[swahili, "Geschichte, Legende"]

Ketschal und der goldene Ring

Es war einmal ein bettelarmer Mann, genannt Ketschal. Im Lesginischen bedeutet dieser Name nicht nur Glatzkopf, sondern auch arm wie ein Bettler. Ketschal hatte eine uralte Mutter. Auch sie besaß im Leben nie irdische, geschweige himmlische Güter. Ihre ganze Habe in der ärmlichen Sakija bestand aus einem gesprungenen Steintopf. Haustiere besaßen sie auch nicht, lediglich einen Hund und eine Katze, die genauso hungrig und dürr waren wie die alte Frau und ihr Sohn. Eines Tages sah Ketschal, wie die Kinder auf der Straße um eine kleine Schlange herumstanden und sie mit Steinen bewarfen. Die Schlange versuchte im Schatten des Grases zu verschwinden, doch sie fand nirgendwo einen Spalt. Ketschal fühlte Mitleid mit dem Tier, nahm es mit sich nach Hause und bettete es in den gesprungenen Topf auf ein Stück weiches feuchtes Fell. Wenn sie auch sonst nichts besaßen, ein Stück Fell fand sich selbst in diesem Haus. Die Katze brachte Gräser, um der Schlange die Wunden zu heilen, und der Hund leckte sie rein. Nur die alte Mutter brabbelte: »Hast da die Schlange in den Topf gebettet, und jetzt haben wir nichts, worin wir unsere Suppe kochen können.«

»Reg dich nicht auf, Mutter!« suchte Ketschal die Alte zu beruhigen. »Wir haben sowieso bald nichts mehr zum Kochen.« Als sie so miteinander sprachen, lugte die Schlange über den Topfrand und sagte plötzlich auf lesginisch: »Liebster Ketschal, lass mich zurück zu meiner Mutter, dann werdet ihr stets eure Suppe haben und noch etwas Schmackhaftes dazu.«

Ketschal lachte. »Du kleine dumme Schlange, draußen gerätst du wieder den Menschenkindern in die Hände. Denen entfliehst du nicht zwischen den Steinen.« Doch die kleine Schlange bat so inständig, sie heim zu lassen, dass Ketschal sie schließlich in seine Papacha legte und in die Berge trug. Selbstverständlich begleiteten ihn seine treuen Freunde: der Hund und die Katze. Die kleine Schlange riet Ketschal: »Pass auf! Wenn meine Mutter dir zum Dank deine Papacha voll Gold anbietet, so schlage das aus! Bitte sie lieber darum, dass sie sich deine Zähne ansieht!« Ketschal lachte. »Dort findet sie wahrhaftig nichts. Seit gestern Abend habe ich keinen Bissen mehr zu mir genommen.«

»Bitte sie trotzdem darum!« Die kleine Schlange beharrte auf ihrem Vorschlag. »Sie wird dich lehren, durch einen goldenen Ring zu spucken.« Kaum hatte sie das ausgesprochen, tauchte hinter einem Felsen eine Schlange auf. Ketschal glaubte zuerst, es sei ein Ochse, so riesengroß war sie. Die Schlange zischte wütend, doch als sie die kleine Schlange gewahrte, freute sie sich und wusste nicht, wie sie dem Menschen danken sollte. Ketschal wollte ihr schon seine Papacha hinstrecken, da fiel ihm der Rat der kleinen Schlange ein. »Nein, lehre mich lieber, durch einen goldenen Ring zu spucken«, sagte er. Die Augen der Schlange waren grün und kalt, und Ketschal durchfuhr es, dass er nicht einmal bemerkte, wie er plötzlich einen goldenen Ring im Munde hielt. Die Schlange schob ihm den Ring zurecht und verschwand spurlos.

