[swahili, "Geschichte, Legende"]

Märchen aus tausend und einer Nacht Geschichte des dritten Kalenders

Der dritte Kalender sprach hierauf: Gebieterin! meine Geschichte ist nicht wie die der andern, sondern viel wunderbarer und befremdender; aber sie enthält auch die Ursache meines ausgestochenen Auges und abgeschorenen Bartes. Denn während meine Freunde vom Schicksal und der Bestimmung überfallen wurden, habe ich mir selbst ein trauriges Geschick bereitet. Mein Vater war nämlich ein mächtiger, angesehener König, und nach seinem Tode erbte ich sein Reich. Unsere Stadt war sehr groß, das Meer dehnte sich neben ihr aus und es waren in der Nähe mitten im Meere viele große Inseln. Mein Name war: König Adjib, Sohn des Königs Haßib. Ich hatte für meinen Handel fünfzig Schiffe auf dem Meere, fünfzig kleinere zur Belustigung und dabei noch fünfzig Kriegsschiffe. Als ich einmal eine Spazierfahrt nach den Inseln machen wollte, nahm ich auf einen Monat Lebensmittel mit, begab mich auf die Reise, belustigte mich einen Monat lang und kehrte dann wieder in mein Land zurück. Hierauf bekam ich Lust zu einer zweiten Reise, und diesmal nahm ich Proviant auf zwei Monate mit, und so gewöhnte ich mich an Seereisen, bis ich einst mit zehn Schiffen auslief und 40 Tage lang immer fort segelte; da kamen aber in der 41. Nacht heftige Gegenwinde, das Meer trieb uns mächtige Wogen entgegen, und schon verzweifelten wir an unserem Leben, denn es war ganz finster um uns. Da dachte ich: Wer sich in Gefahr begibt, verdient kein Lob, wenn er auch glücklich durchkommt. Wir flehten und beteten zu Gott; der Wind blies bald von dieser, bald von jener Seite und die Wellen schlugen immerfort gegen unser Schiff, bis der Morgen heranbrach, da legte sich endlich der Wind und das Meer ward wieder klar. Nach einer Weile schien die Sonne und das Meer lag ruhig, wie das Blatt eines Buches, vor uns; wir näherten uns dann einer Insel und bestiegen das Land, kochten, aßen, tranken und verweilten zwei Tage dort, dann reisten wir wieder zehn Tage lang; das Meer dehnte sich jeden Tag weiter vor uns aus und wir entfernten uns immer mehr vom Lande, so dass der Lenker des Schiffes zuletzt die Küste gar nicht mehr kannte. Er sprach nunmehr zu dem Späher: »Steige auf den Mastkorb und sieh dich einmal um!« Der Späher ging hinauf, blieb eine Weile oben und sah sich um, kam dann wieder herunter und sagte: »O Hauptmann! ich habe zu meiner Rechten nichts als den Himmel über dem Wasser gesehen, und zu meiner Linken sah ich vor mir etwas Schwarzes leuchten, sonst aber nichts.« Als der Hauptmann dies hörte, warf er seinen Turban vom Kopfe, riss sich den Bart aus, schlug sich ins Gesicht und sagte weinend: »O König, wir sind alle verloren, es gibt keinen Schutz und keine Macht, außer beim erhabenen Gott.« Er weinte dann lange und wir weinten mit ihm; hierauf sagten wir: »O Hauptmann, erkläre uns doch die Sache ein wenig!« Da sprach er: »Mein Herr, von dem Tage an, wo der Sturm so heftig war, sind wir vom rechten Wege abgeirrt und nun können wir nicht mehr zurückkehren; morgen gegen Mittag werden wir an einen schwarzen Berg kommen, der aus einem Mineral besteht, das Magnet heißt. Das Wasser wird uns mit Gewalt an diesen Berg hintreiben, das Schiff wird zerschellen und jeder Nagel wird sich am Berge befestigen, denn der erhabene Gott hat dem Magnetsteine die Kraft verliehen, das Eisen anzuziehen; am Berg ist viel Eisen, denn mit der Zeit ist der größte Teil desselben durch die vielen Schiffe, die vorüberfuhren, damit bedeckt worden. Auf dem Gipfel des Berges ist eine Kuppel aus andalusischem Messing, die von zehn messingenen Säulen getragen wird; auf der Kuppel ist ein messingenes Pferd und ein messingener Reiter, auf der Brust des Reiters ist eine bleierne Tafel, auf der viele Eidesformeln gemalt sind.« Der Hauptmann setzte dann noch hinzu: »Dieser Reiter ist's, der alles tötet, sobald der fällt, werden die Menschen Ruhe haben.« Er weinte dann wieder heftig und wir sahen unsern Untergang mit Gewissheit vor uns und bangten um unser Leben. Einer nahm vom anderen Abschied, jeder von uns übergab dem anderen sein Testament für den Fall, dass einer gerettet würde; wir schliefen die ganze Nacht nicht. Gegen Morgen waren wir dem Magnetberge sehr nahe und gegen Mittag schon am Fuße des Berges. Da trieb uns das Wasser mit Gewalt hin, und sogleich zerschellten die Schiffe, die Nägel fuhren heraus und flogen gegen den Berg und befestigten sich darin, manche von uns ertranken, andere kamen davon, doch unter diesen letztem wusste einer vom anderen nichts. So, ihr Frauen, hat auch mich Gott zu meiner Qual und meinem Elend gerettet! Ich bestieg nämlich ein Brett vom Schiffe, der Wind trieb es gegen den Berg, ich fand einen Pfad, der, wie eine Treppe mit ausgehauenen Stufen, auf die Höhe des Berges führte.

