[swahili, "Geschichte, Legende"]

Mamed-dshan

Es war einmal ein Mann mit Namen Bachaweddin. Er hütete seine Kamele. Als sein Sohn, der stattliche Mamed-dshan, herangewachsen war, vertraute er ihm die Herde an und trug dem Sohn in aller Strenge auf: »Mein Sohn, du darfst jedes Tier aus der Herde verkaufen, außer diesem einen.« Bachaweddin wies auf die älteste Kamelstute. Mamed-Dshan begann also die väterliche Herde zu hüten. Eines Tages ritt ein Reiter vorbei und bat: »Hirte, verkaufe mir ein Kamel.«

»Wähle dir ein Tier aus«, entgegnete der Jüngling. Der Reiter wies auf die alte Kamelstute und fragte: »wie viel verlangst du für sie?«

»Dieses Kamel verkaufe ich nicht.«

»Warum?« wollte der Reiter wissen. »Vater hat es verboten. Unter allen anderen Tieren aber magst du aussuchen, welches dir gefällt.« Der Reiter ließ seinen Blick über die Herde schweifen und sagte: »Möchtest du nicht mein herrliches Ross als Gegenleistung erhalten?«

»Das allerdings«, erwiderte Mamed-dshan, ohne lange zu überlegen, und seine Augen funkelten vor Begierde. Der Reiter schlug vor: »Wir können doch tauschen. Ich gebe dir mein Pferd, das silberne Zaumzeug und die Satteltasche obendrein. Du lässt mir dafür die Kamelstute.« Mamed-dshan strich dem Pferd über den Widerrist, warf einen Blick in die Satteltasche und sah, dass sie mit Goldmünzen gefüllt war. »Schön«, erwiderte er. »Wenn du mir das Ross gibst, so wie es ist, bin ich bereit zu tauschen.« Der Reiter sprang aus dem Sattel, reichte dem Jüngling die Zügel, warf der Kamelstute das Halfter über, schwang sich auf ihren Rücken und sprengte davon. Im Trab setzte die Herde, alle jungen und alten Tiere der alten Kamelstute nach, denn sie war die Stammmutter der Herde.

Mamed-dshan nahm auf seinem Ross die Verfolgung auf. Er trieb die Kamele mal in die eine, mal in die andere Richtung, doch immer wieder entkamen sie ihm. So jagte der Jüngling die Tiere, bis sein Pferd erschöpft zusammenbrach und verendete. Allein in der Wüste, ohne Herde und ohne Ross, machte Mamed-dshan sich bittere Vorwürfe, weil er des Vaters Gebot nicht befolgt hatte. Er fürchtete, ihm unter die Augen zu treten, und beschloss, nicht nach Hause zurückzukehren, sondern zog fürbass aufs Geratewohl. Mitten in der Nacht gelangte er zu einer Stadt. Das Stadttor war verschlossen. Er wollte sich gerade an der Stadtmauer zur Ruhe niederlegen, als ihn unvermittelt eine Stimme von hoch oben anrief: »Mamed-dshan! Warum hast du dich so verspätet? Komm und nimm dein Gepäck.« Mamed-dshan sah, wie eine Satteltasche an einem Strick von der Stadtmauer herabschwebte. Sie war mit Gold gefüllt. Der Satteltasche folgte ein junges Mädchen. Sie nahm Mamed-dshan bei der Hand und führte ihn an eine einsame Stelle im Wallgraben, wo schon zwei gesattelte Pferde bereitstanden. »Rasch, aufs Pferd«, gebot das Mädchen. »Wir müssen so schnell wie möglich fort von hier.« Im Dunkeln bestiegen sie die Pferde und sprengten von dannen. Mamed-dshan schwieg aus Vorsicht. Das Mädchen aber war die Tochter des Khans. Sie hatte einen Jüngling mit Namen Mamed-dshan lieb gewonnen und beschlossen, sich mit ihm zu vermählen. Doch als der Vater davon erfuhr, drohte er ihr grausame Bestrafung an. So beschloss das Mädchen, mit Mamed-dshan zu fliehen.

Die Liebenden hatten vereinbart, sich um Mittemacht an der Stadtmauer zu treffen. Das Mädchen hatte die Diener des Vaters bestochen, zwei Pferde aus der Stadt hinausgerührt und dann auf den Geliebten gewartet. Doch der Bräutigam hatte sich mit Freunden, die genau solche Bummler waren wie er, beim Glücksspiel versäumt und hatte die Flucht völlig vergessen. Als die Flüchtlinge schon weit fort waren, dachte die Khan-Tochter beunruhigt: Weshalb spricht mein Geliebter wohl nicht mit mir? Seit wir unterwegs sind, hat er kein einziges Wörtchen verloren. Im Morgengrauen beschloss sie zu rasten und hielt ihr Pferd in einer steinigen Schlucht an. Als sie vom Pferd sprang und den unbekannten Jüngling erblickte, schrie sie auf vor Schreck. Sie erkannte den Irrtum. Was sollte sie nur beginnen? Sie fürchtete, zu ihrem Vater zurückzukehren. Der unbekannte Jüngling erschien ihr zudem viel schöner als ihr eigener Bräutigam. »Da es sich nun einmal so ergeben hat, wollen wir unser Schicksal miteinander verbinden«, sprach sie zu Mamed-dshan.