Ketschal stand verlassen vor dem einsamen Felsen mit seiner leeren Papacha, mit dem Hund und der Katze, die genauso hungrig waren wie er selbst, und dachte traurig: »Wenn ich jetzt Gold hätte, könnten wir es uns ein Jahr gut sein lassen!« Vor Verdruss spuckte er aus. Es tat ihm nun doch leid, dass er auf die Papacha voll Gold verzichtet hatte. Kaum aber hatte er ausgespuckt, da wuchsen drei wuchtige Eichenstämme aus der Erde, verneigten sich tief vor Ketschal und sprachen: »Gebiete uns, Effendi! Wir sind deine Diener. Was wünschst du?« Das geschah so unerwartet, dass Ketschals Hund den Schwanz einzog, der Katze sich das Fell sträubte und Ketschal zurückprallte und zaghaft bat: »Wenn ihr... uns nicht verletzen wolltet! Etwas anderes möchte ich nicht.«

»Zu Befehl, Effendi«, erwiderten die Stämme. Sie verneigten sich noch einmal ehrerbietig vor Ketschal, gingen vorsichtig um ihn herum und waren genauso plötzlich verschwunden, wie sie erschienen waren. Daheim hatte die Mutter für Ketschal Brennnesselsuppe bereitet. Die Suppe dampfte zwar, sättigte jedoch nicht. Die Brennnesseln schmeckten bitter, und Ketschal spuckte aus. Kaum hatte er das getan, standen an der Schwelle drei riesige Eichenstämme. Es nahm nur wunder, wie sie Platz fanden in der kleinen Stube. »Gebiete uns, Effendi«, sprachen die Stämme. »Wir sind deine Diener. Was wünschst du?« Diesmal verlor Ketschal nicht die Fassung, wies mit einer Kopfbewegung auf den Topf mit der Brennnesselsuppe und sagte bitter: »Was ich wünsche? Etwas Besseres als Brennnesseln.« Kaum haue er die Worte ausgesprochen, brutzelten im Topf appetitlich goldbraun geröstete Fleischhappen in fettem körnigem Reis. Auch Wein und Scherbet standen auf dem Tisch. Kurz, es wurde ein Festmahl, wie es sich Ketschal und seine alte Mutter nicht einmal in ihren kühnsten Träumen hätten wünschen können.

So vergingen viele Tage. Einmal zog an dem Aul, in dem Ketschal wohnte, die Karawane eines Padischah vorüber, des mächtigsten aller Padischahs der Erde. Ketschal erblickte die Tochter des Gebieters. Sie war von so himmlischer Schönheit, dass der Jüngling glaubte, ihretwegen sogar auf Essen und Trinken verzichten zu können. Ketschal sagte zu seiner Mutter: »Mutter, ich bitte dich, geh in den Palast und wirb für mich um die Tochter des Padischah.«

»Mach dich nicht vor aller Welt lächerlich!« ermahnte ihn die Mutter. »Wo hat man je gesehen, dass eine Fürstentochter einen bettelarmen Mann geheiratet hätte?«

»Ich spucke drauf, dass sie eine Fürstentochter ist!« rief Ketschal wütend. Kaum waren ihm die Worte von den Lippen gekommen, standen schon die drei Eichenstämme vor ihm. »Gebiete uns, Effendi!« Ketschal lachte. »Gut, ich will euch gebieten! Bringt meine Mutter in den Palast! Dort soll sie für mich um die Tochter des Padischahs werben.« Die Stämme wurden kürzer und dünner, verwandelten sich in eine Trage und brachten Ketschals Mutter in den Palast.

Der Padischah saß auf seinem goldenen Thron, umgeben von Ratgebern und Wesiren, als sich ihm die alte Frau demütig zu Füßen warf. Sie wagte kaum auszusprechen, warum ihr Sohn sie in den Palast gesandt hatte. Den Padischah erzürnte denn auch die Bitte, und halbtot vor Angst kam die alte Frau nach Hause. Kein einziges Wort konnte sie ihrem Sohn von der Unterredung mit dem Padischah wiedergeben.

