[swahili, "Geschichte, Legende"]

Die Stieftochter und der Bär

Es lebte einmal ein Greis mit seinem alten Weibe, und sie hatten eine Tochter. Da starb das Weib, und die Tochter war nun ein Waisenkind. Der Vater heiratete eine andere Frau, und sie bekamen eine Tochter. Die Stiefmutter konnte die Tochter der anderen nicht leiden, doch ihre eigene Tochter liebte sie sehr. Da gebot sie dem Alten, die Tochter in den Wald zu bringen, damit die wilden Tiere sie zerrissen. Der Alte gehorchte. Er tat Mehl und Brot in eine kleine Tragtasche und sagt zu seiner Tochter: »Komm, wir wollen in den Wald gehen und da wohnen.« Und sie gingen los. Sie fanden im Walde ein kleines Hüttlein, und da gingen sie hinein. Der Vater sagte zu seiner Tochter, sie solle in der Hütte bleiben, er wolle Holz hacken gehen. Als er hinausgegangen war, um Holz zu hacken, machte er sich daran und band ein trockenes Stück Holz an eine Birke und ging nach Hause. Doch das Holzstück bewegt der Wind, und immer wieder - krach, krach - stößt es an die Birke. Und sie meint, dass er dort Holz hackt. Am Abend merkt sie, dass der Vater nicht mehr da ist, geht hinaus und ruft: »Wer im Wald,
Wer im Forst,
Wer will kommen zu mir
Über Nacht?«
Da rief der Bär zurück: »Ich im Wald,
Ich im Forst,
Ich will kommen über Nacht!«
Da kam der Bär mit schweren Schritten an: »Jungfer, Jungfer, hebe mich über die Schwelle! Mit den Händen oder mit den Füßen!« Das Mädchen nahm ihn mit den Händen und hob ihn herüber. »Jungfer, Jungfer, suche mir den Kopf ab - mit einem Holzspan oder mit den Händen!« Die Jungfer suchte ihm schön den Kopf ab, schön mit den Händen. Darauf: »Jungfer, Jungfer, koch mir was zu essen!« Das Mädchen kochte, und beide aßen zusammen. Dann sagte der Bär wieder: »Jungfer, Jungfer, mache mir ein Bett: eine Reihe Steine, eine Reihe Holzstücke.« Das Mädchen machte alles zurecht.

Doch vorher kam noch ein Mäuschen zum Mädchen gelaufen und sagte: »Gib mir wenigstens ein Klößchen. Ich werde dir dafür helfen!« Das Mädchen warf ihm ein Klößchen hin. Doch der Bär auf dem Ofen: »Gib ihm nichts! Gib ihm nichts!« Und das Mädchen: »Ich gebe ihm nichts, ich gebe ihm nichts.« Darauf gebot der Bär dem Mädchen, Schlüsselchen zu nehmen und schnell unter den Bänken an den Wänden im Kreise herumzulaufen. Doch der Bär will vom Ofen herab mit Steinen und Holzstücken nach ihr werfen.

Da kam das Mäuschen gelaufen und sagt: »Jungfer, Jungfer, gib mir die Schlüsselchen, ich werde unter den Bänken herumlaufen, doch du bleibe an einer Stelle liegen und schmiege dich an die Wand!« Als das Mäuschen herumzulaufen begann, da warf der Bär wild mit Holzstücken und Steinen vom Ofen herab. Und immer wieder fragt er: »Lebst du noch? Lebst du noch?« Immerzu warf er und fragte. Er warf so lange, bis er keine Steine und Holzstücke mehr hatte. Als er nun vom Ofen herabstieg, da fand er das Mädchen lebendig, und er zerriss es nicht. Darauf ging er wieder in den Wald.

Das Mädchen, das nun in dieser kleinen Hütte lebte, sah einmal vornehme Herren mit sechs Rossen, alle schön silberweiß, mit Kutschwagen angefahren kommen, und die nahmen sie mit.

Das Hündchen zu Hause bei ihrem Vater kläffte immerfort: »Kiau-kiau, gefahren kommt,
Kiau-kiau, Opas Tochter,
Kiau-kiau, im Kutschwäglein,
Kiau-kiau, mit sechs Rossen,
Kiau-kiau, alle silberweiß!«
Die Stiefmutter kam sofort herausgelaufen und sagt zum Hündchen: »Und du wirst hier noch kläffen! Die ist schon lange im Bauch des Bären. Und da kläffst du noch: mit sechs Rossen!« Und sie schlug dem Hündchen einen Fuß ab. Das Hündchen lief auch fort, doch es kam wieder - und wieder dasselbe. Da kam sie wieder herausgestürzt und schlug ihm den zweiten Fuß ab. Der Arme hatte jetzt nur noch zwei