Als ich diesen Pfad erblickte, nannte ich den Namen Gottes und stieg langsam den Berg hinan. Der erhabene Gott half mir ihn ersteigen, ich kam glücklich auf den Gipfel, freute mich sehr über meine Rettung und trat in die Kuppel, wusch mich hier, betete und dankte Gott, der Gefahr entronnen zu sein. Als ich unter der Kuppel einschlief, hörte ich eine Stimme zu mir sagen. »O Adjib! wenn du von deinem Schlafe erwachst, grabe unter deinen Füßen, dort wirst du einen kupfernen Bogen und drei bleierne Pfeile finden, auf denen mancherlei Talismane gemalt sind. Nimm den Bogen und die Pfeile, stürze damit den Reiter von seinem Pferd ins Meer; wenn dann das Pferd neben dir hinfällt, so begrabe es an dem Orte, wo der Bogen gelegen. Auf solche Weise wirst du die Welt von diesem großen Unheil befreien. Wenn du dies getan hast, so wird das Meer so hoch steigen, bis es die Kuppel erreicht; ist das Wasser bis zum Berge hinauf gestiegen, so wird ein Nachen auf dich zukommen, in welchem ein kupferner Mann sitzen wird, aber nicht der, den du vom Pferde geworfen; er hat zwei Ruder in den Händen; besteige seinen Nachen, nenne aber den Namen Gottes nicht; er wird ungefähr zehn Tage lang mit dir fortrudern, bis er dich in das Land des Friedens bringen wird, dort findest du jemanden, der dich in deine Heimat zurückführen kann. Dies alles wird so enden, wenn du den Namen Gottes nicht nennst.« Als ich erwachte stand ich freudig auf und tat, was mir die Stimme gesagt; ich warf den Reiter vom Pferd und er fiel ins Meer, aber das Pferd stürzte neben mir hin; hierauf beerdigte ich es an dem Orte, wo der Bogen gelegen; das Meer ward nun emporgehoben und stieg bis zu mir herauf; nach kurzer Zeit bemerkte ich den Nachen im Meere, der auf mich lossteuerte, und als ich ihn sah, dankte und lobte ich Gott, denn er ruderte immer fort, bis er bei mir war. Es saß ein kupferner Mann darin mit einer bleiernen Tafel auf der Brust, auf der mannigfaltige Namen und Talismane geschrieben waren; ich bestieg den Nachen, ohne ein Wort zu sprechen, und der Mann ruderte bis zum neunten Tage mit mir fort, da freute ich mich sehr, denn schon sah ich Inseln und Berge, die mir als ein Zeichen der Rettung galten. Meine Freude hierüber war so groß, dass ich den erhabenen Gott lobte und groß nannte. Kaum aber hatte ich dies getan, so stürzte der Nachen mit mir um und sank unter. Ich musste den ganzen Tag bis zum Abend schwimmen. Als aber die Nacht herankam, meine Arme schon ermüdet, meine Schultern kraftlos waren und ich immer noch nicht wusste, wo ich war, und mich schon darauf gefasst machte, zu ertrinken, erhob sich plötzlich ein heftiger Sturm, das Meer fing an zu toben, es kam eine Welle, so hoch wie ein Berg, auf mich zu und stieß mich ans Land hin, weil Gott auf diese Weise mich retten wollte. Als ich nun im Trocknen war, presste ich meine Kleider aus, breitete sie auf den Boden hin und brachte hier eine lange Nacht zu. Des Morgens kleidete ich mich wieder an, um zu sehen, in welchem Land ich mich befand. Ich sah mich in einer fruchtbaren, mit Bäumen bepflanzten Gegend, und als ich darin umherging, bemerkte ich, dass ich auf einer kleinen Insel mitten im Meere war. Ich sagte: »Es gibt keinen Schutz und keine Macht, außer bei dem erhabenen Gott.« Während ich nun so über meine Lage nachdachte und schon den Tod herbeiwünschte, gewahrte ich in der Ferne ein Schiff mit Menschen, das auf die Insel zukam. Ich stieg auf einen Baum, verbarg mich im Laub und sah, als das Schiff anlandete, zehn Sklaven heraussteigen mit Schaufeln und Körben. Als sie mitten auf der Insel waren, gruben sie die Erde auf, bis sie auf eine Platte stießen. Sie kehrten dann zum Schiffe zurück, brachten Brot und andere Lebensmittel, Mehl, einen Wasserschlauch, Öl, Honig, mehrere Schafe, Früchte, auch allerlei Hausgerätschaften, Schüsseln, Betten, Teppiche, Matten und was man sonst in einer Wohnung braucht, wie Spiegel und ähnliche Dinge. Die Sklaven gingen stets hin und her, vom Schiffe in die Höhle, bis sie alles herbeigebracht hatten. Zuletzt kamen sie wieder mit einem ganz alten Manne, den das Schicksal so hart mitgenommen, dass wenig mehr von ihm übrig geblieben war; er glich einem Gegenstand in einen blauen Lumpen gehüllt, den der Wind hin und her bläst, wie ein Dichter sagte:

»Ich zittere heftig von dem Schicksale, denn es ist mächtig und furchtbar; früher konnte ich gehen, ohne zu ermüden, jetzt bin ich müde, auch wenn ich mich gar nicht bewege.«

Der alte Mann führte einen hübschen Jüngling an der Hand, der nach der schönsten Form gebildet war: er glich einem grünen Baumzweige, bezauberte jedes Herz durch seine Anmut und war eben so gebildet, als schön, so dass er alle Leute an Reizen und Tugenden übertrag, wie ein Dichter sagte:

»Er kam, sich mit der Schönheit selbst zu messen, und sie beugte beschämt ihr Haupt. Man fragte dann: O Schönheit! hast du je so etwas gesehen? Und sie antwortete: Nein, so etwas niemals.«

Es gingen nun alle zusammen in die Höhle und blieben mehr als zwei Stunden darin; dann kam der Alte mit den Sklaven wieder herauf, der Jüngling aber war nicht mit ihnen; sie schaufelten die Erde wieder eben, wie sie gewesen war, gingen aufs Schiff, und ich sah sie nicht mehr. Als sie weg waren, stieg ich vom Baume, ging auf die Höhle zu, grub mit großer Geduld die Erde weg, bis ich an die Platte kam; als ich diese wegschob, fand ich eine Treppe, und als ich diese hinuntergestiegen war, kam ich in ein reinliches Zimmer mit verschiedenen Betten, Teppichen und Seidenstoffen bedeckt; ich sah den Jüngling auf einem hohen Polster sitzen mit einem Fächer in der Hand. Um ihn herum lagen Früchte, Gemüse und wohlriechende Kräuter. Da er allein in diesem Zimmer war, ward er ganz blass, als er mich erblickte. Ich grüßte ihn und sprach: »Erschrick nicht, mein Herr! es geschieht dir nichts, ich bin ein Mensch wie du, auch Sohn eines Königs, wie du; das Schicksal hat mich hier hergetrieben, um dir in deiner Einsamkeit Gesellschaft zu leisten; nun erzähle mir, warum du hier so allein unter der Erde wohnst.«