Die Laune des Padischahs besserte sich unterdessen, und er sprach zu seinen Ratgebern: »Eigentlich könnte ich meine Tochter tatsächlich verheiraten. Fragt diesen Ketschal, wie er seine Frau zu ernähren gedenkt.« Alle lachten. Als Ketschal die Worte des Padischahs überbracht wurden, spuckte er nur aus. »Was gebietest du, Effendi?« riefen die drei Eichenstämme diensteifrig. Ketschal befahl ihnen, eine Schafherde heran zu treiben, so groß, dass er mit ihr das ganze Reich ernähren könnte. Der Mutter aber trug er auf, die Herde zum Padischah zu bringen. Die eingeschüchterte alte Frau wollte zunächst nichts von diesem Ansinnen hören. Da wurden die drei Stämme wiederum klein und dünn, verwandelten sich in eine Trage, brachten Ketschals Mutter in den Palast und verschwanden. Die Schafe drängten sich von allen Seiten um den Palast des Gebieters, und Ketschals Mutter warf sich ihm zu Füßen. »Mit diesen Schafen wird mein Sohn deine Tochter ernähren.« Der Padischah merkte, dass er zu seinem Wort stehen musste, und sprach: »Schön, dein Ketschal kann seine Frau ernähren. Was aber werden sie trinken?« Und er lachte, zufrieden über seinen Einfall. Die Höflinge lachten ebenfalls, doch als Ketschal die Worte des Padischahs hörte, spuckte er wiederum nur aus. »Was gebietest du, Effendi?« Die drei Stämme verneigten sich tief. Ketschal gebot ihnen, eine Karawane von Kamelen herbeizuschaffen, die so reich mit Satteltaschen voll köstlichen Weins beladen waren, dass es für ein ganzes Fürstentum ausreichen würde.

Wieder stand Ketschals Mutter mit der Karawane vor dem Palast des Padischahs. Jener erblasste vor Schreck, dass er nun seine Tochter mit Ketschal vermählen musste. Doch seine Ratgeber und Wesire kamen ihm zur Hilfe. »Die jungen Leute haben zwar zu essen und zu trinken, aber wo werden sie wohnen?« fragten die Wesire. Der Padischah nickte erfreut. »Ja, wirklich, wo werden sie wohnen? Alte, sag deinem Ketschal, dass ich morgen noch zur Hochzeit rüsten will, nur soll er bis zum Morgengrauen neben meinem Palast seinen eigenen errichten.« Seine Worte erheiterten den Padischah unerhört, doch Ketschals Mutter wurde tieftraurig. Als Ketschal die Worte des Padischahs vernahm, spuckte er aus. Schon waren die drei Eichenstämme zur Stelle. »Was gebietest du, Effendi?«

»Morgen früh soll neben dem Palast des Padischahs ein schloss stehen, wie es bislang kein schöneres gab auf der Welt. Die Ziegelsteine sollen abwechselnd glasiert und vergoldet sein und die Fenster heller glänzen als alle Edelsteine.« Was Menschenkräfte übersteigt, das ist für Eichenstämme im Handumdrehen getan. Morgens stand neben dem Palast des Padischahs ein schloss, so strahlend schön, dass es in der ganzen Stadt leuchtend hell wurde. Vom frühen Morgengrauen bis spät in den Abend bestaunten die Einwohner mit sperrangelweit aufgerissenen Mäulern die unsägliche Schönheit. Dem Padischah aber wurde ganz schwindlig, war er doch gewohnt, alles von oben herab zu betrachten. Um Ketschals Palast zu bewundern, musste er zum ersten Mal in seinem Leben den Kopf in den Nacken legen und sich den Hals verrenken. Die ganze Geschichte missfiel ihm natürlich, aber er hatte keine Wahl, er musste seine Tochter mit Ketschal vermählen.

Sieben Tage und sieben Nächte wurde im neuen Palast eine so prächtige Hochzeit gefeiert, dass die Satteltaschen zusehends schrumpften und die Schafherde um die Hälfte schmolz.

