[swahili, "Geschichte, Legende"]

Die silberne Tjubetejka

Ob es nun so war oder nicht, es lebte einst ein alter Padischah, Herr über Erde und Wasser, Gebieter über Völker und Städte, Besitzer der Paläste und unermesslicher Schätze. Doch am liebsten von allen Schätzen war ihm seine Tochter Khan-Saltan, schön wie ein blühender Mandelzweig. Der Padischah liebte sein Kind abgöttisch, doch die Menschen wussten, dass die schöne Maid bösartig und störrisch war. Von klein auf umgaben sie tausend Diener. Sie brauchte nur ein Wörtchen zu sagen, schon stürzten alle herbei, um ihre Wünsche zu erfüllen. Selbst der Wille des Padischahs war für sie kein Gesetz.

Einmal sprach der Padischah zu seiner Tochter: »Oh, Khan-Saltan! Ich bin alt und grau. Wäre es nicht an der Zeit, dir einen Bräutigam nach deinem Herzen zu wählen, auf dass ich mich noch zu Lebzeiten an deinem Glück erfreue und, wenn ich aus dieser Welt scheide, mein großes Reich starken Händen anvertrauen kann?« Doch die schöne Maid beschied den Vater kurz und bündig: »Nein, es ist noch nicht an der Zeit!« Da verfinsterte sich des Padischahs Angesicht, und er rief: »Denke nicht nur an dich, denke auch an das Reich! Gibt es in unseren Landen vielleicht keine mutigen Dshigiten und ruhmreichen Palwane? Gibt es vielleicht keine herrlichen Jünglinge, schön wie der Neumond und klug und gelehrt? Brauchst nur einen unter ihnen dir zu erwählen. Drum wisse, dies ist mein Wille: Morgen nennst du mir den Auserwählten!« Die schöne Jungfrau fiel auf den Teppich und brach in Tränen aus, doch der Padischah entfernte sich.

Anderntags betrat die böse Jungfrau die Gemächer ihres Vaters, des Padischahs, ließ sich auf einem seidenen Kissen nieder, senkte den Blick und sprach: »Ich bin es zufrieden, Vater.«

»Wer ist dein Auserwählter?« fragte der Padischah. »Wer wird Herr über Erde und Wasser, Gebieter über Völker und Städte, Besitzer der Paläste und unermesslicher Schätze? Sprich, nenne mir seinen Namen.«

»Er wird ihn selber uns nennen«, gab die schöne Jungfrau zurück. Doch der Vater verstand ihre Antwort nicht. Da lachte die schöne Maid glockenhell, nahm ihre prachtvolle silberbestickte Tjubetejka vom Kopf und sprach: »Siehst du diese Tjubetejka, Vater? Eine zweite wie diese gibt es nicht in unserem Reich. Ich will meinen Dienern befehlen, sie an der Spitze des höchsten Minaretts aufzuhängen. Derjenige, der sie herabholt, soll mein Gemahl werden.« Also sprach die schöne Maid und eilte von dannen. Alsbald begaben sich Hunderte Diener zur Moschee, kletterten die steile Treppe des höchsten Turms hinauf, auf dessen Spitze ein vergoldeter Halbmond glitzerte. An das obere Horn seiner Sichel hängten sie die Tjubetejka der Tochter des Padischahs. Die Turmtüren aber schlugen sie mit geschmiedeten Kupferplatten zu, auf dass keiner die Treppe hinaufgelange. Die Herolde stießen ins Horn und verkündeten den Willen der stolzen Jungfrau. Drauf kamen junge verwegene Dshigiten aus allen Enden und Ecken des Landes in die Hauptstadt des Reichs geritten, wo auf dem Platz vor dem Palast des Padischahs das Minarett der Großen Moschee schlank wie eine Palme, glatt wie aus Elfenbein aufragte. Die verwegensten Reiter versuchten auf feurigen Trabern bis zur Turmspitze zu springen, doch sie stürzten ab in den sicheren Tod, ohne die silberne Tjubetejka zu holen. Die Vorsichtigeren unter ihnen ereilte dasselbe Los.

