[swahili, "Geschichte, Legende"]

Freigebigkeit und Prahlerei

Vor sehr langen Zeiten lebte ein Padischah, der in aller Welt berühmt werden wollte für seine Freigebigkeit. Häufig fragte er den Wesir: »Findet sich irgendwo ein Padischah, der gütiger und freigebiger ist als ich?«

»Gerechter Herrscher, dein Volk sagt, dass es in der Welt keinen Herrscher gibt, der gütiger und freigebiger wäre als du.« Doch der Padischah wollte mit eigenen Ohren hören, was im Volk über seine Freigebigkeit gesagt wird. So verließ er eines Nachts, in ein einfaches Gewand gekleidet, seinen Palast und schlenderte durch die Straßen der Hauptstadt. Die Menschen hatten sich bereits zur Ruhe begeben, in Straßen und Gassen war es still geworden, und selbst die Hunde bellten nicht mehr.

Als der Padischah an einem Tor vorüber kam, vernahm er jedoch Stimmen und blieb stehen. Die Stimmen drangen aus dem Hof. Drei Freunde unterhielten sich miteinander: Der eine hieß Aman, der zweite Schakurban, der dritte Jolaman. »Ich glaube nicht eher an die Güte und Freigebigkeit des Padischahs«, sagte der, welcher Aman hieß, »bis er mir nicht selbst eine Wohltat erweist.«

»Was würdest du dir denn wünschen vom Padischah?« fragte der zweite mit Namen Schakurban. »Ich würde mir wünschen«, erwiderte jener, »dass er mir seine Lieblingsfrau schenkt. Dann würde ich an seine Güte glauben.«

»Ich würde auch an die Freigebigkeit unseres Padischahs glauben, wenn er mir eine Reisetasche voll Gold und das beste Ross aus seinem Marstall mit silbernem Reitzeug schenkt«, sagte der zweite mit Namen Schakurban. »Oh, ihr Dummköpfe«, sprach der Dritte mit Namen Jolaman. »Lieber will ich im schwarzen Fluss ertrinken, als mich an einen Prahlhans wenden! Mein Vater pflegte zu sagen: Es gibt keinen schmackhafteren Fladen als den, den man selbst gebacken hat. Ich brauche keine fremden Schätze, und am allerwenigsten die Schätze des Padischahs, die mit den Tränen und dem Blute des Volkes getränkt sind.«

Als der Padischah diese Worte vernahm, kehrte er in seinen Palast zurück und befahl den Wesiren, ihm die drei Freunde vorzuführen. Als Aman, Schakurban und Jolaman in den Palast gebracht wurden, gebot der Padischah: »Wiederholt, was ihr über mich gesprochen habt.« Die Freunde verwunderten sich, dass der Padischah von ihren Wünschen erfahren hatte, und jeder beschloss, die Wahrheit zu sagen. Als erster hub Aman an: »Gnädiger Padischah, ich sagte, dass du, wenn du in der Tat gnädig bist, mir deine Lieblingsfrau schenkst.«

»Mildtätiger Padischah«, sagte Schakurban, »ich sagte, dass du, wenn du wahrhaft freigebig bist, mir eine Reisetasche voll Gold und ein Ross mit silbernem Reitzeug schenkst.«

»Nun, und was hast du gesagt?« fragte der Padischah Jolaman. Entgegnete Jolaman: »Stets wird der Padischah mit Bitten bedrängt. Ich aber benötige von all deinen Schätzen nichts, denn ich verdiene mir mein tägliches Brot mit meiner Hände Arbeit. Deine Schätze aber sind von den Tränen und dem Blut deines Volkes getränkt.«

Der Padischah sann nach und sprach: »Aman, ich gebe dir meine Lieblingsfrau. Dir, Schakurban, schenke ich eine Reisetasche voll Gold und ein Ross mit silbernem Reitzeug. Doch im Morgengrauen sollt ihr eure Häuser verlassen und von Stadt zu Stadt ziehen, um meine Freigebigkeit zu lobpreisen. Dich aber, Jolaman, verbanne ich aus meinem Reich. Im Morgengrauen musst auch du dein Haus verlassen.«

