[swahili, "Geschichte, Legende"]

Ein Vogel, der Milch gibt

Wer die alten Geschichten kennt, erzählt, dass es in früheren Zeiten einmal eine große Hungersnot gab und gar kein Vieh mehr da war. Eine Frau ging im Garten umgraben, da flog ein Vogel herbei. Die Frau grub und ging wieder nach Hause. Am anderen Morgen ging sie wieder graben, aber sie konnte das Stück, das sie am Vortag umgegraben hatte, nicht mehr entdecken. Sie kam an der Stelle an, und alles war wieder mit Gras bewachsen. Da sagte sie zu sich: »Wo ist der Boden, den ich gestern umgegraben habe?« Sie grub ein zweites Mal. Als sie so grub, kam der Vogel, setzte sich auf einen Baum vor ihr und sprach: »Tschio, tschio, tschio! Das ist das Land von meinem Vater. Ich habe noch nie erlaubt, dass darauf etwas angebaut wird. Du hast mir zuwidergehandelt. O ihr Gräser, kommt wieder! Ihr Samen, breitet euch in alle Richtungen aus! Hackenstiel, spring in Stücke! Und du, Hacke, flieg davon!« Und noch einmal ging die Frau graben. Als sie hinkam, konnte sie das umgegrabene Stück wieder nicht finden, alles war wie vorher: Die Gräser waren zurückgekehrt, die Samen hatten sich ausgebreitet, der Stiel war zerbrochen und die Hacke war weg. Noch einmal grub sie. Und der Vogel flog herbei und sprach:

»Tschio, tschio, tschio! Das ist das Land meines Vaters. Ich habe noch nie erlaubt, dass darauf etwas angebaut wird. Du hast mir zuwidergehandelt. O ihr Gräser, kommt wieder! Ihr Samen, breitet euch aus! Hackenstiel, spring in Stücke! Hacke flieg weg!« Und so geschah es. Die Gräser kehrten zurück, der Samen breitete sich aus, der Stiel zerbrach, und die Hacke flog weg.

Die Frau ging nach Hause, um ihrem Mann davon zu erzählen. Sie sagte: »Wenn ich grabe, kommt da ein Vogel und spricht zu mir: ›Das ist das Land meines Vaters. Ich habe noch nie erlaubt, dass darauf etwas angebaut wird. Du hast mir zuwidergehandelt. O ihr Gräser, kommt wieder! Ihr Samen, breitet euch aus! Stiel, spring in Stücke! Und du, Hacke, flieg weg!‹ Und so geschieht es dann auch.«

Am anderen Morgen ging die Frau als erste hinaus, um zu graben. Sie hatten nämlich beschlossen: Die Frau sollte graben, und der Mann sollte dann kommen, um zu hören, was der Vogel sprach. Der Mann folgte also seiner Frau und setzte sich in ihrer Nähe in ein Versteck. Als die Frau grub, kam wieder der Vogel und sprach dasselbe wie beim vorigen Mal. Der Mann hörte es, kroch unter dem Busch hervor, richtete sich auf und sah den sprechenden Vogel. Er sprang nach ihm und vertrieb ihn. Der Vogel floh, und der Mann rannte hinterher.

Überflog der Vogel den Hügel, folgte der Mann. Er jagte ihn ohne Unterlass. Schließlich war der Vogel müde, und der Mann fing ihn. Da sagte der Vogel: »lass mich in Frieden und ich will dir etwas Amasi zubereiten.« Der Mann sagte: »Dann mach nur, dass ich sie sehe.« Der Vogel bereitete Amasi und seihte sie durch, dass es gluckerte. Der Mann trank und dann forderte er: »Nun mach auch Quark.« Es gab ein klatschendes Geräusch. Der Mann aß und war zufrieden, denn er hatte lange gehungert. Dann meinte er erfreut, dass er nun einen Ernährer gefunden habe. Er ging mit dem Vogel nach Hause, steckte ihn in seiner Hütte in einen Topf, den er zuschmierte, damit seine Frau und die Kinder den Vogel nicht entdeckten. Es sollte nur für ihn allein etwas Leckeres geben, denn er hatte den Vogel gefangen.