Die böse Padischah-Tochter aber blickte aus dem Fenster ihres Schlafgemachs und lachte. Weder Erbarmen noch Mitgefühl erfüllten ihr böses Herz. Das grausame Schauspiel wiederholte sich Tag für Tag. Mittlerweile war weder im Land des Padischahs noch in den Nachbarländern ein Haus geblieben, in dem nicht der Tod eines Sohnes, eines Bruders oder Neffen beklagt wurde. Bald gelangte auch die Kunde von der silbernen Tjubetejka in den Aul, in dem Jarty-gulak und sein Vater lebten. Natürlich wollten auch hier die mutigsten Jünglinge ihre Verwegenheit beweisen. Sie rüsteten für den Weg. Vergeblich weinten Mütter und Schwestern, vergeblich flehten sie die Jünglinge an, daheim zu bleiben. Die tapferen Dshigiten sattelten ihre Rosse. Da lief Jarty-gulak herbei und rief: »He, Dshigiten, Ruhm und Ehre unsrem Aul! Ich dachte, ihr seid klüger als die weisen Männer, doch ihr könnt die Schafe nicht von den Schakalen unterscheiden! Traut dieser bösen Jungfrau nicht! Sie wird euch nur alle verderben!« Doch Jugend und Vernunft wohnen niemals in einem Haus. Die Jünglinge schwangen sich auf ihre Rosse und trabten davon. Der Wüstenstaub wirbelte hinter ihnen auf.

Jarty blickte ihnen nach und sagte zu seiner Mutter: »Edshe-dshan, ich brauche dieses schöne Mädchen nicht, aber auch ich will mich in die Stadt begeben und versuchen, die silberne Tjubetejka der Padischah-Tochter vom Minarett zu holen. Wollen wir so mutigen Dshigiten wie unseren Gesellen nicht in der Not helfen?« Also sprach Jarty und begann seinen alten Maulesel zu satteln. Die Mutter hub zu weinen an und suchte dem Sohn seinen Plan auszureden.

Sie sagte: »Mein Jungchen, ich lass dich nicht fort, der du der zarten Mohnknospe, dem Blütenblatt der duftenden Nelke und dem goldenen Kern eines reifenden Apfels gleichst. Auch dich wird die böse Maid in den Tod treiben. Auch mit dir, mein Kleiner, wird das steinerne Herz kein Erbarmen haben.« Der Vater stöhnte und bat: »Jarty, sei vernünftig! Du bringst Schande über meinen grauen Bart. Das wird unser aller Tod sein. Nicht dir, der du so klein wie eine Ameise bist, ist es beschieden, eine Heldentat zu vollbringen, die selbst die Kräfte ruhmreicher Palwane übersteigt.« Der hurtige Jarty umarmte Vater und Mutter und entgegnete: »Weinet nicht. Wo ein Kamel sich keinen Weg zu bahnen vermag, da schlüpft das Mäuslein geschickt vorbei.« Er gürtete sich den festlichen Chalat mit einem bunten Kuschak, stieg auf seinen Maulesel und ritt von dannen.

Ob Jarty lange Zeit oder kurze Zeit durch die Wüste ritt, ist ungewiss. Unermüdlich trieb er seinen Maulesel an und erblickte endlich eine Stadt vor sich. Das war die Hauptstadt des alten Padischahs. Auf den hohen Stadtmauern flatterten grüne Seidenbanner mit eingestickten Drachen, und auf den Ecktürmen, die als Wachttürme dienten, standen herrlich anzusehen die Herolde und bliesen ihre mannshohen Karnais. Sie riefen die kühnen Recken herbei, die bereit waren, ihre Kraft und Geschicklichkeit zu beweisen, um der hohen Ehre willen, die Tochter des Padischahs zu freien. Sie stießen laut ins Horn und riefen: »Hört, ihr Leute! Wer die silberne Tjubetejka der schönen Khan-Saltan vom Minarett unserer Moschee zu holen vermag, der wird ihr Ehegemahl und der Erbe des Padischahs, des Herrn über Erde und Wasser, des Gebieters über Völker und Städte, des Besitzers der Paläste und unermesslicher Schätze!« Die Volksmenge eilte zum Tor.