Jener ging zum Bach, um den Schlauch mit Wasser zu füllen, und fand am Ufer ein Geschmeide aus blutroten Rubinsteinen. Er zeigte der Khan-Tochter das Geschmeide, und sie erzählte ihm, dass nicht einmal der Padischah so herrliche Steine besäße. Nachdem sie sich ein wenig gestärkt hatten, bestiegen sie ihre Pferde und ritten weiter. Endlich erreichten sie die Hauptstadt eines anderen Reichs. Hier waren die Tochter des Khans und Mamed-dshan endlich in Sicherheit. Die Khan-Tochter wählte eine schöne Kibitka mit einem Garten aus, vermählte sich mit Mamed-dshan und lebte mit ihm in Glück und Zufriedenheit.

Eines Tages sprach Mamed-dshan zu seinem Weib: »Ich will zum Padischah gehen und ihm das Geschmeide darbringen. Vielleicht nimmt er mich in seine Dienste.«

»Geh nicht zum Padischah.« Die Frau versuchte ihm sein Vorhaben auszureden. »Es wird dir nichts Gutes bringen.« Doch Mamed-dshan schlug ihre Warnungen in den Wind, legte das Geschmeide auf eine Platte und begab sich in den Palast. Dem Padischah gefiel das Geschenk ausnehmend gut, er wies Mamed-dshan den Ehrenplatz zu, schenkte ihm einen seidenen Chalat und ernannte ihn zu seinem Jessaul.

Eines Tages, als es heftig regnete, stieg Mamed-dshans Weib aufs Dach der Kibitka, um das Feuerloch zu verschließen. Just zu dieser Stunde saß der Padischah am Fenster und zählte, weil er nichts Besseres zu tun hatte, die Kibitkas seiner Untertanen. Als er Mamed-dshans Frau erblickte, war er von ihrer Schönheit so verblüfft, dass er vom Thron fiel. »Wesir!« rief er. »Wem gehört jene Kibitka dort?« Der Wesir entgegnete: »Jene Kibitka gehört Eurem Jessaul Mamed-dshan, und die schöne Frau, die auf dem Dache steht, ist sein Weib.«

»Bring' sie sofort her, sonst soll es dir schlecht ergehen!« befahl der Padischah. »Was werden Eure Untertanen dazu sagen?« Der Wesir war aufrichtig bestürzt. »Gebt Mamed-dshan irgendeinen schwierigen Auftrag, und wenn er ihn nicht auszuführen vermag, so Lasst ihm den Kopf abschlagen. Dann könnt Ihr sein Weib zu Euch nehmen.« Diese Worte des Wesirs erschienen dem Padischah vernünftig, und er befahl, Mamed-dshan zu rufen. Als Mamed-dshan vor ihn trat, sprach der Padischah: »Ich habe zwei Töchter. Sie können sich nicht einigen, welcher von ihnen das Geschmeide gehören soll, das du uns geschenkt hast. Bring uns also genau so ein zweites Geschmeide, sonst lasse ich dir den Kopf abschlagen.«

Tief betrübt kehrte Mamed-dshan heim. »Was ist dir zugestoßen?« fragte sein Weib. »Der Padischah hat mir aufgetragen, genau so ein zweites Geschmeide zu suchen wie das, das ich ihm zum Geschenk gemacht hatte. Erfülle ich seinen Auftrag nicht, so lässt er mir den Kopf abschlagen.«

»Was habe ich dir gesagt!« stieß die Frau aufgeregt hervor. »Auf dass deine Augen erblinden! Ich kenne die Gewohnheiten des Padischahs. Bin selbst die Tochter eines Khans! Doch nun bleibt uns nichts andres zu tun: Geh an jenen Ort zurück, wo du das Geschmeide gefunden hast, und suche nach einem zweiten!« Mamed-dshan sattelte sein Pferd und begab sich auf den Weg.

Als er die steinerne Schlucht erreichte, stieg er zum Bach hinab und sah, dass das Ufer mit blutroten Rubinen übersät war. Er füllte seine Satteltasche mit den Edelsteinen und wollte sich schon auf den Heimweg machen, als er miteins ein wunderschönes schlafendes Mägdelein auf einem Felsgestein sah. Aus einer Wunde an ihrer Hüfte rann Blut. Die Blutstropfen fielen vom Felsen und verwandelten sich in große Rubinsteine, die aufs Ufer des Baches rollten. Mamed-dshan kletterte auf den Felsen und sah, dass das Mädchen tot war. Da kam ein Wirbelwind auf, und Donner grollte. Mamed-dshan verbarg sich in einer Höhle und wartete ab, was weiter geschehen würde. Ein grauenerregender Dew erschien in der Schlucht. Er holte unter einem Stein ein Glasfläschchen hervor, berührte die Wunde der holden Jungfrau, und sie erwachte zum Leben. Der Dew bettete der Jungfrau seinen abscheulichen Kopf in den Schoß, und sie hub an, ihm den Bart zu kämmen. Der Dew schlief ein. Morgens erhob er sich, ließ das Mägdelein wieder in ihren totenähnlichen Schlaf versinken und zog auf die Jagd.

