[swahili, "Geschichte, Legende"]

Die kleine Kuh des Waisenmädchens

Es lebte einmal eine Stiefmutter, und sie hatte eine eigene Tochter und eine Stieftochter. Die eigene liebt sie sehr und kleidet sie schön. Die Stieftochter aber kann sie durchaus nicht leiden, sie plagt und bedrückt sie auf jede erdenkliche Weise, damit sie es nur immer noch schwerer hat.

Einmal befahl sie: »Treibe die Kuh aus! Hüte sie den Tag über!« Sie stopfte einen Sack voll Werg und befahl ihr: »Spinne alles, webe es, bleiche es, rolle es zusammen und bringe mir die Rolle Leinwand!« Und das Mädchen geht, führt die Kuh, trägt den Sack auf den Schultern und weint. Was kann sie nur machen? Sie geht ins Freie, setzt sich auf einen Baumstumpf, legt den Sack mit Werg ab und weint. Da kam die Kuh heran zu ihr und schaute sie an. »Weine nicht«, sagt sie, »lege mir den Sack auf die Hörner! Ich will dir schnell alles spinnen.« Sie legte der Kuh den Sack auf die Hörner. »Höre«, sagt sie, »rufe mich am Abend!« Da lief die Kuh fort, durch die Wälder und über die Felder. Sie lief dahin, wo die Wälder und die Berge aufhörten, und brüllte: »Muh-muh, Deiven-Jungfraun,
Muh-muh, kommt, verspinnt doch,
Muh-muh, kommt, verwebt doch,
Muh-muh, kommt und bleicht doch,
Muh-muh, kommt und rollt doch...!«
Hurtig kamen die Deiven von allen Seiten herbei gesprungen, und schon spannen die einen das Werg, die anderen spannten die Fäden auf den Webstuhl. Die einen weben, die anderen reichen die Spulen mit den Fäden zu. Sie webten alles, rollten alles aus. Schnell dann hinein in heiße Aschenlauge - sie bleichten alles, spülten es aus, rollten es zusammen. Dann in den Sack und der Kuh auf die Hörner.

Und wie geht, wie läuft die Kuh da wieder nach Hause - so weit. Und das Mädchen steht und steht den ganzen Tag, sie schaut und schaut in die Richtung, wohin die Kuh fortgelaufen ist. Schon ist sie in Angst und weint. Dann sagt sie: »Ich muss rufen!« »Tirr, lieb Kühlein,
Tirr, du bunte,
Zeit schon war' es
Heimzutreiben!
Tirr, tirr, tirr!«
Und wie die Kuh da muht! Mit dem Sack auf den Hörnern! Sie warf ihn auf den Baumstumpf: »Da, nun trag du es! Gib es deiner Stiefmutter!« Sie trägt es nach Hause, und die Stiefmutter tritt ihr entgegen: »Na, hast du alles gesponnen?« (Sie dachte gewiss nicht daran, dass sie alles verspinnen konnte, denn das war ja unmöglich!) »Ja, ich habe alles versponnen. Sieh nur, was für ein Linnen!« Und da nimmt es die Stiefmutter auch schon aus dem Sack: »Schön.«