Die Tochter des Padischahs musste nun dem einfachen Ketschal zu Willen sein. Als der Augenblick günstig war, flüsterte ihr die bösartige und neidische Frau des Padischahs zu: »Finde heraus, wie Ketschal zu seinem Reichtum und zu seiner Macht gekommen ist!« Als die Tochter des Padischahs das erste Mal ihren Mann in der Nacht fragte, lachte er. In der zweiten Nacht schlug er ihr mit den Fingern auf die Lippen, dass sie bluteten. Als die Frau jedoch in der dritten Nacht dieselbe Frage stellte, spuckte Ketschal verärgert aus. Im selben Moment besann er sich, doch es war zu spät: Die Tochter des Padischahs hatte seine Diener gesehen. Als die heimtückische Frau des Padischahs am nächsten Morgen von den wundersamen Eichenstämmen hörte, erriet sie sofort das Geheimnis. Kaum konnte sie den Einbruch der Nacht erwarten. Sobald Ketschal eingeschlafen war, befahl sie der Tochter: »Rasch, schau ihm in den Mund.« Die Tochter zog den Ring heraus. Die Frau des Padischahs hätte ihn um ein Haar verschluckt, so war sie darauf versessen, die magische Kraft des Ringes zu erproben. Sie hatte ihn sich aber so ungeschickt in den Mund geschoben, dass sie nicht spucken konnte, sondern ihren Speichel nur tropfenweise verspritzte. Deshalb erschienen vor ihr nicht drei kräftige Eichenstämme, sondern nur drei Reiserbesen. Sie verneigten sich vor der Frau: »Gebiete uns, wir sind deine Diener.« Die Frau des Padischahs befahl, Ketschal aufzuheben und fortzuschaffen, über sieben Meere und durch sieben Länder.

Die Reiserbesen hoben Ketschal auf und trugen den Schlafenden zwar in Windeseile fort. Doch wie können Reiserbesen ausführen, was nur echte Eichenstämme zu bewältigen vermögen? Sie schleppten Ketschal lediglich über ein einziges Meer und ließen ihn dort am Strand liegen. Wie jagte die Frau des Padischahs die unglückseligen Reiserbesen nun durchs schloss! Bringt dies, holt das! So kommandierte sie nicht einmal ihren Mann!

Von wem nur können wir erfahren, wie es inzwischen Ketschal erging? Natürlich, von seinen treuen Freunden: dem Hund und der Katze. Sie spürten, dass ihrem Herrn Gefahr drohte, doch sie konnten ihm nicht zur Hilfe eilen: Die garstige Frau des Padischahs hatte sie eingesperrt. In der dritten Nacht erblickte die hungrige Katze in einem Winkel eine Maus und fing sie. »Liebe Katze, töte mich nicht, ich will dir auch sagen, wo sich dein Herr aufhält«, wisperte die Maus. Hund und Katze erfuhren also, was mit Ketschal passiert war. Und von ihnen erfuhren wiederum wir die Geschichte.

Ketschal erwachte noch vor Morgengrauen am Meeresstrand. Er lag auf dem feuchten Sand und konnte nicht begreifen, was mit ihm passiert war. Als er sich seiner Helfer erinnerte, spuckte er aus, doch keiner erschien. Da merkte er, dass man ihm den Ring gestohlen haue. So ging er hilflos und verlassen am Meeresstrand entlang und wunderte sich, warum die Sonne plötzlich auf der entgegen gesetzten Seite aufging. Er wanderte, bis er Fischern begegnete, und blieb bei ihnen. Wir aber wollen zurück zum Hund, zur Katze und deren neuen Freundin, dem Mäuschen.

