[swahili, "Geschichte, Legende"]

Die Söhne des Padischahs und der Sklavin

Diese Geschichte begab sich in sehr fernen Zeiten. In einem mächtigen Reich war der wohl allerunglücklichste Mensch der Padischah: Er nannte vierzig Frauen sein eigen, doch keine einzige hatte ihm ein Kind geschenkt. Die Höflinge bangten nicht so sehr um das Glück des Padischahs als um ihr eigenes Wohlergehen, denn ihre Zukunft beunruhigte sie. Nach dem Tode des kinderlosen Herrschers würde ein Padischah aus einer anderen Dynastie den Thron besteigen. Er würde eigene Leute haben, die er an den Hof mitbringen würde, sie aber, die Getreuen des alten Padischahs, würden dann ihr prunkvolles Leben im Palast aufgeben müssen. Wenn der Padischah es nicht hörte, sprachen sie häufig miteinander über das drohende Unheil. Allein die Geburt eines Thronerben würde es abwenden können. So beschlossen sie, ihrem Gebieter zu raten, sich um Hilfe an einen berühmten Mann, der in einer entlegenen Stadt lebte, zu wenden. Wir wollen zuverlässige Leute zu ihm schicken, er mag ihnen sagen, warum unser Padischah keine Kinder hat und was er tun muss, auf dass ihm ein Erbe geboren wird, meinten Wesire und Wekile. Der Padischah hörte Wesire und Wekile an und willigte in ihren Vorschlag ein. Zwei Gesandte wurden zu dem berühmten Mann geschickt. Beide waren von kräftiger stattlicher Statur - rechte Palwane! Nur war der eine von hitzigem Gemüt, wenn es um wichtige Dinge ging, der andere hingegen handelte stets bedächtig.

Über kurz oder lang kamen die Gesandten in jene Stadt, in welcher der berühmte Mann lebte. Sie kehrten in einer Karawanserei ein, stellten ihre Pferde im Stall unter, blieben über Nacht, ruhten sich aus nach dem weiten Weg und machten sich anderntags auf zu dem weisen Mann. »Tretet ein und nehmt Platz, teure Gäste.« Höflich empfing sie der weise Mann. »Ihr seid, scheint's, von weit her gekommen. Sagt, was euch zu uns geführt hat.«

»Aga, wir sind in der Tat von weit her gekommen. Unser Weg war beschwerlich. Doch wir benötigen Euren weisen Rat. Wohl habt Ihr vernommen, dass unser Padischah zwar vierzig Frauen besitzt, doch keine einzige hat ihm ein Kind geboren. Vermögt Ihr uns zu sagen, ob unserem Padischah noch Kinder beschert werden? Was ist vonnöten, damit unser Padischah einen Erben erhält?«

»Ihr seid mit einem ehrenwerten Auftrag zu mir gekommen, teure Gesandte. Doch nur ein Weiser vermag euch Antwort zu geben. Der Weg zu ihm ist weit und beschwerlich. Er lebt am Rande der Steppe in einem unterirdischen Gewölbe. Neben seiner Wohnstatt wächst eine Palme, und der Eremit ernährt sich von ihren Früchten, den Dattelpflaumen. Er wird euch sicher einen weisen Rat erteilen. Der Weg zu ihm aber führt durch menschenleere Gegenden. Deshalb müsst ihr reichlich Proviant mit euch nehmen. Eure Reise wird nicht einen Monat währen und auch nicht zwei, sondern ein Jahr, vielleicht auch gar zwei.« Die Gesandten bedankten sich bei ihrem Gastgeber und machten ihm einen Churdshun mit Gold und Silber zum Geschenk, dann traten sie den Rückweg an, in ihre Heimatstadt.

Über kurz oder lang erreichten sie die Stadt ihrer Väter und begaben sich also gleich zum Padischah. Die Gesandten berichteten: »Wir waren viele Tage unterwegs, um den Auftrag auszuführen. Doch der weise Mann wusste uns keine Antwort. Er riet uns, sich an einen Weisen zu wenden. Doch, um zu ihm zu gelangen, muss man zwei Jahre durch die Berge und alsdann durch eine von Menschen unbewohnte Steppe ziehen.« Der Padischah nickte: »Ja, das ist ein schwieriges Unterfangen. Aber ihr müsst diesen Weg machen.« Abermals rüsteten die Gesandten zur Reise. Nach einigen Monaten gelangten sie in die Berge. Mehrere Monate lang erklommen sie Gipfel, stiegen tief hinab in die Schluchten und erreichten endlich die Steppe. Monatelang zogen sie durch die Wüste, doch sie begegneten keinem einzigen lebenden Geschöpf. Sie stießen nicht einmal auf die Spuren von Wildtieren. Einmal bereiteten die erschöpften Gesandten ihr Nachtlager. Als sie morgens erwachten, bemerkten sie in der Ferne Rauch. Da freuten sie sich, denn sie glaubten, dass der Rauch aus dem Herd in der Höhle des Weisen aufsteige. Doch kaum war dieser Gedanke zu Ende gedacht, da war auch der Rauch verschwunden. Abermals mussten sie nach Gutdünken weiter reiten.

Über kurz oder lang erblickten sie einen Baum. Sie gaben den Pferden die Sporen und saßen gegen Abend unter einer hohen Palme ab. Alles sah hier so aus, wie der weise Mann es den Gesandten beschrieben hatte. Von der Palme führten Stufen hinab in die Erde, und in der Tiefe gähnte eine Höhle. Das war die Eremitenklause des Weisen. Die Wanderer stiegen hinab und traten ein. Es war so finster, dass man seine Hand vor Augen nicht sehen konnte. Als sie sich endlich an die Dunkelheit gewöhnt hatten und sich umblickten, sahen sie, dass auf einem Erdhügel ein graubärtiger Eremit, ein weiser Greis saß. »Salam!« Die Gesandten grüßten schüchtern. Der Weise dankte für ihren Gruß und fragte: »Wohin des Wegs, Palwane? Was hat euch zu mir geführt?«

»Oh, Weiser-aga«, erwiderten die Gesandten. »Wir haben einen Padischah, der vierzig Frauen besitzt, doch keine hat ihm ein Kind geschenkt. Sagt, was muss der Padischah tun, um einen Thronfolger zu bekommen?«

»Das will ich euch morgen in der Frühe sagen«, entgegnete der Eremit. »Jetzt aber begebt euch zur Ruhe und schlaft, man sieht euch an, dass ihr müde vom Ritt seid.«

»Du bist in Wahrheit der weiseste unter den Menschen!« riefen die Gesandten, legten sich in einen Winkel und fielen in tiefen Schlaf.

Morgens sprach der Weise: »Ihr fragt, warum euer Padischah, der vierzig Frauen besitzt, keine Kinder hat? Schon eine Frau bereitet einem Mann viele Scherereien, doch wenn es ihrer vierzig sind, findet er überhaupt keine Ruhe. Wahrscheinlich sind sie alle eifersüchtig aufeinander?«

»gewiss!« entgegneten die Gesandten. »Streiten die Frauen auch untereinander?« fragte der Weise. »Sie streiten sich nicht nur, sie prügeln sich sogar«, erwiderten die Gesandten. »Der Padischah findet also nirgendwo Ruhe vor ihnen, nicht wahr?«

»Ja.« Die Gesandten nickten zustimmend. »Wäre es da nicht besser für ihn, alle Frauen aus dem Palast fortzuschicken, um in Ruhe zu leben?«

»Natürlich!« Abermals nickten die Gesandten. »So ratet denn eurem Padischah, seine verzärtelten Frauen fortzuschicken, unter ihren Sklavinnen aber ein junges bescheidenes Mädchen auszuwählen und es zum Weibe zu nehmen. Dann wird er auch einen Erben bekommen.« Die Gesandten dankten dem Weisen für den Rat, trugen einen Churdshun herein und schütteten zu Füßen des Weisen Gold und Silber aus. »Nehmt dies alles wieder mit euch, Palwane. Ich brauche keine Reichtümer«, sagte der Weise. »Ich wünsche euch eine gute Heimreise.« Die Gesandten verpackten die Schätze des Padischahs wieder im Churdshun, dankten dem Weisen noch einmal von ganzem Herzen, verabschiedeten sich und traten den Rückweg an.

In der Stadt ihrer Väter aber hielten sie alle für verschollen. Die Frauen der Palwane waren oftmals mit den Kindern zum Padischah gekommen, hatten bitterlich geweint und ihm Vorwürfe gemacht: »Du hast unsre Ernährer dorthin gesandt, von woher keiner jemals zurückkehrt!« Derweilen hatten die Abgesandten tapfer alle Schwierigkeiten des Weges, auf dem sie viele tödliche Gefahren umlauerten, bezwungen. Viel Zeit ging dahin, bis sie die Mauern ihrer Heimatstadt vor sich sahen.