Na gut, denkt sie, am nächsten Tag werde ich ihr einen noch größeren Sack mit noch mehr Werg geben. »Verspinne wieder alles, verwebe es und bringe es mir!« Und wieder führt das Mädchen die Kuh und schleppt den Sack. Sie setzt sich auf den Baumstumpf, weint und denkt: Vielleicht wird mir die Kuh kein Linnen mehr bringen? Doch die Kuh kam: »Nun, was weinst du? Leg es mir wieder auf die Hörner - ich werde alles verspinnen. Doch du warte auf mich, und am Abend rufe nach mir!« Wieder lief die Kuh mit dem Sack Werg durch die Wälder, über die Felder, über die Berge, noch hinter die Einöde, und ruft: »Muh-muh, Deiven-Jungfraun,
Muh-muh, kommt, verspinnt doch,
Muh-muh, kommt, verwebt doch,
Muh-muh, kommt und bleicht doch,
Muh-muh, kommt und rollt doch...!«
Und wieder kamen die Deiven aus allen Richtungen herbei gesprungen, und - hast du nicht gesehen! - machten sie alles: sie spannen, webten, bleichten und rollten zusammen. Und wieder - der Kuh auf die Hörner. Und wieder schaut und schaut das Mädchen am Abend in jene Richtung und ruft: »Tirr, lieb Kühlein,
Tirr, du bunte,
Zeit schon war' es
Heimzutreiben!
Tirr, tirr, tirr!«
Und die Kuh immer nur - trach-trach-trach - durch den Wald - sie kommt angelaufen, mit der Rolle, mit einer ganz großen, auf den Hörnern! Sie warf sie auf den Baumstumpf, das Mädchen nahm sie auf. Sie führt die Kuh und trägt den riesigen Sack mit der Rolle auf dem Rücken. Ihr war dabei so fröhlich ums Herz! Sie kam, legte ihn auf die Bank. Da fragt die Stiefmutter: »Na, hast du den Spinnrocken leer gesponnen?«

»Ja, ich habe alles versponnen und verwebt. Alles ist fertig.« Sie schaute sich alles an: Wie hat sie nur, denkt sie, alles gewebt? Wie alles gesponnen? Am dritten Tag muss ich meine Tochter mitschicken - die wird sehen, wie sie das macht.

Sie schickte ihre Tochter. In eine Tragtasche legte sie ihr Weizenbrot, auch Eier und Butter: »Du sollst essen, Töchterchen!« Aber wenn die Stieftochter austreibt, dann gibt sie ihr nie etwas mit! Sie trieb die Kuh aus, beide setzten sich, den Sack mit Werg hatte sie abgelegt. Die Tochter der Stiefmutter isst Weizenbrot, Eier, Butter und Quarkkäse. Sie aß und aß, dann saß sie da und saß - bis der Schlaf sie ankam. Die Stieftochter sagt: »Lege dich hin, Schwesterchen, ich werde dir den Kopf absuchen.« Sie legte sich auf des Waisenmädchens Knie und schlief ein. Da befahl die Kuh: »Lege es mir wieder auf die Hörner!« Und wieder trug sie es fort, irgendwohin - durch die Wälder, über die Felder, hinter die Einöde. Und wieder ruft sie: »Muh-muh, Deiven-Jungfraun,
Muh-muh, kommt, verspinnt doch,
Muh-muh, kommt, verwebt doch,
Muh-muh, kommt und bleicht doch!«
Und wieder kamen die Deiven herbei gesprungen. Sie sind wie die Ameisen - hier spinnen sie, dort weben sie, dort hinten bleichen sie. Alles wurde gleichzeitig gemacht. Und sie rollten es zusammen, die Rolle in den Sack und wieder der Kuh auf die Hörner. Doch da erwacht schon die Tochter der Stiefmutter und schaut sich um. Die Kuh ist fort. Sie sitzt allein mit ihrer Schwester. Auch das Werg ist nicht mehr da. Doch die Schwester geht beiseite und ruft: »Tirr, lieb Kühlein,
Tirr, du bunte,
Zeit schon war' es
Heimzutreiben!
Tirr, tirr, tirr!«
Und die Kuh - immer nur trach-trach-trach! - lief herbei, durch die Zweige, durch den Wald, und warf die Rolle ab. Da sieht die Tochter der Stiefmutter, dass die Kuh es gebracht hat. Na, und sie trug es nach Hause. Und da besah es die Mutter - wieder schönes Linnen. Die dritte Rolle. Jetzt will sie ihre Tochter schicken: Vielleicht spinnt sie ihr dünnes, feines Gespinst, schönes Gewebe?

