[swahili, "Geschichte, Legende"]

Die Geschichte von Fünfkopf

Irgendwo lebte einmal ein Mann, der zwei Töchter im heiratsfähigen Alter hatte. Eines Tages überquerte der Mann den Fluss und ging in ein anderes Dorf, wo ein großer Häuptling herrschte. Die Leute fragten ihn nach Neuigkeiten, aber er erwiderte, da, wo er herkomme, gäbe es nichts Neues. Dann erkundigte er sich, was es bei ihnen Neues gäbe, und sie erzählten ihm, dass ihr Häuptling eine Frau suche. Der Mann ging nach Hause und fragte seine beiden Töchter: »Welche von euch möchte Häuptlingsfrau werden?« Die Älteste erwiderte: »Ich möchte Frau eines Häuptlings werden, mein Vater.« Ihr Name war Mpunzikazi. Der Mann sagte: »In dem Dorf, das ich besucht habe, sehnt sich der Häuptling nach einer Frau. Du, Tochter, sollst hingehen.« Er rief alle seine Freunde und versammelte eine große Gesellschaft, die seine Tochter in das Dorf des Häuptlings begleiten sollte, aber das Mädchen erlaubte nicht, dass die Leute mit ihr gingen. Sie sagte: »Ich werde allein gehen, um Häuptlingsfrau zu werden.« Der Vater erwiderte: »Wie kannst du so reden, Tochter? Ist es nicht immer so, dass ein Mädchen, das zu ihrem Mann geht, von anderen begleitet wird? Sei nicht töricht, Tochter.« Aber das Mädchen wiederholte: »Ich werde allein gehen, um Häuptlingsfrau zu werden.« Da erlaubte der Mann denn seiner Tochter, allein zu gehen. Sie ging, und niemand begleitete sie zu dem Dorf, dessen Häuptling eine Frau suchte.

Auf ihrem Weg traf Mpunzikazi eine Maus, die fragte: »Soll ich dir den Weg zeigen?« Das Mädchen aber antwortete: »Verschwinde mir aus den Augen.« Die Maus erwiderte: »Auf diese Weise wirst du kein Glück haben.«

Dann begegnete sie einem Frosch, der gleichfalls fragte: »Soll ich dir den Weg zeigen?« Mpunzikazi entgegnete: »Du bist nicht würdig, mit mir zu sprechen, denn ich werde Häuptlingsfrau sein.« Der Frosch sagte: »Dann geh weiter. Du wirst schon sehen, was geschieht.«

Als das Mädchen müde wurde, setzte es sich unter einen Baum, um auszuruhen. Da näherte sich ihr ein Junge, der dort Ziegen hütete und sehr hungrig war. Er fragte: »Wohin gehst du, große Schwester?« Zornig erwiderte Mpunzikazi: »Wer bist du, dass du es wagst, mich anzusprechen? Steh da nicht vor mir herum!« Der Junge sagte: »Ich bin sehr hungrig. Kannst du mir nicht etwas von deinem Essen abgeben?« Aber sie antwortete: »Verschwinde schleunigst!« Da meinte der Junge: »Wenn du so bist, wirst du nicht zurückkommen.«

Sie machte sich wieder auf den Weg und traf eine alte Frau, die neben einem großen Stein saß. Die alte Frau sprach: »Ich will dir ein paar Ratschläge erteilen: Du wirst an Bäumen vorbeikommen, die über dich lachen; du aber darfst sie nicht auslachen. Du wirst einen Beutel mit dicker Milch sehen; davon darfst du nicht essen. Du wirst einen Mann treffen, der seinen Kopf unterm Arm hat; von ihm darfst du kein Wasser annehmen.« Mpunzikazi antwortete: »Du garstiges Ding! Wer bist du denn, dass du glaubst, mir Ratschläge geben zu dürfen?«

Aber die alte Frau redete weiter von diesen Dingen.

Das Mädchen kam bald darauf an einen Ort, wo viele Bäume standen. Die Bäume lachten sie aus, und sie lachte zurück. Sie sah einen Beutel mit dicker Milch und aß davon. Sie traf einen Mann, der den Kopf unterm Arm trug, und sie nahm von ihm Wasser an.

Dann gelangte sie an den Fluss vor dem Dorf des Häuptlings.

Sie sah ein Mädchen Wasser schöpfen, und das Mädchen fragte sie: »Wohin gehst du, Schwester?« Mpunzikazi erwiderte: »Wer bist du, dass du mich Schwester nennst? Ich werde bald Frau eines Häuptlings sein.« Das Mädchen, das da Wasser schöpfte, war aber die Schwester des Häuptlings. Sie sagte: »Warte, ich will dir einen Rat geben. Gehe nicht von dieser Seite ins Dorf.« Mpunzikazi hörte nicht auf sie und lief weiter.

