[swahili, "Geschichte, Legende"]

Jarty-gulak und die Derwische

Vom frühen Morgen an brannte die Sonne erbarmungslos auf die Erde. Die Vögel waren zu den Brunnen geflogen. Selbst die Eidechsen hielten sich unter den Steinen versteckt. Die Daichane aber konnten sich nirgendwohin flüchten. Vom Morgengrauen bis tief in die Nacht mussten sie sich auf ihrem kargen Ackerboden mühen, der von der Sonnenglut geborsten war.

Den lieben langen Tag hatte Jarty mit seinem Vater das Baumwollfeld gegossen und war nun sehr müde, denn das war kein leichtes Tagewerk. Nicht von ungefähr heißt es im Volksmund: Willst du den Faulpelz erkennen, schicke ihn auf den Acker zum Gießen! Sie werkten bis in den späten Abend. Als die Sonne schon den Rand der Erde berührte, sagte der Alte: »Für heute haben wir genug gearbeitet, Jungchen. Wollen jetzt nach Hause gehen und uns am frischen Tee laben.« Jarty wusch seine Hände im Aryk, schulterte seinen Ketmen und folgte dem Vater. Der Vater stimmte ein Liedchen an, und Jarty fiel ein: »Weißer als der Schnee auf den Gletschern
Leuchtet die Baumwolle auf den Feldern.
Leichter als flaumiges Taubengefieder
Ist das Gewicht der Baumwolle alle Jahre wieder.
Baumwolle kleidet uns,
Baumwolle nähret uns.
Allen sei Dank gesagt,
Die uns die Baumwolle dargebracht.«
Das Lied war beendet, und auch der Weg ging zu Ende. Vater und Sohn waren daheim. Die Mutter kam ihnen grüßend entgegen: »Setzt euch rasch, das Nachtmahl steht schon bereit.« Der alte Mann und Jarty breiteten im Hof die Koschma aus, deckten ein weißes Tuch darüber und warteten, dass die alte Frau den Kürbisbrei auftrüge. Doch an diesem Tag hatte die Mutter nicht Kürbisbrei, sondern schmackhaften Pilaw zubereitet. Lächelnd stellte sie vor dem Hausherrn die volle Schale mit Reis hin, der mit gebratenen Hammelfleischstückchen garniert war, und sagte freundlich: »Wer gut gewerkt hat, soll auch belohnt werden. Ihr habt heute viel gearbeitet und euch ein gutes Abendessen verdient. Drum habe ich heute bei der Nachbarin ein Knäuel Wolle gegen ein Stück fettes Hammelfleisch eingetauscht und einen ganzen Topf voll Pilaw gekocht.«

Jarty und der Vater lachten zufrieden, krempelten die Ärmel hoch, rieben die Fladen mit Knoblauch ein und wollten gerade den ersten Bissen gelblichen glasigen Reis zum Munde führen, als ein kläglicher Ruf hinter dem Duwal ertönte: »In Allahs Namen, tut eure Pforte auf und Lasst arme Pilger ein. Wir müssen sonst Hungers sterben an eurer Schwelle.« Natürlich erhob sich die alte Frau, tat das Hoftor weit auf und sagte, wie es der Brauch will: »Tretet ein, gute Menschen. Noch niemals hat ein Hungriger ohne ein Stück Brot unser Haus verlassen.« Die Pilger traten ein. Es waren zwei dicke Derwische. Sie trugen zerschlissene, fleckige, in der Mitte mit Stricken gegürtete Chalate. Die Derwische verneigten sich vor den Hausherrn, murmelten ein paar Gebete, setzten sich, ohne die Einladung abzuwarten, recht nahe an die Schüssel mit Pilaw und leerten sie im Handumdrehen.