Als der Morgen graute, verließen die drei Freunde die Stadt. Aman wanderte mit seiner Frau, die der Padischah ihm geschenkt hatte, fürbass. Schakurban ritt auf dem Ross aus dem Marstall des Padischahs, und Jolaman folgte ihnen, zu Fuß und allein. Gegen Abend gelangten sie an einen Brunnen und beschlossen zu übernachten. Aman führte seine junge Frau beiseite und sagte: »Weib, ohne Geld und ohne Pferd sind wir des Todes. Was meinst du, wenn ich Schakurban umbringe, und wir uns sein Gold und das Ross zu Eigen machen?«

»Aman«, erwiderte die Frau, »berate dich nicht mit mir, sondern handle, wie es dir dein Gewissen gebietet.« Schakurban hörte diese Unterhaltung und dachte: »Schau an, Aman will mich erschlagen! Doch das soll nicht geschehen! Ich erschlage ihn, bevor er die Hand gegen mich erheben kann. Dann bekomme ich zu meinem Gold und dem Ross auch noch ein schönes Weib.« Schakurban zog sein Messer aus dem Gürtel und begann es an einem Feldstein zu wetzen.

Inzwischen war Aman zu Jolaman getreten und sprach: »Freund Jolaman! Ich habe mich entschlossen, Schakurban zu töten. Wenn du mir hilfst, so will ich dich mit Gold beschenken. Dir droht nichts, du bist verbannt und musst ohnehin unsere Heimat verlassen.«

»Oh, Freund Aman«, erwiderte Jolaman. »Ich habe nichts gehört, denn mein Ohr ist solchen Reden verschlossen.« Die Wanderer bereiteten ihr Nachtlager. Als der Mond aufging, sah Jolaman, dass zwei Schatten über die Erde glitten. Der eine war Aman, der Schakurban ermorden wollte, um dessen Gold und das Ross an sich zu bringen, ihm entgegen aber kroch Schakurban, um Aman zu erschlagen und dessen Frau in seinen Besitz zu bekommen. Am Brunnen trafen sie aufeinander und erstachen einander mit ihren Messern.

Morgens weckte Amans Weib Jolaman und sprach: »Jolaman, deine Begleiter haben einander umgebracht. Das Gold, das Pferd und ich, eine schutzlose Frau, sind allein auf weiter Flur geblieben. Nimm die Beute und lass uns fortgehen, bevor böse Menschen hierher kommen und sich so einen glücklichen Umstand zunutze machen.«

»Nein«, entgegnete Jolaman, »ich will so eine Beute und so ein Weib nicht. Ich kann mich von meiner Hände Arbeit ernähren und nehme mir ein einfaches Mädchen zur Frau.«

»Dann bring mich zu meinen Eltern zurück«, bat Amans Frau. »Der Padischah hat mich mit Gewalt entführt. Auch ich bin ein einfaches Mädchen und kann von meiner Hände Arbeit leben. Das Gold aber verteile unter die Armen, denn jede Münze, die der Padischah verschenkt hat, ist mit den Tränen der Armen getränkt.« Diese Worte gefielen Jolaman, und er begann am Brunnen unter die Pilger, die vorüber zogen, das Gold aus dem Schatz des Padischahs zu verteilen. Er blieb dort so lange sitzen, bis er alles Gold ausgeteilt hatte. Das Pferd von Schakurban aber behielt er statt jenes Ochsen, den die Steuereintreiber auf Geheiß des Padischahs ihm abgenommen hatten. Jolaman schwang sich aufs Pferd und setzte Amans Frau hinter sich. Alsdann machte er sich auf in ihre Heimatstadt. Er gab das Mädchen ihren Eltern zurück und ritt weiter.

Endlich kam er in einen Aul und bat einen Reichen um ein Nachtlager. Dieser Reiche aber hatte einen kranken Sohn. Der Knabe war von Angesicht gelber als Rohseide es ist. Als es an der Zeit war, sich zum Nachtmahl zu setzen, bat der Hausherr Jolaman, neben ihm Platz zu nehmen, und sie aßen das Hammelfleisch aus einer Schüssel. Dem kranken Knaben aber stellten sie eigens eine Schüssel mit einem ganzen Lämmchen hin, das zusammen mit dem Kopf gedünstet war. Der Knabe verschlang gierig das Essen, bis nur die abgenagten Knochen übrig blieben. Als Jolaman das sah, fragte er verdutzt: »Herr, wie erklärt sich das? Dein Sohn hat einen Leib so groß wie meine Faust und verspeist zu einer Mahlzeit ein ganzes Lamm.«

