[swahili, "Geschichte, Legende"]

Die böse Stiefmutter

Dieses Märchen handelt von Waisen. Ein Märchen, ein Märchen. Lass es los, lass es kommen.

Ein Mann war gestorben und hatte zwei Frauen und zwei Söhne hinterlassen. Dann wurde auch die eine Mutter krank. Zwar nahm sie Medizin, aber die heilte nicht. Als sie sah, dass sie sterben würde, sagte sie zu der zweiten Frau ihres Mannes: »Du siehst, dass meine Krankheit nicht weichen will und ich sterben muss. Wenn Allah der Erhabene mir mein Leben genommen hat, kümmere dich um Allahs und der Propheten willen um meinen Sohn.« Die andere sagte: »Gut, ich habe gehört.«

Dann kam der Tag, da sie starb, und der Knabe hatte noch nicht das Alter der Vernunft erreicht. Die Beerdigungsriten wurden abgehalten, und einige Zeit verging. Die beiden Knaben hatten jeder ein Huhn und zogen es auf. Der Waisenjunge hatte eines und der andere.

Eines Tages nahm die Stiefmutter einen Stock und schlug das Huhn des Waisenjungen tot, als er nicht zu Hause war. Als er heimkam, fand er die tote Henne, sagte aber nur: »Mächtiger Allah, heute ist mein Huhn gestorben.« Er nahm und rupfte es, stellte einen Topf aufs Feuer und bereitete es gut zu. Dann ging er damit zum Markt. Wer auch kam und das Huhn kaufen wollte, dem sagte er, er würde es nur für ein Pferd verkaufen.

Da kam der Lieblingssohn des Königs vorbei. Auch er war ein kleiner Junge. Er saß auf einem kräftigen Pferd, und er sagte, dieses Hühnerfleisch sei gerade das, was er sich wünsche, und es müsse ihm verkauft werden. Aber der Waisenjunge antwortete, er müsse ihm das Pferd dafür geben.

So bekam er das Pferd und der Königssohn sein Fleisch, und der Junge nahm das Pferd mit nach Hause. Aber die Stiefmutter sagte: »Stell dein Pferd in den Stall und mauere die Tür mit Lehm zu. Wenn du sie in sieben Tagen wieder öffnest, ist es so fett geworden, dass es aus dem Stall platzt.« Dabei hoffte sie, dass das Pferd sterben würde. Der Junge aber glaubte ihr, stellte das Pferd in den Stall und mauerte die Tür zu. Nach zehn Tagen öffnete er die Tür, und da war sein Pferd rund und dick geworden. Aber das Herz der Stiefmutter wurde schwarz.

Die Zeit verging, und eines Tages sagte die Stiefmutter: »Es gibt keine Maisstrunke mehr zum Kochen.« Er müsse sein Pferd verkaufen und dafür Maisstrunke kaufen. Aber er fragte: »Mutter, warum sollten wir denn das Pferd verkaufen, nur um Maisstrunke zu bekommen?« Sie sagte: »Streitest du mit mir, weil ich nicht deine Mutter bin?« Er sagte: »Ich streite nicht, ich hole dir ja die Maisstrunke.« Sie sagte: »Halt! Wenn du das Pferd nicht dafür verkaufen willst, lass die Dinge so, wie sie sind.« Der Waisenjunge sagte: »Es hilft nichts.«

Er verkaufte sein Pferd, erwarb Maisstrunke und brachte sie ihr. Sie verbrannte alle Strunke. Nicht einen einzigen ließ sie übrig. Nur drei kleine Stücke blieben verschont. Die hob er auf und nähte sie in ein Säckchen.

Anderntags ging er ins Nachbardorf und kletterte auf den Altar. Die Leute entdeckten und ergriffen ihn und drohten, ihm die Kehle durchzuschneiden. Aber er sagte: »Ich habe gehört, dass euer Fürst erblindet ist. Darum habe ich Medizin für ihn gemacht. Wenn ihr nicht wollt, bringt mich doch um.« Sie sagten: »Wir wollen«, und brachten ihn zum Fürsten, wo er eine Hütte erhielt.

In der Nacht entzündete er den einen Maisstrunk und ging damit um die Hütte des Fürsten, bis er abgebrannt war. Da konnte der Fürst wieder ein bisschen sehen. Dann entzündete er den zweiten Strunk, und da öffneten sich beide Augen des Fürsten. Daraufhin ehrten ihn alle.

Bei Tagesanbruch versammelte der Fürst sein Volk und sprach: »Ihr seht, dass der Junge die richtige Medizin für mich hatte. Meine Augen sind geheilt. Ich gebe ihm die halbe Stadt, damit er über sie regiere.« Aber der Junge antwortete: »Ich bin nur ein durchreisender Händler, und ich kann nicht regieren.« Sie sagten: »Wenn du nicht regieren willst, nimm dir, was du willst, und zieh weiter.«

So nahm er sich Sklaven und Vieh und allerlei Schönes und ging damit in seine Vaterstadt zurück. Die Leute wunderten sich. Aber seine Stiefmutter sagte: »Lass uns zum Fluss hinuntergehen. Ich habe dort ein Rattenloch entdeckt. Grab mir die Ratte aus. Ich will Suppe davon machen.« Und er sagte: »Aber Mutter, was willst du mit Rattenfleisch? Schau mal, es gibt Perlhühner und Hühner und Hammel.« Aber sie sagte: »Wir wissen alle, dass du reich bist. Was aber mich angeht, so will ich Rattenfleisch.« Er sagte: »Schaden kann es ja nichts. Zeig mir, wo wir hingehen sollen.«

Nun war das in Wirklichkeit aber ein Schlangenloch, und sie hatte das nur so gesagt, um ihn in Schwierigkeiten zu bringen. Da erhob sich einer seiner Sklaven, um mitzugehen, aber sie sagte: »Ich weiß, dass du Sklaven besitzt, aber ich gehe nur mit dir allein. Wenn du nicht willst, bleib hier.« So befahl er dem Sklaven, dazubleiben. Sie gingen los, er und seine Stiefmutter.

Sie zeigte ihm das Loch. Als er am Graben war, sagte sie: »Nimm die Hand statt der Hacke.« So steckte er seine Hand in das Loch und zog ein Armband hervor. Er sagte: »Hier!« Sie sagte: »Das ist nicht das Richtige. Ich sagte, eine Ratte.« Da steckte er seine Hand wieder hinein und holte einen goldenen Reif hervor. Da wurde sie wütend und ging nach Hause.

Sie rief ihren eigenen Sohn und sagte ihm, er müsse ihr eine Ratte fangen. Aber als er seine Hand in das Loch steckte, biss ihn eine Schlange, und sie trugen ihn nach Hause. Er starb, bevor sie daheim ankamen. Auch seine Mutter starb in drei Tagen. Der Waisenjunge erbte alles.

Darum sagt das Sprichwort: »Den Waisen im Fellmantel hasst man, den im goldenen Mantel schätzt man.«

Das ist alles. Ab mit dem Rattenkopf.