Der Hund meinte: »Ihr Mäuse kriecht doch in jedes Loch. Könntest du nicht mit deinem Schwänzlein den Ring aus dem Mund der Padischah-Frau ziehen?« Das Mäuslein ließ sich nicht zweimal bitten, und als die Frau des Padischahs eingeschlafen war, entwendete es ihr den Ring und gab ihn dem Hund. Der lief schnurstracks zum Meeresstrand und stürzte sich in die Wellen. Die Katze hatte Angst, nass zu werden, und so setzte sie sich dem Hund auf den Rücken. Das Mäuslein aber blieb daheim. Die Tiere schwammen einen Tag und eine Nacht, und am darauf folgenden Morgen, als die Sonne aufging, waren sie nicht mehr weit vom anderen Ufer entfernt. Die Katze, die vom Rücken des Hundes aus alles besser überblicken konnte, sah als erste ihren Herrn und sagte zum Hund: »Gib lieber mir den Ring! Du bist so aufgeregt. Am Ende lässt du ihn noch ins Wasser fallen.« Der Hund merkte, dass die Katze sich bei ihrem Herrn einschmeicheln wollte, und knurrte nur böse. Darauf krallte sich die Katze ängstlich im Fell des Hundes fest. Der ließ den Ring vor Schmerz fallen. Die Katze konnte jedoch nicht so schnell zufassen, und so fiel der Ring ins Wasser. Gut, dass gerade ein Fisch vorbeischwamm und den Ring verschluckte. Er dachte nämlich, das sei ein Wurm. Noch besser, dass sich der Fisch gleich danach in einem ausgelegten Netz verfing. All das geschah unmittelbar am Strand, wo Ketschal stand. Die Katze fürchtete sich zum ersten Mal im Leben nicht vor dem Wasser und sprang ins Netz. Sie packte den Fisch und brachte ihn im Maul ihrem Herrn. Ketschal verstand seine Tiere ohne Worte und fand schnell den Ring. »Gebiete uns, Effendi!« Sowie Ketschal ausgespuckt hatte, standen die drei Eichenstämme vor ihm. »Wir sind dir zu Diensten.«

Ketschal wünschte sich mit seinen Freunden in den Palast zurück, und bevor er den Wunsch aussprechen konnte, waren sie schon an Ort und Stelle. Die Tochter des Padischahs verging fast vor Staunen, als sie die drei Ankömmlinge erblickte. Ihre Mutter aber ließ Ketschal nicht mehr in seinen Palast.

So vergingen die Tage. Dann geschah es, dass die Tochter des Padischahs neugierig wurde und die Zauberkraft des Ringes selbst zu erproben beschloss. Behutsam nahm sie eines Nachts ihrem Mann den Ring aus dem Mund, doch als die Diener erschienen, wusste sie ihnen nichts Rechtes zu befehlen. Sie beabsichtigte zu sagen, fortan wolle sie dasselbe tun, was Ketschal bislang konnte, während Ketschal in Zukunft das machen solle, was sie bislang nicht konnte. Stattdessen sagte sie: »Schafft Ketschal irgendwohin, und alles soll umgekehrt sein.« Nun trieb sie in einem fort ihre Kurzweil. »Diener, schafft das Fenster dorthin, wo früher die Tür war, und das Dach dorthin, wo zuvor die Treppe war.« Es begann ein solches Durcheinander im schloss, dass Ketschals Frau bald selber nicht mehr zurechtkam mit dem, was sie angerichtet hatte. Die Eichenstämme hatten ihre Befehle aber rasch satt und hörten auf, ihr zu gehorchen.

Ketschal indes erwachte und merkte, dass er sich in einem Land befand, wo alles umgekehrt war. Die Apfelbäume im Garten wuchsen beispielsweise nicht mit den Stämmen aus der Erde, sondern mit der Krone. Ketschal kostete einen Apfel und stand nach dem ersten Bissen auf dem Kopf, während seine Füße in den Himmel ragten. Wie er sich auch anstrengen mochte, er kam nicht mehr auf die Beine. Ketschal balancierte also wie ein Akrobat auf den Händen in einen anderen Garten, als er unvermittelt fürchterlichen Hunger verspürte. Mag kommen, was will, dachte er bei sich und schlug mit dem Fuß einen Apfel vom Zweig. Kaum hatte er einen Bissen getan, da stand er wieder auf beiden Beinen. Das sind mir vielleicht Wunderäpfel, dachte Ketschal und war hocherfreut über seine Entdeckung. Er flocht zwei Körbe, füllte sie mit den Äpfeln »Kehr-dich-um« aus beiden Gärten und suchte den Heimweg.

