenstock eine milde Gabe geopfert hatte, frug er den Bruder Küster, warum die Kapelle schwarz behangen sei und was das castrum doloris bedeute? Dieser erzählte ihm der Länge nach alles, was sich zugetragen hatte mit der schönen Blanca, durch die boshaften Ränke ihrer Stiefmutter. Darüber verwunderte sich Gottfried gar höchlich und sprach: »Ist's vergönnt, den Leichnam des Fräuleins zu schauen, so führet mich zur Gruft. So Gott will, mag ich sie wohl wieder ins Leben rufen, wenn anders ihre Seele noch in ihr ist. Ich trage eine Reliquie, vom Heiligen Vater verehrt, bei mir, das ist ein Splitter vom Stab Elisä des Propheten, die zerstöret die Zauberei und widerstehet auch allen sonstigen Eingriffen in die Gerechtsame der Natur.« Der Küster rief eilends die wachsamen Zwerge herbei, und da sie hörten die Worte des Pilgers, freuten sie sich sehr, führten ihn hinab in die Gruft, und Gottfried ward entzückt über den Anblick des schönen alabasternen Bildes, welches er durchs Glasfenster im Sarg erblickte. Der Deckel wurde abgehoben, er hieß das leidtragende Gesinde hinausgehen bis auf die Zwerglein, brachte seine Reliquie hervor und legte sie auf das Herz der Erstorbenen, nach wenigen Augenblicken verschwand die Erstarrung, und Geist und Leben kehrten in den erblassten Körper zurück. Das Fräulein verwunderte sich über den holden Fremdling, den sie neben sich erblickte, und die hocherfreuten Zwerge hielten den Wundermann für einen Engel vom Himmel. Gottfried sagte der Erwachten an, wer er sei und die Ursach seiner Wallfahrt, und sie berichtete ihm dagegen ihre Schicksale und Verfolgungen der grausamen Stiefmutter. »Ihr werdet«, sprach Gottfried, »den Nachstellungen der Giftspinne nicht entgehen, sofern Ihr nicht meinem Rate folgt. Verweilt noch eine Zeitlang in dieser Gruft, damit es nicht ruchbar werde, dass Ihr lebet. Ich will meine Wallfahrt vollenden und bald wiederkommen. Euch nach Ardenne zu meiner Mutter zu führen und, so ich's enden mag, an Eurer Mörderin Euch rächen.« Der Rat gefiel der schönen Blanca wohl, der edle Pilger verließ sie und sprach draußen zu dem herzudringenden Gesinde mit verstellten Worten: »Der Leichnam Eurer Herrschaft wird nimmer wieder erwarmen, die Quelle des Lebens ist versiegt, hin ist hin, und tot ist tot!« Die treuen Zwerge aber, die um die Wahrheit wussten, hielten reinen Mund, versorgten ihr Fräulein insgeheim mit Speise und Trank, hüteten übrigens des Grabes wie vorher und harrten auf die Wiederkehr des frommen Pilgers.