Jarty band seinen Maulesel im Schatten einer hohen Feldulme an der Stadtmauer an und eilte mit der neugierigen Menge zum größten Platz in der Stadt. Jarty blickte zum Minarett auf, es war so hoch, dass ihn schwindelte. Er berührte die Wand des Turms, sie war so glatt, dass man sich nirgendwo festzuklammern vermochte. Er eilte zur Tür, fand sich da wirklich keine Ritze, durch die man huschen konnte, um die Treppe zu erklimmen? Doch die Tür war sorgfältig mit Kupferplatten zugeschlagen, dass nicht das kleinste Schlupfloch geblieben war. Davor stand auch noch eine bewaffnete Wache. Da wurde Jarty-gulak traurig zumute. Er setzte sich mitten auf den Platz und überlegte. Immer wieder glitt sein Blick zur Turmspitze hinauf. Plötzlich erblickte er einen Taubenschwarm. Die weißen Vögel kreisten wie Baumwollbällchen über dem Minarett. »He, Khan-Saltan, du bösartige Peri!« rief der Knirps, denn ihm war die Erleuchtung gekommen. Vor Freude begann er wild zu tanzen. »Jetzt habe ich dich in der Hand!«

Er kramte in seinen Taschen und fand Krümel von dem Tschurek, den ihm die Mutter als Wegzehrung mitgegeben hatte. Flugs streute er die Krumen vors Minarett und versteckte sich abwartend hinter der steinernen Schwelle. Die Tauben kreisten lange um den Turm und flogen schließlich zur Erde hinab. Leise gurrend machten sie sich an die verstreuten Krumen. Da huschte Jarty aus seinem Hinterhalt und schlich sich an die größte Taube heran. Mit einem Satz packte er sie am Schwanz, die Taube schlug aufgeschreckt mit den Schwingen, doch Jarty schrie so laut er vermochte: »He-he! Husch-husch! Ihr Tauben, fliegt hinauf in die Himmelshöhen und tragt mich zur Spitze des Minaretts!« Die Tauben verstanden natürlich nicht die Worte, doch der Ruf erschreckte sie, und sie flogen in die Höhe.

Wie hoch flog da Jarty über der Hauptstadt des Padischahs! Er erblickte aus luftiger Höhe die Paläste und die krummen Straßen, die Basare und die lärmenden Plätze, die von Aryks durchschnittenen Felder, doch er sah nicht das Minarett der Moschee. Die Tauben trugen ihn in eine fremde Gegend! Da erschrak der Knirps. Die Hände wurden ihm schwach. Mit letzter Kraft klammerte er sich an den Schwanz seiner Taube und kniff die Äuglein ganz fest zu. Die Tauben aber waren mittlerweile müde geworden. Sie kehrten um und landeten kurze Zeit später auf dem kunstvoll geschnittenen Gesims des Minaretts. Jarty schlug die Augen auf und freute sich von Herzen. Das Werk ist vollbracht, dachte der Knirps und wollte schon die silberne Tjubetejka vom Turm holen, aber hast du gedacht! Vor ihm ragte ein steiles Dach empor, auf dem Dach funkelte ein goldener Halbmond, und hoch droben an seinem äußersten Rand war die mit Edelsteinen bestickte Tjubetejka der Padischah-Tochter kaum wahrzunehmen!

Zur Umkehr war es zu spät. Zudem war Jarty kein Geselle, der ein begonnenes Werk nicht zu Ende geführt hätte. Er begann die glatten Dachziegel empor zu klimmen. Er stürzte ab und versuchte es aufs Neue. Endlich hatte er die goldene Sichel des Halbmondes gepackt. Noch eine letzte Anstrengung, und er würde die begehrte Tjubetejka der Padischah-Tochter in den Händen halten. Doch es war alles andere als einfach, die vierzig Schlingen und die vierzig Knoten aus Seidenschnüren, mit denen die Tjubetejka festgebunden war, zu lösen, dazu in dieser Höhe! Mit der Linken klammerte Jarty sich an den Halbmond, so dass er nur seine Rechte gebrauchen konnte. Wie aber vermag man allein mit einer Hand rasch eine Arbeit zu verrichten? Doch wer Geduld hat, dem gelingt es auch, im Wind ein Feuer zu entfachen.

Wenn es vonnöten war, konnte Jarty hartnäckig und ausdauernd sein. Noch war der rote Ball der Sonne nicht am Rand der Wüste versunken, da hielt Jarty das Mützchen von Khan-Saltan in den Händen. Der kleine Wicht freute sich über die Maßen. Doch nur Unvernunft freut sich vor der Zeit! Jarty blickte in die Tiefe, da erstarrte ihm das Herz in der Brust: Unter ihm gähnte ein Abgrund. Auf seinem Boden hasteten Menschlein, klein und geschäftig wie Ameisen hin und her. Der Palast des Padischahs aber schien aus der Höhe nicht größer als Vaters Kibitka. Der Knirps erschrak so, dass das Dach unter seinen Füßen zu schwanken begann. Wie sollte er nur hinabgelangen?