Mamed-dshan trat aus der Höhle, nahm das Glasfläschchen unter dem Stein hervor und berührte die Wunde des schönen Mädchens. Die Jungfrau erwachte alsbald zum Leben und rief, als sie Mamed-dshan gewahrte: »Höre, Jüngling, trabt ein Steppenesel diesen Weg entlang, bricht er sich den Huf, fliegt ein Vogel vorüber, bricht er sich die Schwingen! Wie bist du hierher geraten?« Mamed-dshan gab zur Antwort: »Ich musste einen Auftrag ausführen. Doch jetzt sage mir, holde Maid, wo liegt die Seele vom Dew gefangen?«

»Ich weiß es nicht«, erwiderte sie. »Dann will ich dich lehren, wie du dich vom Dew befreien kannst. Wenn er das nächste Mal kommt, so frage ihn: ›Sag mir, wo ruht deine Seele.‹ Der Dew wird es dir nicht sagen wollen, drum bettle ihn so lange, bis er spricht.« Mamed-dshan schob das Glasfläschchen wieder unter den Stein, und das Mädchen fiel wie tot auf den Felsen zurück. Der Jüngling versteckte sich in der Höhle und schlief alsbald ein.

Abends kam ein Wirbelwind auf, Donner grollte, und der Dew erschien in der Schlucht. Mit dem Fläschchen erweckte er das Mädchen zum Leben und gebot ihr: »Back mir Fladen! Ich habe heute eine Gazelle erlegt, da wollen wir uns ein schmackhaftes Nachtmahl bereiten.« Die holde Jungfrau rührte Teig an, buk Fladen, und der Dew briet die Gazelle über dem offenen Feuer. Als sie sich zum Nachtmahl niederließen, fragte die schöne Jungfrau: »Geliebter Dew, wo ist deine Seele verborgen?« Der Dew versetzte ihr einen Nasenstüber und knurrte: »Wozu willst du das wissen, dreistes Ding?« Das Mädchen wischte sich das Blut, das ihr aus der Nase rann, und begann weinend zu bitten: »Der Gedanke lässt mir keinen Frieden, dass deine Seele an einem unsicheren Ort verborgen ist. Wenn du nicht willst, dass ich meine letzte Ruhe verliere, so enthülle mir dein Geheimnis.«

Den Dew rührten die Worte der Maid, und er sprach: »Schön. Ich will dir mein Geheimnis anvertrauen. Brich einen heißen Fladen und bestreiche die Hälften mit Öl.« Das Mädchen tat, wie ihr geheißen, und der Dew hob den Stein an, auf dem er gesessen. Unter dem Stein kam eine Quelle zum Vorschein. Der Dew warf die mit Öl bestrichenen Fladenstücke hinein, und alsbald tauchte ein Fisch mit einem silbernen Ring im Maul auf. »In diesem Fisch ruht meine Seele«, sprach der Unhold und deckte die Quelle mit dem Stein zu. Mamed-dshan hatte aus der Höhle alles mit angesehen. Morgens, als der Unhold wie stets die schöne Jungfrau in totenähnlichen Schlaf versinken ließ und sich auf die Jagd begab, erweckte Mamed-dshan sie mit dem Fläschchen zum Leben und sprach: »Backe rasch Fladen!« Hastig mischte die holde Maid Fladenkrumen mit Öl, Mamed-dshan schob den Stein, auf dem der Dew zu sitzen pflegte, beiseite, und warf das Futter in die Quelle. Alsbald erschien der Fisch mit dem silbernen Ring im Maul. Mamed-dshan packte den Fisch am Ring. Im selben Augenblick erhob sich ein wilder Wirbelsturm, Donner grollte, und die Erde erbebte. Es war der Dew, der herbeigeeilt kam, um sich vor dem Tode zu retten. Mamed-dshan schlitzte flink mit seinem Messer den Leib des Fisches auf und ließ die Seele des Unholds frei, die also gleich in die Hölle fuhr. Der Dew, der die Höhle nicht mehr erreichte, stürzte mausetot zu Boden. Bis gegen Abend raste der Sturm. Schwarzer Nebel bedeckte den Himmel. Nachts, als das Unwetter sich legte, schwang sich Mamed-dshan aufs Pferd, knüpfte die Tasche mit den Rubinen an den Sattel, hieß die schöne Jungfrau hinter ihm aufsitzen, und sie begaben sich auf den Heimweg.

