[swahili, "Geschichte, Legende"]

Die Schwester mit den neun Brüdern

Es war einmal ein Alter mit seinem Weibe. Sie hatten neun Söhne, doch das zehnte Kind war eine Tochter. Sie hielten eine Stute und ein weißes Hündchen. Die Stute hatte neun Hengstfohlen. Das Weib starb, und der Greis heiratete eine Hexe. Und die kleinen Söhne wuchsen heran. Auch die Fohlen wurden alle groß. Die Söhne sattelten sich alle diese Hengste und ritten in den Krieg. Zu Hause blieb nur der Mann mit dem Töchterchen und der Hexe.

Nachdem sie schon viele Jahre fort gewesen waren, schickten die Söhne einen Brief, dass die liebe Schwester zu Besuch kommen möchte. Und sie fing an, ihre Reise vorzubereiten. Doch die Hexe sagte: »Mägdlein, Mägdlein, ich will zusammen mit dir dorthin fahren!«

»Wie willst du«, sagt sie, »fahren? Wir haben nichts, womit du fahren könntest, wir beide haben im Kutschwagen nicht Platz zum Sitzen.« Das Hündchen sagte: »Auch ich möchte dorthin fahren!«

»Nun«, sagt sie, »du kannst dahin laufen.« Die Hexe sagt: »Ich spanne mir ein Schwein vor die Molde, nehme einen Stößel und werde auch hinfahren.« Die Hexe lässt das Mädchen Kuchenbrot backen, die Reise vorbereiten. Doch sie selber packte einen Hauklotz und einen Handmühlenstein in die Molde, dazu einen Mörser und einen Stößel.

Das Mägdlein geht hinaus, setzt sich in den Kutschwagen und begibt sich auf die Reise zu den Brüdern. Und die Hexe setzt sich in die Molde. Das Hündchen läuft nebenher. Sie fuhren weit und kamen an einen Fluss.

Die Hexe sagt: »So wasch dich doch,
Du Neunbrüdermaid,
Nicht erkennen dich
Deine Brüder neun:
Von Rauch geschwärzt,
Vom Fahren Staub,
Auf breitem Weg
Fuhrst du so schnell!«
Doch das Hündchen sagt: »Knurr-knurr-knurr, o wasch dich nicht,
Knurr-knurr-knurr, o Neunbrüdermaid!
Knurr-knurr-knurr, nicht bist du schwarz,
Knurr-knurr-knurr, nicht voller Staub.
Knurr-knurr-knurr, all' deine Brüder erkennen dich,
Knurr-knurr-knurr, trügen nur will dich die Hex'!«
Da ergriff die Hexe den Hauklotz, bums! - trifft sie das Hündchen und zerschmettert ihm einen Fuß. Jetzt kann das Hündchen nur noch auf drei Füßchen hoppeln. Sie fuhren weiter.

Wieder sagt die Hexe: »So wasch dich doch,
Du Neunbrüdermaid,
Nicht erkennen dich
Deine Brüder neun:
Von Rauch geschwärzt,
Vom Fahren Staub,
Auf breitem Weg
Fuhrst du so schnell!«
Doch das Hündchen sagt: »Knurr-knurr-knurr, o wasch dich nicht,
Knurr-knurr-knurr, o Neunbrüdermaid!
Knurr-knurr-knurr, nicht bist du schwarz,
Knurr-knurr-knurr, nicht voller Staub.
Knurr-knurr-knurr, all' deine Brüder erkennen dich,
Knurr-knurr-knurr, trügen nur will dich die Hex'!«
Da packte sie den Mühlstein, und - bums! - trifft sie das Hündchen und zerschmettert ihm den zweiten Fuß. Jetzt kann das Hündchen nur noch auf zwei Füßchen hoppeln.