Just in diesem Augenblick erklang dreimal der Gong. Das war das Zeichen, dass der Basar geschlossen wurde. Alsbald huben die Muedsins von den Nachbarminaretten ihr Abendgebet zu sprechen an. Es wurde Nacht. Sprach der kleine Knabe zu sich: He, Jarty, willst du noch lange unter freiem Himmel schaukeln? Eile dich, auf die Erde zurückzukommen! Um die Mittagszeit stößt die Wüste ihren glühenden Atem aus, um Mitternacht eisige Luft. Wenn ich auf dem Turm hocken bleibe, erfriere ich ebenso wie der einsame Wanderer auf dem verschneiten Firn. Also dachte Jarty und suchte mit den Augen nach den Tauben. Die Vögel schliefen längst. Soviel Jarty auch nachsinnen mochte, ihm wollte kein glücklicher Einfall kommen.

Da fegte der erste Stoß des Abendwindes durch die Wüste. Er fegte über die Stadtmauern, wirbelte den Staub in den schmalen krummen Gassen auf, raschelte im Laubwerk in den Gärten des Padischahs, stieg immer höher hinauf, fegte über die Dächer hinweg und brauste hinauf zum Turm des Minaretts, wo Jarty mit seiner silbernen Tjubetejka saß. Der Wind erfasste das Mützchen der Padischah-Tochter wie Flaum. Doch hätte Jarty diesen Schatz, nach dem er unter Lebensgefahr einen Tag lang in die Höhe geklettert war, einfach aus den Händen geben können? Die Tjubetejka schwebte also durch die Lüfte, und zusammen mit ihr schwebte der hurtige Jarty über der Stadt. Lange spielte der Abendwind mit dem hübschen Mützchen der Padischah-Tochter, lange trug er Jarty durch den dunklen nächtlichen Himmel, doch gegen Mitternacht wurde der Wind müde. Die silberne Tjubetejka glitt auf einen Rosenstock vor dem Palast des Padischahs. Jarty sprang hinab und sagte: »Na, da sind wir ja schon auf der Erde. Will doch einmal sehen, was mein Maulesel macht. Er muss sicher mit saftigem Gras gefüttert werden.« Der kleine Wicht zog sich den Kuschak fester, drückte die silberne Tjubetejka an die Brust und richtete seine Schritte zum Stadttor. Doch nun wollen wir Jarty-gulak verlassen und treten in den Palast des Padischahs ein.

Die schöne Khan-Saltan war noch nicht erwacht, als ihre Gespielinnen in ihr Gemach gelaufen kamen. Sie rafften die Kisseja, in die die Padischah-Tochter gehüllt war, damit Mücken und Moskitos ihren Schlaf nicht störten, und begannen das schöne Mädchen zu wecken: »Oh, welche Freude! Oh, welches Glück! Wach auf, schöne Khan-Saltan! Ein tapferer Dshigit hat deine Tjubetejka vom hohen Minarett geholt! Schenke ihm sein Herz, dann wollen wir fröhliche Hochzeit feiern!« Die schöne Maid sprang wie von einer bösen Schlange gebissen von ihrem Ruhelager, schleuderte die seidenen Kissen durchs Gemach und stapfte wütend mit den Füßen: »Schweigt! Wer erdreistet sich mit mir diesen Scherz?« Sie stieß das Fensterchen ihres Schlafgemachs auf und sah, dass die Tjubetejka in der Tat vom Turm verschwunden war. Im selben Moment betrat der Vater, der Padischah, mit seinem Gefolge das Gemach: Sie waren gekommen, um das schöne Mädchen zu beglückwünschen. Pünktlich um die Mittagszeit wurden auf allen Türmen die Karnais geblasen, die Tamburins geschlagen und die Flöten gespielt, um das Volk auf den Stadtplatz zu rufen. Das Palasttor tat sich auf, und der Padischah mit seiner Tochter zeigten sich der erwartungsvollen Menge. Der Herr über Erde und Wasser, der Gebieter über Völker und Städte, der Besitzer der Paläste und unermesslicher Schätze stieg auf das Podest unter hohem Baldachin, ließ sich nieder auf golddurchwirkten Kissen und neben ihm nahm die schöne Khan-Saltan Platz. Alsbald umgaben sie Sklaven mit Wedeln und Krieger in glänzenden Rüstungen. Der Padischah sprach: »Führet den Palwan herbei, den Tapfersten unter den Tapferen, den Verwegensten unter den Verwegenen, denjenigen, der die silberne Tjubetejka vom hohen Minarett geholt. Er soll vor allem Volk den versprochenen Lohn aus unseren Händen erhalten!«