Unmittelbar vor der Stadt begegneten ihnen Hirten, die die lang erwarteten Boten des Padischahs erkannten. Sie redeten ihnen zu, einstweilen zu rasten, derweilen aber würden sie, die Hirten, dem Padischah die frohe Botschaft von der Heimkehr der Gesandten überbringen. Jene waren es zufrieden. Die Einwohner, groß und klein, alt und jung, zogen vors Stadttor, um die hoch geachteten Gesandten zu empfangen. Kaum hatte der Padischah sie erblickt, da begann er sie auch schon zu fragen nach dem Erfolg ihrer Reise. »Oh, hoher Gebieter«, sagten die Boten. »All Eure vierzig Frauen vermögen nicht, Euch einen Erben zu schenken. Sie bringen Euch nichts außer Unruhe und Sorgen. Drum hat der weise Mann geraten, sie auf und davon zu jagen und eine einzige, ein einfaches Mädchen, eine Sklavin, zum Weibe zu nehmen.«

Der Padischah belohnte seine treuen Boten reichlich und entließ sie in Ehren nach Hause. Dann rief er seine Frauen und sprach: »Ich lasse euch frei. Geht, wohin ihr wollt.« Nun ließ er ein junges Mädchen rufen, eine Sklavin, und verkündete ihr, dass er sie zu seinem Eheweib mache. Abends, als der Padischah die Frauengemächer betrat und sich Guldshemal zärtlich zuwenden wollte, tönte von der Straße ein drohendes »Ha!« Der Padischah horchte auf. »Wer ist dort?« fragte er den Jessaul. »Ein Derwisch«, erwiderte der Jessaul. »Was will er?«

»Er ist gekommen, um Euch zu Eurer neuen Gattin Glück zu wünschen.«

»Schenkt ihm ein kräftiges Pferd«, befahl der Padischah. Der Jessaul führte dem Derwisch den besten Traber vor, doch der lehnte die Gabe ab. »Mein Padischah, der Derwisch nimmt das Ross nicht an«, meldete der Jessaul. »Warum?« Der Padischah war erstaunt. »Vielleicht hat er eine Familie, die Hunger leidet. So gebt ihm Mehl.« Doch der Derwisch verschmähte auch das Mehl, vielmehr bat er den Jessaul, den Padischah persönlich sehen zu dürfen. Als der Padischah über die Schwelle trat, reichte der Derwisch ihm einen Apfel: »Oh, Padischah! Bevor du zu deiner Frau gehst, teile diesen Apfel in zwei Hälften. Die eine Hälfte verzehre selbst, die andere gib deinem Weib. Dir werden zwei Söhne geboren. Vertraue einen meiner Obhut an, und ich will es zufrieden sein.« Diese Worte stimmten den Padischah nachdenklich. Doch da näherte sich der Oberwesir und flüsterte ihm zu: »Wer weiß, wann Euch die Söhne geboren werden. Versprecht, dass Ihr ihm einen gebt, später wollen wir weitersehen.«

»Schön«, sprach der Padischah. »Wenn mir zwei Söhne geboren werden, so gebe ich einen dir.«

»Hüte dich, wortbrüchig zu werden«, rief der Derwisch und verschwand.

Fortan waren die Tage im Palast des Padischahs von Ruhe und Heiterkeit erfüllt: Guldshemal bereitete sich auf Mutterfreuden vor. Dann schenkte sie Zwillingen, zwei Knaben, das Leben. Von diesen Kindern schien ein Leuchten auszugehen, so schön waren sie anzusehen. Zu Ehren der Geburt seiner zwei Söhne gab der Padischah ein Fest voller Prunk und Pracht. Dieser Toi im Palast des Padischahs währte bereits den dritten Tag, als ein ungebetener Gast erschien, jener Derwisch, der die Geburt der Kinder prophezeit hatte. »Nun, Padischah, habt Ihr Euer Versprechen vergessen? Haltet Euer Wort. Ich warte, dass Ihr es erfüllt.« Außer sich vor Zorn, wollte der Padischah den ungebetenen Gast hinauswerfen, doch da trat abermals der Oberwesir zu ihm und flüsterte ihm ins Ohr: »Wozu mit ihm streiten. Stimmt ihm zu. Jetzt kann er das Brustkind sowieso nicht mit sich nehmen. Lasst Zeit vergehen, später werden wir sehen...« Zeit vergehen lassen? Das stimmt, dachte der Padischah bei sich und sagte zum Derwisch: »Ich bin es zufrieden. Ein Kind mag dir gehören.« Der Derwisch schnitt das Band von seinem Gürtel ab, schlang es einem Neugeborenen um das zarte Ärmchen und verschwand.

Als er fort war, fiel der Padischah in große Schwermut. Der Oberwesir bemerkte es und eilte herbei. »Mein Padischah! Wir wollen einen unterirdischen Palast erbauen und die Mutter mit den Kindern dorthin schaffen. Wenn die Knaben herangewachsen sind, mag ein gelehrter Mullah bei ihnen leben. Er wird sie erziehen und unterrichten. Wenn in der Zwischenzeit jemandem in der Stadt ein Sohn stirbt, so wollen wir die Eltern rufen und sie darum bitten, im Volk das Gerücht zu verbreiten, der Padischah sei es gewesen, dem ein Sohn gestorben ist. Dieses Gerücht wird auch dem Derwisch zu Ohren kommen. Dann wird er nicht wiederkommen, um das ihm versprochene Kind abzuholen.«

Der Padischah tat, wie sein Wesir ihm geraten. Guldshemal lebte mit den Kindern in einem herrlichen unterirdischen Palast, und als die Söhne heranwuchsen, wurde ihnen ein gelehrter Mullah beigegeben. Der Eingang zum unterirdischen Palast aber war stets mit einem schweren Mühlstein verschlossen. Wieder verging einige Zeit, da verbreitete sich in der Stadt das Gerücht, dass die Söhne des Padischahs gestorben seien. Lange Zeit hörte man nichts von jenem Derwisch. Doch eines Tages kam er zum Padischah in den Palast. »Ich will meinen Sohn holen«, sagte der Derwisch. »Weißt du nicht, dass meine beiden Söhne schon lange gestorben sind?« erwiderte der Padischah. »Komm mit mir, ich will dir ihre Gräber zeigen.« Das Gesicht des Derwischs verzog sich zu einer wütenden Grimasse. »Ich will Euch zeigen«, sagte er, »wie man Tote aus dem Jenseits zurückholt, Gebieter!« Sprach's und verließ den Palast.

Der Derwisch ging um den Garten herum, unter dem die Knaben lebten, stieg auf einen Hügel und begann den Dutar zu spielen. Er war ein herrlicher Musikant. Die Klänge des Dutars tönten weit über das Land und lockten mit unwiderstehlicher Gewalt. Die Menschen strömten aus der Stadt zum Hügel. Bald hatten sich Wesire und Wekile, die Palastwachen und die Bediensteten eingefunden. Auch der Padischah konnte sich nicht halten. Er vergaß alles in der Welt, verließ seinen Palast und stellte sich vor dem Hügel in die Menschenmenge wie ein ganz gewöhnlicher Stadteinwohner, der von der zauberhaften Musik gebannt war.

Durch die Öffnung im Mühlstein, der den Eingang zum unterirdischen Palast verschloss, drangen die Klänge auch dorthin. Die Söhne des Padischahs rannten zur Treppe, stemmten die Rücken gegen den Mühlstein, spannten die Muskeln, hoben den Stein an, wälzten ihn zur Seite und sprangen ans Tageslicht. »So kehren die Toten zurück!« rief der Derwisch, als er die zwei herrlichen Jünglinge erblickte, die zum Hügel gelaufen kamen. »Sind das nicht gar unsere Söhne, Padischah? Wenn Ihr Euch jetzt vor allem Volk weigert, Euer Versprechen einzulösen, so wird ein jeder sagen, dass Ihr ein Betrüger und Feigling seid, und die Söhne werden sich als erste von so einem Vater lossagen.«

»Sei's drum«, kaum hörbar brachte der Padischah die Worte über die Lippen. »Nimm einen von ihnen, verfluchter Derwisch.« Der Derwisch nahm den Jüngeren bei der Hand und führte ihn weg. »He, Derwisch! lass ihn hier!« rief der andere Bruder und folgte ihnen. Der Derwisch wandte sich um, erblickte den Jüngling, der ihnen nacheilte, bleckte die Zähne und hob drohend die Faust. Der verlassene Bruder weinte bitterlich, wie er da unter einem Apfelbaum am Wegesrand stand. Die Knie zitterten ihm, und er stürzte ins Gras.

Plötzlich vernahm er einen kläglichen Vogelschrei: Über die Baumwipfel kreiste ein leuchtend bunter Papagei. Der Jüngling schickte sich gerade an zu rufen, dass er die Vogeljungen im Nest gar nicht anrühren wolle, da sah er: Eine schwarze Schlange wand sich mit ihrem Leib um den Stamm und kroch den Baum hinauf. Der Jüngling nahm einen Stein zur Hand, holte aus und zerschmetterte den Schlangenkopf. Im selben Augenblick verspürte er einen Schlag gegen seine Schulter. Der Jüngling bückte sich und hob einen Apfel von der Erde auf. Die Vogelmutter sprach zu ihm: »Nimm diesen Wunderapfel als Lohn für dein gutes Herz. Lege ihn in eine Schale und stelle sie aufs Fenster, morgen Abend aber schau sie dir an. Wenn auf dem Apfel Tautropfen funkeln und er frisch ist, so wisse, dein Bruder ist unversehrt. Wenn der Apfel zu welken beginnt, so wisse, dein Bruder ist in Not. Wenn der Apfel jedoch fault, so wisse, dein Bruder ist tot. Jetzt aber sorge dich nicht um deinen Bruder. Meine Verwandten, die schnellflügligen Papageien, werden ihm stets zu Hilfe eilen.« Der Jüngling beruhigte sich, nahm den Apfel mit sich in den Palast, legte ihn in eine Piale, stellte sie aufs Fensterbrett und beobachtete sie Tag für Tag. Stets standen Tautropfen auf der Frucht. Seinem jüngeren Bruder war also kein Unheil geschehen.