Doch sie, die Hexe, sagt, dass das Mädchen sein Gesicht waschen solle: »So wasch dich doch,
Du Neunbrüdermaid,
Nicht erkennen dich
Deine Brüder neun:
Von Rauch geschwärzt,
Vom Fahren Staub,
Auf breitem Weg
Fuhrst du so schnell!«
Doch das Hündchen sagt: »Knurr-knurr-knurr, o wasch dich nicht,
Knurr-knurr-knurr, o Neunbrüdermaid!
Knurr-knurr-knurr, nicht bist du schwarz,
Knurr-knurr-knurr, nicht voller Staub.
Knurr-knurr-knurr, all' deine Brüder erkennen dich,
Knurr-knurr-knurr, trügen nur will dich die Hex'!«
Sie ergriff den Stößel - bums! - und zerschmetterte das dritte Füßchen. Das Hündlein kann nur noch auf einem Füßchen hoppeln.

Doch die Hexe bittet in einem fort: »So wasch dich doch,
Du Neunbrüdermaid,
Nicht erkennen dich
Deine Brüder neun:
Von Rauch geschwärzt,
Vom Fahren Staub,
Auf breitem Weg
Fuhrst du so schnell!«
Doch das Hündlein sagt wieder: »Knurr-knurr-knurr-, o wasch dich nicht,
Knurr-knurr-knurr, o Neunbrüdermaid!
Knurr-knurr-knurr, nicht bist du schwarz,
Knurr-knurr-knurr, nicht voller Staub.
Knurr-knurr-knurr, all' deine Brüder erkennen dich,
Knurr-knurr-knurr, trügen nur will dich die Hex'!«
Und sie wieder - bums! -, und das letzte Füßchen ist zerschmettert. Schon kann sich das gute Hündchen nur noch wie ein Klotz hinter dem Mägdlein herrollen.

Doch die Hexe sagt immerzu: »So wasch dich doch,
Du Neunbrüdermaid,
Nicht erkennen dich
Deine Brüder neun:
Von Rauch geschwärzt,
Vom Fahren Staub,
Auf breitem Weg
Fuhrst du so schnell!«
Doch das gute Hündlein rollt sich und sagt unentwegt: »Knurr-knurr-knurr, o wasch dich nicht,
Knurr-knurr-knurr, o Neunbrüdermaid!
Knurr-knurr-knurr, nicht bist du schwarz,
Knurr-knurr-knurr, nicht voller Staub.
Knurr-knurr-knurr, all' deine Brüder erkennen dich,
Knurr-knurr-knurr, trügen nur will dich die Hex'!«
Darauf sie dann - bums! - mit dem Mörser und zerschmetterte das Hündchen ganz. Das Mägdlein fährt langsam, und das liebe Hündchen ist nicht mehr bei ihr. Sie sagt: »Wieher laut, wieher laut, du Stute mein,
Obwohl weit noch sind deine Söhne neun.
Denn dort sind auch meine neun Brüderlein!«
Die Stute wieherte laut auf: »I-ha-ha-ha-ha-ha-ha!« Da antworteten dort die Hengste. Schon ist es nicht mehr weit. Doch die Hexe sagt noch immer: »So wasch dich doch,
Du Neunbrüdermaid,
Nicht erkennen dich
Deine Brüder neun:
Von Rauch geschwärzt,
Vom Fahren Staub,
Auf breitem Weg
Fuhrst du so schnell!«
Das Mägdlein lauschte und gehorchte: »Ich muss mich waschen. Bin ich doch weit gefahren.« Sie stieg aus der Kutsche und ging an den Bach, sich zu waschen. Als sie an den Bach gegangen war, um sich zu waschen, da sprang die Hexe aus ihrer Molde und hinein in den Kutschwagen. Holterdipolter - und im Nu war sie auf und davon. Und sie fuhr und trieb die Stute mit heftigen Schlägen an.