Ob er lange wanderte oder nicht, jedenfalls erblickte er endlich die ihm vertrauten heimatlichen Gefilde. Nun kehrte er aber nicht in seinen Palast zurück, von dem alle sagten, dass dort ein großes Durcheinander herrsche, sondern er ging in seinen Aul zu seiner alten gebrechlichen Mutter und suchte möglichst keinem unter die Augen zu kommen. Diese Vorsicht war allerdings überflüssig: Ketschal hatte sich in der Zwischenzeit so verändert, dass ihn kaum einer wieder erkannt hätte.

Eines Tages, als wieder einmal eine Karawane des Padischahs an Ketschals Aul vorbeizog, nahm er einen Korb mit den Äpfeln »Kehr-dich-um« und setzte sich an den Wegesrand. Die habgierige Frau des Padischahs kaufte sofort alle Äpfel auf. Am nächsten Morgen stand im Palast des Padischahs alles auf dem Kopf. Die edlen Frauen konnten nicht mehr auf Menschenart gehen. Das wirkte so unsittlich, dass der Padischah seine Boten in alle Welt aussandte und demjenigen die Hälfte seiner Reichtümer versprach, der zumindest seine Frau und seine Tochter wieder auf die Beine stellen würde. Keinem gelang das natürlich. Endlich begab sich Ketschal in den Palast. »Großer Padischah und ihr, Wesire und Ratgeber!« sprach er. »Wenn ihr eure Frauen und Töchter in derselben Haltung sehen wollt, wie ihr sie einnehmt, so esst einen Apfel!« Und einladend hob er ihnen seinen Korb entgegen. Alle stürzten sich über die Äpfel her und erblickten in der Tat ihre Frauen in der Haltung, die sie einnahmen, denn nun standen auch sie auf dem Kopf. Im Palast des Padischahs brach so ein Geheul los, wie es Ketschal zeit seines Lebens nicht gehört hatte. Alle tappten ungeschickt auf den Händen zu ihm, doch er lief, so rasch ihn seine Füße trugen, in die Frauengemächer, fand seine Frau, die sich ebenfalls wie ein Affe kopfüber fortbewegte, und schlug sie so kräftig gegen das Schienbein, dass sie den Mund aufriss, um vor Schmerz zu schreien. In diesem Augenblick sprang der Ring heraus, und Ketschal fing ihn auf. Ihn dauerten jedoch die Menschen, die wie Hunde jaulten. So reichte er jedem einen Apfel »Kehr-dich-um« aus dem zweiten Korb, und alle standen wieder aufrecht.

Kaum aber fühlte der Padischah Boden unter den Füßen, als er auch schon nach seinen Bediensteten brüllte. »Packt diesen Ketschal und schlagt ihm den Kopf ab! Wenn er heute in meinem Palast das Unterste zuoberst kehrt, so macht er morgen dasselbe mit meinem ganzen Reich!« Geschwind wollte die Frau des Padischahs Ketschal den Mund mit ihrer Hand verschließen, doch der hatte schon ausgespuckt, und vor dem verblüfften Padischah und seinen Leuten wuchsen drei riesige Eichenstämme aus dem Boden. »Gebiete uns, Ketschal, wir sind deine Diener!« Mit diesen Worten verneigten sie sich tief vor ihrem Herrn. »Nehmt euch all diese Leute!« gebot Ketschal. Kaum hatte er die Worte ausgesprochen, wurden der Padischah, seine böse Frau, seine Tochter, die Wesire, Ratgeber und Bediensteten zu ganz gewöhnlichen Ästen an ganz gewöhnlichen Baumstämmen. Denn im Grunde waren sie zeit ihres Lebens nur nutzlose Auswüchse am Stamm des Volkes gewesen. Seither haben die Baumstämme, die Ketschal so treu gedient hatten, ihre Wunderkraft eingebüßt. Soviel er auch spucken mochte, sie verneigten sich nicht mehr vor ihm. Auch der goldene Ring blieb verschwunden. Ketschal nahm sich das nicht weiter zu Herzen. Aus den Eichenstämmen baute er am Berghang eine feste Hürde für die Schafe, deckte sie mit Rasenstücken ab, suchte sich gute Freunde und pfiff auf alle Padischahs der Welt.