[swahili, "Geschichte, Legende"]

Die goldene Kugel

Es war einmal ein König, der hatte drei Töchter. Die älteste von ihnen hatte sich in den Bäcker verliebt, der den Palast mit Brot belieferte, und der Bäcker liebte sie ebenfalls. So verging kein Tag, an dem nicht der Bäcker den Sekretär des Königs anflehte, er möge dem Herrn von seiner Liebe sprechen. »Schämst du dich gar nicht?« machte ihm der Sekretär Vorhaltungen. »Was glaubst du, wie es euch armen Tröpfen erginge, wenn ich dem König etwas davon sagte!« Doch der verliebte Bäcker ließ nicht locker. »Bitte sagen Sie es ihm doch, bitte, bitte!« drängte er. Um ihn loszuwerden, gab der Sekretär schließlich nach und meinte: »Nun gut, ich werde es ihm sagen; aber du wirst sehen, was geschieht.« Und als der König eines Tages guter Laune war, fasste sich der Sekretär ein Herz und sprach: »Majestät, wenn Sie gestatten, möchte ich ein Wort mit Ihnen reden; doch müssen Sie mir versprechen, mir nicht zu zürnen.«

»Sprich nur«, ermunterte ihn der König. Da wiederholte der Sekretär jedes Wort, das der Bäcker zu ihm gesprochen hatte.

Darüber geriet der König in großen Zorn, und hätte er nicht sein Wort verpfändet, so hätte er den armen Sekretär auf der Stelle bestraft; aber er hatte ihm zugesagt, ihm nicht zu zürnen, und er zürnte ihm auch nicht. Der Bäcker freilich wurde unverzüglich aus dem Palast gejagt. Dann ließ der König seine drei Töchter holen und sie bei Wasser und Brot sechs Monate in eine Kammer sperren.

Als die sechs Monate um waren, ließ er eine Kutsche anspannen und hieß die Mädchen einsteigen, damit sie in Begleitung der Diener eine kleine Spazierfahrt unternähmen. Als sie etwa die Hälfte des Weges zurückgelegt hatten, fiel plötzlich ein so dichter Nebel vom Himmel, dass einer den andern nicht mehr sehen konnte. Und dem Nebel entstieg ein Zauberer, der die Mädchen ergriff und fortschleppte.

Als sich der Nebel wieder gelichtet hatte, bemerkten die Diener das Fehlen der Mädchen; sie suchten nach ihnen, riefen sie und kehrten am Ende verzweifelt ins Schloss zurück, um dem König den Vorfall zu melden. Der König ließ an allen Ecken und Enden seines Reiches nach ihnen fahnden und machte bekannt, derjenige solle eine von ihnen zur Frau erhalten, der sie wiederbrächte.

Inzwischen hatte sich der Bäcker, der aus dem Palast gejagt worden war, mit zwei Gefährten zusammengetan, mit denen er die Welt durchstreifen wollte. Eines Abends nun gelangen sie in einen Wald und halten Ausschau nach einer Unterkunft für die Nacht. Sie steigen auf einen Baum und erblicken in der Ferne einen Lichtschein; da gehen sie dem Lichtschein nach und gelangen zu einem Palast. Gerade wollen sie anklopfen, da öffnet sich die Tür von selbst; sie treten ein und sehen niemanden; sie begeben sich nach oben, doch auch dort findet sich keine Menschenseele. In einem Speisesaal ist ein Tisch gedeckt und eine leckere Abendmahlzeit bereitet. Sie essen sich erst einmal satt, dann durchsuchen sie das Schloss nach Betten, finden auch richtig drei Schlafzimmer; sie rufen, doch niemand antwortet. Schließlich legten sie sich schlafen.

Wie sie nun am nächsten Morgen aufgestanden sind, sehen sie in einem Saal drei Gewehre stehen; sie gehen in die Küche und finden Esswaren zum Kochen bereitliegen. Darauf meinen sie: »Da niemand im Haus zu sehen ist, gehen zwei auf die Jagd, einer aber bleibt hier und sorgt fürs Mittagsmahl.«

Also begibt sich der Bäcker mit einem Gefährten auf die Jagd. Der Daheimgebliebene will gegen elf Uhr Feuer anlegen; während er die Kohlen aufschüttet, rollt aus dem Kamin eine goldene Kugel und hüpft ihm zwischen die Beine. Er, nicht faul, versetzt der Kugel einen Fußtritt, doch schon ist sie von neuem zwischen seinen Beinen, und er traktiert sie immer wieder mit Fußtritten. Schließlich öffnet sich die Kugel, und heraus springt ein Buckliger mit einem Stöckchen in der Hand und beginnt, die Beine des Gefährten heftig mit dem Stock zu bearbeiten, und er hört nicht eher auf, als bis der arme Mann nicht mehr aufrecht stehen kann. Darauf schlüpft der Bucklige in die Kugel zurück und verschwindet. Mit Mühe schleppt sich der Verprügelte in die Kammer und geht zu Bett, ohne sich weiter um die Küche zu kümmern.

