[swahili, "Geschichte, Legende"]

Der Hirte im Mond

Es war einmal in alten Zeiten ein reicher Bojar. Die Kunde von seinem Reichtum zog über neun Länder und Meere, denn es war, als hätte er auf seinen Gütern alle Schätze der Welt gesammelt. Er hatte einen Palast, dessen Mauern über und über von Gold glänzten, mit Treppen aus Edelsteinen, die die Nacht drei Postmeilen weit zum Tage erhellten, und auch noch andere Reichtümer. Er besaß ausgedehnte Heuwiesen und Ländereien, so groß, dass der Gedanke eines Menschen sie gar nicht umfassen konnte, und auf ihnen weideten unzählige Herden. Und er hatte ein gutes Herz, der Bojar, denn er sättigte jeden Hungernden und half jedem Bedürftigen mit Unterkunft und Nahrung.

Zu diesem Bojaren - so erzählt man - kam eines Tages ein armer Rumäne und bat um einen Dienstplatz. Der Bojar sah ihn an, fand Gefallen an ihm und beschenkte ihn überreichlich. Denn der Bursche war wohlgestaltet und hatte etwas an sich, was die Menschen anzog. Er gab ihm ein Stückchen Land auf einem Hügel und eine Herde von jungen Schafen, auf dass er etwas habe, wodurch er ein leichteres Leben führen könne. Der Bursche bedankte sich, nahm die Herde und zwei Hunde und zog nach seinem Besitztum ab. Hier baute er sich eine Hütte, um sich vor Wind und Regen bergen zu können und umschloss eine Schafweide mit einem Zaun, zum Übernachten der Lämmer. Tagsüber war er stets traurig und sprach mit niemand, und nur des Abends ging das Feuer seines Herzens auf, wenn er auf seiner kleinen Knochenflöte wehmütige Lieder blies.

Wenn er zu blasen begann, versammelten sich die Schafe und lauschten versunken, die Augen starr auf ihren jungen Hirten gerichtet. Und man sagt, er spielte so wehmütig und süß auf seiner kleinen Flöte, dass auch der Wind seinen Flug unterbrach und das nahe Bächlein seine Wasser anhielt, um zu lauschen. Sein Gesang war so lockend, dass sogar die Schafe aus der Nachbarschaft sich an seiner Hütte sammelten und nicht mehr nach Hause wollten. Deshalb begannen die anderen Hirten scheel nach ihm zu sehen und wurden ihm feindlich gesinnt, ja, einige von ihnen bedrohten ihn, sie würden ihn bei dem Bojaren verklagen, wenn er ihnen noch länger die Schafe fortlocke. Der arme Hirte sah wohl, dass er schuldig sei, aber er konnte sich doch nicht bezähmen zu flöten; denn die Flöte war sein einziger Trost.

Da gingen die Hirten aus der Nachbarschaft, neidisch wie sie auf den Rumänen waren, zum Bojaren und brachten Klage vor, dass er ihnen die Schafe stehle. Der Bojar betrübte sich in seinem Herzen, als er hörte, dass der Hirte ihm solcherweise seine barmherzige Tat belohnte, und er ließ ihn in den Palast rufen. Als der Rumäne anlangte, runzelte der Bojar die Brauen und redete ihn folgendermaßen an: »Ei, Mensch, weißt du denn nicht, dass du dich an Gott versündigst, wenn du das Vermögen anderer begehrst, wo du doch deine Schafe und deinen Boden hast, auf dem sie gutes Gras weiden können?« Da fiel der Hirte ihm zu Füßen nieder und sagte schluchzend: »Es ist so, Euer Gnaden, ich habe gefehlt, aber nicht willentlich, denn ich stehle die Schafe nicht, sondern sie kommen zu mir. Es ist ein Fluch über meinem Haupt, von dem ich mich nicht lösen kann.« Als der Bojar diese Worte hörte, erfasste ihn das Mitleid und, trotz all seines Ärgers, sagte er zu ihm in seiner grenzenlosen Gerechtigkeit: »Ich sehe wohl, dass hierbei etwas Besonderes ist, erzähle mir nun alles haarklein!«