Sie erreichte das Dorf des Häuptlings, und die Leute fragten sie, woher sie käme und was sie wolle. Sie antwortete: »Ich bin hierher gekommen, um Frau des Häuptlings zu werden.« Da sagten sie zueinander: »Hat man je eine Braut ohne Begleitung gesehen?« Und sie sagten auch: »Der Häuptling ist nicht zu Hause. Du musst ihm ein Mahl zubereiten, damit er essen kann, wenn er am Abend kommt.« Sie gaben ihr Hirse zu mahlen, aber sie mahlte sie sehr grob und bereitete Brei davon, der nicht gut schmeckte.

Am Abend hörte sie einen kräftigen Wind rauschen. Das war die Ankunft des Häuptlings. Er war eine große Schlange mit fünf Köpfen und riesigen Augen. Als Mpunzikazi ihn sah, erschrak sie furchtbar. Er setzte sich vor die Tür und hieß sie, ihm sein Essen zu bringen. Sie brachte den Brei, den sie gekocht hatte. Makanda Mahlanu, der Fünfkopf, war damit nicht zufrieden. Er entschied: »Du sollst nicht meine Frau werden«, und er schlug sie mit dem Schwanz und tötete sie.

Ein Weilchen später sagte Mpunzikazis Schwester zu ihrem Vater: »Ich möchte auch Frau eines Häuptlings sein.« Der Vater antwortete: »Gut, meine Tochter. Es ist recht, dass du heiraten willst.« Er rief alle seine Freunde zusammen, und eine große Gesellschaft schickte sich an, die Braut zu begleiten. Sie hieß Mpunzanyana.

Unterwegs trafen sie eine Maus. Die sprach: »Soll ich euch den Weg zeigen?« Mpunzanyana antwortete: »Wenn du das tun würdest, wäre ich sehr froh.« Da erklärte die Maus den Weg. Sie kam in ein Tal, wo sie eine alte Frau an einem Baum stehen sah. Die Alte riet ihr: »Du wirst an eine Stelle kommen, wo sich der Weg gabelt. Du musst den kleinen Pfad nehmen, denn auf dem großen hast du kein Glück.« Mpunzanyana antwortete: »Ich werde den kleinen Pfad nehmen, Mutter.« Damit ging sie weiter.

Da lief ihr ein Kaninchen über den Weg und sprach: »Das Dorf des Häuptlings ist ganz nahe. Am Fluss wirst du ein Mädchen treffen, sei unbedingt freundlich zu ihr. Dann werden dir die Leute Hirse zum Mahlen geben, die musst du fein mahlen, und wenn du deinen Mann siehst, darfst du keine Angst haben.« Das Mädchen sagte: »Ich werde alles so tun, wie du es sagst.«

Am Fluss trafen sie die Schwester des Häuptlings, die Wasser trug. Die Schwester fragte: »Wohin gehst du?« Mpunzanyana erwiderte: »Hier ist das Ziel meiner Reise.« Die Schwester fragte weiter: »Warum kommst du hierher?« Und Mpunzanyana antwortete: »Ich komme, um zu heiraten.«

»Das ist recht«, sagte die Schwester des Häuptlings, »aber wirst du auch keine Angst haben, wenn du deinen Mann siehst?« Mpunzanyana sagte: »Ich werde keine Angst haben.« Da zeigte sie ihr eine Hütte, in der sie sich aufhalten konnte. Ihren Begleitern wurde Essen gereicht. Die Mutter des Häuptlings gab der Braut Hirse und trug ihr auf: »Du musst für deinen Mann ein Mahl zubereiten. Er ist jetzt nicht da, aber er wird abends kommen.« Am Abend hörte Mpunzanyana einen sehr starken Wind, der die Hütte erbeben ließ. Die Pfähle stürzten um, aber die junge Frau lief nicht hinaus. Bald darauf sah sie den Häuptling Makanda Mahlanu kommen. Er fragte nach seinem Essen. Mpunzanyana brachte ihm den Brei, den sie gekocht hatte. Er schmeckte ihm sehr gut. Makanda Mahlanu sagte: »Du sollst meine Frau werden«, und er schenkte ihr eine Menge Schmuck. Danach verwandelte sich Makanda Mahlanu, der Fünfkopf, in einen Mann, und Mpunzanyana blieb für immer seine Lieblingsfrau.