Daheim angekommen, sagte er zu seiner Frau: »Mag das schöne Mädchen bei uns wohnen, bis es Vater und Mutter wieder gefunden hat. Ich habe sie aus der Gewalt des bösen Dews befreit.« Dann reihte Mamed-dshan die mitgebrachten Rubine auf zu einem langen Geschmeide, begab sich in den Palast und überreichte dem Padischah seine Gabe. Der Padischah tat, als erfreuten ihn die Rubine zutiefst, und er entließ Mamed-dshan gnädig. Daheim traf Mamed-dshan ein altes Weib an, das seine Frau gerufen hatte, damit sie für die schöne Jungfrau ein Kleid nähe. Die Alte war von der Schönheit des Gastes so verwirrt, dass sie, als sie die Seide zuschnitt, sich mit der Schere am Finger verletzte. Als sie Mamed-dshans Kibitka verließ, lief sie geradewegs in den Palast. »Oh, Padischah«, rief sie aus, »möge dein Palast einstürzen! Früher hat Mamed-dshan ein schönes Eheweib besessen, jetzt hat er schon die zweite heimgeführt. Sie ist so schön, dass ich meinen Blick nicht von ihr abwenden konnte und mich in den Finger geschnitten habe!« Niedergeschlagen ließ der Padischah seinen Wesir rufen. »Was soll ich tun?« fragte er. »Ihr habt Mamed-dshan einen zu leichten Auftrag erteilt«, entgegnete der Wesir. »Tragt ihm auf, die Milch der Löwin herbeizuschaffen, um Eure selige Mutter von der Erkältung zu heilen.« Die Worte des Wesirs schienen dem Padischah vernünftig, und er ließ Mamed-dshan sogleich in den Palast holen. Als Mamed-dshan eintrat, sprach der Padischah: »Du bist der verwegenste meiner Jessaule. Dir allein will ich darum auftragen, die Milch der Löwin herbeizuschaffen. Ich gebe dir drei Tage Zeit. Bringst du die Milch nicht, so lasse ich dir den Kopf abschlagen.«

Betrübt kehrte Mamed-dshan heim. »Was ist dir geschehen?« fragte die gerettete schöne Maid. »Der Padischah hat mir einen Auftrag erteilt, den ich nicht zu erfüllen vermag«, erwiderte Mamed-dshan und erzählte seinem Weib und der geretteten Maid, dass der Padischah Milch von der Löwin gefordert habe. »Wenn es weiter nichts ist!« Die gerettete Maid lachte silberhell. »Dieser Befehl ist leicht zu erfüllen. Geh in die Wüste und suche den alten Löwen. Seit vielen Jahren schon quält ihn ein Dorn. Nimm eine Schmiedezange mit dir, ziehe ihm den Stachel aus der Tatze, aber lass ihn vordem schwören, dass er dich nicht zerreißen will.« Mamed-dshan machte sich also gleich auf den Weg und fand den vor Schmerzen brüllenden Löwen. »Großvater Leu!« rief Mamed-dshan. »Ich kann dir den Dorn aus der Tatze ziehen! Doch schwöre zuerst, dass du mir kein Leid antun willst.«

»Erlöse mich von meinen Leiden, guter Mensch«, entgegnete der Löwe. »Ich will alles für dich tun, worum du mich bittest! Ich schwöre es bei meinen Kindern, Enkeln und Urenkeln!« Mamed-dshan trat an den Löwen heran, untersuchte die Tatze und zog mit der Zange den spitzen Dorn heraus. Der Löwe heulte vor Schmerz, doch er zog seine Krallen ein. Als er die große Erleichterung verspürte, sagte er: »Ich will dir deine Hilfe vergelten, tapferer Jüngling. Sage mir, was du begehrst.«

»Ich brauche die Milch der Löwin«, entgegnete Mamed-dshan. »He, Löwinnen, eilet herbei!« brüllte der Löwe in den Wald. Gehorsam kamen die Löwinnen gelaufen. »Führt diesen Menschen aus dem Wald, auf dass ihm keiner ein Leid antue«, gebot der Löwe. »Folgt ihm in die Stadt, dort wird man euch melken.« Die Löwinnen stellten sich im Kreis um Mamed-dshan auf, rührten ihn aus dem Wald und geleiteten ihn in die Stadt.

Als die Torwächter Mamed-dshan in Begleitung der Löwinnen erblickten, erschraken sie und eilten in den Palast, um es dem Padischah zu melden. Der Padischah rief den Wesir und sprach: »Ich habe auf deinen Rat Mamed-dshan nach Löwenmilch ausgesandt, nun hat er die Löwinnen in die Stadt gebracht. Geh du ihnen entgegen und empfange sie!«

»Wer konnte ahnen, dass die Löwinnen ihn nicht zerreißen würden.« Der Wesir war ehrlich erstaunt. »Jetzt bleibt uns nichts andres zu tun. Ihr müsst hinausgehen und sagen, dass Eure Mutter bereits genesen ist und die Löwenmilch nicht mehr vonnöten ist.« Der Padischah trat Mamed-dshan am Stadttor entgegen und sprach: »Verwegener Jessaul, meine Mutter ist bereits genesen! Wir benötigen keine Löwenmilch mehr. Schicke die Löwinnen also in den Wald zurück!«

»Gut.« Mamed-dshan war es zufrieden. »Ich will sie heimschicken. Aber Lasst sie zuvor mit fettem Hammelfleisch füttern, sonst zerreißen sie am Ende dich und den Wesir.«

»Wie viele Hammel werden gebraucht?« fragte der Padischah. »Zehn Tiere.«

»He, Wesir«, befahl der Padischah, »treibe zehn Hammel aus deiner Herde herbei!«

»He, ihr Beis«, befahl der Wesir, »treibt zehn Hammel aus euren Herden herbei und streitet nicht lange! Sonst reiße ich selbst euch in Stücke!«

»He, ihr Barfüßler«, schrieen die Beis, »es lässt sich nicht ändern, treibt die Hammel herbei, aber wisset: Für jeden Hammel ziehen wir euch das Fell über die Ohren!« Als Mamed-dshan hörte, wie die Beis die Armen bedrohten, sagte er: »Padischah, die Löwinnen sind nicht hungrig und gehen in den Wald zurück.«