Als ich den Jüngling nach seiner Geschichte fragte, fuhr der Kalender fort, und er sich überzeugte, dass ich seinesgleichen war, freute er sich und sein Gesicht färbte sich wieder; er hieß mich näher treten und sagte: »O, mein Bruder! meine Geschichte ist wunderbar. Wisse, mein Vater ist Juwelenhändler und besitzt viele Güter und Sklaven. Auch hat er Kaufleute, die für ihn mit Schiffen umherreisen; er macht Geschäfte mit Königen, er ward aber nie mit einem Sohne beschenkt. Einmal aber träumte er, dass er einen Sohn bekommen werde, der aber nicht lange leben könne. Mein Vater stand sehr traurig auf, und in derselben Nacht ward meine Mutter mit mir schwanger und als ihre Zeit zu Ende war, gebar sich mich zur großen Freude meines Vaters. Als die Sterndeuter meine Geburt aufzeichneten, sagten sie meinem Vater: »Dein Sohn wird fünfzehn Jahre leben, er wird dann in Gefahr kommen, und wenn er ihr entgeht, so ist er eines langen Lebens sicher.« Als Beweis fügten sie noch hinzu: es sei im Ozean ein Berg, den man den Magnetberg nenne, auf dem ein kupfernes Pferd und ein kupferner Reiter sei, mit einer bleiernen Tafel am Hals, und sein Sohn werde 50 Tage nachher, nachdem der Reiter vom Pferde gefallen, sterben, und zwar wird der, der den Reiter vom Pferde geworfen und Adjib, Sohn des Königs Haßib, heißt, ihn umbringen. Mein Vater ward hierüber sehr betrübt; er gab mir aber dennoch die sorgfältigste Erziehung, bis ich fünfzehn Jahre alt war. Vor zehn Tagen erhielt mein Vater Nachricht, dass der kupferne Reiter von Adjib, Sohn des Königs Haßib, gestürzt worden sei. Als er dies hörte, weinte er heftig, aus Furcht, mich zu verlieren und wurde wie ein Rasender. Er ließ mir dieses Haus unter der Erde bauen, nahm dann ein Schiff und brachte hinein, was ich für viele Tage brauchte. Nun sind von den fünfzig Tagen schon zehn vorüber, es bleiben mir noch vierzig gefährliche Tage, dann wird mein Vater mich wieder holen, denn alles geschah nur aus Furcht vor dem König Adjib, Sohn des Königs Haßib, damit er mich nicht umbringe. Dies ist die Geschichte meiner Absonderung und Einsamkeit.« Als ich, o meine Gebieterin! diese Geschichte hörte, dachte ich bei mir: Ich habe ja den Reiter gestürzt und heiße Adjib, Sohn des Königs Haßib; aber, bei Gott! ich werde diesen hier niemals umbringen. Ich sagte ihm dann: »Mein Herr! du wirst nicht sterben und vor jedem Übel bewahrt sein, es wird alles zum Besten enden, fürchte nur nichts und mache dir keine Sorgen; ich werde diese vierzig Tage bei dir bleiben, dich bedienen und unterhalten, dann mit dir in dein Land gehen, von welchem du mich in das meinige führen lassen wirst, und du wirst dir dadurch Gottes Lohn verdienen.« Der Jüngling freute sich über meine Rede. Ich setzte mich zu ihm und unterhielt mich mit ihm; dann zündete ich eine Wachskerze an und machte drei Laternen zurecht, reichte ihm eine Schachtel mit Süßigkeiten, und so aßen und unterhielten wir uns den größten Teil der Nacht; dann schlief er ein, ich deckte ihn zu und legte mich hierauf auch schlafen. Des Morgens wärmte ich ihm ein wenig Wasser; weckte ihn leise, und als er erwachte, brachte ich ihm das warme Wasser; er wusch sein Gesicht, dankte mir und sprach: »Bei Gott, wenn ich Adjib, dem Sohne des Königs Haßib, glücklich entkomme und Gott mich aus seiner Hand befreit, so wird mein Vater dich durch alle möglichen Wohltaten belohnen.« »O, möchte Gott ein Unglück, das dir begegnen sollte, mir einen Tag früher zuschicken!« sagte ich. Ich holte dann etwas zu essen, und wir aßen miteinander, dann durchräucherte ich das Zimmer und reinigte es, wie spielten und scherzten und belustigten uns und aßen und tranken, bis es Nacht ward; da stand ich endlich auf, zündete die Wachskerzen an, reichte ihm süße Speisen und so aßen und unterhielten wir uns wieder, bis wir zu Bette gingen. So lebten wir Tag und Nacht; ich gewöhnte mich so sehr an ihn, dass ich meinen Kummer und alles, was mir begegnet war, vergaß: die Liebe zu ihm bemächtigte sich meines ganzen Herzens. Ich dachte, gewiss haben die Sterndeuter gelogen, als sie seinem Vater sagten: Dein Sohn wird von Adjib, Sohn des Königs Haßib, umgebracht werden; denn, bei Gott, ich sehe nicht ein, wie ich diesen Jüngling umbringen sollte, den ich schon seit 39 Tagen bediene und so gut unterhalte. Als der 40. Tag herbeikam, freute sich der Jüngling über seine Rettung und sprach: »O, mein Bruder! nun sind 40 Tage vorüber, gelobt sei Gott, der mich vom Tode befreit, dies verdanke ich deiner gesegneten Ankunft bei mir: aber bei Gott, mein Vater soll dir die Wohltaten verdoppeln, die du mir erzeigt, und dich reich und unversehrt in dein Land zurückbringen lassen. Nun aber bitte ich dich noch, mir Wasser zu wärmen, damit ich mich wasche und meine Kleider wechsle.« Ich antwortete ihm: »Recht gern!« machte Wasser warm, ging dann mit dem Jüngling in sein Gemach, wusch ihn sauber, zog ihm andere Kleider an, machte ihm ein hohes Lager zurecht und breitete einen Himmel darüber. Der Jüngling kam und legte sich aufs Bett, denn das Bad hatte ihn schläfrig gemacht. Er sprach: »Mein Bruder, zerschneide doch eine Wassermelone und streue ein wenig Zucker darauf.« Ich holte eine schöne, große Melone herbei, legte sie auf eine Schüssel und sagte: »Mein Herr, wo ist das Messer?« Er antwortete mir: »Es ist vielleicht auf dem Gesimse über meinem Kopfe.« Ich machte schnell einen Schritt über ihn und nahm das Messer aus der Scheide, aber als ich wieder zurückschreiten wollte, glitt mein Fuß aus und ich fiel auf den Jüngling mit dem Messer in der Hand, das gerade ihm ins Herz fuhr, so dass er augenblicklich den Geist aufgab. Als ich sah, dass er tot war und ich selbst ihn getötet hatte, fing ich an, heftig zu schreien, schlug mir ins Gesicht, zerriss meine Kleider und sagte: »O, ihr Geschöpfe Gottes! es blieb von den 40 Tagen nur noch dieser einzige übrig, und ich musste ihn noch mit eigener Hand töten! Gott verzeihe mir! o wäre ich doch vor ihm gestorben! Nichts, als Unglück und Jammer! Mag Gott, was geschehen soll, vollziehen!

