[swahili, "Geschichte, Legende"]

Der Schahzada und das Fohlen

In alten Zeiten wurde einem Padischah ein Sohn geboren. Als der Knabe neun Jahre alt war, starb seine Mutter. Die Stiefmutter mochte das Kind nicht leiden und sagte eines Tages zu ihren Mann: »Was soll aus dem Schahzada für ein Schah werden, wenn er nichts kann. Schicke ihn die Pferde hüten.« Bei sich aber dachte sie: Mögen die Pferde ihn getrost zu Tode trampeln. Der Padischah hörte auf den Rat seines Weibes und befahl dem Sohn: »Führe die Herde zum Fluss und gib acht, dass keines davonläuft.« Der Schahzada ließ die Pferde weiden und sah, wie ein Seepferd aus dem Wasser sprang und eine Stute zu umschmeicheln begann.

Die Zeit verging, und die Stute fohlte. Der Schahzada gewann das Fohlen über alle Maßen lieb. Er fütterte und umhegte es. Eines Tages sagte die Frau zum Padischah: »Bestelle einen anderen zum Pferdehirten, den Schahzada aber lass etwas lernen.«

»Lieber Sohn«, sprach der Padischah, »es wird Zeit, dass du etwas lernst. Ab Morgen gehst du zum Mullah zum Unterricht. Da du ein guter Pferdehirte warst, magst du dir ein Fohlen aussuchen nach deinem Geschmack.« Der Schahzada dankte dem Vater und nahm sich das Fohlen, das vom Seepferd abstammte. »Weshalb suchst du dir diese Schindmähre aus?« fragte der Vater. »Nimm dir ein besseres Pferd, mein Sohn.«

»Nein, mir steht nach diesem allein der Sinn«, entgegnete der Schahzada. »Tu, was du magst«, erwiderte der Vater. Der Schahzada brachte das Fohlen heim, legte ihm Futter vor, tränkte es und ging zum Mullah. Just zu dieser Zeit schenkte die Stiefmutter einem Sohn das Leben. Vor Freude gab der Schah ein großes Fest: Sieben Tage und sieben Nächte feierten die Menschen den Toi.

Einmal, als der Schahzada vom Mullah heimkehrte, ging er zu seinem Fohlen. Dem aber standen Tränen in den Augen. »Weshalb weinest du, mein schönes Tier?« fragte der Schahzada erschrocken. »Wie sollte ich nicht weinen«, gab das Fohlen zur Antwort, »wenn die Stiefmutter Tschapaden mit Gift gebacken hat. Sie will dich aus der Welt schaffen. Wenn du aber stirbst, wer wird dann für mich sorgen?«

»Sei unbesorgt, mein schönes Tier, ich werde ihre Tschapaden nicht essen«, versprach der Schahzada. Als er ins Haus trat, sagte er zur Stiefmutter: »Mich hungert.«

»Ich habe heute besonders schmackhafte Tschapaden gebacken, nimm dir davon...« Doch der Schahzada griff nicht zu. Er aß vielmehr mit großem Appetit einen Tschurek.

Am darauf folgenden Morgen, als der Stiefsohn zum Mullah gegangen war, hob die Stiefmutter vor dem Tischtuch, auf dem die Tschureks lagen, eine Grube aus, bohrte drei Lanzen mit den Spitzen nach oben in die Erde und breitete eine Koschma darüber. Als der Schahzada vom Mullah heimkehrte, ging er als erstes zum Fohlen. Dem standen abermals Tränen in den Augen. »Weshalb weinest du, mein schönes Tier?« fragte der Schahzada das Fohlen erschrocken. »Wie sollte ich nicht weinen«, erwiderte das Fohlen, »die Stiefmutter hat eine Grube ausgehoben und drei spitze Lanzen hineingesteckt. Wenn du dir einen Tschurek holen willst, so stürzt du in die Grube und wirst von den Lanzen durchbohrt.«

»Sei unbesorgt, mein schönes Tier, will mir allein keinen Tschurek nehmen«, versprach der Schahzada. Als er das Haus betrat, sagte er zur Stiefmutter: »Mich hungert.«

»Nimm dir einen Tschurek. Ich habe gerade gebacken. Sie sind noch ganz frisch.« Die Stiefmutter verließ den Raum, der Schahzada aber schickte ihren Sohn nach dem Tschurek. Der fiel in die Grube, wurde von den Lanzen durchbohrt und starb.