Der Padischah ging in den Palast und klagte dem Wesir: »Ich kann diesen Mamed-dshan nicht länger ertragen! Ich will seine schönen Frauen in meinen Besitz bekommen! Rate mir, wie ich ihn loswerden kann.«

»Schickt ihn nach dem Talisman aus, der einen Apfel zum Weinen und einen Granatapfel zum Lachen bringt«, entgegnete der Wesir. Dem Padischah gefiel der Rat seines Wesirs, er ließ Mamed-dshan rufen und befahl: »Verwegener Jessaul! Du bist verlässlich und gewandt und findest alles, wonach man dich ausschickt. Ich bin erkrankt, und nur der Talisman, der einen Apfel zum Weinen und einen Granatapfel zum Lachen bringt, vermag mich zu heilen. Wenn du ihn nicht in meinen Besitz bringst, so lass ich dir den Kopf abschlagen.« »So mag es denn geschehen«, erwiderte Mamed-dshan und ging betrübt heim.

Die schöne Jungfrau, die er vom Unhold Dew befreit hatte, sagte, als sie von seinen Sorgen erfuhr: »Sei nicht traurig, Mamed-dshan, es ist zwar nicht leicht, diesen Talisman zu erwerben, doch ich will dir helfen. Ihn besitzt eine grausame Peri. Bis zu ihrer Wohnstatt muss man ungefähr einhundert Jahre wandern. Wenn du aber alles machst, wie ich dir sage, dann wirst du rasch zu ihr gelangen. Wandere immer dem Sonnenaufgang entgegen, dann kommst du gegen Abend zu einem verfallenen Wachtturm. Dort übernachte. Sobald du an das Gartentor gelangst, in dem jene grausame Peri wohnt, gib der Beschließerin diesen Brief. Sie ist meine Schwester und wird dir sagen, was du machen musst.« Mamed-dshan dankte der Jungfrau, steckte den Brief in sein Gewand, nahm Abschied von dem schönen Mädchen und von seinem Weib und machte sich auf den Weg. Als es zu dunkeln begann, erreichte er den halbverfallenen Turm und bereitete sich das Nachtlager.

Um Mitternacht weckte ihn Pferdegetrappel. Ein Reiter auf einem Apfelschimmel kam zum Turm geritten. »Reiche mir die Hand, Mamed-dshan, und schließe die Augen!« sprach der Reiter. Mamed-dshan tat, wie ihm geheißen. Der Reiter ließ ihn hinter sich auf sein Pferd aufsitzen, und sie erhoben sich in die Lüfte. »Nun öffne die Augen!« gebot der Reiter. Mamed-dshan schlug die Augen auf. Da war der Reiter verschwunden, Mamed-dshan aber stand vor dem Tor eines sonnenüberfluteten Gartens. Als er sich noch umschaute, stürzte ein Mädchen mit gezücktem Schwert auf ihn. Es war die Beschließerin der grausamen Peri. Mamed-dshan reichte ihr rasch den Brief. Die Beschließerin las den Brief, wiegte traurig ihr Haupt und sprach: »Warum hat sich meine Schwester so eines stolzen Reckens nicht erbarmt, sondern ihn in den sicheren Tod gejagt!« Nach diesen Worten führte sie Mamed-dshan ins schloss. Als sie eines der Gemächer betraten, sagte das Mädchen: »Bleib hier, aber iß nicht, trinke nicht, rühre nichts an und warte. Ich will nachsinnen, wie wir in den Besitz des Talismans gelangen.«

Gegen Abend kehrte die grausame Peri heim. Die Dienerinnen bereiteten das Nachtmahl und schüttelten der Peri die Kissen auf. Jene entließ ihre Dienerinnen, rührte keinen Bissen an, legte sich zur Ruhe und schlief ein.

Mamed-dshan aber irrte, von argem Hunger geplagt, durchs schloss, denn er hoffte, wenigstens einen harten Fladen zu finden. Als er durch eine lange Zimmerflucht gewandert war, stand er unvermittelt im Schlafgemach der grausamen Peri und erblickte die leckeren Platten auf dem Teppich. Ohne lange zu überlegen, leerte Mamed-dshan alle Teller und kehrte gesättigt in sein Gemach zurück.

Nachts erwachte die grausame Peri und beschloss zu essen. Sie rief ihre Dienerinnen, doch als jene die Leuchter entzündeten, sah die Peri, dass alle Teller leer waren. Die Peri verprügelte die Mägde und schrie: »Ach, ihr nichtsnutzigen Mädchen, wer hat euch erlaubt, mir mein Nachtmahl zu nehmen! Reicht euch euer eigenes Essen nicht aus?!« Die Mädchen schworen, dass sie auf den Tellern nichts angerührt hätten und dass sie nicht wüssten, wer so eine Freveltat begehen könnte. Die grausame Peri beschloss, selbst den Dieb zu fangen. In der folgenden Nacht schnitt sie sich in den Finger, bestreute die Wunde mit Pfeffer und Salz, damit der Schmerz sie nicht einschlafen ließe, und streckte sich abermals auf ihrer Liegestatt aus. Sie tat, als sei sie eingeschlafen, löschte aber die Kerze nicht.