Gottfried sputete sich, nach Ardenne zu gelangen, umarmte seine zärtliche Mutter, und weil er müde war von der Reise, legte er sich zeitig zur Ruhe und schlief mit dem Gedanken an Fräulein Blanca flugs und fröhlich ein. Da erschien ihm sein Vater im Traum mit heiterem Angesicht, sprach, er sei aus dem Fegfeuer erlöset, erteilte dem frommen Sohn den Segen und verhieß ihm Glück zu seinem Vorhaben. Am frühen Morgen rüstete Gottfried sich ritterlich, nahm seine Reisigen zu sich, beurlaubte sich von der Mutter und saß auf. Wie er seine Reise nun bald vollendet hatte und in der Mitternachtsstunde das Totenglöcklein im Schloss der schönen Blanca tönen hörte, saß er ab, zog sein Pilgerkleid über den Harnisch und verrichtete seine Andacht in der Kapelle. Die spekulierenden Zwerge hatten kaum den knienden Pilger am Altar wahrgenommen, so liefen sie hinab in die Gruft, ihrer Gebieterin die gute neue Mär zu verkünden. Sie warf ihr Sterbegewand von sich, und sobald die Metten vorbei war und Meßner und Küster aus der frostigen Kirche nach dem warmen Bett eilten, stieg das reizende Mädchen herauf aus der Totengruft, mit fröhlichem Herzklopfen, wie am Tage der letzten Posaune die Seligen aus der dunkeln Grabeshöhle zum Leben hervorgehen werden. Da sich aber das tugendsame Fräulein in den Armen eines jungen Mannes sah, der sie davonführen wollte, kam sie Grausen und Entsetzen an, und sie sprach mit verschämtem Angesicht: »Bedenket, was Ihr tut, junger Mann, fraget Euer Herz, ob es aufrichtig oder ein Schalk ist; täuscht Ihr das Vertrauen, das ich zu Euch hege, so wisset, dass Euch die Rache des Himmels verfolgen wird.« Der Ritter antwortete bescheidentlich: »Die heilige Jungfrau sei Zeuge der Lauterkeit meiner Gesinnung, und der Fluch des Himmels treffe mich, wenn ein sträflicher Gedanke in meiner Seele ist.« Darauf schwang sich das Fräulein getrost aufs Ross, und Gottfried geleitete sie sicher nach Ardenne zu seiner Mutter, welche sie mit innigster Zärtlichkeit empfing und mit solcher Sorgfalt pflegte, als wäre sie ihre leibliche Tochter. Bald entwickelten sich die sanften sympathetischen Gefühle der Liebe in dem Herzen des jungen Ritters und der schönen Bianca. Die Wünsche der guten Mutter und des ganzen Hofes vereinbarten sich, das schöne Bündnis des edlen Paares durch das heilige Sakrament der Ehe, je eher, je lieber, versiegelt zu sehen. Aber Gottfried gedachte, dass er seiner Braut Rache gelobet hätte. Mitten unter den Zubereitungen zum Beilager verließ er seine Residenz und zog nach Brabant zur Gräfin Richilde, die noch immer mit ihrer zwoten Wahl beschäftiget war und, weil sie den Spiegel nicht mehr ratfragen konnte, damit nie zustande kam.

Sobald Gottfried von Ardenne am Hof erschien, zog seine schöne Gestalt die Augen der Gräfin auf sich, dass sie ihm vor allen Edlen den Vorzug gab. Er nennte sich den Ritter vom Grabe, und das war das einzige, was sie an ihm auszusetzen fand; sie wünschte ihm einen gefälligem Beinamen, denn das Leben hatte für sie noch so viele Reize, dass ihr der Gedanke vom Grabe immer schauderhaft auffiel. Inzwischen erklärte sie sich den Beinamen des Ardenners vom Heiligen Grabe, meinte, er sei irgend nach Jerusalem gewallfahrtet und sei Ritter vom Heiligen Grabe, und so ließ sie es ohne weitere Nachforschung dabei bewenden. Nachdem sie mit ihrem Herzen über die aufkeimende Leidenschaft Rücksprache genommen hatte, fand sie, dass unter der gesamten Ritterschaft, die darinnen aus- und einzog, Ritter Gottfried prädominiere, deshalb legte sie's darauf an, ihn durch die verführerischen Netze der Koketterie zu bestricken. Durch die Kunst wusste sie die Reize der Jugend wieder aufzufrischen, die abgeblühten zu verbergen, oder mit dem kunstreichen Gewebe feinsten Brabanter Spitzen zu bedecken. Sie unterließ dabei nicht, ihrem Endymion die anlockendsten Avancen zu machen und ihn auf alle Art zu reizen, bald in dem prunkvollen Gewand, das ehemals Dame Juno an einem Galatage im hohen Olymp selbst nicht reicher tragen konnte; bald im verführerischen Neglige einer leichtgeschürzten Grazie; bald bei einem tête-à-tête im Lustgarten, am Springbrunnen, wo marmorne Najaden aus ihren Urnen einen Silberstrom ins Bassin rauschen ließen; bald bei einer traulichen Promenade Hand in Hand, wenn der freundliche Mond sein falbes Licht durch die dunkeln Bogengänge des ernsten Taxus goss; bald in der schattigen Laube, wenn ihre melodische Hand dem horchsamen Ritter die weichsten Akkorde ins Herz zu lautenieren gedachte.