»Oh, lieber Gast, mich hat ein großes Unglück heimgesucht. Seit mehreren Jahren hat meinen einzigen Sohn ein schweres Leiden befallen. Er verzehrt am Tag drei Lämmchen, ist aber niemals satt. Die Heilkundigen haben mich schier an den Bettelstab gebracht, doch wenn sich ein Mann finden würde, der meinen Sohn von diesem Leiden befreien könnte, so wollte ich ihm alles, was ich noch besitze, bis auf mein letztes Hemd geben.« Jolaman sann nach, voller Mitgefühl für den Schmerz des Vaters. »Lieber Gast«, fuhr der Hausherr fort, »ich habe dich eingelassen und dir ein Nachtlager gewährt, auf dass du meinen Sohn mit deinen Erzählungen unterhältst. Ihr Pilger seht viel, hört viel und wisst viel. Tu mir also den Gefallen, setz dich zu meinem Knaben und erzähle ihm etwas, bevor er einschläft.« Jolaman war gern bereit, die Bitte des Hausherrn zu erfüllen. Er setzte sich zu dem Knaben und hub an, zu erzählen, wie der Padischah seine Worte belauscht und ihn aus seinem Reich vertrieben hatte.

Als der Knabe eingeschlafen war, legte auch Jolaman sich zur Ruhe und war schon am Einschlummern, als er plötzlich sah, wie aus dem halboffenen Mund des Knaben eine weiße Schlange kroch. Jolaman stellte sich schlafend und wartete ab, was weiter geschehen würde. Die Schlange glitt zu einem Krug mit Wasser, schlängelte sich um ihn herum und begann laut schlabbernd zu trinken wie ein Hund. Da glitt durch eine Ritze in der Wand eine schwarze Schlange und zischte: »Friß weniger Lämmer, dann wird dich der Durst nicht so quälen.«

»Das sagst du aus Neid, weil du dich von Mäusen ernähren musst!« erwiderte die weiße Schlange. »Das stimmt«, zischte die schwarze Schlange, »dafür lebe ich aber nutzvoll auf Erden. Seit sieben Jahrhunderten schon hüte ich einen Schatz, du aber tust nichts weiter, als dich von dem Knaben zu ernähren.« Zwischen der schwarzen und der weißen Schlange entspann sich ein Streit. »Ich weiß, wie man dich töten kann«, zischte die schwarze Schlange. »Der Knabe muss einen Tag hungern, alsdann muss er sieben Pialen mit siebenjährigem Weine leeren. Wart nur, ich will es dem Vater des Knaben sagen, dann wird er dich rasch beiseite schaffen.«

»Und ich will ihn lehren, wie er dich zu töten vermag und in den Besitz des Schatzes gelangt«, sagte die weiße Schlange und blies sich vor Bosheit auf. »Das weißt du gar nicht!« widersprach die schwarze Schlange. »Doch, ich weiß es!« Die weiße Schlange konnte sich vor Wut gar nicht beruhigen. »Man muss diese Ritze mit sieben Armvoll Stroh, das sieben Jahre gefault ist, verstopfen und es anzünden. Der Rauch vertreibt deine Seele, aber alle Schätze, die du bewachst, bleiben den Menschen.« Als die schwarze Schlange diese Worte vernahm, rollte sie sich geschwind zu einem Knäuel zusammen und verschwand in der Ritze. Die weiße Schlange aber kroch in den geöffneten Mund des Knaben zurück.

Jolaman, der alles mit angesehen und gehört hatte, sagte morgens zum Vater des Knaben: »Herr, ich übernehme es, deinen Sohn zu heilen.«

»Wie kannst du meinen Sohn heilen, wenn es den besten Ärzten bislang nicht gelungen ist«, erwiderte der Hausherr. »Ich vermag es«, beharrte Jolaman. »Besorge mir nur einen siebenjährigen Wein.« Der Hausherr schaffte einen siebenjährigen Wein herbei, und Jolaman gebot, dem Knaben kein Essen zu reichen, wie sehr jener auch drum betteln und weinen mochte. Alsdann zwang Jolaman den hungrigen Knaben, sieben Fialen von dem siebenjährigen Wein zu leeren. Alsbald blähte sich der Leib des kranken Kindes so stark, dass der Vater erschrocken schrie: »Was hast du da angerichtet, Gast! Mein Sohn platzt ja!« Im selben Augenblick platzte die weiße Schlange, zerfiel in kleine Stückchen, und die Stücke kullerten dem Jungen aus Mund, Nase und Ohren. Dann fiel der Kranke in tiefen Schlaf. Als er am nächsten Morgen erwachte, war er genesen. Er, der sich bislang nicht einmal im Bett aufrichten konnte, sprang munter auf die Füße. »Lieber Gast«, sagte der Hausherr zu Jolaman, »bitte mich, worum du willst! Für dich ist es mir um nichts auf der Welt leid!« Entgegnete Jolaman: »Ich brauche nichts. Doch wenn du gestattest, so würde ich gern ein wenig in der Stube deines Sohnes wohnen.«