Als der hungrige Mamed-dshan in ihr Schlafgemach trat und sich an die Speisen setzte, sprang die grausame Peri auf und zückte das Schwert. »Du also stiehlst mir mein Nachtmahl!« rief sie im Zorn. Doch alsbald entbrannte sie in heißer Liebe zu dem stattlichen Jüngling und verstummte. »Wie bist du hierher geraten, schöner Mann«, fragte sie sanft, »und was suchst du in meinem Haus?«

»Ich bin nach dem Talisman gekommen«, entgegnete Mamed-dshan. »Ich brauche den Talisman, der einen Apfel zum Weinen und einen Granatapfel zum Lachen bringt.«

»Schön«, sprach die grausame Peri und schob das Schwert in die Scheide. »Ich will dir den Talisman geben, aber zuvor musst du mich küssen.« Mamed-dshan dachte: Sie gibt den Talisman billig her. Er trat zu der grausamen Peri und küsste sie auf die Lippen.

Abermals fragte die Peri: »Warum also bist du in mein Haus gedrungen?« Erwiderte Mamed-dshan: »Um auf ewige Zeiten bei dir zu bleiben.«

»Sei's drum«, sprach die grausame Peri, »heute Abend noch will ich zum Hochzeitsfest rüsten.« Ihre Zauberkraft überwältigte Mamed-dshan, und er willigte ein, sich mit ihr zu vermählen. Als die Beschließerin davon erfuhr, kam sie zu Mamed-dshan und sagte: »Sei heute Abend, wenn du an der Hochzeitstafel sitzt, finster und schwermütig. Wenn die grausame Peri dich auszufragen beginnt, so gib ihr keinen Bescheid, bis sie sagt: ›Ich schwöre beim Propheten Sulejman, dass ich all deine Wünsche erfülle!‹ Alsdann sag: ›Ich will den versprochenen Talisman in den Händen halten.‹ Dann wirst du sehen, was geschieht.«

Abends wurde Mamed-dshan in seidene Gewänder gehüllt und zum Hochzeitsgelage geführt. Er nahm neben der grausamen Peri Platz, die in Samt und Seide gekleidet war, und senkte traurig den Kopf. Die grausame Peri konnte sich nicht enthalten, zu sagen: »lass mich nicht traurig werden auf unserem Hochzeitsfest! Ich schwöre dir, will auch all deine Wünsche erfüllen!«

»Ich möchte den versprochenen Talisman in den Händen halten!« sagte Mamed-dshan, und der grausamen Peri blieb nichts übrig, sie musste befehlen, den Talisman, der alle menschlichen Leiden heilt und jeden Zauberbann bricht, zu bringen. Die Dienerinnen brachten den Talisman. Da huben die Äpfel, die auf einer goldenen Platte lagen, zu weinen an, und die Granatäpfel begannen zu lachen. Die grausame Peri reichte Mamed-dshan den Talisman und sprach: »Nun aber wollen wir dem Wein zusprechen und uns bei mancherlei Kurzweil ergötzen, Liebster!«

Doch kaum lag der Talisman in Mamed-dshans Hand, da hörte die Zauberkraft der grausamen Peri auf zu wirken. »Schöne Peri«, sprach er darum, »was ich brauche, halte ich bereits in der Hand. Jetzt will ich nach Hause zurück.« Wutbebend gebot die grausame Peri, alles Geschirr zu zerschlagen und die weinenden Äpfel zusammen mit den lachenden Granatäpfeln fortzuwerfen. »Mag es nach deinem Willen geschehen, oh, Mensch«, sprach sie, als ihr Befehl ausgeführt war. »Ich will keinen Bräutigam, den ich nur mit Gewalt halten kann.« Die grausame Peri rief die Beschließerin und trug ihr auf, Mamed-dshan zum Tor zu geleiten. »Möge dieser Sterbliche einhundert Jahre nach Hause wandeln!« sprach sie voll Zorn.

Als Mamed-dshan durchs Gartentor getreten war, sagte die Beschließerin: »Sei nicht betrübt, Mamed-dshan, der Reiter, der dich hierher gebracht, wird dich auch nach Hause tragen. Wisse, meine Schwester, die du aus der Gewalt des Unholds Dew befreit hast, und ich, sind gütige Feen. Wir werden dir immer in der Not beistehen.« Sie reichte ihm eine Strähne ihres Haars und sprach zum Abschied: »Wenn du in Gefahr gerätst, so verbrenne ein paar meiner Haare, alsbald verwandle ich mich in eine Taube und komme zu dir geflogen.« Miteins stand der Reiter mit verhülltem Antlitz vor dem Jüngling, nahm Mamed-dshan bei der Hand, und setzte ihn hinter sich auf sein Ross. »Schließe die Augen, Mamed-dshan«, gebot er ihm. Dann stiegen sie auf in die Lüfte und jagten die Sternenstraße entlang. »Nun öffne die Augen«, sprach der seltsame Reitersmann. Mamed-dshan schlug die Augen auf und stand vor dem Palast des Padischahs.