Der alte Mann betrachtete den Berg Knochen, der von dem leckeren Nachtmahl geblieben war, und seufzte still. Doch ein Sprichwort sagt: Gib dem Gast den letzten Schluck Tee. So knüpfte der Hausherr einen kleinen ledernen Beutel vom Gürtel, in dem er seinen begehrten grünen Tee zu verwahren pflegte, der Gast genießt das Recht auf Ruhe und Achtung. Als die Gäste sich gesättigt und ihren Durst gestillt hatten, richteten Jartys Eltern ihnen in der Kibitka das Nachtlager auf ihren eigenen Matten und legten sich vor Kälte zitternd im Hof unter der Arba zur Ruhe. Morgens gingen der alte Mann und Jarty abermals ihrem Tagewerk auf dem Baumwollfeld nach, die alte Frau aber wusch den Gästen die Hemden und die fleckigen Chalate. Das wiederholte sich auch am zweiten und am dritten Tag: Jarty und seine Eltern werkten vom Morgengrauen bis zum Sonnenuntergang, die zwei dicken Derwische aber aßen, tranken, schliefen und taten nichts. Als die alte Frau ihr schweres Los beklagte, trösteten sie sie sanft: »Sei nicht traurig, gute Frau, Allah wird auch dir Glück und Wohlstand schenken.« Sie setzten sich mitten im Hof auf den Teppich, huben zu singen an und wiegten sich im Rhythmus der Melodie. Das wiederholte sich auch am vierten und am fünften Tag.

Endlich sagte Jarty zu seiner Mutter: »Edshe-dshan, weshalb jagst du die Tagediebe nicht vom Hof? Sollen wir noch lange für sie arbeiten und selber hungern?«

»Hüte deine Zunge, Jungchen«, mahnte die Alte flüsternd. »Wie könnte man Gäste des Hauses verweisen, noch dazu, wenn es Derwische sind! Das würde der Mullah uns nie verzeihen, es sind heilige Leute.«

Die Heiligen futterten sich indes heraus, wurden noch dicker und rotwangiger und sprachen am fünften Tag zu ihren Gastgebern: »Freuet euch, ihr Gläubigen! Heute haben wir die Nacht über gebetet und Allahs Willen erfahren: Er hat uns aufgetragen, für immer bei euch zu bleiben. Deshalb wird euer Haus fortan gesegnet sein. Jeden Morgen und jeden Abend wollen wir für eure Gesundheit Gebete aus dem Koran lesen!« So richteten sich die Derwische im Elternhaus von Jarty-gulak ein. Die alte Frau schwieg. Der alte Mann seufzte schwer und flüsterte seinem kleinen Sohn zu: »Was können wir machen, mein Junge? Das ist nun einmal das Los des Daichans: Was ihm der Khan nicht nimmt, nimmt ihm der Bei. Was ihm der Bei nicht nimmt, erpressen Allahs heilige Diener. So haben schon unsere Väter und Großväter gelebt. Und Mutter und ich leben ebenso.« Jarty war dem Weinen nahe, so dauerte ihn der alte Vater. Wenn die Derwische bis zum Winter bei uns bleiben, sterben Vater und Mutter vor Hunger, oder sie erfrieren im eiskalten Wind, dachte der kleine Knirps und beschloss, was immer es auch kosten mochte, die ungebetenen Gäste aus dem Elternhaus zu vertreiben. Nur wusste er noch nicht recht, wie er das anstellen sollte. Lange überlegte Jarty. Er überlegte auf dem Feld, wenn er die Baumwollstauden unter der glühenden Sonne anhäufelte, er überlegte daheim, wenn er dem Vater half, den Maulesel und das Kamel zu tränken, er überlegte nachts und hatte endlich einen Plan gefasst.

