[swahili, "Geschichte, Legende"]

Der verwunschene Weiher

Es war einmal ein alter gebrechlicher Jägersmann. Der Khan verbot ihm, in seinem Wald auf Jagd zu gehen, so dass der alte Jäger oft tagelang durch Sumpfland und Morast irren musste. Einmal war er besonders vom Pech verfolgt und schoss erst spät in der Nacht einen Hasen. Das war in unmittelbarer Nähe eines geheimnisvoll glitzernden Weihers. Der Hase sprang ins Wasser und war verschwunden. Nach ein paar Minuten stieg ein Vöglein aus dem Wasser auf und flog von dannen. Seltsam, dachte der Jäger bei sich, wo ist nur der Hase geblieben? Er entkleidete sich und sprang in den Waldsee, um den getroffenen Hasen zu suchen, verwandelte sich jedoch in ein wunderschönes Mägdelein. Es war nämlich ein verwunschener Weiher. Da ritt der Khan mit seinem Gefolge vorbei. Der Jäger sprang schnell ins Wasser, um sich zurückzuverwandeln, doch es war inzwischen Morgen geworden, und der Waldsee hatte seine Zauberkraft verloren. Der Khan nahm das Mägdelein mit in seinen Palast und machte es zu seinem Weibe.

Auf diese Weise zur Ehefrau des Khans geworden, gebar ihm der Jäger gegen seinen Willen einen Sohn. Da er sich aber nicht an sein neues Leben gewöhnen konnte, überlistete er eines Abends, als der Khan nicht daheim war, die Palastwachen und floh zu dem verwunschenen Weiher. Der Jäger glaubte, dass, wenn er ein zweites Mal in den Weiher stiege, er sich in den Menschen zurückverwandeln würde, der er einst gewesen war.

Doch es kam anders. Der verwunschene Weiher verwandelte die holde Jungfrau in eine herrliche Apfelschimmelstute. Als der Khan von der Jagd zurück ritt, erblickte er die Stute und nahm sie mit in seinen Palast. Nun begab es sich, dass die Stute fohlen sollte. Dieser Gedanke war dem Jägersmann vollends zuwider, und kaum stakste das niedliche Fohlen durch den Stall, riss die Stute aus und galoppierte zum verwunschenen Waldsee. Die Diener des Khans verfolgten zwar den wiehernden Apfelschimmel, konnten ihn aber nicht einfangen und brachten stattdessen eine bunt gescheckte Kuh mit, die plötzlich im Wald vor ihnen gestanden hatte. Im Stall des Khans kalbte die Kuh alsbald. Als das putzige Öchslein herangewachsen war, blieb die Kuh von der Herde zurück und trottete zum verwunschenen Weiher. Diesmal verwandelte sich der arme Jäger in eine schneeweiße Windhündin. Auch sie geriet in den Hundezwinger des Khans und warf einen kleinen Rassehund. Der Khan hielt seine besonders wertvollen Hunde zwar an Ketten, doch eines Tages, als er auf Jagd zog, riss sich die Windhündin los und lief zum verwunschenen Weiher. Nun verwandelte sich der Mensch, der das Schicksal einer schönen Jungfrau, einer Stute, einer Kuh und einer Hündin erprobt hatte, wieder in den Jägersmann. Endlich bin ich dem Khan entflohen, seufzte der Alte befriedigt und ging heim.

Inzwischen war sein Sohn herangewachsen und zu einem stattlichen, gewandten Waidmann geworden. Pferd, Öchslein und Hund wurden zu seinen treuen Freunden. Er ahnte nicht, dass es in Wirklichkeit seine leiblichen Geschwister waren. Der alte Jäger begegnete seinem Sohn häufig und überlegte, was er für ihn tun könne. Eines Tages kam ihm zu Ohren, dass der Padischah im Nachbarreich eine Tochter hatte. In diesem Land aber wurden Märchen über alles geschätzt, und da die Tochter des Padischahs als schönstes Mädchen weit und breit galt, ließ der Vater verkünden, er würde sie nur dem kunstvollsten Märchenerzähler zum Weibe geben, der es verstünde, mit seinen Märchen einen riesigen Kessel zum Kochen zu bringen. Der alte Jäger nahm seinen Sohn und dessen vierbeinige Freunde und führte sie zum Padischah. »Padischah!« sprach er. »Nichts ist leichter, als Wasser mit Lügen anzuwärmen. Ich aber vermag einen Kessel mit der reinsten Wahrheit zum Brodeln zu bringen.«

»Das möchte ich sehen«, erwiderte der Padischah. »Erzähle uns deine Wahrheit.« Er befahl, vierzig Ochsen in einen Kessel zu werfen, vierzig Tonnen Wasser darauf zu gießen, versammelte alle Höflinge um sich und wollte erleben, wie es im Topf anfing zu brodeln.

Der Jäger erzählte, wie er sich zuerst in eine holde Jungfrau verwandelte und einen Sohn gebar, wie er dann zu einer Stute wurde und ein Fohlen warf, das, zum Ross herangewachsen, nun seinem Sohn als Reitpferd dient. »Das ist eine faustdicke Lüge!« Der Padischah lachte belustigt. »Nein, das ist die reinste Wahrheit!« widersprach der alte Jäger. »Schau, wie der Dampf aus dem Topf steigt!« Der Jäger erzählte, was ihm weiter geschehen war. Keiner wollte ihm Glauben schenken, doch das Wasser im Kessel begann zu brodeln. Da rief das versammelte Volk: »Seht! Er spricht die Wahrheit! Gebt ihm die Tochter des Padischahs zur Frau!« Damit endet das Märchen vom Jäger und dem verwunschenen Weiher. Wer mir nicht glaubt, mag ausziehen, um den Weiher zu suchen, und selbst darin baden!