Mittlerweile kehren die beiden anderen heim; sie finden kein Essen bereitet und den Gefährten im Bett. »Was ist denn los gewesen?« fragten sie. »Gar nichts«, gibt der zur Antwort, »die Kohle ist hierzulande so schlecht, dass sie mich verbrannt hat; so musste ich ins Bett gehen und konnte nicht kochen.« Darauf zündeten die beiden andern Feuer an und bereiten das Mahl, sie essen alle drei und legen sich dann schlafen.

Am nächsten Morgen gingen der Bäcker und der Verprügelte auf die Jagd, und der andere blieb daheim. Der Begleiter des Bäckers sagte jedoch kein Sterbenswörtchen von den Vorfällen, denn er wollte, auch seine Gefährten sollten ihre Tracht Prügel abbekommen.

Gegen elf Uhr wollte der Daheimgebliebene Feuer machen; sogleich kam die Kugel zum Vorschein, sprang ihm zwischen die Beine und brachte auch ihn dazu, immer wieder mit dem Fuß nach ihr zu stoßen. Und es dauerte nicht lange, so hüpfte der Bucklige hervor und walkte auch ihn windelweich. Darauf kroch der Bucklige wieder in die Kugel und verschwand.

Der Verprügelte hielt es wie sein Gefährte: Er legte sich zu Bett, und als die beiden andern heimkehrten, sagte er, die Kohle habe ihn verbrannt. »So will denn ich morgen einmal mein Heil versuchen«, meinte der Bäcker. »Du wirst schon sehen«, lachten sich die beiden Verprügelten eins ins Fäustchen. Sie kochten das Essen, verzehrten es gemeinsam und gingen schlafen. Tags darauf blieb der Bäcker zu Hause. Die beiden begaben sich auf die Jagd und dachten: »Heute wird er sein Teil kriegen.«

Gegen elf Uhr macht sich der Bäcker ans Feueranzünden; die Kugel kommt zum Vorschein und hüpft ihm zwischen die Beine; er weicht zurück, die Kugel ihm nach; er klettert auf einen Stuhl, die Kugel ihm nach, dann auf den Tisch, die Kugel hinterher. Da stellt er den Stuhl auf den Tisch, steigt hinauf und lässt die Kugel nach Herzenslust springen. Auf einmal öffnet sie sich, und der Bucklige kriecht hervor. »Brav«, sagt der zu ihm, »du gefällst mir, denn du hast mich nicht gestoßen; die andern haben mir Fußtritte versetzt, und ich habe sie dafür tüchtig verprügelt.«

»Hör mal. Buckliger«, sagt der Bäcker, »deinetwegen habe ich viel Zeit verloren, du musst mir dafür beim Kochen helfen.«

»Gern«, sagt der Bucklige und macht sich daran, ihm behilflich zu sein. Während er jedoch das Holz zusammenträgt, trennt ihm der Bäcker, der tut, als ob er Holz spaltete, mit einem Messer den Kopf vom Rumpf und tötet ihn; dann nimmt er ihn und wirft ihn in den Brunnen. Kurz danach kamen die beiden andern heim. »Von wegen Kohle, ihr Ärmsten«, lachte der Bäcker, »die Prügel waren's, die euch zugesetzt haben!« Erstaunt fragen die andern: »Und du hast keine bekommen?«

»Das könnte euch so passen«, meinte er, »ich habe den Buckligen umgebracht und in den Brunnen geworfen.« Und er berichtete, wie sich alles zugetragen hatte. Die andern wollten ihm jedoch nicht glauben. »Wenn ihr's nicht glaubt«, schlug der Bäcker vor, »so lasst mich in den Brunnen hinab, und ich bringe ihn wieder nach oben, dann könnt ihr euch selbst überzeugen.«

Sie banden ihm einen Strick um den Leib und ließen ihn in den Brunnen hinunter. Als er bis zur Hälfte gelangt war, erblickte er plötzlich ein großes Fenster und dahinter die drei Töchter des Königs; der Zauberer aber, der sie entführt hatte, lag im Schoße der ältesten und schlief. Als das Mädchen ihn sah, gab sie ihm durch Zeichen zu verstehen, dass der Zauberer jeden Augenblick erwachen könne, er solle aber am nächsten Tag zu der und der Stunde wiederkommen.