Füße. Als die Stiefmutter wieder hineingegangen war, beginnt er von neuem: »Kiau-kiau, gefahren kommt,
Kiau-kiau, Opas Tochter,
Kiau-kiau, im Kutschwäglein,
Kiau-kiau, mit sechs Rossen,
Kiau-kiau, alle silberweiß!«
Die Stiefmutter kam wieder heraus und schlug ihm den dritten Fuß ab. Da sah sie aber, dass die Tochter wirklich angefahren kommt. Und sie sah durchaus nicht verhungert aus! Da fing sie an, den Alten zu schelten: »Sieh da, du hast deine Tochter fortgebracht und sie auf einen guten Platz gesetzt! Ich hatte dir geboten, du solltest sie den wilden Tieren bringen, dass sie sie zerreißen!« Da sagen die Herren: »Wir haben sie gefunden und im Wagen mitgenommen.« Dann verteilte das Mädchen an die Stiefmutter und an den Hund süßes Weizenbrot und fuhr wieder fort. Da sagt das Weib zum Alten: »Bring auch meine Tochter dahin!«

Der Alte nahm Mehl und Brot, tat es in eine Tragtasche und brachte die Tochter in den Wald zu dem Hüttlein. Er sagt ebenso: »Bleibe hier, ich gehe Holz hacken.« Und ebenso band er an die Birke ein trockenes Stück Holz, und es hört sich so an, als ob Holz gehackt würde, wenn der Wind das Holz bewegt. Am Abend ging sie aus der Hütte nach draußen: »Wer im Wald,
Wer im Forst,
Wer kommt her
Bei mir übernachten?«
Der Bär sagt: »Ich im Wald,
Ich im Forst,
Ich will kommen
Hin zu dir über Nacht.«
Und der Bär kam: »Jungfer, Jungfer, heb mich hinüber - mit den Händen oder mit einer Forke!« Das Mädchen ergriff eine Forke und wälzte den Bären damit hinein. Dann der Bär: »Jungfer, Jungfer, such mir den Kopf ab - mit den Fingern oder mit einem Holzspan!« Das Mädchen nahm einen Holzspan und kratzte ihn ordentlich. Der Bär verzog ganz schön das Gesicht! »Jungfer, Jungfer, koch mir Suppenbrei!« Das Mädchen kochte ihm Suppenbrei.

Da kam das Mäuschen herbeigelaufen und sagt: »Jungfer, Jungfer, gib mir ein Klößchen davon - ich werde dir dafür helfen!« Der Bär befahl: »Gib ihm nichts, gib ihm nichts!« Da schlug das Mädchen dem Mäuslein mit dem Löffel - bums - auf den Kopf, und das Mäuslein lief weg. Dann kam es wieder angelaufen. Doch das Mädchen gab ihm trotzdem nichts. Und zum dritten Male kam es angelaufen - doch immer noch gab sie ihm nichts. Dann der Bär: »Jungfer, Jungfer, hebe mich auf den Ofen - mit den Händen oder mit der Forke!« Das Mädchen wälzte ihn mit der Forke hinauf. »Jungfer, Jungfer, mache mir ein Bett zurecht: eine Reihe Steine, eine Reihe Holzstücke.« Und dann befahl er, die Schlüsselchen zu nehmen und herumzulaufen. Als das Mädchen begann, unter den Bänken herumzulaufen, fing der Bär an zu werfen. Und immer fragt er: »Lebst du noch?« Das Mädchen antwortete: »Ja, ich lebe noch!« Doch immer etwas schwächer, bis er sie ganz zu Tode gebracht hatte. Dann kletterte der Bär vom Ofen, sog und schlürfte ihre Knöchlein aus und packte sie in einen Tragkorb.

Da kamen die vornehmen Herren angefahren, doch sie fanden nur noch ihre Knochen. Sie stellten den Tragkorb auf ihren Kutschwagen und nahmen ihn mit. Das Hündlein sagt wieder: »Kiau-kiau, heim kommt dort ja,
Kiau-kiau, Omas Tochter,
Kiau-kiau, im Kutschwäglein,
Kiau-kiau, im Tragkörblein
Nur die Knochen.«
Die Stiefmutter kommt herausgelaufen und sagt: »Da siehst du's, wenn es Opas Tochter ist, dann - in einem schönen Kutschwagen, doch wenn es meine ist, dann - in einem kleinen Korb nur ihre Knochen!« Und sie schlug dem Hündchen den letzten Fuß ab. Doch das Hündchen kläfft immer dasselbe. Es kläfft und kläfft, bis sein Kläffen Wahrheit wurde - da sah man schon, dass sie angefahren kommen. Als sie da waren, da sah das Weib, dass es wirklich nur ihre Knochen waren. Und in ihrem großen Schmerz schlug sie den Alten, solange sie konnte, aber dann bekam sie keine Luft mehr und brach tot zusammen.