Um diese Zeit saß der Padischah im Garten und ergötzte sich am Duft der blühenden Apfelbäume. Kaum betrat Mamed-dshan mit dem Talisman in der Hand den Garten, da fielen die Blütenblätter von den Apfelbäumen ab, und die Granatapfelbäume erblühten. »Möget Ihr von allen Leiden genesen!« Untertänig grüßte Mamed-dshan den Padischah. »Ich habe den Talisman gebracht.« Das Gesicht des Padischahs verzog sich zu einer säuerlichen Grimasse, als habe er in einen unreifen Apfel gebissen. Doch dann zwang er sich zu einem freundlichen Lächeln und sprach: »Ruhm dir, Jessaul Mamed-dshan, für deine Gewandtheit und deinen Mut!« Im Stillen aber sann der Padischah schon über einen neuen Auftrag nach, den Mamed-dshan um nichts auf der Welt erfüllen könnte. Endlich sagte er: »Errichte mir über Nacht einen Palast mit vier Toren. Hinter dem Nordtor soll der Winter mich grüßen, hinter dem Südtor der Sommer, hinter dem Osttor der Frühling und hinter dem Westtor der Herbst. Gelingt es dir nicht, so einen Palast zu erbauen, lasse ich dir den Kopf abschlagen.« Doch nun, da Mamed-dshan die Haarsträhne der gütigen Peri besaß, fürchtete er nicht mehr die Drohungen des Padischahs. »Schön«, erwiderte er. »Morgen in aller Frühe soll der Palast vollendet sein. Verbietet nur allen, an dem Ort, wo der Palast entsteht, Tauben zu schießen.« Der Padischah tat, wie Mamed-dshan ihn gebeten hatte.

Jener aber ging an den Ort, wo der Palast stehen sollte, und zündete ein paar Härchen aus der Strähne der gütigen Peri an. Alsbald näherte sich am Himmel ein Riesenschwarm Tauben. Eine von ihnen ließ sich auf Mameds Schulter nieder und fragte: »Weshalb hast du mich gerufen?« Mamed-dshan erkannte die gütige Beschließerin an der Stimme und erzählte ihr von der neuen Laune des Padischahs. »Wenn es nichts weiter ist«, sprach die gütige Peri gelassen, »geh nach Hause und komm morgen früh hierher zurück, dann wird der Palast vollendet sein.« Alsbald gebot sie dem Taubenschwarm, einen Palast zu errichten.

Morgens ging Mamed-dshan zum Padischah und meldete: »Der Palast steht bereit. Ihr könnt nun wohl umsiedeln.« misstrauisch betrachteten der Padischah und sein Wesir Mamed-dshan. Dann traten sie hinaus und erblickten einen Palast von solcher Schönheit, wie sie niemals zuvor ein Bauwerk geschaut. Von allen vier Seiten umgab den Palast ein Garten, und in jede Mauer war ein Tor geschlagen. Innen war der Palast noch herrlicher anzusehen, als selbst der Padischah sich vorzustellen vermochte. Deshalb zog er unverzüglich mit all seinen Frauen und Kindern ein.

Anderntags rief der Padischah seinen Wesir und sprach: »Was bist du mir für ein Wesir, wenn du mir keinen nützlichen Rat zu geben vermagst. Sprich endlich, was muss ich tun, um Mamed-dshan aus der Welt zu schaffen?« Lange versank der Wesir in tiefes Sinnen und sagte endlich: »Ein einziges Mittel ist uns noch geblieben.«

»Was für eines? Sprich schneller!«

»Sendet ihn aus ins Jenseits, damit er in Erfahrung bringe, wie es Euren seligen Eltern ergeht. Von dort kehrt er ganz gewiss nimmermehr zurück.« Dem Padischah gefielen des Wesirs Worte, und er ließ Mamed-dshan rufen. »Verwegener Jessaul Mamed-dshan«, sprach der Padischah, »bislang hast du alles, was ich dir aufgetragen habe, pünktlich und gewissenhaft ausgeführt. Als Lohn für deine treuen Dienste habe ich dem Schatzmeister befohlen, dir eine silberne Tanga zu zahlen. Nun aber begib dich ins Jenseits, um mir Nachricht von meinen Eltern zu bringen. Sollte es dir nicht gelingen, lass ich dir in drei Tagen den Kopf abschlagen.«

Dieser Wunsch des Padischahs erschien Mamed-dshan unerfüllbar, und er ging tief betrübt heim. Doch die errettete Peri tröstete Mamed-dshan. »Kehre in den Palast zurück«, riet sie ihm, »und bitte den Padischah, zehn Kamelballen Holz zusammentragen zu lassen. Alsdann steige auf den Scheiterhaufen und lass ihn anzünden. Dabei verbrenne ein paar Härchen aus der Strähne, die dir meine Schwester gab. Du wirst sehen, was dann geschieht.« Mamed-dshan ging unverzüglich in den Palast und bat, einen Scheiterhaufen aus zehn Kamelballen zu errichten. »Allein der Rauch des Scheiterhaufens vermag mich ins Jenseits zu tragen«, erläuterte er dem Padischah. »Anderntags aber, pünktlich um die Mittagszeit, lass die Asche auseinanderfegen, um mir zu helfen, aus dem Jenseits zurückzukehren.« Der Padischah befahl, Holz aufzustapeln und ein Feuer zu entfachen.