Als ich mich von seinem Tod überzeugt hatte, fuhr der Kalender fort, und wohl sah, dass es längst so aufgeschrieben und bestimmt war, ging ich die Treppe hinauf, legte die Platte an ihren Ort und bedeckte sie wieder mit Erde. Ich wandte dann meine Augen gegen das Meer und sah das Schiff zurück zur Insel kommen; ich dachte, nun werden sie hier wieder ans Land steigen, und wenn sie den Jüngling ermordet finden und mich bemerken, werden sie mich, als seinen Mörder, gewiss auch umbringen; daher suchte ich wieder einen Baum aus und verbarg mich in seinem Laube. Kaum war ich oben, so landete schon das Schiff, die Sklaven mit dem Alten, dem Vater des Jünglings, stiegen heraus, gingen zur Höhle, gruben die Erde weg und waren erstaunt, als sie sie so locker fanden. Sie stiegen dann hinunter und fanden den Jüngling schlafend, sein Angesicht glänzte noch vom Bad, er hatte hübsche Kleider an, im Herzen aber steckte das Messer und er war tot. Sie schrien alle, schlugen sich ins Gesicht, weinten, jammerten, wehklagten und stießen die grässlichsten Reden aus; der Vater lag lange in Ohnmacht, so dass die Sklaven glaubten, er sei auch gestorben. Endlich kam er wieder zu sich, ging mit den Sklaven hinauf, die den Jüngling in seinen Kleidern eingewickelt, nebst allem, was sonst noch in der Höhle war, mitnahmen und aufs Schiff brachten. Als der Alte hier seinen Sohn auf dem Boden ausgestreckt sah, streute er Erde auf sein Haupt und fiel nochmals in Ohnmacht. Da nahm ein Sklave ein seidenes Kissen, legte den Alten darauf hin und setzte sich ihm zu Häupten. Dies geschah unter dem Baum, auf welchem ich verborgen war, ich sah daher alles, was sie taten. Mein Herz ward vor meinen Haaren grau, wegen meines großen Kummers und Unglücks. Der Alte aber, o Gebieterin! konnte bis Sonnenuntergang nicht aus seiner Ohnmacht erwachen.

Ich lebte nun einen Monat lang, fuhr der Kalender fort, auf dieser Insel, streifte bei Tag umher und ging abends in das Gemach. Als ich mich einst so auf der Insel umsah, bemerkte ich, wie gegen Sonnenuntergang das Wasser immer austrocknete und abnahm, und es dauerte kaum einen Monat, da war das Wasser ganz ausgetrocknet; ich freute mich sehr, als ich mich gerettet sah, ich schaffte dann dem Wasser, das noch übrig blieb, einen Ablauf und ging aufs feste Land. Hier sah ich nichts als Sand, so weit mein Auge reichte; ich fasste aber Mut, durchwanderte den Sand und bemerkte endlich in der Ferne ein großes, brennendes Feuer. Ich ging darauf zu, denn ich dachte, gewiss hat doch jemand dieses Feuer angezündet, vielleicht finde ich hier einigen Trost. Dabei sprach ich folgende Verse:

»Vielleicht wird das Schicksal nun seine Züge] anders lenken und mir Gutes bringen, denn die Zeit ist veränderlich; vielleicht wird es meine Hoffnungen begünstigen und meine Wünsche erfüllen,

Es werden gewiss nach diesen Umständen andere eintreten.«

Als ich aber dem vermeinten Feuer nahe kam, sah ich, dass es ein mit rotem Kupfer beschlagenes Schloss war, das durch den Glanz der Sonne in der Ferne wie Feuer aussah. Ich war sehr froh darüber und setzte mich. Kaum hatte ich aber Platz genommen, so traten mir zehn reinlich gekleidete Jünglinge entgegen mit einem sehr alten Manne. Allen Jünglingen war ihr rechtes Auge ausgestochen, und ich wunderte mich, so viele Einäugige beisammen zu sehen. Als sie mich erblickten, grüßten sie mich freudig und fragten mich nach meiner Geschichte; ich erzählte ihnen alle Unglücksfälle, die mir widerfahren, und sie waren sehr erstaunt darüber. Sie führten mich dann ins Schloss; dort fand ich zehn Sofas und auf jedem derselben ein blaues Polster mit einer blauen Decke; zwischen diesen größeren Sofas war noch ein ganz kleines, an dem ebenfalls alles blau war. Als wir in diesen Saal traten, setzte sich jeder Jüngling auf ein solches Sofa und der Alte ließ sich auf das kleinere, das in der Mitte stand, nieder. Sie sprachen zu mir: »Junger Mann, setze dich auf den Boden und frage nicht nach unserm halbgeblendeten Gesicht.« Der Alte stand dann auf, reichte jedem besonders sein Essen, sowohl ihnen als mir, und wir aßen davon, dann reichte er auch mir und ihnen Wein, ebenfalls jedem besonders, und wir tranken. Sie fingen dann an, sich zu unterhalten und mich über mein Schicksal auszufragen, und über alle wunderbaren Dinge, die mir begegnet waren. Ich erzählte ihnen vieles davon, bis der größte Teil der Nacht verstrichen war; dann sagten die Jünglinge zu dem Alten: »O Alter! es ist nun Zeit, dass du uns bringst, was unsre Pflicht erfordert, denn es ist schon die Stunde zum Schlafen.« Der Alte ging in ein Nebenzimmer und brachte zehn Schüsseln heraus, jede mit einer blauen Decke zugedeckt; er reichte jedem Jüngling eine; dann zündete er zehn Wachskerzen an und steckte eine auf jede Schüssel; hierauf nahm er den Deckel weg, und siehe da! es war in der Schüssel: Asche, Kohlenstaub und Pfannenruß; sie beschmierten sich die Gesichter damit, zerrissen ihre Kleider, schlugen sich ins Gesicht und auf die Brust und sagten weinend: »Es war uns so wohl, da ließ uns der Übermut keine Ruhe.« So fuhren sie bis gegen Morgen fort. Dann machte ihnen der Alte warmes Wasser; die Jünglinge wuschen sich und zogen andere Kleider an. Als ich sah, o Gebieterin! wie sie ihr Gesicht besudelten, verlor ich beinahe meine Fassung, mein Innerstes ward aufgeregt, ich vergaß alles, was mir begegnet war, und konnte nicht länger schweigen: ich fragte sie daher, was dies bedeute, nachdem wir uns angenehm miteinander unterhalten hatten. Ich sagte zu ihnen: »Ihr seid doch, Dank sei Gott, ganz verständige Leute, aber nur Wahnsinnige tun, was ihr eben getan; ich bitte daher bei allem, was euch teuer ist, sagt mir, was mit euch geschehen, und warum eure Augen ausgestochen wurden und ihr euer Gesicht so mit Asche und Ruß schwärzt.« Sie antworteten: »Junger Mann! lass dich von deiner Jugend nicht verleiten und höre auf, uns auszufragen.« Sie erhoben sich dann und brachten etwas zu essen; wir aßen zwar, aber in meinem Herzen brannte ein unlöschbares Feuer, so sehr war mein Innerstes mit ihrem Benehmen beschäftigt. Nun unterhielten wir uns wieder bis abends, worauf der Alte Wein brachte, den wir bis Mitternacht tranken; dann sagten die Jünglinge zu dem Alten: »Bring uns das, was wir zur Erfüllung unserer Pflicht brauchen!« Er ging nun, und kam nach einer Weile wieder mit den gewöhnlichen Schüsseln, und sie taten dasselbe wie in der vorigen Nacht; nicht anders, weder mehr noch weniger. Kurz, meine Gebieterin! ich blieb einen Monat bei ihnen; sie taten jede Nacht dasselbe und des Morgens wuschen sie sich wieder. Ich erstaunte stets von neuem, und war zuletzt so missmutig und ungeduldig, dass ich nicht mehr essen und trinken mochte. Ich sagte ihnen dann: »O ihr Jünglinge! wollt ihr meinen Kummer nicht verscheuchen und mir nicht sagen, warum ihr euer Gesicht so beschmiert und dabei sagt: wir waren so glücklich, da ließ uns der Übermut keine Ruhe! so lasst mich von euch wegziehen und zu meiner Familie zurückkehren, damit ich einmal vor diesem so außerordentlichen Anblick Ruhe bekomme; das Sprichwort sagt: Was das Auge nicht sieht, betrübt das Herz nicht; drum ist's besser, ich entferne mich von euch.«