Die Höflinge stürzten davon, um den Willen des Gebieters zu erfüllen, doch bald kamen sie verlegen zurück. Schweigend fielen sie vor dem Padischah auf die Knie. »Faulenzer! Wo ist mein Bräutigam?!« schrie die schöne Khan-Saltan. Doch die Höflinge schwiegen betreten. Keiner wagte sich zu rühren. »Weshalb schweiget ihr?« fragte der Padischah kaum hörbar, doch jedes Wort vernahm man am anderen Ende des Platzes, so still war es geworden. Abermals sagten die Höflinge kein Wort. Endlich erhob sich der Oberwesir, der so alt war, dass keiner sich mehr zu erinnern vermochte, wann er im Reich des Padischahs erschienen war. Er trat vor die schöne Maid, fasste seinen Bart mit den Händen als Zeichen seiner Ehrerbietung und Trauer. Er sprach: »Oh, Schönste unter den Schönen, oh, Weiseste unter den Weisen! Oh, Tochter der Sterne und Schwester der Rosen, sieh denn, was du niemals sähest, und vernimm, was du niemals vernahmest.« Also sprach er und hob die Hand. Die Menge trat auseinander, und die ersten Wesire des Reichs, in Gold durchbrochene Seidenchalate gekleidet, näherten sich dem Padischah. Sie trugen eine Platte aus feinstem getriebenem Kupfer. Auf der Platte aber stand fröhlich lächelnd ein Knabe, halb so groß wie ein Kamelohr, und hielt die silberne Tjubetejka. Das schöne Mädchen sah den winzigen Knaben an, schlug sich auf die Knie und schrie, dass es über den Platz gellte: »Ihr Nichtswürdigen! Wer hat mit mir diesen üblen Scherz getrieben? Das soll der Tapferste unter den Tapferen und der Verwegenste unter den Verwegenen sein? Dieser Wicht kann sich ja in einer Nussschale verstecken!«

Doch Jarty war bekanntlich nicht so leicht in Verlegenheit zu bringen. Er antwortete: »Schätze keinen nach seinem Wuchs, sondern nach seinen Taten!« Als er sah, dass die schöne Jungfrau in Tränen ausbrach, fuhr er fort: »Das ist doch kein Grund zum Weinen! Ich bin nicht auf das Minarett geklettert, um dein Ehegemahl zu werden und über das Reich zu gebieten. Ich brauche dich nicht! Du weißt doch, wie das Volk spricht: Einen störrischen Maulesel ziert nicht einmal eine Paradedecke aus Samt! Nicht um deinetwillen hab ich die Tat vollbracht. Wollte vielmehr die mutigen Dshigiten erretten, die auf deinen Ruf wie Falter ins Feuer fliegen. Fortan wird keiner mehr auf deinen Ruf herbeieilen, selbst wenn du deine Mützen an allen Minaretten des Reichs aufhängst! Aus dieser silbernen Tjubetejka aber will ich ein Stirnband für meinen alten Maulesel fertigen. Der ist nicht so störrisch!«

Also sprach Jarty, und die Menge lachte. »Diener, Krieger, Sklaven!« schrie die Tochter des Padischahs. »Schlagt dem frechen Knaben den Kopf ab!« Die Diener stürzten herbei, um den Befehl auszuführen, doch Jarty war wie vom Erdboden verschwunden. So eifrig sie ihn auch suchen mochten, sie konnten ihn nicht finden. Schließlich ist es nicht so einfach, eine Stecknadel im Heuhaufen zu finden! Jarty indes war schon durchs Stadttor davongelaufen. Er band seinen braven Maulesel los, kletterte auf seinen Rücken und ritt gemächlich heim in den Aul. »Hüh-hott!« Der Knabe trieb seinen Esel an. »Trabe ein wenig schneller, wenn du es vermagst. Auf unserem Baumwollfeld atmet es sich freier als in der Stadt des Padischahs.« So sprach er zu seinem grauen Freund und ritt von dannen. Die Sonne strahlte am Himmel, und vor Jarty-gulak lag, lang wie das Leben, der Weg durch die Wüste.