Doch das Mädchen wusch sich und wusch sich, stieg aus dem Bach, schaute sich um: ihr Kutschwagen und ihre Stute sind weg! Sie ging zu der Molde und setzte sich hinein. Doch das Schwein kam vor Müdigkeit schon gar nicht mehr vorwärts, es war ganz erschöpft. Da weinte sie und stieg aus, um zu Fuß weiterzugehen. Sie ging und ging, schon wurde es Abend, schon wurde es Nacht. Sie geht durch den Wald und weint. Sie ging die ganze Nacht hindurch, schon zeigte sich das Morgenrot. Da kam sie auch richtig an ein Gut mit einem hochragenden Herrenhaus, ein schöner Hof davor, an dem Linden wachsen. Die Hengste alle und die Stute gehen durch das Gras, aber sie fressen nicht. Was sollte die Schwester der neun Brüder machen? Sie glaubt, dass ihre Brüder noch schlafen, sie will sie nicht wecken gehen. Sie weiß, dass die Hexe dort ist.

Sie steigt auf eine Linde und sagt: »Rosse, auf!
Graue, auf!
Was fresst ihr nicht
Das grüne Gras,
Was trinkt ihr nicht
Aus dem Haff das Nass?«
Die Rosse antworten nacheinander: »Wie soll'n fressen wir
Grünes Gräselein,
Wie soll'n trinken wir
Aus dem Haff das Nass?
Die Neunbrüdermaid
Weidet Rößlein dort,
Doch das Hexenweib
Sitzt bei Tische drin!«
Da kommt der jüngste Bruder heraus und lauscht. Er geht wieder hinein und sagt: »Hört, ihr Brüder, kommt doch auch heraus und hört zu, was für ein Vöglein da in unseren Linden so wunderschön singt; noch nie war solch ein Vogel da. Noch an keinem Morgen hat jemals ein Vogel so gesungen.«

»Du konntest ja gar nichts recht erkennen! Du warst nicht ausgeschlafen und bist vor Tag hinausgegangen, und jetzt glaubst du, etwas gesehen zu haben!«

Da riefen alle: »Aber wir wollen doch gehen und einmal lauschen!« Doch die Hexe sagt: »Hört, liebe Brüder, geht nicht hinaus, dort ist nichts. Bleibt bei mir! Kommt, wir wollen trinken und festlich schmausen, lange bin ich nicht bei euch gewesen, lange habt ihr mich nicht gesehen. Und ich bin alt und schwach geworden.« Doch der Jüngste bleibt dabei und sagt: »Wenigstens zwei von uns sollten gehen und lauschen!« Da gehen zwei von ihnen hinaus und lauschen.

Und sie sagt wieder: »Rosse, auf!
Graue, auf!
Was fresst ihr nicht
Das grüne Gras,
Was trinkt ihr nicht
Aus dem Haff das Nass?«
Und die Rosse antworten nacheinander: »Wie soll'n fressen wir
Grünes Gräselein,
Wie soll'n trinken wir
Aus dem Haff das Nass?
Die Neunbrüdermaid
Weidet Rößlein dort,
Doch das Hexenweib
Sitzt bei Tische drin!«
Da eilen sie tief betroffen in die Stube und sagen: »Hört, ihr Brüder, kommt doch alle hinaus, lauschen wir alle dem Gesang! Hört doch auch ihr einmal, was für ein Vogel da so wunderschön singt, wie wir es noch niemals gehört haben!« Da gehen sie zu vieren hinaus.

Und wieder sagt sie: »Rosse, auf!
Graue, auf!
Was fresst ihr nicht
Das grüne Gras,
Was trinkt ihr nicht
Aus dem Haff das Nass?«
Und die Rosse antworten nacheinander: »Wie soll'n fressen wir
Grünes Gräselein,
Wie soll'n trinken wir
Aus dem Haff das Nass?
Die Neunbrüdermaid
Weidet Rößlein dort,
Doch das Hexenweib
Sitzt bei Tische drin!«
Nun kommen sie schon zu viert in die Stube und sagen: »Kommt doch, lauschen wir alle, was für ein Vogel das ist und wie wunderschön er singt!« Da gehen sie schon zu fünft hinaus. Und wieder lauschen sie.