In einer dunklen, mondlosen Nacht, als die Derwische voll gegessen in der warmen Kibitka schnarchten, kroch Jarty unter der Arba hervor und schlich sich leise zu den Schlafenden. Die »Heiligen« schliefen so fest, dass sie nichts hörten. Jarty nahm eine Schnur und band die langen Bärte der Bettelmönche zusammen. »Wartet nur, ihr Faulpelze!« Der Knabe drohte ihnen mit seiner kleinen Faust. »Ich werde euch lehren, fremdes Brot zu essen!« Also sprach Jarty und begann einen der Derwische mit einem langen Grashalm an der Nase zu kitzeln. Der dicke Derwisch nieste, drehte sich auf die andere Seite und schnarchte weiter. Da schlich Jarty zum zweiten Derwisch. Der zweite Derwisch wehrte den Grashalm im Schlaf wie eine aufdringliche Fliege ab, doch Jarty kitzelte ihn so lange, bis er erwachte. Der Derwisch öffnete die Augen, setzte sich auf und gähnte. Dann warf er die warme Decke beiseite und wollte hinausgehen, um zu sehen, ob es noch nicht Zeit zum Frühstücken sei. Doch kaum war er aufgestanden, da spürte er, dass ihn jemand an seinem Bart festhielt. Das ärgerte ihn, und er schrie seinen Gefährten an: »He, altes Kamel, lass mich los! Weshalb hältst du mich am Bart fest?«

Der Kumpan erwachte und sprang ebenfalls auf. Im selben Moment griff er sich an den Bart und schrie vor Schmerz: »Unglückseliger! Du hast mir den halben Bart ausgerissen, dabei schaukelt auf jedem Härchen ein Engelchen!«

»Verruchter!« schrie der erste Derwisch. »Nicht ich bin schuld, du hast mir meinen Bart ausgerissen! Das sollst du mir büßen!« Mit diesen Worten versetzte er dem Gefährten einen so kräftigen Hieb in die Seite, dass beide auf die Bettdecke stürzten. Sie wälzten sich auf dem Boden und prügelten aus Leibeskräften aufeinander ein.

Von dem Lärm aufgeschreckt, eilte der alte Mann herbei. In der Dunkelheit sah er nicht, was vor sich ging, und dachte, Räuber seien in die Kibitka eingedrungen und über die ehrenwerten Gäste hergefallen. Drum griff er zu einem Stecken und begann auf die breiten Rücken der Kämpfenden einzuschlagen. Jarty stand selbstverständlich nicht tatenlos beiseite. Er sprang auf den Duwal und brüllte, so laut er konnte: »He, Nachbarn! Zu Hilfe! Räuber haben unser Haus überfallen und ermorden die heiligen Gäste! Wenn ihr nicht zu Hilfe eilt, wird Allah es euch nicht verzeihen!« Er weckte den ganzen Aul. Die Kamele schrieen, die Maulesel trompeteten, die Hunde erhoben ein wütendes Gebell. Von allen Seiten strömten die Nachbarn herbei, bewaffnet, wie es gerade kam: der eine mit einem Ketmen, der zweite mit einem Stock, der dritte gar mit einem Gewehr. Die Derwische waren längst aus der Kibitka gestürzt und setzten die Prügelei im Hofe fort. Die Daichane des Auls warfen sich einträchtig auf die Kämpfenden und verprügelten sie dermaßen, dass die Derwische trotz ihrer Leibesfülle vom Hof rannten wie gejagt und Hals über Kopf in die Wüste flüchteten. Die Aulhunde verfolgten sie mit wütendem Gebell und packten die Flüchtigen bei den bloßen Fersen.

An diesem Tag sättigten sich Vater, Mutter und Jarty-gulak endlich am schmackhaften Pilaw, und als die Nacht anbrach, gingen sie in die Kibitka, um zu schlafen. Jarty fragte den Vater: »Ata-dshan, meinst du nicht, dass fortan alle Derwische einen großen Bogen um unser Haus machen werden?« Antwortete der Vater: »Mögen uns deine Worte zum Guten geraten. Ein guter Dshin hat sich erbarmt und uns von dieser Plage befreit.« Jarty-gulak gähnte zufrieden, kuschelte sich in die warme Decke und flüsterte dem Vater munter zu: »Du hast recht. Ata. Heute wird dein guter Geist auf seiner eigenen Koschma in seiner eigenen Kibitka schlafen.« Also antwortete Jarty und fiel in tiefen Schlaf. Die Mutter betrachtete den schlafenden Sohn und schüttelte den Kopf, der Alte aber lachte von Herzen.