Unterdessen hatte der Derwisch den jüngeren Bruder zu einer hohen Festung in den Bergen gebracht, seinen riesigen Bart beiseite geschoben und ein Schlüsselbund hervorgeholt. Das schloss war eingerostet, und die Schlüssel quietschten - so eine Tür lässt sich nicht so rasch aufschließen! Der Jüngling sah sich aufmerksam um und bemerkte am Fuß des Berges eine Platane, in deren Wipfel zwei Papageien saßen. Die Papageien schwätzten, lachten und huben unversehens zu weinen an. »Was ist euch, liebe Papageien?« fragte der Jüngling. »Wir haben gelacht und uns gefreut, als wir dich sahen: Von dir geht ein so herrliches Leuchten aus. Doch dann begannen wir zu weinen, als wir bedachten, dass der böse Zauberer dich in den Untergang treibt. In den Mauern dieser Festung ist es gar gruselig. Doch ein Papagei aus deiner Heimat kam schon herbei geflogen und hat uns gebeten, dich zu retten. Sobald du uns rufst, eilen wir dir zu Hilfe.«

Der Jüngling verlor allen Mut. Inzwischen hatte der als Derwisch verkleidete Zauberer die schwere Tür aufgestoßen und rief: »Was stehst du wie ein Stein! Komm rasch herein!« Kaum hatte der Jüngling mit seinem Gebieter den Vorraum betreten, da verriegelte der Zauberer die Eingangstür und schloss eine andere Tür auf, die in die nächste Stube rührte. Der Jüngling vermochte gar nicht, alle Türen zu zählen, durch die sie schritten. Eine jede schloss der Zauberer ab, nachdem sie eingetreten waren.

Was hatte dieser Zauberer nicht alles in seinem Besitz! Da war ein Gemach mit Gold und Silber gefüllt, ein anderes mit den verschiedenartigsten Waffen, im dritten Raum standen gesattelte Pferde, im vierten aber lag ein Haufen Menschenknochen. Im letzten, dem vierzigsten Gemach, verhielt der Zauberer den Schritt und sprach: »Hier sind die leckersten Speisen schon aufgetragen. Iß, so viel du magst, damit du zu Kräften kommst. Ich aber will fünfzehn Tage schlafen.« Der Zauberer schlief fest ein, der Jüngling aber kam nicht zu Kräften, vielmehr wurde er immer blasser und fiel vom Fleisch. Die Worte der Papageien gingen ihm nicht aus dem Sinn. Nach fünfzehn Tagen erwachte der Zauberer aus seinem Schlaf und sah, dass der Sohn des Padischahs spindeldürr geworden war. »Warum isst du nichts!« Er ging mit drohend geballten Fäusten auf den Jüngling los. »Ich will für zehn oder fünfzehn Tage jagen gehen, sieh zu, dass du bis zu meiner Rückkehr wieder bei Kräften bist!« Zwanzig Tage vergingen, bis der Herr der Gruselhöhle zurückkehrte. Der Jüngling war nur noch Haut und Knochen. Der böse Zauberer versuchte, ihm gewaltsam die Speisen einzuflößen, doch der Jüngling konnte vor Schwäche nichts zu sich nehmen. Da schob der Derwisch-Dew einen Diwan aus der Ecke fort, und der Jüngling erblickte einen riesigen Kasan. Wenn man sich auf seinen Boden stellte, so ragte der Kopf nicht einmal über den Rand hinaus.

Der Dew schleppte den Kasan in die Mitte des Hofes, stellte ihn auf eine Grube mit Brennholz und begann Wasser zu holen. Er füllte den Kasan randvoll und entzündete alsdann das Brennholz. »Wozu ist dieser riesige Kasan? Was führst du im Sinn?« fragte der Jüngling. »Oh, Schah! Ich habe mich befleißigt, dich gut zu bewirten, doch alles blieb vergebens. Drum will ich dich nun die Spiele der Dewe lehren. Vielleicht gefallen sie dir, und du bekommst Appetit. Nur zu, Schah, spring auf den Rand des Kasans und hüpfe.«

»Ach, Derwisch, dieses Spiel kenne ich nicht. Drum zeige mir, wie man auf dem Rand des Kasans umher springt.«

»So macht man das!« rief der Derwisch und sprang auf den Rand des Kasans. »So tanzt man hier!« Er hatte schon den Dutar herrlich gespielt, doch sein Tanz war noch schöner anzusehen. Er drehte sich wie ein Brummkreisel, er sprang wie ein Ball. »So springen die Dewe, so tanzen die Dewe!« wiederholte der Derwisch immerfort und klatschte in die Hände. »So! So!«

In den Lüften kreischten Stimmen. Der Jüngling hob den Kopf und erblickte zwei Papageien. »Wo sind sie, die nichtsnutzigen Schwätzer?« Der Derwisch verrenkte sich schier den Kopf, als er Ausschau hielt nach den Vögeln. Diesen Augenblick nutzte der Jüngling, er stieß den Derwisch mit aller Kraft in den Kessel. Der fand im siedenden Wasser den Tod. »Dort liegt der Dew! Dort schwimmt der Unhold!« Die Papageien kreisten triumphierend über dem Kasan.

Der Bart des Dews trieb auf dem Wasser. In dem Bart sind die Schlüssel versteckt, dachte der Jüngling. Er nahm die Schlüssel an sich und begann ein Gemach nach dem anderen in dieser verfluchten Höhle zu öffnen und die Gefangenen des Dews zu befreien. Alsdann wählte sich der Jüngling ein wackeres Ross, nahm sich Gewehr und Schwert, vergoldete die eine Schläfe und versilberte die andere. Nachdem er sich davon überzeugt hatte, dass in der Festung keine Menschenseele zurückgeblieben war, trat er ins Freie, verschloss das Tor und schrieb darauf: »Ich bin der Sohn des Padischahs Soundso, bin aus den und den Gründen in die Hände des bösen Dews geraten, habe ihn erschlagen und wende mich nun nach Osten.«

Ob er lange Zeit ritt oder kurze Zeit - wer weiß es zu sagen. Eines Abends stieg er, erschöpft vom langen Ritt, von seinem Pferd, band das Tier an und legte sich zur Ruhe unter einer hohen Platane. Da vernahm er unvermittelt Lärm in der Baumkrone. Sicher kriecht da eine Schlange ins Nest zu den Vogeljungen, dachte er bei sich. Aber in der Dunkelheit sieht sie keiner. Er hob den Kopf und erblickte in der Finsternis riesige Funken sprühende Augen. Ein Drache Ashdarcha! Ohne lange zu zögern, sprang der Sohn des Padischahs auf und griff zum Schwert. Das Schwert aber, das er sich vom Zauberer mitgenommen hatte, war natürlich kein einfaches Schwert, war vielmehr ein Wunderschwert. Mit einem einzigen Schlag trennte er den Kopf des blutrünstigen Ungeheuers vom Rumpf. Nachdem der Sohn des Padischahs den Drachen besiegt hatte, legte er sich abermals unter die Platane und schlummerte ein.

Morgens kam der Vogel Symrug zu seinem Nest geflogen und erblickte schon aus der Ferne den schlafenden Mann und nicht weit von ihm das angebundene Ross. Das ist er ja, der meine Kinder vertilgt, dachte der Vogel. Jetzt will ich ihn endlich vernichten! Mit seinen großen scharfen Krallen packte der Vogel einen Steinbrocken und kreiste über dem Jüngling. Doch als die Vogeljungen die Mutter erblickten, schrieen sie: »Chai-ai! Tu ihm nichts zuleide! Er hat uns vor großem Unheil bewahrt. Wirf den Stein fort und setze dich zu uns, wir wollen dir alles erzählen.« Symrug warf den Stein fort und flog zum Nest. »Schau nach unten«, baten die Vogeljungen.

Symrug sah hinab und erblickte den Drachen Ashdarcha mit abgeschlagenem Kopf. »Wer hat ihn getötet?« fragte Symrug. Die Vogeljungen erzählten ihr alles. Ich will ihm Gutes tun, weil er meinen Kindern das Leben gerettet hat, beschloss Symrug und breitete ihre Schwingen über dem schlafenden Menschen aus, um ihn gegen die heißen Sonnenstrahlen zu schützen. Als der Sohn des Padischahs erwachte und die Augen aufschlug, erschrak er zu Tode: Es war stockfinstere Nacht, am Himmel leuchtete kein einziges Sternlein, und so schloss er abermals die Augen. Der Vogel bemerkte, dass der Jüngling erwacht war, und hüpfte zur Seite.