Als sie dies hörten, sprachen sie: »O Jüngling! nur aus Mitleid mit dir haben wir dir bisher dies verborgen, denn es möchte dir auch gehen, wie uns.« Als ich aber darauf bestand, alles zu wissen, sagten sie noch einmal: »Folge unserm Rate, frage nicht mehr nach unserm Zustande, sonst wirst du einäugig werden wie wir.« Da ich aber nicht nachgab, sagten sie: »Wenn es dir so geht, wie wir voraussehen, so werden wir dich nicht mehr beherbergen, du darfst dann nicht mehr bei uns wohnen.« Sie gingen hierauf, schlachteten ein Lamm, zogen ihm die Haut ab und sagten mir: »Nimm dieses Messer und lege dich in diese Haut; wir werden dich darein nähen, dann weggehen und dich liegen lassen. Es wird ein Vogel kommen, der Roch heißt, dich zwischen seine Füße nehmen und mit dir gen Himmel fliegen. Nach einer Weile wirst du fühlen, dass er dich auf einen Berg niederlegt, du schlitzest dann die Haut mit diesem Messer und schlüpfst heraus. Der Vogel wird davon fliegen, sobald er dich sieht. Mache dich dann gleich auf und gehe einen halben Tag lang, bis du ein hohes Schloss finden wirst, das in der Luft steht, mit rotem Gold beschlagen und mit Smaragd und vielen Edelsteinen verziert ist; es ist von keinem anderen Holz als Sandelholz und Aloe gebaut. Geh in dies Schloss hinein, und du hast, was du begehrt; denn unser Eingang ins Schloss ist die Ursache des Beschmierens unseres Angesichts und des Ausstechens unserer Augen. Wollten wir dir das Nähere erzählen, so würde unsere Geschichte zu lange dauern, denn jedem von uns ist sein Auge auf eine andere Weise ausgestochen worden.

Die Jünglinge nähten also die Lammshaut um mich, fuhr der Kalender fort, und gingen ins Schloss. Nach einer Weile kam der Vogel, nahm mich zwischen die Füße, flog mit mir davon und legte mich auf den Berg nieder. Ich zerschlitzte die Haut und schlüpfte heraus; als der Vogel dies sah, flog er davon und ich begab mich sogleich nach dem Schloss, das ich so fand, wie es mir beschrieben worden war. Da ich die Türe offen sah, trat ich hinein und fand es schön und geräumig, wie eine Rennbahn; rings herum waren hundert Schatzkammern mit Türen von Sandelholz und Aloe, mit rotgoldenen Platten belegt und mit silbernen Ringen. Mitten im Schloss sah ich vierzig Mädchen, wie der Mond; man konnte sie nicht genug ansehen. Sie hatten die kostbarsten Kleider und den reichsten Schmuck an. Als sie mich sahen, sagten alle auf einmal: »Willkommen! Wir freuen uns, Euch zu sehen, unsern Herrn. Wir erwarten schon seit Monaten einen Jüngling wie du. Gelobt sei Gott, der uns jemanden brachte, der unsrer eben so würdig ist, als wir seiner.« Hierauf liefen sie mir entgegen, ließen mich auf ein hohes Polster sitzen und sprachen: »Du bist nun unser Herr und Richter, wir sind deine ergebenen Sklavinnen, du kannst befehlen, was du willst.« Ich war sehr erstaunt über diese Anrede; und im Augenblick reichten mir einige unter ihnen zu essen, andere wärmten Wasser und wuschen mir die Hände und Füße, andere brachten mir frische Kleider, wieder andere schenkten mir Wein ein, und man sah ihnen an, wie sehr sie sich über meine Ankunft freuten; dann setzen sie sich und erkundigten sich nach meinem Zustand, bis die Nacht heranbrach.

