[swahili, "Geschichte, Legende"]

Glück und Verstand

In einem großen Walde begegneten sich einmal zwei Männer, der eine ging gegen Sonnenaufgang, der andere gegen Sonnenuntergang. Sie kamen ins Gespräch. »Guten Tag, Vetter!« sagt der eine. »Bleib gesund«, sagte der andere, »woher und wohin?« - »Ich komme aus der Welt,
Und tue, was allen gefällt,
Und ich gehe in die Welt,
Um zu tun, was allen gefällt«,
sagte der erste von den beiden, sich aufblähend. »Wer aber bist du, wohin gehst du, und woher kommst du?«

»Ich«, antwortete der Andere, »bin der Verstand, ich wandere durch diese verdrehte Welt, um wieder gut zu machen, was das verwünschte Glück verdorben hat.«

»Wie kannst du so reden, ich bin doch das Glück!«

»Das dachte ich mir gleich, dass du es bist, weil du so hochmütig bist.«

»Warum soll ich nicht hochmütig sein?« fragte das Glück. »Wie sollte ich nicht stolz und selbstbewusst sein? Schaffe ich nicht alles, was gut ist in dieser Welt? Die großen Reichtümer, wer gibt sie den Menschen? Nicht das Glück? Die schönen Frauen, wer gibt sie den Männern? Nicht das Glück? Ehren und Würden, wer verleiht sie? Nicht das Glück? Wenn all dieses das Glück schafft, muss ich da nicht stolz sein, dass ich das Glück bin?«

»So, so«, sprach der Verstand und schüttelte den Kopf, »du machst irgendeinen Nichtsnutz reich, der dann eine Menge Menschen unterjocht und peinigt, bis ich zu ihm komme und ihm ein wenig ins Gewissen rede; aber durch seinen Reichtum blind geworden, hört er mich meistens gar nicht mehr an. Du erhebst irgendeinen blutdürstigen Tiger zur Macht und machst noch ähnliches sinnloses Zeug, und dann behauptest du, dass du die Welt glücklich machst? Wehe der Welt, wenn sie nur deinen Händen überlassen wäre! Wenn ich nicht immer in deinen Spuren ginge, dann würden alle Menschen, die deine Hand berührt hat, toll werden oder den Verstand verlieren. Ich allein halte noch den einen oder den anderen am Zügel. Aber abgesehen davon, darfst du dir nicht einbilden, dass du ohne mich auch nur einen reich oder gar glücklich machen könntest.«

»Nicht?«

»Nein!«

»Komm, wir wollen eine Wette abschließen!«

»Ich bin es einverstanden!«

Sie machten sich beide auf den Weg, bis sie an den Waldesrand kamen. Dort stießen sie auf einen Mann, der dürres Holz sammelte, um es zum Feuer zu tragen. »Lass mich mit diesem Manne sprechen«, sagte das Glück hochmütig. »Gern«, sagte der Verstand, »besprich dich mit ihm, so lange es dir gefällt.« Das Glück sprach den Mann an: »Was suchst du hier, Mann?«

»Ich bin gekommen, Freund, um etwas dürres Holz zum Feuermachen zu holen.«

»Wo ist dein. Wagen? Womit willst du das Holz nach Hause führen?«

»Ich bin ein armer Mann, ich habe weder einen Wagen noch auch nur den Schwanz von einem Vieh im. Stall. Ich werde das Holz auf dem Rücken tragen.«

»Hm«, sagte das Glück, »und ist es dir nicht zu schwer, so auf dem Rücken von hier bis nach Hause?«

»Die Armut macht es leichter.«

»Mann, sieh, hier hast du einen Beutel mit Geld, geh nach Hause und kauf dir Wagen und Ochsen, Kühe und Ziegen, damit du in deinem Hause etwas zu essen hast und das Holz nicht mehr auf dem Rücken zu schleppen brauchst.« »Gott erhalte dich«, sagte der arme Mann, steckte den Beutel in den Hemdsärmel und ging fröhlich den Abhang hinunter ins Tal.