Als jener abermals die Augen öffnete, erstaunte er über die Maßen: Eben noch hatte tiefste Finsternis geherrscht, nun aber war heller, leuchtender Tag. Eben noch hatte er sich einsam gefühlt, nun vernahm er plötzlich eine freundliche Stimme: »Oh, Schah, du hast mir einen Dienst erwiesen, den ich dir nie vergessen werde, du hast meine Kinder vor dem Verderben gerettet. Sage mir, was du dir wünschst. Ich bin die Frau des Padischahs der Vögel Symrug.« Antwortete der Jüngling: »Ich brauche nichts, ich ziehe nach Osten.« Und er erzählte ihr, was alles ihm widerfahren war. Da riss die Vogelfrau Symrug eine Feder aus ihrem Gewand und reichte sie dem Retter ihrer Kinder: »Wenn du meiner Hilfe bedarfst, so zupfe ein Härchen aus dieser Feder, zünde es an, und ich komme mit unserem ganzen Schwarm zu dir geeilt.« Sie nahmen herzlich Abschied voneinander, und der Sohn des Padischahs setzte seinen Weg fort.

Bald gelangte er an einen düsteren Wald. Aus dem Dickicht drang ein Grusel erregendes Heulen, doch das erschreckte den Jüngling nicht. Sein Ross, das die feste Hand seines Herrn spürte, trabte verwegen in den Wald. Das Heulen wurde stärker, und bald erblickte der Reiter einen gestreiften Tiger. Er wollte schon seinem Ross die Sporen geben, da vernahm er das Knurren des Wildtiers: »Oh, Mensch, reite nicht vorüber! Ziehe mir einen Splitter aus der Tatze, dann wollen wir uns miteinander verbrüdern.« Der Palwan näherte sich dem Tiger und sah, wie das Blut aus seiner Tatze strömte, in der Tatze aber steckte ein riesiger stachliger Ast. »Oh, Tiger! Du wirst rasend vor Schmerz werden, wenn ich den Splitter aus deiner Tatze ziehe, und frisst mich am Ende gar auf.«

»Das ist wahr gesprochen.« Das Wildtier nickte. »Hebe zuerst eine Grube aus, decke sie ab und setz dich hinein. Ich will dir durch die Öffnung meine kranke Tatze stecken. Dann bist du in Sicherheit vor meinem Zorn«, bat der Tiger. Den Sohn des Padischahs dauerte das Wildtier. Rasch hob er eine Grube aus, deckte sie ab und kroch hinein. Alsdann schob der Tiger seine Tatze durch die Öffnung. Der Tiger raste vor Schmerz, er wühlte mit den Hintertatzen das Erdreich auf, er heulte und knurrte, dass die Blätter an den Bäumen zitterten und eine Staubsäule über der Grube aufstieg.

Der Sohn des Padischahs erstickte fast in dem Loch, so mühte er sich, den Splitter aus der Tigertatze zu ziehen. »Oh!« rief er endlich vor Anstrengung und fiel rücklings auf den Boden der Grube. Doch er hielt den verhängnisvollen Ast in der Hand. Dem Wildtier schwanden vor Schmerz die Sinne. Als es wieder zu sich kam, sah es, dass die Grube verschüttet war und sein Retter zu ersticken drohte. Rasch scharrte er das Erdreich beiseite. »Lebst du noch, guter Mensch?« fragte der Tiger und beugte sich über die Grube. »Ja! Ich krieche gleich hinaus.« Als der Jüngling aus der Grube kroch, fiel der Tiger vor ihm dankbar auf die Knie: »Du hast mich vor dem sicheren Tode gerettet. Ich bin der Padischah der Tiger. Bitte mich, worum du willst. Ich will dir helfen, so gut ich es vermag.«

»Hab Dank. Aber ich brauche nichts. Ich ziehe nach Osten.« Der Tiger reichte ihm ein Flaumbüschel aus seinem Pelz. »Wenn du meiner Hilfe bedarfst, so zünde ein Fäserchen an. Dann eile ich dir mit meinem Volk zu Hilfe.« Sie nahmen Abschied voneinander. Der Sohn des Padischahs schwang sich in den Sattel und machte sich auf den Weg.

Über kurz oder lang fand er aus dem Wald. Vor ihm breitete sich endlose Steppe aus. Als er eine Herde Schafe weiden sah, wandte er sein Ross dorthin. Er grüßte ehrerbietig, und die Hirten bedeuteten dem Reiter, sich zu ihnen zu gesellen. Sie fassten sein Ross am Zaum, und der Reiter sprang ab. Der Jüngling war nicht mit leeren Händen gekommen: Er schenkte jedem Hirten eine Handvoll Gold. Die Hirten, beglückt über den unvermuteten Reichtum, schlachteten einen Hammel und bereiteten ein schmackhaftes Mahl, der Gast aber sah sich derweilen in der Gegend um. »Was ist das dort für ein Wald in der Ferne?« fragte er. »Dort liegt unsere Hauptstadt«, entgegneten die Hirten. »Und dort, ein wenig abseits, siehst du den Garten der Töchter des Padischahs. Dort leben seine drei unvermählten Kinder.« Inzwischen war das Mittagsmahl bereitet, und alle griffen nach Herzenslust zu. Alsdann setzte der Dshigit seinen Weg fort. Bevor er Abschied nahm, bat er die Hirten um ein altes geflicktes Hemd und um das Bauchfell von einem abgestochenen Hammel. Die Hirten erfüllten bereitwillig seine Wünsche. Das Lammfell war so gründlich gespült, dass es vor Sauberkeit glänzte. Geschickt stach der Jüngling Löcher für Augen, Nase und Mund hinein und streifte das Fell über den Kopf. Als die Hirten ihn so erblickten, wälzten sie sich vor Lachen auf der Erde. »Wai! Jetzt hast du eine Glatze wie ein alter Mann.« Auch der Jüngling lachte, als er auf seinem Ross zur Hauptstadt des Padischahs galoppierte.

Bald kam er in den Garten der Töchter des Padischahs. Doch kaum hatte er ihn betreten, da bemerkte ihn schon der Gärtner. »He, Glatzkopf! Wie bist du in den Garten des Padischahs gekommen? Wer hat dir erlaubt, dich hier herumzutreiben? Ich bin verantwortlich für diesen Garten!«

»Oh, Gärtner! Ich bin ein armes verkrüppeltes Waisenkind. Erbarme dich meiner, jag mich nicht fort, und wenn du ein gutes Herz besitzt, so nimm mich als deinen Gehilfen. Will dir dein schweres Tagewerk erleichtern.« Das ist eigentlich kein schlechtes Angebot, dachte der alte Gärtner. Mag er nur bleiben. Hände und Füße hat er, also wird er sich nützlich machen können. So ein glatzköpfiges, hässliches Geschöpf, das statt Augen kleine Löcher und statt des Mundes ein großes Loch im Gesicht hat, werden die Töchter des Padischahs kaum beachten. »Schön, sei's drum. Bleib hier und beaufsichtige den Garten«, erwiderte der alte Mann, »komm aber nur nicht den Herrinnen unter die Augen, sie könnten sich vor dir erschrecken.« So begann der Sohn des Padischahs in einem fremden Garten zu dienen. Nachts zog er sich ins undurchdringliche Gartendickicht zurück, wohin weder die Herrinnen noch der alte Gärtner jemals kamen, zog sich das Hammelfell mit den Löchern für Augen, Mund und Nase vom Kopf und gab seinem Reitpferd zu fressen und zu saufen.

Einmal, an einem besonders heißen Tag, wandelten die Töchter des Padischahs zu einem Marmorbecken, um zu baden. Die zwei älteren waren in reiferen Jahren, ihre erste Jugend war schon verblüht, die Jüngste aber war schön wie eine knospende Rose. »Wai!« rief der Jüngling begeistert aus. »Wer ist hier?« Die erschreckten schönen Jungfrauen schrieen aufgeregt durcheinander. »Was für ein gewissenloser Kerl hält sich hier nur verborgen!« Miteins rief die Älteste: »Wai! Dort steht ein glatzköpfiger Tölpel! Fangt ihn!«

»Wai!« rief der Glatzkopf aus. »Die Töchter des Padischahs wollen mich fangen.« Er rannte um die Mädchen im Kreise herum und entkam geschickt ihren Händen.

Dieses fröhliche Spiel ermüdete die Töchter des Padischahs. Ohne den Glatzköpfigen gefangen zu haben, kehrten sie in den Palast zurück. Der Bursche aber lief flink von Baum zu Baum, von Strauch zu Strauch und folgte ihnen verstohlen. In ihren Gemächern begannen die Mädchen, ihre Haare zu kämmen. Da trat unbemerkt der Jüngling ein. »Wie bist du hierher gekommen? Was willst du, Glatzkopf?« rief die älteste Tochter. »Willst du dir etwa einen Kamm ausleihen?« fügte sie lachend hinzu. »Ja«, erwiderte der Sohn des Padischahs. »Gebt mir einen Kamm, ich muss mich frisieren.«

»Fort mit dir, Glatzkopf«, rief die älteste Schwester. »Fort mit dir, fort!« wiederholte die mittlere. »Vielleicht gibst du mir deinen Kamm?« wandte er sich an die jüngste. »Bitte, nimm ihn«, entgegnete sie. »Ich gebe dir bloß meinen alten.«

»Auch dafür hab Dank.« Der Sohn des Padischahs verneigte sich und verließ das Gemach.