Als es Nacht war, o Gebieterin! fuhr der Kalender fort, versammelten sie sich wieder um mich her; fünf von ihnen legten eine Matte auf den Boden und rings umher frische und trockene Früchte und wohlriechende Kräuter; auch ein Krug Wein ward bereit gestellt. Wir setzten uns, tranken und die Mädchen versammelten sich um mich. Einige sangen, andere spielten Zither und Laute und auch andere Instrumente; die Becher und die Schalen gingen im Kreise herum, und ich war so vergnügt, dass ich allen Kummer der Welt vergaß. Ich dachte: Das ist das wahre Leben, wäre es nur nicht so vergänglich! Wir blieben so beisammen, bis der größte Teil der Nacht vorüber war und wir alle betrunken wurden. Nun begann ein fröhlicher Ball, die Mädchen tanzten miteinander, je zwei und zwei, mit unübertrefflicher Grazie. Als auch diese Lust zu Ende war, da sprachen sie: »Unser Herr! wähle dir eine unter uns, welche die Nacht mit dir zubringe; dann darf sie aber vierzig Nächte lang nicht mehr bei dir sein.« Ich wählte eine mit hübschem Gesicht, die Augen wie Kohle, schwarze Haare, Zähne wie Eis und dichte Augenbrauen, wie der Zweig von Basilikum. Sie ergötzte das Auge und entzückte das Herz, so wie ein Dichter sagte:

»Sie ist schmiegsam, wie die Zweige des Ban, den der Zephyr bewegt; wie reizend und anziehend ist sie, wenn sie geht! Bei ihrem Lächeln glänzen ihre Zähne, so dass wir sie für einen Blitzstrahl halten können, der neben Sternen leuchtet. Von ihren kohlenschwarzen Haaren hängen Locken herunter, die den hellen Mittag in die Wolken der Nacht hüllen; zeigt sie aber ihr Angesicht in der Finsternis, so beleuchtet sie alles von Osten bis Westen. Aus Irrtum vergleicht man ihren Wuchs mit dem schönsten Zweig und mit Unrecht ihre Reize mit denen einer Gazelle. Wo sollte eine Gazelle ihren schönen Ausdruck hernehmen? ihre liebenswürdige Gesellschaft ist einzig. Ihre weiten Augen, die in der Liebe so gefährlich sind, fesseln plötzlich den von ihr Verwundeten; ich fühlte eine heidnische Liebe zu ihr; kann man aber über einen kranken Liebenden sich wundern, der seinen Glauben vergisst?«

Ich legte mich dann nieder und nie habe ich eine schönere Nacht gehabt.

Als ich des Morgens aufstand, so erzählte der Kalender weiter, führten mich die Mädchen in ein Bad, das im Schlosse war; und als ich gewaschen war, kleideten sie mich in kostbare Kleider, dann brachten sie zu essen. Wir aßen und tranken auch den Wein, den sie holten; die Becher kreisten bis zur Nacht, hierauf sagten sie: »Wähle eine von uns, die diese Nacht bei dir bleiben soll, wir stehen dir alle zu Diensten.« Ich wählte hierauf ein sanftes Wesen mit zarten Hüften, wie ein Dichter sagte:

»Ich erblickte an ihrem Busen zwei festgeschlossene Knospen, die der Liebende nicht umfassen darf; sie bewacht sie mit den Pfeilen ihrer Blicke, die sie dem entgegenschleudert, der Gewalt gebraucht.«

Ich brachte abermals eine herrliche Nacht zu; des Morgens ging ich wieder ins Bad und zog frische Kleider an. Kurz, meine Gebieterin, ich verlebte die schönste Zeit bei ihnen, wählte jede Nacht eine andere von den vierzig Mädchen, und so verging mit Essen, Trinken und Belustigungen ein ganzes Jahr. Aber am Anfang des folgenden Jahres fingen die Mädchen an zu wehklagen, sich an mich zu hängen und weinend Abschied zu nehmen. Ich fragte ganz erstaunt, was denn vorgefallen sei, dass sie mir so das Herz betrübten. Sie antworteten: »O hätten wir dich nie gekannt! Wir haben schon viele kennen gelernt, doch noch niemand, der so angenehm gewesen, als du; noch nie sahen wir einen so feinen Mann.« Dann weinten sie wieder und ich fragte sie noch einmal: »Warum weinet ihr? mein Herz zerspringt um euretwillen.« Jetzt antworteten sie alle auf einmal. »Du allein kannst Ursache unsrer Trennung werden; gehorchst du uns, so werden wir uns nie trennen, bist du aber ungehorsam, so müssen wir von einander scheiden. Unser Herz sagt uns aber, dass du uns nicht gehorchen wirst, und darum weinen wir.« Ich bat sie, mir zu sagen, um was es sich eigentlich handle, und sie sprachen: »Wisse, o Herr und Gebieter! wir alle sind Königstöchter und leben hier schon viele Jahre beisammen. Jedes Jahr müssen wir vierzig Tage von hier abwesend sein, dann kehren wir wieder und bleiben das ganze Jahr hier, essen, trinken und belustigen uns. Was nun deinen Ungehorsam gegen uns betrifft, so hat es damit folgende Bewandtnis. Wir werden dir während unsrer vierzigtägigen Abwesenheit alle Schlüssel des Schlosses überlassen; du findest darin hundert Schatzkammern, öffne sie, zerstreue dich damit, esse und trinken. Jede Türe, die du öffnest, wird dir auf einen Tag Unterhaltung gewähren; nur eine einzige Schatzkammer darfst du nicht öffnen, dich ihr nicht einmal nähern, sonst sind wir auf immer geschieden; hier allein könntest du uns ungehorsam werden. Doch hast du über neunundneunzig Schatzkammern zu gebieten; du kannst alle öffnen und dich darin ergehen, öffnest du aber diese hundertste Schatzkammer, die mit der Türe von rotem Golde, so müssen wir getrennt bleiben.«

Die vierzig Mädchen ermahnten und warnten mich lange, fuhr der Kalender fort, beschwuren mich bei Gott und ihrem Leben, doch ja nicht unsere Trennung zu verursachen, sie baten mich, die vierzig Tage hindurch Geduld zu haben, bis sie wiederkehren würden; hierauf überlieferten sie mir die Schlüssel und wiederholten noch einmal: »Hüte dich wohl, die eine Schatzkammer zu öffnen!« Es umarmte mich dann eines der Mädchen und sprach folgende Verse:

»Als sie zur Trennung sich nahte, war ihr Herz zwischen Liebe und Verzweiflung geteilt; sie weinte frische Perlen und aus meinem Auge flossen blutige Tränen wie Karneol, sie bildeten zusammen eine Schnur auf ihrem Halse.«