Als er in der Nähe des Dorfes war, stieß er auf einige Zigeuner, die in einem kleinen Teiche fischten. Anstatt nun seinen Weg fortzusetzen, stieg er in den Teich und fing mit den Zigeunern Fische. Als er aber mit ein paar Fischchen nach Hause ging, hatte er keinen Beutel mehr; denn er hatte ihn im Teich verloren und nicht mehr wieder gefunden. »Warum kommst du so spät aus dem Wald, hast du wenigstens Holz gebracht?« Der Mann erzählte seiner Frau den ganzen Vorfall: wie er im Wald den beiden Männern begegnet sei, wie der eine ihm einen Beutel mit Geld gegeben habe, wie er auf dem Heimweg die Zigeuner gesehen habe, wie sie im Teich am Dorfrand Fische fingen, und wie er den Geldbeutel vergessen und sich mit den Zigeunern ans Fischen gemacht, den Beutel aber im Teich verloren habe.

Als das Weib dies alles hörte, wäre sie fast zersprungen vor Ärger, und sie fuhr ihn an: »Du Narr, du elender Kerl, konntest du, wenn du schon einen Geldbeutel bekommen hattest, nicht nach Hause kommen, damit wir uns Zugvieh und Essen für die Kinder kaufen könnten?« - So zankte sie und schalt ihn, dass man hätte meinen mögen, sie würden sich in alle Ewigkeit nicht mehr versöhnen.

Am nächsten Tag ging der Mann wieder in den Wald. Auch das Glück und der Verstand waren dort. Als das Glück den Mann sah, wie er nur mit der Axt in den Wald ging, erzürnte es sich so sehr, dass man fürchten musste, es würde ihn vernichten, sobald er ihm in die Nähe kommen würde. Der Verstand aber redete ihm zu: »Bezähme deine Wut, Glück, versuch lieber noch einmal dein Glück mit ihm; denn, glaube mir, er ist unschuldig.«

»Wieso kommst du wieder nur mit der Axt in den Wald? Wo sind deine Ochsen und der Wagen? Was hast du mit dem Geld getan, das du gestern erhalten hast? Hast du es in der Schenke vertrunken? Was? Antworte!« sagte das Glück empört. »Verzeih mir, Alter«, sagte der arme Mann, »als ich mit dem Geldbeutel im Hemdsärmel nach Hause ging, kam ich an den Teich neben dem Dorfe. Dort fischten einige Taugenichtse von Zigeunern und zogen so prächtige Fische heraus, dass man immer hätte essen mögen. Hungrig, wie ich war, kam auch mich die Lust an, mir ein Fischchen zu fangen, um es, wenn ich zu Hause wäre, auf Kohlen zu braten. Was ich da getan habe, was nicht - genug: ich habe den Geldbeutel verloren. Deshalb komme ich wieder, um auf dem Rücken dürres Holz nach Hause zu tragen.«

»Nimm«, sagte das Glück, »ich gebe dir noch einen Geldbeutel, geh und kauf dir Ochsen und Wagen, damit ich dich nicht mehr das Holz auf dem Rücken tragen sehe. Aber sieh zu, dass du das Geld nicht wieder verlierst.«

Der Mann bedankte sich beim Glück und ging mit dem Geld im Hemdsärmel ins Dorf zurück. Dort schlugen sich vor dem Wirtshaus zwei betrunkene Männer. Anstatt seines Weges zu gehen, trat er zwischen sie, um sie zu besänftigen und zu versöhnen. Da warfen sich beide Trunkenbolde auf ihn und schlugen zu, bis sie ihm seine Kleider ganz zerrissen hatten und prügelten ihn windelweich. Mit knapper Not konnte er entwischen und lief nun, wie aus der Pistole geschossen, geradeswegs nach Hause, aber den Geldbeutel hatte er nicht mehr; damit war's auch diesmal aus.

Als sein Weib ihn so zerschlagen und zerfetzt erblickte, nahm sie ihn her: »So, anstatt in den Wald zu gehen und Holz zu holen, anstatt zu versuchen, ob du nicht wieder den guten Mann von gestern triffst, damit er sich wieder deiner erbarme treibst du dich in den Wirtshäusern herum und prügelst dich mit den Betrunkenen, du elender Kerl, du Tölpel, du Dummkopf...«

»Schweig, Frau, ich komme doch aus dem Wald, ich habe wieder einen Beutel mit Geld bekommen, aber als ich nach Hause kam, fand ich den Vetter Culitza und den Gevatter Pachon, wie sie sich vor dem Wirtshaus stritten, ich wollte sie trennen, sie aber, betrunken wie sie waren, schlugen mich und zerfetzten mir das Hemd, und woher soll ich wissen, wo ich dann, als ich heimwärts floh, den Geldbeutel verloren habe.«

Wenn man Fett aufs Feuer geschüttet hätte, so wäre es nicht so stark aufgeflammt, wie jetzt die Frau entflammte, als sie diese Worte hörte.