Tief im Garten, verborgen von dornigen Sträuchern, zog er das Hammelfell vom Kopf und begann seinen Lockenschopf zu kämmen. Dann nahm er wieder die Gestalt des Glatzköpfigen an, ging in den Palast und gab der Besitzerin voll Dankbarkeit den Kamm zurück. Die jüngste Tochter erblickte in den Zinken ein goldenes Fädchen und zog leicht daran. Ein goldenes Haar und so lang! Das zweite aber war silbern. Das hat etwas auf sich, überlegte sie, beschloss den Glatzköpfigen zu suchen und ihn nach seinem Geheimnis zu fragen. »Schwestern, Lasst uns baden gehen«, bat sie. »Bist du nicht bei Sinnen? Wir sind doch gerade vom Baden zurückgekommen.« Da die Schwestern sie nicht begleiten wollten, begab sich die Jüngste allein in den Garten, voller Hoffnung, dem Gärtnergehilfen zu begegnen.

Die Jungfrau fand ihn denn auch in tiefem Schlaf unter einem Baum. Sie betrachtete ihn aufmerksam und bemerkte, dass sein Kopf in eine Haut gepresst war. Gar zu gern hätte sie sie ihm abgezogen, doch sie fürchtete ihn zu wecken. Da wurde der Bursche unruhig im Schlaf, drehte sich auf die Seite, und sie schreckte zurück. Doch was war das? Ein Band an seinem Kragen hatte sich gelöst und entblößte die Brust des Jünglings, von seinem Körper aber ging ein Leuchten aus. Wer ist nur dieser junge Geselle, überlegte die Jungfrau, als sie in den Palast zurückkehrte.

Die Töchter des Padischahs führten ein recht eintöniges Leben. Sie waren stets allein in ihrem Palast. Häufig seufzten die älteren Schwestern: Werden wir endlich wie Menschen leben? Sie hätten sich gern vermählt, aber der weise Padischah, ihr Vater, glaubte, dass seine älteren Töchter noch kleine Mädchen seien und die Jüngste einfach ein kleines Kind sei, und machte sich keinerlei Gedanken um Freier für sie. »Wenn ihr heiraten wollt, so will ich euch lehren, was ihr tun müsst«, sagte die jüngste Schwester, als sie aus dem Garten zurückkehrte. »Oh, schaut sie nur an!« Die Mittlere lachte. »Sie kann es uns wirklich lehren? Ha-ha-ha!«

»Lach nicht«, mischte sich die Älteste mit strenger Stimme ein. »Wir wollen lieber hören, was sie uns rät, dann können wir immer noch lachen oder weinen.« Die jüngste Schwester führte sie aufs Melonenfeld und zeigte ihnen, welche Melonen die Schwestern ernten sollten: eine große, überreife Frucht, die zweite ein klein wenig fester und die dritte Melone endlich so, dass sie noch ein oder zwei Tage nachreifen musste. Dann hieß die Jüngste ihre Schwestern, die Melonen auf ein goldenes Tablett zu legen, in jede eine Messer zu stechen und ein weißes Tischtuch darüber zu breiten. Alsdann rief sie den Obergärtner und befahl ihm, dieses Geschenk dem Vater, dem Padischah, von seinen Töchtern zu bringen.

Beim Padischah aber hatten sich just um diese Zeit die Wesire und Wekile versammelt. »Ein Geschenk von den Töchtern!« verkündete der Gärtner, als er in der Tür erschien. Ein Wekil, vielleicht gar der Wesir, sprang auf und nahm ihm das Tablett ab, um es dem Padischah zu reichen. Ein anderer Wesir, der höher im Rang stand, eilte zu Hilfe und nahm das Tablett entgegen. Bevor er jedoch einen Schritt tun konnte, kam ein Wesir aus einem noch vornehmeren Geschlecht gelaufen. So wanderte das Tablett von Hand zu Hand, bis es zum Oberwesir gelangte, der es vor dem Padischah auf die Erde stellte. Zum ersten Mal erhielt der Padischah ein Geschenk von seinen Töchtern. Das erfreute ihn über alle Maßen. »Hebt das Tuch an!« befahl er. Doch von den Wesiren und Wekilen, die den Herrscher umgaben, rührte sich keiner. Alle hatten das Geschenk in den Händen gehalten und wussten, dass die Freude des Padischahs verlöschen würde, wenn er die überreifen, weichen Zuckermelonen sehen würde. »Oh, Padischah, vielleicht decket Ihr selbst das Geschenk Eurer Töchter auf?« murmelten die Höflinge verlegen.

Der Padischah billigte die weisen Worte und hob eigenhändig das Tuch an. Da lagen vor ihm drei Zuckermelonen: zwei waren weich, sie waren wohl kaum mehr zu verzehren, die dritte aber war gerade ausgereift. »Schau, schau!« sagte der Padischah erstaunt. »Da haben sie ja das rechte Geschenk für den Vater gefunden! Hätten meine Töchter die Früchte nicht besser auswählen können? Sie sind eben noch sehr jung, haben es noch nicht gelernt, die rechten Zuckermelonen auszusuchen. Doch was soll's, sie werden heranwachsen und es noch lernen.« Auf diese Weise suchte der Vater seine Töchter zu entschuldigen. Dann lud er die Versammelten zum Mahl: »Nehmt Platz, wir wollen die Zuckermelonen essen!«

Doch keiner konnte es über sich bringen, die Einladung anzunehmen. Endlich ergriff ein Wesir das Wort: »Oh, Padischah! Diese Zuckermelonen sind nicht gesandt, um sie zu verspeisen. Hinter dem Geschenk steckt ein tieferer Sinn.«

»Ja, ja«, nickten die anderen. »Was mag es wohl zu bedeuten haben?« fragte der Padischah. »Sprecht, wie versteht ihr das Gleichnis?« Er wandte sich zu dem Wesir, der als erster seine Bedenken geäußert hatte. »Oh, Padischah, diese weichen Melonen sind wie Eure zwei ältesten Töchter. Sie sind überreif, und ihre Schönheit beginnt zu vergehen.«

»Wirklich?« Der Padischah war aufrichtig erstaunt. »Die Schönheit beginnt zu vergehen?«

»Ja, und Ihr ahnt nichts davon.«

»Ich weiß nicht, ich weiß nicht«, versetzte der Padischah. »Mir hat keiner je davon gesprochen. Ihr habt es mir auch nicht gemeldet.«

»Die feste Zuckermelone aber ist wie Eure jüngste Tochter. Sie steht in der Blüte ihrer Schönheit. Man sollte erwägen, wie das Leben Eurer Töchter gerichtet werden kann.«

»Du sprichst wahr, mein Wesir!« Der Padischah nickte zustimmend. »Man sollte es erwägen in der Tat...«

Auf Ratschlag seiner Vertrauten schickte der Padischah Boten durch die Straßen und Gassen der großen Hauptstadt: »Mögen alle Männer - jung und alt - vor dem Palast der Töchter des Padischahs vorüberziehen. Dann wird sich jede der Jungfrauen einen Gatten nach ihrem Geschmack erwählen.« Zu seinen Töchtern aber sprach der Padischah: »Wer euch gefällt, dem werft einen Apfel zu.«

Am festgelegten Tag zog vor den Fenstern des Jungfrauen-Palastes ein Reigen herausgeputzter Freier vorbei. Die Töchter des Padischahs musterten sie vom Balkon - jede hielt einen Apfel in der Hand - und besprachen sich miteinander. Als der Sohn des Oberwesirs auf feurigem Ross vorübersprengte, warf die älteste Tochter ihm ihren Apfel zu. Er fiel auf den weißen Telpek des Reiters. Als sich der Sohn des Wekils auf stolzem Ross dem Palast näherte, warf die mittlere Tochter ihm ihren Apfel zu. Nun ist die Reihe an der Jüngsten, der schönsten Tochter des Padischahs. Wen mag sie sich wohl erwählen? Die Leute, die gekommen waren, um die Bräutigamswahl zu erleben, warteten voller Ungeduld. Doch die jüngste Tochter des Padischahs saß bis zum Abend mit ihrem Apfel in der Hand. »Prüfet, ob sich nicht irgendwo ein Freier verborgen hat«, befahl der Padischah. »Es ist kein Mannsbild geblieben, das nicht vor dem Jungfrauenpalast vorbeidefiliert wäre«, meldeten die Jessaule nach geraumer Zeit. »Alle sind vorbeigezogen außer dem glatzköpfigen Hilfsgärtner. Er aber lebt wie ein Eremit und schaut nicht nach Frauen aus.«

»Wie dem auch sein mag, führt auch ihn am Palast meiner Töchter vorbei«, gebot der Padischah. »Tut er es nicht gutwillig, so schleppt ihn gewaltsam herbei!«

Die Jessaule gingen zum Gärtner. Sie durchsuchten den Garten nach dem Glatzkopf. Der aber schrie, als er die Jessaule bemerkte: »Wai, sie wollen mich töten!« und rannte davon. Die Jessaule verfolgten ihn, packten ihn und schleppten ihn zum Palast. Alle, die das beobachtet hatten, brachen in schallendes Gelächter aus. Da warf ihm unvermittelt, zum Staunen aller, das jüngste Töchterlein des Padischahs, die schönste Jungfrau im Reich, ihren Apfel zu. »Wai! Wai!« schrie der Glatzköpfige. »Das Töchterlein des großen Padischahs hat mir die Hüfte zerschlagen.« Allen verging das Lachen. Der Padischah und seine Wesire, Wekile und Jessaule waren in großer Aufregung. Die Menge stand verwirrt und schwieg. »Sie hat sich sicher geirrt«, befanden alle. Man nahm dem Glatzköpfigen den Apfel ab und gab ihn der holden Jungfrau zurück.