Ich nahm Abschied von ihr und sagte: »Bei Gott! ich werde jene Türe niemals öffnen!« Sie gingen dann fort und machten noch warnende Zeichen mit der Hand. Ich blieb allein im Schloss und beschloss bei 'mir, diese Türe nicht zu öffnen, um niemals von ihnen getrennt zu werden. Ich ging jetzt und öffnete die erste Schatzkammer; als ich hineinkam, fand ich einen Garten wie ein Paradies. Es waren mannigfaltige Früchte darin, dicht ineinander verflochtene Zweige, singende Vögel, murmelnde Gewässer. Mein Herz erweiterte sich bei diesem Anblick. Ich lief zwischen den Bäumen umher, atmete den Wohlgeruch der Blumen, hörte das Gespräch der Vögel, die den einzigen mächtigen Gott priesen! wie ein Dichter von Äpfeln sagte:

»Mancher Apfel vereinigt zwei Farben, die der aneinander liegenden Wangen eines Liebespaares, welches auf einem Polster sich umarmt und erschreckt wird. Sie errötet vor Scham und er erblasst vor Furcht.«

Ich sah dann Birnen, die besser als Julep und Zucker schmeckten und angenehmer als Moschus und Ambra rochen, so wie ein Dichter sagte:

»Quitten vereinigen alle Annehmlichkeiten der Welt und sind als die vorzüglichsten Früchte bekannt; sie schmecken wie Wein, haben den Wohlgeruch des Moschus, ihre Farbe ist golden und ihre Form wie die des Mondes.«

Ich bemerkte auch Aprikosen, die dem Auge so wohl gefallen wie Rubin, ging dann aus diesem Garten und verschloss die Türe. Am folgenden Morgen öffnete ich eine andere Türe; hier sah ich einen großen Platz, in dessen Mitte ein Bach einen Kreis bildete, und rings umher waren allerlei wohlriechende Blumen gepflanzt: Rosen, Jasmin, weise Rosen, Narzissen, Veilchen, Levkojen, Anemonen und Lilien; es wehte gerade ein leiser Wind über diese Blumen, so dass der ganze Raum mit Wohlgerüchen angefüllt war; ich unterhielt mich hier und fing an, meinen Kummer zu vergessen. Als ich fortging, Schloss ich auch diese Türe und öffnete eine dritte. Hier fand ich einen großen Saal mit verschiedenem Marmor und anderen kostbaren Steinen durchschnitten. Es waren Käfige von Sandel und Aloeholz darin mit singenden Vögeln, Nachtigallen, Ringeltauben, Turteltauben und noch vielen anderen Tieren. Hier ward mir ganz wohl und mein Kummer verließ mich. Ich ging schlafen und am folgenden Morgen öffnete ich die vierte Türe. Hier stand ein großes Haus mit vierzig Schatzkammern rings herum, alle mit offenen Türen. Ich ging hinein und sah Perlen, Smaragd, Rubin, Karfunkel und ganze Haufen von Silber und Gold; mir schwindelte der Kopf, als ich so viele Reichtümer sah und dachte, solche Schätze können nur großen Königen gehören, und ich glaube, dass wenn alle Könige der Erde sich vereinigten, sie nicht einmal so viele zusammenbringen könnten. Ich ward ganz heiter und dachte: Jetzt bin ich der König meiner Zeit, der Herr so mannigfaltiger Dinge, Reichtümer und Mädchen, die niemand außer mir hat. So, meine Gebieterin! brachte ich meine Tage und meine Nächte zu, bis neununddreißig Nächte vorüber waren, es blieb also nur noch ein Tag übrig; schon hatte ich alle neunundneunzig Türen geöffnet, und es war die hundertste allein, die man mir eben verboten hatte. Diese verschlossene Türe beunruhigte und quälte mich, der Teufel bemächtigte sich meiner und ich hatte nicht Kraft genug, zu widerstehen. Zwar blieb nur noch eine Nacht übrig, dann wären die Mädchen zurückgekehrt, um wieder ein ganzes Jahr bei mir zu bleiben.

Aber der Teufel überwältigte mich, ich öffnete die mit rotem Golde beschlagene Tür; als ich hineintrat, umfing mich ein so feiner und zugleich starker Geruch, das ich zu Boden stürzte. Ich machte mir aber wieder Mut und ging vollends in diese Schatzkammer hinein, deren Boden mit Safran bestreut war; ich fand wohlriechende Wachskerzen und silberne und goldene Lampen, in denen die feinsten Öle brannten; die Wachskerzen waren mit Ambra und Aloeholz besteckt; dann sah ich zwei große Rauchfässer, wie ein Waschbecken, mit Kohlen und Weihrauch, aus denen der Dampf des Moschus und Safran in die Höhe stieg. Ich bemerkte dann auch ein Pferd, so schwarz und schwärzer noch als die Nacht; vor ihm war eine Krippe von weißem Kristall, auf der einen Seite lag geschälter Sesam und auf der anderen stand Rosenwasser. Das Pferd hatte einen Zaum an und war mit einem goldenen Sattel bedeckt. Dies Pferd erregte bei mir das größte Staunen, ich dachte, es müsse eine hohe Bedeutung haben. Der Teufel trieb mich dann wieder an, und ich führte das Pferd ins Freie und bestieg es; es wich aber nicht von der Stelle; ich spornte es und es bewegte sich nicht, darüber geriet ich in Zorn und schlug es mit der Peitsche; als es den Hieb fühlte, da wieherte es wie der Donner, schlug zwei Flügel auf und flog dann mit mir vom Schlosse weg in die Luft, bis man es nicht mehr sehen konnte. Es ließ sich dann mit mir auf dem Dach eines Schlosses nieder, schüttelte mich von seinem Rücken ab, schlug mir heftig mit dem Schweife ins Gesicht, so dass mein Auge auf meine Wange auslief und ich halbblind war. Ich sagte: »Es gibt keinen Schutz und keine Macht, außer beim erhabenen Gott!« So hatte ich nicht geruht, bis ich wie die übrigen jungen Leute geworden. Als ich vom Dache herunter ins Schloss stieg, fand ich die zehn blau überzogenen Sofas; und siehe da, es war das Schloss der zehn halbblinden Jünglinge, deren Rat ich nicht befolgt. Ich hatte mich kaum auf einem dieser Sofas niedergelassen, da kamen auch schon die Jünglinge mit dem Alten herbei.