Am nächsten Morgen ging unser Mann wieder in den Wald, natürlich nur mit der Axt auf der Schulter. Bevor er das Haus verließ, schärfte ihm die Frau ein, wie er sich verhalten solle, wenn er dem guten Manne begegnen sollte, wie er ihn um Verzeihung bitten und - wenn er ihm wieder etwas geben würde - schnurstracks nach Hause kommen solle. Als das Glück sah, wie er eich dem Walde näherte, immer noch nur mit der Axt auf der Schulter, nur noch abgefetzter als an den vergangenen Tagen und ganz zerkratzt, da wollte es aus der Haut fahren. »Ich könnte ihn auf den Kopf schlagen, ich könnte ihn umbringen«, sagte das Glück zum Verstand, »noch niemals hat jemand so viel Ärger über mich gebracht wie dieser Halunke.«

»Beruhige dich«, sprach der Verstand, »er ist nicht schuld, sondern ich. Bevor ich ihn nicht an die Hand nehme, kannst du ihm allen Reichtum dieser Welt, geben, und er wird trotzdem keinen Nutzen davon haben. Wenn du nun meine Macht kennen lernen willst, gibt ihm jetzt eine Summe Geldes, und sei sie auch noch so klein, und du wirst sehen, was für einen Gewinn er davon haben wird, wenn ich ihm zu Hilfe komme.«

Das Glück aber konnte es sich nicht versagen, den armen Mann auszuschelten, schließlich gab es ihm wieder einen Beutel mit Geld und sagte ihm: »Ich gebe dir noch einmal Geld, kaufe dir jetzt wenigstens auch einen Strick dafür, mich kümmert es nicht. Denn jetzt habe ich dir dreimal soviel geschenkt, dass du, wenn du ein wenig Kopf gehabt hättest, dich wie ein Graf hättest ausstatten können.«

»Siehst du, so geht das«, sagte der Verstand, »mit dem ›Kopf haben‹. Hast du denn niemals das Sprichwort gehört: Kopf wär' da, doch kein Verstand,
Da hat der Teufel im Spiel die Hand!«
Und der Verstand berührte unsern Mann nur mit einem Finger und sogleich wurde er verständig, küsste den beiden Greisen die Hände und bedankte sich für die Geschenke. Dann ging er ruhig nach Hause wie vernünftige Menschen.

Als er zu Hause angekommen war, zeigte er seiner Frau den Beutel voll Geld, gab ihr daraus, damit sie Lebensmittel kaufe, nahm selbst von dem Geld abgezählte dreihundert und steckte sie in seinen Bauchgurt, um auf den Markt zu gehen und Wagen, Ochsen und eine Milchkuh zu kaufen; das übrige Geld gab er seiner Frau, damit sie es zu unterst in die Truhe lege. Nachdem sie gemeinsam gegessen hatten und er die besten Kleider, die er besaß, angezogen hatte, brach er auf, um auf dem Markt die Ochsen, die Milchkuh und den Wagen zu kaufen. Bevor er sich aufmachte, belehrte ihn seine Frau, wie er alles heimbringen solle: »Gib acht!« sagte die Frau, »kaufe ein Joch und Seile für den Wagen. Die Ochsen musst du ins Joch spannen und die Kuh musst du hinten an die Schoßleiter binden, du selbst musst dich vorn auf das Gesparr setzen und die Ochsen langsam antreiben, damit sie nicht ermüden, nur von Zeit zu Zeit musst du rufen: Ho, Bourean! Tscha, Surila! und manchmal musst du hinter den Wagen nach der Kuh sehen. Das Kalb musst du mit einem langen Seil am Halse anbinden und das andere Seilende musst du um den Hals der Kuh wickeln. Gib gut Acht, so machen es die Hauswirte.«

Der Mann hörte zu, dann bekreuzigte er sich dreimal, sprach ein Helf-Gott! und machte sieh auf den Weg. Nach drei Tagen aber fuhr er ins Dorf ein, auf dem Gesparr eines neuen Wagens sitzend und immerzu: Ho, Bourean, tscha, Surila! rufend. An die Schoßleiter des Wagens war eine Kuh gebunden und an deren Hals ein Kalb von neun Wochen. Er kam also genau so zurück, wie es ihm seine Frau geraten hatte. Wie tat es der Frau wohl, dass er ihr gehorcht hatte!