Da trocknete sich der Hirte die Tränen ab und sagte: »Als ich in dieses Land kam, kam ich nicht wegen Milch und Honig. Gab es doch auch in unserem Ländchen fruchtbaren Boden, und so jung, wie ich bin, hätte ich mir auch dort mein bescheidenes Brot von heut auf morgen verdient. Aber ich konnte jene Stätten nicht einen Augenblick mehr ertragen, und da floh ich weit, weit weg von ihnen, bis zu eurem Hofe, Euer Gnaden! So war es mir bestimmt, dass ich den größten Kummer kennen lernte, den die Welt kennt, und deshalb muss ich auch heute leiden. Hört mich an, Euer Gnaden, denn meine Worte sind nicht nur leeres Gerede, sie sind die Geschichte des Kummers selbst. Auch ich lernte einmal das Glück der Erde kennen, ich verliebte mich in ein Mädchen, wie es noch kein anderes auf Erden gegeben hatte. Ein ganzes Jahr lang lebten wir Tage süß wie Honig, als sich auf einmal unser Glück verdunkelte. In unserer Blindheit hatten wir vergessen, Gott zu preisen, von dem uns all das Gute gekommen war. Da erzürnte er sich über uns und schickte aus heiterem Himmel eine Krankheit über meine Liebste, die sie in drei Tagen wie eine Flamme auslöschte. Als sie auf dem Sterbebette lag, sagte sie zu mir: ›Behalte diese Flöte, Stan, auf dass du dich trösten mögest in deiner Qual, und bete zu Gott, dass er uns unsere Sünden vergebe.‹ Und dann starb sie und hinterließ mir nichts anderes als diese Wunderflöte. Da fühlte ich, dass ich mit jedem Tage mehr verdorrte; denn jedes Plätzchen erinnerte mich an sie und so zog ich fort von dem Orte, wo die Mutter mich geboren hatte, und ich kam her, wo mein einziger Trost diese Flöte ist, aus der ihre Stimme singt. Und jetzt, Euer Gnaden, seht ihr, dass man mich verklagt, dass ich die Schafe des Nachbarn anlocke, die in hellen Scharen kommen, wenn ich auf der Flöte singe. Wenn ihr mich für schuldig haltet, verjagt mich, lasst mich jede Hilfe entbehren, aber lasst mir diese Flöte.«

Der Bojar spürte, wie ihn die Tränen übermannten, und er sagte, weich geworden: »Lass nur, Stan, ich werde dir schon Recht schaffen!« Und er befahl, dass das Anwesen des Hirten mit einer hohen Mauer umzogen werde, damit die Schafe der Nachbarn es nicht mehr betreten könnten. Dann rief er die anderen Hirten und tadelte sie mit harten Worten wegen ihrer Verleumdungen. Diese erbosten sich und beschlossen, dem Leben des Rumänen, um dessen Willen sie Schelte erfahren hatten, ein Ende zu bereiten und ihm die Wunderflöte wegzunehmen. Um Mitternacht, als der Hirte zu blasen aufgehört hatte und sanft eingeschlafen war, schlichen sich einige der neidischen Nachbarn auf sein Anwesen und wollten sein Leben vernichten. Als sie aber fast so weit waren, ihn totzuschlagen, da begann ein Hund zu bellen und der Hirte erwachte aus dem Schlaf. In seinem Zorn und in seiner Bitternis riss er einen Hüttenpfosten aus und schwang ihn über dem Haupt, und so war er daran, die elenden Räuber dem Boden gleichzumachen. Aber da gedachte er Gottes und ließ ihnen das Leben. Nun war ihm jener Ort verleidet, er nahm den Pfosten auf die Schultern und machte sich auf den Weg.

Er ging drei Tage und drei Nächte hin und her durch die Wälder. Schließlich fiel er in der Dämmerung des vierten Tages hin, vollständig erschöpft vor Müdigkeit. Da begann er bitterlich zu weinen und bat Gott, sich seiner zu erbarmen und ihn von dieser verhaßten Erde zu nehmen.

Der Herrgott erbarmte sich seiner, als er ihn so reuigen Herzens sah, und er erhob ihn in die Lüfte und stellte ihn auf den Mond. Unterwegs begann der Hirte noch einmal ein Lied auf seiner sprechenden Flöte zu blasen und, - welches Wunder! - die Schafherden begannen sich zum Himmel zu erheben und zogen dem Lied nach. Als er aber beim Mond angekommen war und Hand anlegte, um auf ihn zu steigen, entfiel die Flöte seiner Hand und fiel ins Meer. Da blieben die Schafe in der Luft hängen, und seither versuchen sie bis zum heutigen Tage, auf den Mond zu gelangen, der sich immer um sie herumdreht. Aber es ist vergeblich, denn sie können sich nicht so hoch hinauf erheben, und dann beginnen sie bitterlich zu weinen - dann sagen die Menschen, es regnet. Und wenn ihr euch den Mond recht gut anseht, dann werdet ihr einen Mann sehen, der seine Fußlappen auf dem Pfosten trocknet, den er auf den Schultern trägt...

Die neidischen Nachbarn aber hatten keine Ruhe und machten sich auf, mit Knütteln und Äxten, den Hirten zu töten; aber den Mond haben sie niemals erreichen können. Der gute Gott aber schlug sie für ihren zügellosen Hass und verfluchte sie von Sippe zu Sippe, dass sie, so oft der Vollmond am Himmel leuchte, ihm wie von Sinnen nacheilen sollten, mit Äxten und Knütteln in den Händen, und dass sie so, über Berge und Täler dahinrasend, mondsüchtig sein sollten.