Sie packte der Tochter schönen Flachs ein, gehechelten, packte ihr dazu zu essen ein, doch die Stieftochter behielt sie zu Hause. »Jetzt treibe du die Kuh aus«, sagte sie zur Tochter. Da trieb die Tochter aus. Sie setzte sich. Und wie sie so sitzt, schaut sie die Kuh an. Die Kuh sagt: »Leg es mir auf die Hörner, ich werde den Flachs verspinnen.« Sie packte der Kuh den Sack Flachs auf. Und selber sitzt sie, isst allerlei Leckerbissen und denkt überhaupt nicht ans Spinnen. Aber am Abend ruft auch sie: »Tirr, lieb Kühlein,
Tirr, du bunte,
Zeit schon war' es,
Heimzutreiben!
Tirr, tirr, tirr!«
Und die Kuh - immer nur trach-trach-trach! - lief herbei, jedoch nur mit einem Büschel Flachs auf einem Horn! Den ganzen Flachs hatte sie ringsum im Walde verstreut und umhergeschleift, so dass sie ohne etwas angelaufen kam. Oh, wie weinte da die Tochter der Stiefmutter! Sie trieb die Kuh nach Hause: »Na, hast du alles versponnen. Töchterchen?«

»Wie kann ich alles versponnen haben, die Kuh hat den ganzen Flachs im Walde umhergestreut. Nur mit einem Büschel auf einem Horn kam sie angelaufen.« Wie böse wurde da die Stiefmutter auf die Kuh! »Na, ganz gleich, ich werde sie abschlachten. Morgen schlachte ich sie! Für diese Niedertracht, die sie begangen hat!«

Doch das Mädchen hörte dies, ging in den Stall, umschlang den Hals der Kuh und weinte und weinte so bitterlich: »Ach du liebe Kuh, du meine liebe Mutter, sie wollen dich morgen schlachten!«

»Wein doch nicht«, sagt sie, »was soll man da machen? Wenn sie mich schlachten, nun, dann schlachten sie mich eben, du aber nimm mein Gedärm heraus. Wenn du meine Därme herausnimmst, dann findest du so ein kleines Knäuel - vergrabe es unter dem Fenster in der Erde.«

Na gut. Doch das Mädchen ist traurig, sie weint, ihr tut es gar zu Leid um die Kuh. Doch die Stiefmutter, die Hexe, ging hin und befahl ihrem Mann: »Nimm die Kuh und schlachte sie!« Er schlachtete die Kuh, zog ihr das Fell ab. Dem Mädchen geboten sie: »Na, geh jetzt und nimm die Därme heraus!« Da weinte das Mädchen und ging. Sie besorgte die Därme und weinte dabei. Die Kuh tat ihr so schrecklich leid. Doch dabei fand sie so ein kleines Knäuel, so ein schönes, wie aus Gold. Sie brachte es zum Haus und vergrub es unter dem Fenster. Nach einiger Zeit schaut sie nach und sieht, dass da ein kleines Apfelbäumchen wächst! Es wächst und wächst und wächst - solch ein schönes Apfelbäumchen. Es wuchs zusehends ganz groß, es erblühte, danach wuchsen ganz goldene Äpfel. Und so herrlich war ihr Geschmack, eine wahre Pracht! Und bei dem schönen Apfelbaum entstand ein Brünnlein, ganz voll Wein, vom besten Wein. Und auf dem schönen Apfelbaum sitzt ein Hähnchen.

Sowie das Waisenmädchen herantritt, singt der liebe Hahn: »Ki-ke-ri-ki, aufwärts, o Brünnlein,
Ki-ke-ri-ki, abwärts. Apfelbäumlein!«
Dann lassen sich die Äste herab, und das Mädchen pflückt sich Äpfel. Das Brünnlein steigt auf mit Wein - sie schöpft sich Wein, und sie bringt und gibt auch ihrer Stiefmutter mit ihrer Tochter Äpfel und Wein. Da freut sich die Stiefmutter und denkt: Oh, hier wird es schön sein! Ganz gleich - ich bringe sie um! (Sie meint ihre Stieftochter.) Eine Zeitlang ging das so weiter, immer geht das Waisenmädchen hin, pflückt Äpfel und schöpft Wein. Doch wenn die Stiefmutter ihre Tochter schickt, dann singt der Hahn: »Ki-ke-ri-ki, aufwärts, Apfelbäumlein,
Ki-ke-ri-ki, abwärts, o du Brünnlein!«
Na, sie richtet nichts aus - sie erreicht die Äpfel nicht, sie erreicht den Wein nicht. Doch am meisten ist sie auf das Mädchen böse. Wenn sie könnte, dann würde sie sie umbringen.