Mit scheinbarem Enthusiasmus umfasste Gottfried einsmals bei einer solchen empfindsamen Entrevue der Gräfin Knie und sprach: »lasst ab, holde Grausame, durch Euren mächtigen Zauber mein Herz zu zerreißen und schlafende Wünsche aufzuwecken, die mir das Hirn verwirren: Lieb' ohne Hoffnung ist bittrer denn der Tod.« Sanft lächelnd hob ihn Richilde mit ihren schwanenweißen Armen auf und gegenredete mit süßer Suada also: »Armer Hoffnungsloser, was macht Euch mutlos? Seid Ihr so ungelehrig, die Sympathien der Liebe, die aus meinem Herzen Euch entgegenwallen, zu empfinden oder darauf zu achten? Wenn Euch die Sprache des Herzens unverständlich ist, so nehmt das Geständnis der Liebe von meinem Munde. Was hindert uns, das Schicksal unsers Lebens auf ewig zu vereinbaren?«

»Ach«, seufzte Gottfried, indem er Richildens sammetweiche Hand an die Lippen drückte, »Eure Güte entzückt mich; aber Ihr kennet nicht das Gelübde, welches mich bindet, keine Gemahlin als von der Hand meiner Mutter zu empfangen und diese gute Mutter auch nicht zu verlassen, bis ich die letzte Kindespflicht erfüllet und ihr die Augen zugedrückt habe. Könnet Ihr Euch entschließen, teure Gebieterin meines Herzens, Euer Hoflager zu verlassen und mir nach Ardenne zu folgen, so wär mein Los das glücklichste auf Erden.« Die Gräfin bedachte sich nicht lange, sie willigte in alles, was ihr Inamorato begehrte. Der Vorschlag, Brabant zu verlassen, behagte ihr im Grunde eben nicht, noch weniger die Schwiegermutter, die ihr eine lästige Zulage zu sein schien; allein die Liebe überwindet alles.

Mit großer Behändigkeit wurde der Brautzug veranstaltet, das Personale des glänzenden Gefolges ernennt, darunter auch der Hofarzt Sambul paradierte, ob ihm gleich der Bart und beide Ohren mangelten. Die schlaue Richilde hatte ihn der Banden entlediget, auch ihm huldreich die Ehre der ehemaligen Favoritenschaft wieder angedeihen lassen, denn sie gedachte sich seiner zu bedienen, die Schwiegermutter gelegentlich aus der Welt zu schaffen, um mit ihrem Gemahl nach Brabant zurückzukehren. Die ehrwürdige Matrone empfing ihren Sohn und die vermeintliche Schnur mit hofmäßiger Etikette, schien die getroffene Wahl des Ritters vom Grabe höchlich zu billigen, und es wurde alles fördersamst in Bereitschaft gesetzt, das Beilager zu vollziehen. Der feierliche Tag erschien, und Dame Richilde, geschmückt wie die Königin der Fayen, trat in den Saal, wo sie zur Trau geführt werden sollte und wünschte, dass die Stunden Flügel hätten. Indessen kam ein Edelknabe herbei und raunte mit bedenklicher Miene dem Bräutigam etwas ins Ohr. Gottfried schlug mit scheinbarem Entsetzen die Hände zusammen und sprach mit lauter Stimme: »Unglücklicher Jüngling, wer wird an deinem Ehrentage den Brautreihen mit dir anheben, da eine mörderische Hand deine Geliebte gemordet hat?« Hierauf wendete er sich zur Gräfin und sprach: »Wisset, schöne Richilde, dass ich zwölf Jungfrauen ausgesteuert habe, die mit mir zum Traualtar gehen sollten, und die Schönste darunter ist aus Eifersucht von einer unnatürlichen Mutter gemordet; sprecht, welche Rache diese Schandtat verdiene?« Richilde, unwillig über einen Zufall, der ihre Wünsche aufzuhalten oder doch die Freude des Tages zu mindern schien, sprach mit Unwillen: »O der schaudervollen Tat! Die grausame Mutter verdiente, an der Gemordeten Stelle den Brautreihen mit dem unglücklichen Jüngling in glühenden eisernen Pantoffeln anzuheben, das würde Balsam für die Wunde seines Herzens sein, denn die Rache ist süß wie die Liebe.«