Dann wurde der Glatzköpfige abermals an den Fenstern des Jungfrauenpalasts vorbeigeführt, und wiederum flog der Apfel der jungen Schönen dem Glatzköpfigen zu. »Also traut sie ihm an!« Der Padischah war ehrlich erzürnt. »Die jüngste Tochter des Padischahs ist eine Närrin! Hat für unsere stattlichen Söhne keinen Blick gehabt und sich einen glatzköpfigen Stromer gewählt!« sagten die verärgerten Wesire und Wekile zueinander. Auf Weisung des Padischahs wurden den ältesten Töchtern, die vornehme Jünglinge sich zu Männern erwählt, herrliche weiße Paläste errichtet und ein Hochzeitsfest für mehrere Tage gerichtet, für die jüngste Tochter und ihren Mann aber wurde eine schwarze Kibitka aufgestellt...

Bald danach erkrankte der Padischah. Im Volk ging das Gerücht um, dass er die Macht an den Gatten einer seiner ältesten Töchter abtreten wolle. Beide Schwiegersöhne suchten deshalb nach bestem Vermögen dem Schwiegervater und Padischah zu gefallen, und als sie erfuhren, dass es den Padischah nach Gazellenfleisch gelüste, zogen sie alsbald auf die Jagd. Sie ritten herrliche, flinke Traber, hintenan aber folgte auf einer hinkenden Stute der Mann der jüngsten Tochter. Doch als sie die Stadt verließen, wendete jener seine Mähre zum Garten des Jungfrauen-Palastes, begab sich in das Dickicht der Bäume und Sträucher, zog die Hammelhaut vom Kopf, band die hinkende Stute fest, legte sein Padischah-Gewand an, schwang sich auf einen Traber, der flinker war als der Wind, und lenkte ihn in die Berge. Am Flussufer versengte er ein Härchen von der Feder des Vogels Symrug und ein Fäserchen vom Tigerflaum. Alsbald kamen von allen Seiten riesige Vögel geflogen und Tiger getrabt. Der Jüngling stand da, wunderschön anzusehen, wie der junge Mond inmitten dichter Wolkenschar. Die Gattin des Padischahs Symrug und der Padischah aller Tiger verneigten sich tief vor ihm. »Wie können wir dir helfen, edler Schah?« fragten sie. Als sie erfuhren, was dem Jüngling vonnöten war, befahlen der Vogel Symrug und der Gebieter der Tiger Vögeln und Tigern, alle Gazellen aus Bergen und Steppen heran zu treiben. Nach einer Stunde schon war dieser Auftrag erfüllt. Vergebens hetzten die älteren Schwiegersöhne des Padischahs vom Morgen bis zum Abend ihre Pferde - keine einzige Gazelle kam ihnen zu Augen, denn die hatten sich alle um den Mann der jüngsten Schwester versammelt.

Plötzlich stießen die verblüfften Jäger auf die große Ansammlung friedlich weidender Gazellen, die nicht einmal beim Anblick der Reiter erschreckt davonliefen. Was war das für ein Wunder! Als sie den herrlichen Jüngling sahen und ihm zur Seite gar einen riesigen Tiger, erkannten sie, dass er der Gebieter der Wildtiere war und es nicht zulassen würde, dass ihnen ein Unheil geschah. Wir müssen uns wohl schon zu einem Kniefall herbeilassen, dachten seufzend die Schwiegersöhne und krümmten sich zusammen wie ein Widderhorn. Dann grüßten sie den Jüngling aus der Ferne. »Kommt näher, ihr Jägersleute!« sagte der Jüngling. »Wir fürchten uns näher zu kommen«, entgegneten sie. »Euch zu Seiten steht ein Tiger.«

»Ihr braucht nichts zu fürchten! Der Tiger steht mit geneigtem Haupt, er ist also bereit, euch einen Dienst zu erweisen. Was führt euch zu mir?«

»Unser Padischah ist schwer erkrankt. Die einzige Arznei, die ihm zu helfen vermag, ist das Fleisch einer Gazelle. Wir sind den ganzen Tag durch die Steppe und über die Berge gejagt, doch keine einzige Gazelle ist uns unter die Augen gekommen. Die Tiere haben sich offenbar allhier zusammengefunden. Dürfen wir von Euch Hilfe erwarten?«

Der Jüngling sann nach und erwiderte: »Wenn euch ein Mensch stirbt, so trauert ihr und weint. Ebenso beklagen wir jedes Tier, das wir verlieren. Doch da ihr einmal zu uns gekommen seid, wollen wir euch den Gefallen erweisen und euch eine Gazelle geben. Auf dass ihr euch aber kein zweites Mal in anderer Gestalt uns zu nähern vermögt, wollen wir euren Körper mit einem Mal zeichnen.«

»Auf unserem Körper ein Brandmal?« Die Jäger erschraken zutiefst. Der älteste Schwiegersohn wollte schon »Nein« ausrufen, doch als er den anderen anschaute, dachte er im Stillen: Ich komme mit leeren Händen zurück, während er eine erlegte Gazelle im Churdshun mit sich führt! Dann tritt der Padischah natürlich ihm den Thron ab. Wer sieht schon, wie uns das Brandmal aufgedrückt wird? »Ich bin es zufrieden!« rief er laut. »Ich auch!« rief der andere. »Felle, Köpfe und Hufe Lasst mir, der Tierkörper aber soll euch gehören. Ist das nach eurem Sinn?«

»Ja! Ja!« riefen die Schwiegersöhne des Padischahs, ohne sich länger zu besinnen.

Es verging ein wenig Zeit, bis der Vogel Symrug in die Dorfschmiede nach dem Viehstempel geflogen war. Während der Jüngling ihn zum Glühen brachte, fragte er, an welcher Körperstelle die Männer den Stempel aufgedrückt haben wollten. Beide hielten ihre Hüfte hin. »Wai!« schrie der eine gellend. »Wai! Wai!« Der andere schrie noch durchdringender. Sie wälzten sich heulend auf dem Boden, vor Schmerz war ihnen schwarz vor Augen geworden. »Was schreit ihr wie Weiber? Habt ja alle Gazellen vertrieben!« Auf ein Zeichen des Jünglings jagte der Vogel Symrug in Augenblicksschnelle die Tiere davon. Nur zwei kleine niedergetrampelte Gazellen blieben auf der Erde liegen.

Die Schwiegersöhne des Padischahs bestiegen finster ihre Pferde und machten sich auf den Heimweg. Ihr einziger Trost war, dass sie Gazellenfleisch mit sich führten. Sie wussten allerdings nicht, dass der Jüngling Körner von trockenem Wermutkraut über das Fleisch in die Satteltaschen gestreut hatte, als sie auf dem Erdboden lagen. Zu seiner jungen schönen Frau kehrte der Jüngling in seiner gewohnten Gestalt als Glatzkopf heim. Er brachte ihr die Gazellenköpfe und die Hufe. »Bereite daraus ein Mahl und bring es dem Vater.« Die junge Frau kochte, so gut sie es vermochte.

Die älteren Schwiegersöhne waren indes im Palast angelangt und verkündeten dem Padischah voller Stolz: »Wir sind von der Jagd zurück.« Die älteste Tochter bereitete aus dem Gazellenfleisch Pilaw und brachte es dem Vater. Der Padischah schob sich voller Genuss ein Stückchen Fleisch in den Mund, spuckte es aber, hast-du-nicht-gesehen, wieder aus. »Weshalb ist das Fleisch bitter?« fragte er erzürnt. In diesem Augenblick betrat die zweite Schwester mit ihrer Schale Pilaw die Gemächer des Padischahs. Der Vater probierte das Gericht. Doch schon beim ersten Bissen packte ihn abermals die Wut: »Was ist das nur für ein Ungemach! Dies Fleisch ist ja noch bitterer!« Er spie aus und wandte sich erbost ab. Trat die jüngste Tochter ein. »Vater«, sagte sie, »koste von diesem Brei.«

»Von dir will ich überhaupt nichts!« schrie der Padischah. »Hebe dich fort mit deinem Brei.« Die Mutter der Töchter mischte sich ein: »Mein Padischah! Die Tochter ist doch dein eigenes Fleisch und Blut. Koste drum von ihrem Gericht.«

Da den Padischah arger Hunger quälte, ließ er sich nicht lange nötigen. Er drehte sich um und zog den Teller mit dem Brei näher heran. Schweigend aß er, bis der Teller leer war. »Hast du nicht noch ein bisschen von diesem Essen?« fragte er. »Will gleich nachschauen, ob mein Glatzkopf etwas übrig gelassen hat«, erwiderte die Tochter und eilte heim. Zu Hause erzählte sie ihrem Mann, was sich bei Hofe zugetragen hatte. »Wart ein wenig.« Der Glatzköpfige lachte. Er streute etwas getrockneten Mist über den Brei. »Was machst du da?« Seine Frau erschrak. »Stell dieses Gericht deinem Vater hin, sag aber nichts«, belehrte sie der Mann. »Wenn dein Vater den Mist bemerkt, so entschuldige dich und sprich: Wir wohnen in einer schwarzen Kibitka, da mag schon ein bisschen Mist ans Essen gekommen sein...«