Sie sagt aufs Neue: »Rosse, auf!
Graue, auf!
Was fresst ihr nicht
Das grüne Gras,
Was trinkt ihr nicht
Aus dem Haff das Nass?«
Und die Rosse antworten nacheinander: »Wie soll'n fressen wir
Grünes Gräselein,
Wie soll'n trinken wir
Aus dem Haff das Nass?
Die Neunbrüdermaid
Weidet Rößlein dort,
Doch das Hexenweib
Sitzt bei Tische drin!«
Da gehen die fünf hinein und sagen: »Brüder, kommt alle hinaus und lauscht. Warum glaubt ihr uns nicht? Was ist das für ein Vogel, und wie wunderschön singt er? Und von unseren Rossen frisst nicht eines. Alle stehen sie da und schauen umher.« Da gehen sie nun schon zu sechst hinaus, um zuzuhören. Sie lauschen, und wieder singt dasselbe Vöglein.

Es sagt: »Rosse, auf!
Graue, auf!
Was fresst ihr nicht
Das grüne Gras,
Was trinkt ihr nicht
Aus dem Haff das Nass?«
Die Rosse antworten nacheinander: »Wie soll'n fressen wir
Grünes Gräselein,
Wie soll'n trinken wir
Aus dem Haff das Nass?
Die Neunbrüdermaid
Weidet Rößlein dort,
Doch das Hexenweib
Sitzt bei Tische drin!«
Da glauben es nun schon sechs Brüder, und sie sagen: »Kommt doch alle zusammen hinaus und lauscht, wie wunderschön dieser Vogel singt!« Und nun gehen acht hinaus. Doch der neunte sagt: »Ich will nichts mehr davon hören... Was habt ihr euch da ausgedacht?« Die acht gehen hinaus und lauschen. Und wieder hören sie es.

Sie singt wieder, und wieder sagt sie: »Rosse, auf!
Graue, auf!
Was fresst ihr nicht
Das grüne Gras,
Was trinkt ihr nicht
Aus dem Haff das Nass?«
Und die Rosse antworten nacheinander: »Wie soll'n fressen wir
Grünes Gräselein,
Wie soll'n trinken wir
Aus dem Haff das Nass?
Die Neunbrüdermaid
Weidet Rößlein dort,
Doch das Hexenweib
Sitzt bei Tische drin!«
Da glauben es nun schon acht Brüder. »Komm mit«, sagen sie, »warum willst du uns durchaus nicht glauben? Gehen wir doch alle und hören zu!« Doch die Hexe bittet: »Ach, ihr lieben Brüder, was ist denn mit euch? Was wollt ihr da gehört und gesehen haben?« Na, und der Älteste sagt: »Ich komme mit.« Und sie gingen wieder hinaus und lauschten.

Na, und im Birkenbaum sagt und singt sie wieder: »Rosse, auf!
Graue, auf!
Was fresst ihr nicht
Das grüne Gras,
Was trinkt ihr nicht
Aus dem Haff das Nass?«
Die Rosse antworten nacheinander: »Wie soll'n fressen wir
Grünes Gräselein,
Wie soll'n trinken wir
Aus dem Haff das Nass?
Die Neunbrüdermaid
Weidet Rößlein dort,
Doch das Hexenweib
Sitzt bei Tische drin!«
Da sagen alle: »Wir wollen näher herangehen und einmal nachsehen!«

Sie gingen zu der Linde, blicken umher, sie erblicken ihre Schwester. Die stieg herab von der Linde, und sie begrüßten einander und weinten. Dann fing sie an zu erzählen, wie die Hexe sie im Stich gelassen hatte, wie sie die Nacht hindurch wanderte und wie schwer es ihr geworden ist. »Was, ihr Brüder, machen wir nun mit ihr? Wir wollen sie auf die Eisenzinken der Egge binden und die Stute mit den Hengsten davor spannen.« Sie spannten die Stute und die Hengste vor die Egge und banden die Hexe mit ihren Zöpfen darauf fest. Und sie jagten die Pferde über alle Felder und verstreuten ihre Knochen. Alle verstreuten sie und warfen sie umher. Und wenn der Winter kommt, dann glitzern auch heute noch ihre Knochen auf dem Schnee.