Überglücklich stieg er weiter in den Brunnen hinab, packte den Buckligen, trug ihn nach oben und zeigte ihn den Gefährten, die den Bäcker um seiner Tat willen laut lobten. Und er erzählte ihnen, er habe die Töchter des Königs gesehen und was sie zu ihm gesagt hätten.

Tags darauf bewaffnet er sich mit einem scharfen Säbel und lässt sich in den Brunnen hinab gleiten. Er tritt durchs Fenster, wo der Zauberer im Schoße des Mädchens schläft; mit einem Säbelhieb schneidet er ihm den Kopf ab und wirft ihn in den Brunnen. Da zeigen ihm die Töchter des Königs in ihrem Glück alle Schätze, die in der Wohnung des Zauberers aufgestapelt sind. Geschwind füllt er einen Korb mit Gold und Edelsteinen und lässt ihn von seinen Gefährten hochziehen; dann schickt er nacheinander die Mädchen nach oben. Jedes von diesen aber hatte ihm vor ihrem Auszug ein Geschenk gemacht. Das eine gab ihm eine Nuss, das zweite eine Mandel und das dritte eine Gerte. Und all diese Gaben waren verzaubert.

Die beiden Gefährten zogen die Mädchen nach oben, dann ließen sie den Korb wieder hinab, um den Bäcker hochzuziehen. Sie hatten aber miteinander verabredet, sie wollten all die Schätze an sich reißen und dem König sagen, sie selbst hätten die Mädchen befreit. Deshalb ließen sie den Strick hängen, als der Bäcker in der Mitte des Brunnens schwebte, und überließen ihn seinem Schicksal. Die Mädchen zeterten: »Wie, ihn, der uns befreit hat, wollt ihr unten lassen?« Aber die Männer drohten ihnen, sie sollten ja den Mund halten, sonst sollten sie sehen, was ihnen geschehe!

Und sie nahmen die Mädchen und führten sie zum König. Dieser Schloss seine Töchter voller Freude in die Arme und dankte den Befreiern, denen er je eine zur Frau versprach. Doch die Mädchen wollten nicht sofort heiraten und bettelten so lange, bis der König einwilligte, die Hochzeit noch ein paar Tage hinauszuschieben.

Inzwischen wartet und wartet der Bäcker, bis er merkt, dass ihn die Gefährten im Stich gelassen haben. Verzweifelt überlegt er, was er tun soll. Da fällt ihm die Zaubergerte ein, die ihm die Mädchen geschenkt haben. Er schlägt sie und ruft: »Ich befehle, mich aus dem Brunnen zu befördern.« Und schon befindet er sich im Freien. Darauf knackt er die Nuss auf, in der sich wunderschöne Kleider für einen Prinzen befinden; er knackt die Mandel auf, und eine prächtige Kutsche mit sechs Pferden und einer Schar Soldaten steht vor ihm. Er zieht die königlichen Gewänder an, steigt in die Kutsche und begibt sich mit den Soldaten in die Stadt. Nun sendet er einen Boten zum König und bittet, vorgelassen zu werden. Der König empfängt ihn, und da er glaubt, einen wirklichen Prinzen vor sich zu haben, gibt er ihm zu Ehren ein großes Festessen. Während sie bei Tisch sitzen, schlägt der Prinz die Gerte und befiehlt: »Ich möchte wieder ein Bäcker werden!« Und im Nu verschwinden die königlichen Kleider, und der Bäcker von früher kommt zum Vorschein. Als ihn die Mädchen erblicken, rufen sie erfreut: »Dort sitzt unser Befreier, die beiden andern haben uns töten wollen!«

Der König war völlig verwirrt und begriff kein Wort; schließlich erzählten sie ihm alles haargenau. Als er vernahm, wie sich die Geschichte zugetragen hatte, umarmte er den Bäcker gerührt und meinte, jetzt habe er die Hand der ältesten Tochter wirklich verdient. Und nicht lange danach fand die Hochzeit statt. Den beiden treulosen Gefährten bot der König an, als Diener im Palast zu bleiben; doch sie hatten keine Lust dazu. Da jagte er sie aus dem Hause und hätte ihnen gewiss noch Schlimmeres zugefügt, wenn sich nicht der Bäcker für sie verwendet hätte. Dann verzichtete der König auf den Thron und krönte den Bäcker, und dieser lebte fortan glücklich und zufrieden mit seiner Gemahlin.