Die Frau begriff und kehrte unverzüglich in den Palast zurück. Sie stellte ehrerbietig vor dem Vater den Teller hin. Der griff nach dem ersten Bissen und bemerkte also gleich, dass er kein Fleisch, sondern ein Stückchen getrockneten Mist zwischen den Fingern hielt. »Was ist das?« fragte der Padischah zornig. »Ich weiß nicht, Vater«, gab die Tochter demütig zur Antwort. »Wir leben in großem Schmutz. So sehr ich mich da auch mühen mag, es mangelt schon an Sauberkeit.«

»Gebt ihnen unverzüglich ein altes Häuschen!« gebot der Padischah. Doch die jungen Eheleute blieben in der schwarzen Kibitka. Die jüngste Schwester war glücklich, nur der Hohn ihrer älteren Schwestern betrübte sie. Stets, wenn sie ihnen begegnete, trieben sie ihren Spott mit ihr. »Wai, wai! Das hast du davon, dass du einen glatzköpfigen Landstreicher geheiratet hast, dumme Gans!«

Eines Tages ertrug es die junge Frau nicht länger, und sie sagte zum Glatzköpfigen: »Du besitzt Macht über irgendeine Zauberkraft. Kannst du sie nicht meinen Schwestern beweisen? Ich bin ihres ewigen Spottes müde.«

»Schön, ich will es tun«, erwiderte er. »Aber du musst zu dieser Zeit bei ihnen sein. Wenn ich auf meinem Ross erscheine, so sprich zu deinen Schwestern: ›Da kommt mein Mann geritten!‹ Sicher werden sie sagen: ›Wenn du so einen Mann haben möchtest, warum hast du dann einen Glatzkopf genommen?‹ Darauf erwidere: ›Wenn das mein Mann ist, sollt ihr meine Dienerinnen sein! Ist der Reiter jedoch ein Fremder, so will ich eure Dienstmagd werden.‹« Nachdem der Glatzköpfige sein Weib solchermaßen unterwiesen hatte, stieg er auf seine hinkende Stute und ritt vom Hof. Die junge Frau aber begab sich in den Palast des Vaters, wo schon die älteren Schwestern ihrer harrten. Sie machte es sich am Fenster bequem und rief miteins: »Da kommt ja mein glatzköpfiger Mann geritten!«

»Hast schon den Rechten gefunden, um dich zu freuen«, meinten die älteren Schwestern spöttisch, traten jedoch ans Fenster. Doch als sie den prächtig gekleideten Reiter im glänzenden Harnisch auf einem feurigen Traber erblickten, brachen sie in lautes Gelächter aus... »Schweig lieber, du unverständiges Ding! Wenn du von so einem Mann geträumt hast, weshalb hast du dann einen glatzköpfigen Landstreicher genommen?«

»Wenn das mein Glatzkopf ist, so sollt ihr meine Dienerinnen sein, ist es aber nicht mein Mann, so will ich euch dienen. Seid ihr's zufrieden?«

»Ja, ja!« Die Schwestern wussten sich gar nicht zu lassen vor Lachen.

Die jüngste Schwester aber rief dem Reiter zu: »Steig ab vom Pferd und tritt ein!« Der Reiter sprang aus dem Sattel, band sein Ross an und verschwand in der schwarzen Kibitka. »Wai!« Die älteren Schwestern waren ehrlich betroffen: Wenn dieser prächtige Reiter die schwarze Kibitka betrat, musste er in der Tat der Mann der jüngsten Schwester sein. Dahinter verbarg sich ein Geheimnis! Den Schwestern verging das Lachen. Der Glatzköpfige nahm seine Mahlzeit ein und ritt alsdann aus der Stadt. Dort versengte er ein Härchen von der Feder des Vogels Symrug und ein Fäserchen vom Tigerflaum. Alsbald kamen die Vögel von Symrug geflogen und die Tiger angetrabt. In der Stadt aber verbreitete sich die Kunde, dass ein fremder Schah mit Tigern und Vögeln vor den Toren stehe. Dieses Gerücht drang auch in den Palast des Padischahs. Der Padischah erschrak zutiefst und gebot seinen Untertanen: »Alle Einwohner der Stadt, Männer und Frauen, Erwachsene und Kinder, haben den mächtigen Schah zu begrüßen.« Der Padischah stellte sich an die Spitze der Schar.

Als er dem unbekannten vornehmen Reisenden gegenübertrat, verneigte sich der Padischah und bot ihm beide Hände dar: »Seid Ihr von weit her in unsere Lande gekommen und habt Ihr noch einen weiten Weg vor Euch?«

»Ich komme aus westlichen Ländern und will mich nach Osten wenden. Mir sind zwei Sklaven entflohen. Sie haben sich in Eurer Stadt verborgen. Wir sind gekommen, um sie zu holen. Sobald wir sie gefangen haben, ziehen wir weiter«, erwiderte der junge Schah. »Wai! In unserem ganzen Reich gibt es solche Menschen nicht. In meiner Begleitung sind alle Männer unserer Hauptstadt. Schaut sie Euch an, und wenn Ihr unter ihnen Eure Sklaven erblickt, so nehmt sie mit«, versetzte der Padischah. »Oh, Padischah, ich weiß es - meine Sklaven halten sich in Eurer Stadt versteckt. Wenn Ihr sie nicht findet, so will ich selbst sie suchen gehen. Doch um Euch die Schande zu ersparen, schaut Euch zuvor Eure Untertanen scharf an«, versetzte der Schah. »Wer fehlt hier, wer blieb in der Stadt zurück?« fragte der Padischah seine Vertrauten. »Allein Eure Schwiegersöhne sind in der Stadt zurückgeblieben«, entgegneten die Wesire. »Bittet sie her«, gebot der Padischah und wandte sich an den Schah: »Oh, Schah, in der Stadt ist keiner zurückgeblieben, außer meinen Schwiegersöhnen. Es sind dies die Söhne meines Wesirs und meines Wekils. Ich habe sie bereits rufen lassen.«

»Schön, mögen sie kommen, dann wollen wir weitersehen«, antwortete der Schah.

Als die beiden ältesten Schwiegersöhne von der Ankunft des mächtigen Schahs mit den Tigerherden hörten, versteckten sie sich. Der eine kroch in einen hohen Ofen, der andere in eine tiefe Grube. Die Abgesandten des Padischahs vermochten sie nicht zu finden, bevor nicht eine alte Frau ihnen riet, in alle Tamdyre und Gruben zu schauen. Als die Jessaule die Schwiegersöhne endlich vor den Padischah schleppten, rief der fremde Schah: »Da sind sie ja, meine Sklaven!«

»Oh, Schah, das sind meine Schwiegersöhne, die Söhne meiner Vertrauten«, versicherte der Padischah. »So höret denn, Padischah. Die zwei brauchen nur ihre Gewänder abzulegen, damit wir sehen, wer sie sind. Wenn sie auf den Hüften ein Brandmal tragen, so sind es meine Sklaven, wenn nicht, so seid Ihr im Recht.« Die Schwiegersöhne widersetzten sich nach Kräften, sie wollten um nichts in der Welt ihre Kleider ablegen. Doch aller Widerstand half ihnen nichts - alle erblickten das Brandmal auf den Hüften der Schwiegersöhne des Padischahs. »Uns bleibt nichts mehr zu sagen«, brachte der Padischah kaum hörbar über die Lippen und setzte sich hilflos auf die Erde. »Ich will Euch die Sklaven jetzt überlassen«, sagte der Schah, »auf dem Rückweg nehme ich sie dann mit.«

Der Padischah war von Herzen froh, den Schah loszuwerden. Jener entließ alle Tiger und die Vögel von Symrug und ritt in die Stadt. Sein Weib empfing ihn voller Freude und führte ihn in die Kibitka. Als die Menschen dies gewahrten, eilten sie zum Padischah und meldeten ihm: »Oh, Padischah! Jener Schah ist zu Eurer jüngsten Tochter geritten. Hand in Hand sind sie in die Kibitka getreten. Das ist also dein glatzköpfiger Schwiegersohn, nur hat er gar keine Glatze, und sein Antlitz leuchtet vor Schönheit.« Der Padischah eilte, so rasch ihn seine Füße trugen, in die schwarze Kibitka und sah, dass seine Boten die Wahrheit gesprochen hatten. »Bist ein kluges Kind, meine Tochter«, sagte der Padischah und tätschelte seinem Töchterlein liebevoll die Schulter. »Hast gewusst, wen du dir zum Ehegemahl wählst. Wir hingegen haben uns als Dummköpfe erwiesen. Ich bin schon alt«, fuhr der Padischah, an seinen jüngsten Schwiegersohn gewandt, fort, »so will ich den Thron an dich abtreten.«

»Nein«, widersprach jener. »Ich brauche deinen Thron nicht. Ich besitze einen Thron in meinem eigenen Reich. Was ich benötige, das ist deine Freundschaft.«

»Sollst fortan mein Lieblingsschwiegersohn sein, mehr noch, sollst mir ein rechter Sohn sein«, erwiderte der Padischah. »Unsere Freundschaft aber wird unzerstörbar sein.«