Doch nach einiger Zeit hörte ein Königssohn, dass es hier so einen wunderbaren Apfelbaum gebe und ein Mädchen, dem sich die Äpfel sogar selber zum Pflücken darbieten und der Wein zum Schöpfen. Na, da kommt er auch bereits angefahren. Die Stiefmutter hatte schon davon gehört: »Na, was ist da zu machen?« Eben alles aus Neid: Sie nahm die Stieftochter, das Waisenmädchen, jagte sie ins Badehaus, stülpte einen Trog über sie, doch ihre eigene Tochter kleidete sie ordentlich, wusch sie und bemalte ihr das Gesicht. Sie tritt schon hinaus und geht ihm entgegen, begrüßt ihn und bewirtet ihn. Danach gebietet die Stiefmutter, die Hexe, der Tochter: »Führe den Junker unter dem schönen Apfelbaum spazieren! Schaut nur, was es bei uns für Äpfel gibt!«

Sie führt ihn dorthin, doch das Hähnchen: »Ki-ke-ri-ki, aufwärts. Apfelbäumlein,
Ki-ke-ri-ki, abwärts, o du Brünnlein!
Ki-ke-ri-ki, nicht ist es die Waise,
Ki-ke-ri-ki, Laumenkind ist's,
Ki-ke-ri-ki, aber die Waise,
Ki-ke-ri-ki, birgt unterm Trog sich!«
Das hört der Königssohn. Was ist das für einer? Doch sie spricht in einem fort zu ihm, damit er davon nichts verstehen kann. Sie trat heran, um Äpfel zu pflücken. Sie reckt und streckt sich - doch sie erreicht nicht den Wein und nicht die Äpfel, Oh, wie wurde da die Stiefmutter böse! Wenn sie es könnte, sie würde den Hahn herunterschießen, doch sie erreicht ihn nicht. Und einen Tag und den nächsten - immer dasselbe. Wenn sie nur an das Brünnlein kommt, so singt das Hähnchen: »Ki-ke-ri-ki, aufwärts. Apfelbäumlein,
Ki-ke-ri-ki, abwärts, o du Brünnlein!
Ki-ke-ri-ki, nicht ist es die Waise,
Ki-ke-ri-ki, Laumenkind ist's,
Ki-ke-ri-ki, aber die Waise,
Ki-ke-ri-ki, birgt unterm Trog sich!«
Da lauschte und lauschte der Königssohn. Er sagt zu seinem Kutscher: »Geh doch mal ins Badehaus nachsehen, was da ist. Warum singt denn der Hahn hier so seltsam?« Und der geht hin, deckt den Trog auf - da liegt das Mädchen zusammengekauert unter dem Trog. Ganz und gar verschmutzt und schwarz beschmiert. Da sagt jener: »Weißt du, da ist ein Mädchen unter einem Trog, doch sie ist ganz schmutzig, ganz voll Ruß.«

»Na, das macht nichts. Bring sie hierher!«

Und er ging hin und führte sie her. Er gebot ihr: »Wasche dich!« Sie wusch sich. »Jetzt kleide dich an!« Sie zog sich an - und sieh da, das allerschönste Mädchen! Wunderschön, und so lieblich. Und das Hähnchen singt nur: »Ki-ke-ri-ki, abwärts, Apfelbäumlein,
Ki-ke-ri-ki, aufwärts, o Brünnlein!«
Und sie ging heran, pflückte Äpfel, gibt sie dem Königssohn und bewirtet ihn. Darauf schöpft sie Wein. Und die Stiefmutter war zornig! Sofort rief er allerlei Henker herbei, die da böse Menschen hinrichten, und er befahl, sie in kleine Stücke zu zerreißen und sie in alle Winde zu verstreuen - sollten die Winde sie in alle Himmelsrichtungen tragen!