Voller Freuden behielt der Hausherr Jolaman in seinem Haus, und jener richtete sich in der Stube des genesenen Knaben ein. Jolaman grub auf dem Viehhof Stroh aus, das sieben Jahre dort gefault war, sagte, er wolle eine Wand reparieren, und trug es ins Haus. Dann verschmierte er mit dem Stroh die Ritze in der Wand, durch welche die schwarze Schlange gekrochen war, und zündete das Stroh an. Das faulige Stroh begann zu glimmen, und die Stube füllte sich mit Rauch. Als das Feuer verlöschte, erweiterte Jolaman die Ritze, scharrte die Asche heraus und erblickte alsbald die schwarze Schlange, die sich zu einem Knäuel zusammengerollt hatte. Das Tier war tot. Jolaman grub die Erde an jener Wand auf und förderte sieben riesige Krüge zutage, die mit Gold und Edelsteinen gefüllt waren.

Diese Schätze verteilte er unter die Besitzlosen: an Witwen und Waisen, an Kranke und Krüppel, an Greise und Greisinnen. Alsbald verbreitete sich die Kunde von seiner Freigebigkeit. Sie kam auch jenem Padischah zu Ohren, der Jolaman aus seinem Reich vertrieben hatte. Der Padischah neidete Jolaman den Ruhm und sprach zu seinem Wesir: »Im Nachbarreich wohnt ein Mann, der für seine Freigebigkeit berühmt ist. Stimmt das?«

»Ja!« entgegnete der Wesir. »Und es stimmt auch, dass der Ruhm von seiner Freigebigkeit den deinen überschattet.«

»Dann will ich ihn sehen«, sprach der Padischah. »Ich muss wissen, was er tut, damit das Volk seine Freigebigkeit preist.« In ein einfaches Gewand verkleidet, verließ der Padischah den Palast und machte sich heimlich auf den Weg.

Er kam in jenen Aul, in dem Jolaman lebte, und bat um ein Nachtlager. Jolaman erkannte ihn alsbald und sagte freundlich: »Mich freut jeder Gast, wer immer es auch sein mag.« Dann machte er sich daran, geschwind das Nachtmahl zu bereiten. Später fragte der Padischah Jolaman: »Gastfreundlicher Hausherr, sage mir, auf welche Weise zwingst du das Volk, den Ruhm von deiner Freigebigkeit und Güte zu verbreiten?«

Lachend erwiderte Jolaman: »Teurer Gast, gute Taten werden nicht um des Ruhmes willen vollbracht. Ich sorge mich nicht um ihn. Ich hatte einst Gelegenheit, einen prahlerischen Padischah kennen zu lernen, der bemüht war, im Volk den Ruhm von seiner Freigebigkeit zu verbreiten. Doch das Volk glaubte ihm nicht, denn es weiß selbst, wann es lohnt, eines Menschen Ruhm zu verbreiten.«

»Wer bist du, der du die Freigebigkeit des prahlerischen Padischahs übertriffst?« fragte der Padischah. »Ich bin jener einfache Mann, den du aus deinem Reich verbannt und heimatlos gemacht hast«, entgegnete Jolaman. Da erkannte der Padischah Jolaman und verstummte. Im Morgengrauen begab er sich auf den Heimweg. In seinen Palast zurückgekehrt, gebot er dem Wesir, drei Tage lang alle Staatsgeschäfte ruhen zu lassen. Während dieser Zeit grübelte der Padischah über Jolamans Worte nach. Endlich sprach er leise für sich: »Gut, dass es auf der Welt nur wenige Menschen gibt, die dem Volk die Augen öffnen für die verlogenen und heuchlerischen Taten des Herrschers. Wenn es mehr solcher Menschen gäbe, dann würde das Volk wohl bald keinen Padischah mehr auf dem Thron dulden.«