Das junge Paar hätte fortan ein leichtes, ehrenvolles und sorgloses Leben führen können, wenn der junge Schah nicht immerfort darüber nachgesonnen hätte, wie er seine verlorene Heimat wiedergewinnen könnte. Häufig träumte ihm ein langer Weg, reich an Beschwernissen und Kämpfen, doch ihn schreckte nichts. Einmal träumte ihm, dass er die Stadt durch das Südwesttor verließ. Sein Weg führte ihn in eine fremde Stadt, wo er mit einem unbekannten Palwanen zu ringen begann. Plötzlich rutschte dem Palwan die Maske vom Gesicht, und der junge Schah erblickte das Antlitz eines schönen Mädchens. Er schreckte im Traum auf und erwachte. Den ganzen Tag dachte er über dieses Zeichen nach und rüstete sich am nächsten Tag auf die Fahrt. »Ich will auf die Jagd ziehen«, sprach er zu seinem Weib und ritt von dannen. Er verließ die Stadt durchs Südwesttor, wie es ihm im Traum erschienen war, und wählte die Straße, von der er geträumt hatte. Über kurz oder lang erreichte er eine Stadt, in der ein reckenhaftes Mädchen herrschte. Dieses Mädchen hatte stolz verkündet: »Wer mich im Kampf besiegt, den nehme ich zum Mann.« Jeden, der sich erkühnte, mit ihr den Kampf aufzunehmen, hatte sie bislang besiegt. Er wurde an den Händen gefesselt, auf dass er sich nicht zu befreien vermochte, und in einen Brunnen geworfen. Viele Jünglinge, die es danach gelüstete, ihre Kräfte mit der wackeren Jungfrau zu messen, hatte bereits dieses Schicksal ereilt.

Als der junge Schah in die Stadt ritt, kam ihm die Schah-Jungfrau entgegen. Statt jeder Begrüßung fragte sie: »Wollen wir mit Pfeil und Bogen schießen oder uns im Ringkampf messen?«

»Ich will mit dir ringen«, erwiderte der Schah. Der Peri gefiel dieser schöne Jüngling. Wenn er mich doch besiegen würde, dachte sie, bereit zu unterliegen. Der Ringkampf fing an. Als der kräftige Jüngling sie in die Höhe hob, um sie auf den Boden zu werfen, erschrak die reckenhafte Maid, die Palwan-Peri, und nahm die Maske vom Gesicht. Was für ein schönes Frauenantlitz! dachte der Schah verwirrt, lockerte den Griff und lag im nächsten Moment auf der Erde. An Händen und Füßen gefesselt, stieß ihn die Reckin in den Brunnen. Dann stellte sie eine Wache am Brunnen auf und gebot: »Jeden Tag gib ihm einen Tropfen vom Wasser des Lebens. Er soll nicht sterben!« Der Schah saß im Brunnen, daheim aber wartete sein getreues Weib und verging schier vor Sehnsucht und Trauer. Bald glich sie einem uralten Weiblein.

Auch der ältere Zwillingsbruder grämte sich. Der Apfel auf seinem Fensterbrett schrumpelte zusehends. »Wai! Meinem Bruder ist ein Unglück zugestoßen!« wehklagte er. Der Jüngling schlug den Weg ein, auf dem der Derwisch den jüngeren Bruder entführt hatte. Über kurz oder lang kam er an die Festung des Dews. In der Baumkrone erblickte er Papageien, die fröhlich lachten. »Warum lacht ihr?« fragte der Schah. »Wir freuen uns«, erwiderten die Vögel. »Du hast dich von dem Bösewicht befreit, hast ihn getötet, und nun sehen wir dich wieder, heil und unversehrt.« Überlegte der Schah: »Die Papageien verwechseln mich mit meinem Bruder. Der Derwisch war also ein Zauberer, und mein Bruder hat ihn erschlagen.« Er trat ans Tor zur Höhle, las, was sein Bruder daran geschrieben hatte, fand die Schlüssel und trat in die Festung ein. Er öffnete nacheinander die Türen zu allen Gemächern. Dort, wo Gold und Silber lagen, färbte er sich die Locken an einer Schläfe mit Silber, an der anderen mit Gold. Die Schätze lockten ihn nicht, er verließ, ohne zu verweilen, die Höhle und setzte seinen Weg fort.

Aus dem Wipfel der Platane, in der der Vogel Symrug sein Nest hatte, vernahm er einen Gruß: »Oh, Schah! Bist du wohlbehalten zurückgekehrt!« Der Schah merkte, dass er abermals mit seinem Bruder verwechselt wurde. Er dankte für den Gruß, hielt sich jedoch nicht auf, sondern zog weiter. Im finsteren Wald begegnete ihm ein Tiger. Der Schah wollte schon seine Rettung in der Flucht suchen, doch der Tiger sagte friedlich: »Oh, Schah! Weshalb fliehst du vor mir? Wie könnte ich dich, meinen Retter, je kränken?« Da merkte der Schah: Sein Bruder war auch durch diesen Wald gekommen, er war also auf dem rechten Weg.

Endlich gelangte er in die Stadt, in der sein Bruder gelebt hatte. Alle grüßten ihn, als seien sie längst mit ihm bekannt, die jüngste Tochter des Padischahs aber warf sich ihm in die Arme und brach in Freudentränen aus. »Komm heim.« Das ist sicher meines Bruders Frau, mutmaßte er und folgte ihr. Die Tochter des Padischahs wollte sein Ross festbinden, doch der Schah ließ es nicht geschehen. Die Tochter des Padischahs bereitete Tee und wollte sich zu ihm setzen, doch er sprach: »Ich will den Tee allein trinken.« Die Tochter des Padischahs bereitete das Bett und sagte: »Leg dich zur Ruhe.« Der Schah begab sich zur Ruhe, doch als die Schwägerin sich zu ihm legen wollte, schob er sein Schwert dazwischen und sprach: »Wenn du dich über dieses Schwert wirfst, durchbohrt es dich. Hüte dich also, es zu tun!«

»Was ist mit dir geschehen?« Die Tochter des Padischahs brach in Tränen aus. »Hast gesagt, du ziehst auf die Jagd und bist so lange nicht zurückgekehrt! Nun aber sprichst du, als seiest du ein Fremder.«

Der Schah erwiderte nichts, er war eingeschlafen. Ihm träumte, sein Bruder sei durchs Südwesttor aus der Stadt geritten und in die Stadt der Peri gelangt. Dort habe er einen Ringkampf mit einer Reckin bestanden und sei durch deren Ränke in den Kerker geraten. Da erwachte der Schah, legte rasch seine Rüstung an, schwang sich aufs Ross und ritt durchs Südwesttor davon. Ohne Rast und Ruh trieb er sein Pferd an, um die Stadt der Peri zu erreichen und seinen lieben Bruder zu befreien.

Kaum war er in der Stadt angelangt, da ritt ihm die Padischah-Peri entgegen. »Wie hast du dich erkühnt, einen Mann zu befreien, den ich in den Brunnen gesperrt habe!« rief die Padischah-Peri aus und stürzte sich auf die Wache am Brunnen. »Das ist nicht wahr«, entgegnete der Wachposten. »Der Gefangene sitzt in seinem Verlies. Dies hier ist ein anderer.«

»Wollen wir mit Pfeil und Bogen schießen oder uns im Ringkampf messen?« wandte sich die Jungfrau an den Schah. »Ich will mit dir ringen«, entgegnete der Schah und begann mit der Heldenjungfrau zu ringen. Erschöpft vom Kampf warf die Peri die Maske ab, denn sie glaubte ihren Gegner zu verblüffen und wollte sein Erstaunen nutzen. Doch der Schah erstaunte nicht. Er wusste, dass sie ein Mädchen war, aber ein böses und herzloses Frauenzimmer, und seine Hand erzitterte nicht. Er besiegte sie, hielt ihr die Schwertspitze dicht an die Halsschlagader und fragte: »Wo ist mein Bruder?«

»Wai! Töte mich nicht! Will sogleich deinen Bruder befreien!« Als sie den Eingekerkerten aus dem Brunnen zogen, pulste nur noch schwach das Leben in seinen Adern. »Gebt ihm sofort eine Arznei!« gebot der Schah. Seine Anordnung wurde befolgt, und bald ging es dem jüngeren Bruder besser.

Als er ein wenig zu Kräften gekommen war, erzählte er dem Älteren alles, was ihm widerfahren war, wie ihm Vögel und Wildtiere beigestanden hatten, wie er der Todesgefahr entronnen war und wie er eine treue Lebensgefährtin gefunden hatte. Als der Kranke sich erheben konnte, begaben die Brüder sich auf den Weg. Zuerst ritten sie zur Ehegemahlin des jüngeren Bruders, alsdann begaben sie sich zu dritt in ihre schöne Heimat. Das Volk versammelte sich vor dem Palast des Padischahs, um die jungen Schahs zu begrüßen, die von so fernen Reisen heimgekehrt waren, und um zu hören, wie es ihnen ergangen war. Die Brüder erzählten des Langen und Breiten, alsdann begann ein Toi, der mehrere Tage und Nächte währte. Dort wurde reichlich Pilaw und Hammelfleisch aufgetragen. Auch ich war zu diesem Fest geladen, trug ein Schüsselchen Pilaw und ein Stückchen Braten heim, stolperte über ein Würzelein und schlug der Länge nach hin. So verschüttete ich den Pilaw, das Fleisch holte sich Akbulek, und mein Magen blieb leer...