»Ihr urteilet recht«, erwiderte Gottfried, »Amen, es geschehe also!« Der ganze Hof applaudierte der Gräfin wegen des gerechten Urteils, und die Witzlinge vermaßen sich hoch und teuer, die Königin aus dem Reich Arabien, die zu Salomon gewallfahrtet war, Weisheit zu holen, hätte es nicht besser sprechen mögen.

In dem Augenblicke flogen die hohen Flügeltüren des Nebengemachs auf, wo der Traualtar zugerichtet war. Darin stund der weibliche Engel, Fräulein Blanca, mit herrlichem Brautschmuck angetan; sie stützte sich auf eine der zwölf Jungfrauen, als sie die fürchterliche Stiefmutter erblickte, und schlug scheu die Augen nieder.

Richildens Blut erstarrte in den Adern, wie vom Blitz gerührt sank sie zu Boden, ihre Sinne umnebelten sich, und sie lag starr im Hinbrüten. Aber die Riechfläschgen der Höflinge und Damen gossen einen so kräftigen Platzregen von Lavendelgeist über sie, dass sich wider Willen ihre Lebensgeister ermunterten. Darauf hielt der Ritter vom Grabe einen Sermon an sie, davon ihr jedes Wort durch die Seele schnitt, und führte die schöne Blanca zum Altar, wo der Bischof in pontificalibus das edle Paar zusammengab, nebst den zwölf ausgesteuerten Jungfrauen mit ihren Geliebten.

Wie die geistliche Zeremonie geendigt war, ging der gesamte Brautzug in den Tanzsaal. Die künstlichen Zwerge hatten indessen mit großer Behändigkeit ein Paar Pantoffeln von blankem Stahl geschmiedet, stunden am Kamin, schürten Feuer an und glühten die Tanzschuhe hochpurpurrot. Da trat hervor Gunzelin, der knochenfeste gaskonische Ritter, und forderte die Giftnatter zum Tanz auf, den Brautreihen mit ihr zu beginnen, und ob sie sich gleich diese Ehre höchlich verbat, so half doch kein Bitten noch Sträuben. Er umfasste sie mit seinen kräftigen Armen, die Zwerglein schuheten ihr die glühenden Pantoffeln an, und Gunzelin schliff mit ihr einen so raschen Schleifer längs dem Saal hinab, dass der Erdboden rauchte und ihre zarten, wohlgeratenen Füße kein Hühnerauge mehr quälte, dazu waldhornierten die Musikanten so herzhaft, dass alles Gewinsel und Wehklagen in die rauschende Musik verschlungen ward. Nach unendlichen Wirbeln und Kreisen drehte der flinke Ritter die erhitzte Tänzerin, welche noch nie ein Schleifer so heiß gemacht hatte, zum Saal hinaus, die Stiegen hinab in einen wohlverwahrten Turm, wo die büßende Sünderin Zeit und Muße hatte, Pönitenz zu tun. Sambul der Arzt aber kochte flugs eine köstliche Salbe, welche die Schmerzen linderte und die Brandblasen heilte.

Gottfried von Ardenne und Blanca lebten in einer paradiesischen Ehe und belohnten reichlich den Arzt Sambul, der wider Gewohnheit seiner Kollegen nicht tötete, wo er's durfte. Auch ward ihm sein Biedersinn oben im Himmel zum Segen angeschrieben; sein Geschlecht blüht noch in späten Enkelsöhnen. Einer seiner Nachkommen, der Jud Samuel Sambul, steht hocherhaben wie eine Zeder im Hause Israel, dienet Seiner mauritanischen Majestät, dem König in Marokko, als erster Minister und lebet, einige Bastonaden auf die Fußsohlen abgerechnet, in Glück und Ehre bis auf diesen Tag.

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