Die Leute im Dorf aber wunderten sich, woher er, ein armer Teufel, auf einmal soviel Geld hatte. Sie ärgerten sich sogar und sagten: »Seit sich das Glück zu ihm gesellt hat, scheint er auch gescheiter geworden zu sein.« Das Dorf war voll der Neuigkeit, dass er eine Menge teuren Geldes besitze. Daher ging jeder, der etwas Schönes zu verkaufen hatte, nur zu ihm. Er aber war ein vernünftiger Mann und kaufte nicht alle Nichtigkeiten, sondern nur das, was er unbedingt brauchte.

Eines Tages war er auf dem Acker mit seinen Ochsen und dem Pfluge, sein größter Knabe von etwa sechs Jahren trieb die vorgespannten Ochsen an. Es war gerade an einem Mittwoch in der Fastenzeit, ich seh es noch heute vor mir, da kamen zu seiner Frau zwei Zigeuner mit einem Fisch, so groß wie ein dreijähriges Kind. »Kauf uns diesen Fisch ab, Herrin, denn er ist sehr gut Wir können es nicht übers Herz bringen, ihn zu essen. Gib uns dafür, was du uns geben willst, und verspeise ihn in Gesundheit.« Die Frau kaufte den Fisch und weidete ihn aus, um ihn zuzubereiten. Als sie ihn aufschlitzte, fiel: hupf! ein Geldbeutel aus dem Bauche des Fisches. »Das war kein teurer Fisch«, sagte die Frau und. steckte den Beutel fort.

Kaum war eine gute Stunde vergangen, da kam zu ihr ein betrunkenes Weib mit einem Zwerchsack voll Kleie: »Du, Mariuca, gib mir zwei Groschen für diese Kleie, gib es den Ferkeln oder der Kuh, und die alte Tudora kann sich dafür das Herz mit einem Tropfen Branntwein stärken.« Die Frau, nur um die trunksüchtige Tudora loszuwerden, gab ihr zwei Groschen für die Kleie und leerte sie in den Trog für die Schweine. Da fiel auch aus der Kleie: hupf! ein Beutel mit Geld heraus.

Als der Mann nach Hause kam, erzählte ihm die Frau die ganze Begebenheit, er aber antwortete: »Diese Geldbeutel haben mir gehört, und jetzt gehören sie wieder mir, denn so war es bestimmt. Den, der aus dem Fisch heraus fiel, habe ich im Teich beim Fischen verloren, der Fisch hat ihn verschluckt, der Zigeuner hat den Fisch gefangen, aber Gott hat den Zigeuner getrieben, mit dem Fisch zu uns zu kommen und dich, den Fisch zu kaufen. Der andere Beutel hat nur auf folgende Weise in die Kleie gelangen können: Als ich damals versuchte, dort vor dem Wirtshaus die beiden Säufer voneinander zu trennen, zerrissen sie mir das Hemd, und ich verlor den Beutel; die trunksüchtige Tudora stieg gerade mit dem Sack voll Kleie auf dem Rücken die Treppen herunter, sie fand den Beutel und versteckte ihn in der Kleie. Weil sie betrunken war, vergaß sie es; jetzt, da sie nichts mehr zu trinken hatte, verkaufte sie dir den Beutel mit der Kleie um zwei Groschen. Ein billiges Mehl. Aber der Geldbeutel hat mir gehört, und zu mir ist er wieder zurückgekommen. Danken wir Gott für die Gaben, deren er uns würdig befunden hat.«

In kurzer Zeit hatten sie mehr Grundbesitz erworben als ein Graf; denn sie hatten die Beutel aufgebunden und kauften und kauften immerzu. Die Leute aber sagten: »Diesen Mann, das sieht man, hat das Glück auf die Weide geführt.« Die Frauen aber, die ja immer siebenmal gescheiter sind, fügten hinzu: »Das Glück und der Verstand wollen mit aller Gewalt aus ihm einen Herrn machen.« Und sie hatten Recht damit.

Wer diese Geschichte weiter weiß, möge sie weiter erzählen, ich hindere ihn nicht daran. Ich habe nur soviel gehört, als ich euch erzählt habe.