Die Frau ging wieder graben und der Mann ebenfalls. Beide kamen zurück, aber der Mann erst, als es dunkel war und alle schon schliefen. Der Mann aber legte sich nicht schlafen, er ging zum Topf und nahm den Deckel ab. Der Vogel saß auf dem Boden. Da nahm er ihn in die Hand und goss Amasi in sein Gefäß, dann setzte er den Vogel wieder in den Topf und verschmierte ihn. Die Amasi aß er allein, während alle Kinder und die Frau schliefen.

Am Morgen machte der Mann sich auf, um Holz zu schneiden, die Frau ging aufs Feld. Die Kinder blieben allein. Eins der Kinder aber hatte den Vater heimlich Amasi essen gesehen und sagte zu den anderen: »Ich habe Vater gesehen. Er hat in der Nacht, als wir alle schliefen, etwas gegessen. Er nahm den Deckel vom Topf, und ich habe gesehen, wie er Amasi ausgeschüttet hat. Ich war ganz still und habe mir gesagt, er wird schon mal fort sein, und dann werden wir Amasi essen, denn er missgönnt sie uns.« Dann nahmen sie den Deckel vom Topf und fanden den Vogel, der oben auf der Amasi saß. Sie hielten ihn in der Hand und dann aßen sie und aßen und aßen und aßen, bis sie satt waren. Danach deckten sie den Topf wieder zu. Der Vater fragte: »Kinder, was habt ihr gegessen, dass ihr so voll gestopft seid?« Aber sie täuschten ihn und sagten: »Wir sind nicht voll gestopft.«

In der Nacht, als sich alle hingelegt hatten, hatte der Mann das gleiche vor wie in der vorigen Nacht. Aber eines der Kinder hatte sich ausgedacht, dass sie nicht schlafen, sondern dem Vater zusehen wollten. Als sich alle hingelegt hatten, öffnete der Vater den Topf und aß und aß. Dann deckte er den Topf wieder zu. Seine Kinder aber hatten alles gesehen und wussten nun, dass er ihnen das Essen missgönnte. Sie sprachen: »Der Morgen wird schon kommen, und dann werden wir sehen, ob er weggeht.«

Am Morgen verschwand der Mann. Die Kinder nahmen den Deckel vom Topf, da saß der Vogel auf der Amasi. Sie holten ihn heraus und aßen sich satt. Da entschlüpfte der Vogel dem, der ihn hielt, und flog mit einem Schwirren davon. An der Tür hielt er an. Einer der Jungen, mit Namen Udemazane, sagte: »Udemane, schau, Vaters Vogel fliegt weg!« Aber Udemane antwortete: »Wart ein Weilchen, Kind meines Vaters, ich fülle mir eben den Mund.« Mit einem Schwirren verließ der Vogel die Tür und hielt draußen im Freien an. Wieder sagte Udemazane: »Schau, Udemane, Vaters Vogel fliegt weg!« Und Udemane sagte: »Nun warte ein bisschen, Kind meines Vaters, ich fülle mir eben den Mund.« Der Vogel flog weiter und setzte sich auf den Zaun. Und Udemazane sagte dasselbe wie vorher. Schließlich flog der Vogel weg und verschwand. Da war es vorbei.

Der Vater kehrte zurück. In der Nacht, als er gedachte, seinen Leckerbissen zu sich zu nehmen, fand er den Vogel nicht mehr, und viel Amasi war auch nicht übrig. Er wunderte sich, rief die Kinder und fragte: »Was war mit dem Topf hier?« Die Kinder antworteten: »Das wissen wir nicht.« Aber einer sagte: »Nein, Vater, sie belügen dich. Sie haben deinen Vogel wegfliegen lassen, und die Amasi haben wir gegessen.« Um sie für den Verlust zu bestrafen, schlug sie der Vater sehr. Er glaubte, er würde nun Hungers sterben. Das ist das Ende der Geschichte.