Die Stiefmutter war furchtbar zornig, als sie sah, dass ihre Tücken nur ihr allein geschadet hatten. Wie kann ich diesen Burschen bloß loswerden, überlegte sie, als der Jüngling morgens zum Unterricht gegangen war. Doch es wollte ihr nichts einfallen. Deshalb ging sie zu einer alten bösen Zauberin. Die Alte sprach: »An allem ist das Fohlen schuld. Dieses Tier muss vor allem aus der Welt geschafft werden.« Und sie riet: »Wenn du die Ruhestatt richtest, so lege Schilf darunter und decke eine Koschma darüber. Dann lege eine zweite Schicht Schilf darauf, decke sie abermals mit einer Koschma zu und begib dich zur Ruhe. Wenn du dich bewegst, wird das Schilf rascheln. Dann musst du schreien: ›Ohje, tun mir meine Knochen weh!‹ Der Padischah wird erschrecken und fragen: ›Was ist dir?‹ Alsdann lass nach mir schicken.«

Die Stiefmutter breitete Schilf aus und deckte es mit einer Koschma zu. Dann legte sie eine zweite Schicht Schilf darauf, deckte sie abermals mit einer Koschma zu, legte sich zur Ruhe und schrie plötzlich: »Ohje, tun mir meine Knochen weh!«

»Was ist dir?« fragte der Padischah erschrocken. »Ich weiß es nicht«, stöhnte das Weib. »Rufe nach der weisen alten Frau, vielleicht kann sie mir helfen!« Der Padischah ließ die Greisin rufen. Die sprach: »Großer Padischah, Eure Gattin ist schwer erkrankt. Nur das Herz eines Fohlen mit schwarzer Zunge wird ihr Heilung bringen.«

»Wo soll ich so ein Fohlen finden?« fragte der Padischah. »Ich weiß es auch nicht«, antwortete die Stiefmutter heuchlerisch. »Am Ende hat gar das Fohlen deines Sohnes eine schwarze Zunge? Oder es findet sich vielleicht ein anderes Tier im Gestüt?«

»Rufe den Schahzada«, befahl der Padischah einem Jessaul.

Als der Schahzada vom Unterricht heimkam, ging er zu seinem Fohlen und erblickte abermals Tränen in dessen Augen. »Weshalb weinest du, mein schönes Tier?« fragte der Schahzada erschrocken. »In meinem Herzen liegt dein Leben beschlossen«, entgegnete das Fohlen. »Die Stiefmutter hat bemerkt, dass ich all ihre bösen Pläne, die sie gegen dich schmiedet, durchkreuze. Deshalb hat sie beschlossen, zunächst mich aus der Welt zu schaffen, um alsdann dich zu vernichten.« Und das Fohlen erzählte ihm alles: wie die Stiefmutter sich bei der alten Zauberin Rat geholt, wie sie den Vater belogen hatte, und dass der Vater nun des Schahzadas Einverständnis fordere, um das Fohlen zu töten. »Lehne dich nicht auf gegen deines Vaters Willen«, riet das Fohlen. »Doch wisse, wenn sie mich am Zaum packen, um mich zum Schlachten zu führen, so wiehere ich zum ersten Mal. Wenn sie mich fesseln, so wiehere ich zum zweiten Mal, wenn sie mir aber das Messer an die Gurgel setzen, so wiehere ich zum dritten Mal. Stehst du bis dahin nicht neben mir, so werden wir uns niemals mehr wieder sehen. Nun aber geh.«

»Mein Sohn, ich will mit dir Rat halten«, sprach der Padischah, als der Schahzada eintrat. Und er berichtete ihm, was sein Weib und die Alte gesagt hatten. »Für Mutter bin ich bereit, alles auf der Welt herzugeben«, erwiderte der Schahzada.

Morgens ging er zum Unterricht. Miteins vernahm er das Wiehern des Fohlens. »Mullah-aga«, flehte der Schahzada, »lass mich nach Hause.«

»Das kann ich nicht, mein Schah«, entgegnete der Mullah. »Was soll dein Vater von mir denken?« Das Fohlen wieherte zum zweiten Mal. Da sprang der Schahzada aus der Kibitka des Mullahs und rannte, so rasch seine Füße ihn trugen, heim. Er sah, wie das Messer bereits an der Gurgel des Fohlen blitzte. »Oh Vater, halt ein!« bat der Schahzada. »Ich bin noch niemals auf meinem Fohlen geritten. Gestatte mir wenigstens ein einziges Mal, mich auf seinen Rücken zu schwingen.« Sprach der Padischah: »So mag es geschehen, besteige das Fohlen.«

Der Schahzada sattelte das Ross, schnallte den Churdshun mit Wegzehrung fest und schwang sich in den Sattel. »Wie schaue ich aus auf meinem Ross!« fragte der Schahzada den Vater. »Herrlich!« rief der Padischah begeistert aus. »Doch nun ist's genug, spring wieder ab.«

»Schön«, erwiderte der Schahzada und hob die Kamtscha. Da bäumte sich das Fohlen hoch in den Himmel auf und war im nächsten Augenblick mitsamt dem Reiter entschwunden. Als sie in einer fremden Stadt anlangten, blieben sie dort für ihr weiteres Leben. Die Stiefmutter jedoch erkrankte vor Ärger, weil all ihre List nicht geholfen hatte, sie musste das Bett hüten und starb bald darauf.