Sehr viele Menschen fanden sich ein. Mamed-dshan stieg auf den Scheiterhaufen. Als die Flammen hochschlugen und die Rauchschwaden ihn einhüllten, verbrannte er ein paar Härchen aus der Strähne der gütigen Peri. Da kreiste auch schon über seinem Haupt eine weiße Taube. Die gütige Peri war herbei geflogen. »Mamed-dshan«, sprach sie, »erschrick nicht, was jetzt auch immer mit dir geschehen mag.« Sie verwandelte ihn in einen Strohhalm, packte ihn mit dem Schnabel und trug ihn aus dem Feuer. Die gütige Peri brachte den Strohhalm in Mamed-dshans Haus und verlieh ihm seine Menschengestalt zurück. Die Schwester der gütigen Peri schrieb einen Brief an den Padischah, unterzeichnete ihn mit dem Namenszug seines seligen Vaters und drückte ein großes Siegel auf das Schreiben.

Nachts schob Mamed-dshan den Brief in den Gürtel, schlich auf den Platz und wühlte sich in der Asche des Scheiterhaufens ein. Gegen Mittag erschien der Padischah mit seinem Wesir auf dem Stadtplatz. Eine große Menschenmenge fand sich ein. Der Padischah gebot, die Asche beiseite zu fegen. Er wollte dem Volk Mamed-dshans verkohlte Knochen vorweisen, auf das ihn später keiner beschuldigen könnte, die Frauen seines Untertanen geehelicht zu haben. Doch kaum war die Asche beiseite gefegt, da sprang heil und unversehrt Mamed-dshan auf. Alle Versammelten rissen die Mäuler vor Verblüffung auf, Mamed-dshan aber trat vor den Padischah, verneigte sich tief und sprach: »Ich habe Euren seligen Vater und den seligen Vater Eures Wesirs im Jenseits gesehen. Beide erfreuen sich bester Gesundheit und lassen Euch grüßen. Euer Vater hat einen Brief verfasst und mir aufgetragen, Euch zu sagen, dass Ihr Euch eilen möget, selbst vor ihn zu treten.« Mit diesen Worten reichte Mamed-dshan dem Padischah das Schreiben. Der Padischah erbrach das Siegel und las. »Mein Augenlicht, mein innigst geliebter Sohn! Es geht mir nicht schlecht. Ich herrsche jetzt über die Toten, wie ich seinerzeit über die Lebenden geherrscht habe. Der Vater Deines Wesirs dient mir, wie sein Sohn nur Dir treue Dienste leistet, und erteilt mir kluge und nützliche Ratschläge. Komm zu mir, mein Sohn, ich sehne mich nach Dir, vor allem aber werde ich alt und weiß nicht, ob ich noch lange allein im Totenreich zu herrschen vermag. Eile also zu mir, mein Sohn, und nimm Deinen Wesir mit Dir.«

Der Padischah hätte gar zu gern seinen seligen Vater besucht. »He, Wesir«, sagte er, »lass einen Scheiterhaufen anzünden, wir wollen uns ins Jenseits aufmachen zu unseren Vätern. Wollen ihnen einen Besuch abstatten und erfahren, was für Pilaw man speist im Jenseits. Dann aber kehren wir auf die Erde zurück.« Antwortete der Wesir: »Ich habe hier noch viel zu bestellen, mein Vater aber kann warten. Möge er Satanas selbst als Wesir dienen, wenn er nur nicht hierher zurückkehrt. Wenn Ihr aber große Lust verspüret, Euch ins Jenseits zu begeben, so vollbringet es ohne mich.«

»Wenn du mir noch lange widersprichst, so lasse ich dir den Kopf abschlagen!« Der Padischah schäumte vor Wut. »Wie willst du dann im Jenseits Pilaw verzehren und gute Ratschläge geben? Fahre also gleich mit mir in den Himmel!« Dem Wesir blieb nichts, er musste sich dem Willen des Padischahs beugen. »Mamed-dshan«, fragte er, »hat es wehgetan, als dich die Flammen berührten?«

»Nein«, entgegnete Mamed-dshan, »die Flamme hat mich nicht ergriffen, sie hat mich mit dem Rauch emporgehoben und ins Jenseits getragen. lass nur recht viel Holz aufschichten und rundum Reisig legen, damit sich viel Rauch bildet.« Der Padischah konnte es kaum erwarten, bis Holz und Reisig aufgestapelt waren. Als alles bereit war, kletterte er gemeinsam mit dem Wesir auf den Scheiterhaufen und gebot, das Feuer zu entzünden.

Das Feuer flammte auf, und die Flammen ergriffen vor den Augen der Menge den Padischah und seinen Wesir. Sie brachen in lautes Schreien aus. »Ach, das halte ich nicht aus!« schrie der Padischah. »Ach, der Rauch hebt uns nicht an«, kreischte der Wesir. »Habt Geduld«, tröstete sie Mamed-dshan. »Eure Körper sind schwer von der Sünde! Der Rauch wird gleich dichter werden und euch in die Lüfte tragen!« So verbrannten der Padischah und der Wesir im Feuer. Als der Scheiterhaufen heruntergebrannt war, fegte Mamed-dshan die Asche beiseite und zeigte dem Volk die verkohlten Knochen. Das Volk brach in laute Jubelrufe aus und dankte Mamed-dshan von Herzen, weil er es vom bösen Padischah und dessen Wesir befreit hatte.