Als sie mich sahen, sagten sie weder Willkomm noch Gruß dem Gaste, sondern die Worte: »Bei Gott, wir beherbergen dich nicht mehr, denn auch du bist nicht der Gefahr entronnen.« Ich erwiderte ihnen: »Es geschah so, weil ich nicht ruhte, bis ich euch nach der Ursache eurer beschmierten Gesichter gefragt hatte.« Sie aber sagten: »Es ging einem jeden von uns wie dir: auch wir hatten das schönste und angenehmste Leben und konnten uns nicht vierzig Tage gedulden, um dann wieder ein Jahr zu essen, zu trinken und uns zu belustigen, auf seidenen Stoffen zu schlafen, den Wein aus kristallnen Gefäßen zu schlürfen und an einem schönen Busen auszuruhen, wir begnügten uns nicht in unserem Übermute, bis unsere Augen ausgeschlagen waren, und nun weinen wir über das, was vorüber ist.« Ich sagte ihnen dann: »Nehmt mir nicht übel, da ich doch nun Euresgleichen bin, so reicht mir die rußigen Schüsseln, dass ich auch mein Gesicht schwärze«, wobei ich heftig weinte. Sie sprachen aber: »Bei Gott, wir beherbergen dich nicht, du kannst nicht bei uns bleiben, ziehe fort nach Bagdad, dort findest du vielleicht Hilfe gegen dein Missgeschick.«

Nun war mir sehr bang, als mich diese fortjagten, ich überdachte alles Unglück, das mir widerfahren, wie ich den jungen Mann getötet und meinen sonstigen Gram und Kummer und sagte: »Es ist wahr, es war mir wohl, da ließ mir mein Übermut keine Ruhe.« Nun ward ich so verzweifelt, dass ich meinen Bart nebst meinen Augenbrauen abscheren ließ, der Welt entsagte und als halbblinder Kalender ins Land Gottes wallfahrtete. Gott ließ mich nun glücklich diesen Abend nach Bagdad gelangen, wo ich diese beiden fand, die nicht wussten, wohin sie wollten; ich grüßte sie und sagte ihnen, dass ich fremd wäre; sie sagten, auch sie wären Fremde; so trafen wir drei Halbblinde am rechten Auge zu unserm größten Erstaunen zusammen. Dies, o meine Gebieterin! ist die Ursache, warum ich mein Auge verloren und meinen Bart abgeschoren habe.

Da sprach das Mädchen: »Dein Leben ist dir geschenkt, ziehe fort mit deinen Kameraden und dem Träger; aber alle riefen: »Bei Gott! wir weichen nicht von hier, bis wir die Geschichte unserer Gefährten hier vernommen.« Das Mädchen wandte sich jetzt zum Kalifen, zu Diafar und Masrur, und sagte zu ihnen: »Erzählt mir eure Geschichte!« Da entgegnete Diafar: »Wir sind aus Mosul und kamen mit Waren hierher; als wir in eurem Land einkauften und verkauften, lud uns diese Nacht einer eurer Kaufleute zu einer Mahlzeit, zugleich aber auch von unserer Gesellschaft alle, die in demselben Wirtshause wohnten. Wir gingen zu ihm und brachten eine schöne Zeit bei ihm zu; der Wein war klar, der Saal hübsch, nicht minder die Sängerinnen. Man hatte von verschiedenem gesprochen, da kam es zu einem lauten Wortwechsel zwischen den Gästen; der Polizeibeamte erschien, nahm einige von uns fest, während andere die Flucht ergriffen. Zu letzteren gehörten auch wir; fanden aber das Haus geschlossen, das erst des Morgens wieder geöffnet wird. Nun waren wir in Verlegenheit und wussten nicht, wohin wir uns wenden sollten, auch fürchteten wir, von der Polizei eingeholt und festgenommen zu werden, was unserm Rufe hätte schaden können. Nun leitete uns das Geschick zu euch; wir hörten schönen Gesang und fröhliches Gespräch und dachten, dass hier ein großes Fest gehalten würde, wo viele Leute beisammen sind, und entschlossen uns, einzutreten, um euch unsere Dienste anzubieten und die Nacht bei euch angenehm zu vollenden. Ihr glaubtet uns, waret so gütig, uns einzulassen, und seid sehr gefällig und achtungsvoll gegen uns. Jetzt Wisst ihr, warum wir hierher gekommen.« Da riefen die Kalender: »Wir wünschen sehr, o Gebieterin! dass du uns diese drei Leute schenktest, damit wir alle gut von hier entlassen werden.« Das Mädchen wandte sich sogleich zu der ganzen Gesellschaft und sprach: »Es sei so!« und alle gingen nun fort aus dem Hause.

Der Kalif fragte dann die Kalender, wo sie hin wollten, da doch die Morgenröte noch nicht angebrochen sei. Jene antworteten: »Bei Gott, wir wissen es nicht.« Da versetzte er: »Kommt, schlaft bei uns.« Der Kalif sagte dann heimlich zu Djafar: »Diese Leute werden bei dir übernachten, morgen aber bringe sie zu mir, damit wir eines jeden Geschichte und Abenteuer aufzeichnen.« Djafar befolgte den Befehl des Kalifen. Dieser ging in sein Schloss, konnte aber vor vielem Nachdenken über die Geschichte der Kalender nicht schlafen, die Königssöhne waren, und sich nun in einem solchen Zustande befanden. Auch war er sehr mit der Geschichte der Frau mit den schwarzen Hündinnen, so wie der andern, mit der Peitsche geschlagenen, beschäftigt. Er konnte nicht schlafen und den Morgen kaum erwarten, wo er sich dann auf den Thron setzte und dem Wesir Djafar, der zu ihm hereintrat und die Erde vor ihm küsste, sagte: »Es ist keine Zeit zu verlieren, hole mir schnell jene Frauen, damit ich die Geschichte der zwei schwarzen Hunde höre, bring auch die Kalender mit, eile aber schnell!« Als der Kalif dies sehr heftig ausrief, eilte Djafar fort, und nach einer Weile kam er mit den drei Mädchen und den drei Kalendern wieder; er stellte die ersteren vor den Kalifen und die letzteren hinter einen Vorhang. Dann sprach Djafar: »Wir sind gnädig gegen euch, denn ihr seid uns mit Güte und Gastfreundschaft entgegen gekommen. Ihr Wisst wohl nicht, vor wem ihr hier steht; ich will euch aber damit bekannt machen. Ihr seid hier in Gegenwart des Siebenten der Abbasiden, ihr steht vor Raschid, Sohn des Mahdi, Sohn des Hadi, Sohn des Saffah, Sohn des Manßur. Seid also beredter Zunge und sichern Blicks und sagt nur die Wahrheit; seid aufrichtig, meidet die Lüge, sollte auch die Wahrheit euch wie das Feuer der Hölle brennen. Sage du nun, sprach er zur ältesten, dem Kalifen zuerst, warum du die zwei Hunde so misshandeltest und nachher mit ihnen weintest.«

Als die Dame hörte, dass Djafar so im Namen des Kalifen mit ihr sprach, sagte sie:

Geschichte des ersten Mädchens