[swahili, "Geschichte, Legende"]

Der Arme und der geizige Ischan

In einem Aul lebte ein armer Mann. Sein Nachbar war ein Ischan. Der lebte zufrieden und in Freuden, denn die Menschen brachten ihm reiche Gaben, der Arme aber besaß nichts außer einer engen Kibitka und einem einzigen Maulesel - weder Hühner noch Hund oder Katze nannte er sein eigen. Tag für Tag ging der arme Mann in die Wüste, um Reisig zu sammeln, und brachte es mit seinem einzigen Esel zum Basar. Die Frau dieses armen Mannes war eine kunstfertige Teppichknüpferin, und die Beis riefen sie gern zur Arbeit, unterdessen betreute die kleine Tochter des Armen die Kinder der Beis. So lebten sie und nährten sich von Fladen und Tee.

Eines Tages nahm der arme Mann wie stets Spaten und Strick und ging in die Wüste. Kaum hatte er das erste Reisig gebündelt, da peinigte ihn miteins fürchterliches Bauchgrimmen. Der Arme legte sich in den Schatten eines hohen Strauchs und schlummerte unversehens ein. Ihm träumte, dass jemand sein Reisigbündel angezündet habe. Mit einem Aufschrei sprang er hoch und blickte sich um. Das Bündel lag unberührt dort, wo er es abgelegt hatte. Der Arme rieb sich die Augen und schaute zur Sonne auf- bis zur Abenddämmerung war es nicht mehr lang. Er wollte sich wieder an sein Tagewerk machen, als er miteins im Sand einen Stein bemerkte, der funkelte wie ein zur Erde gefallener Sonnenstrahl. Der Arme hob den Stein auf, da hielt er einen faustgroßen Brocken pures Gold in den Händen.

Er war so glücklich über seinen Fund, dass ihm die Sinne schwanden. Als er wieder zu sich kam, war bereits der Abend angebrochen. Noch immer hielt er das pure Gold in der Hand. Der Arme beschloss, in der Wüste zu übernachten. Er zündete ein Feuer an, band den Maulesel neben sich fest und schlief ein. Morgens ging er nicht auf den Basar, sondern wandte sich schnurstracks heimwärts. Er lud auf dem Hof den Esel ab und rief sein Weib, die gerade vor der Tür des Beis einen Teppich knüpfte. Als sie kam, sagte der Arme: »Weib, backe Fladen und bereite uns einen starken Tee! Heute ist für uns ein Festtag!« Die Frau rührte Teig an, buk Fladen, bereitete starken Tee und stellte alles vor den Mann hin. Der Mann verzehrte die Fladen, trank Tee und lachte immerfort, weil die Frau ihn anstarrte und nicht begreifen konnte, worüber er so glücklich war. Endlich fragte sie: »Worüber freust du dich, Mann? Du schauest aus, als habe uns Mohammed eine Milchziege gesandt.«

»Ach, Weib«, erwiderte der Arme, »du wirst dich noch viel mehr freuen als ich, wenn du siehst, was ich in der Wüste gefunden habe.«

»Was hast du nur gefunden?« fragte die Frau misstrauisch. »Doch wohl nicht ein Eisen vom Huf unseres Esels?«

»Nein, Weib, du hast es nicht erraten«, erwiderte der Arme. »Ich habe pures Gold gefunden.«

»Red kein dummes Zeug, Vater«, sagte die Frau. »Für so arme Leute, wie wir es sind, liegt kein Gold auf der Straße. Allah weiß schon, wen er mit Gold beschenkt!«

Der Mann zog den Goldbrocken aus dem Gürtel und reichte ihn seiner Frau. Just in diesem Augenblick öffnete sich die Tür, und der Ischan trat in die Kibitka. »Nachbar«, sagte er, »du hast mir schon lange keine Gabe mehr gebracht. Als ich heute gestapelte Reisigbündel auf meinem Hof erblickte, dachte ich: Dies Reisig hat sicher mein Nachbar gebracht, will einmal zu ihm gehen und ihn fragen.« Hastig verbarg die Frau das Gold, der Arme aber nötigte den Ischan auf den Ehrenplatz und sprach: »Deinen Augen entgeht wahrlich nichts: Du hast nicht nur die Reisigbündel auf dem Hof gesehen, du hast mir auch ins Herz geschaut und meine Absicht erraten.« Dann bedeutete er seinem Weib, den Gast mit Tee zu bewirten. Der Ischan nahm die Piale aus der Hand des Armen entgegen und fragte dessen Frau: »Was hieltest du in deinen Händen, als ich in die Kibitka trat?«

»Nichts«, entgegnete hastig der Mann für sein Weib. »Ich bin doch nicht blind«, sagte der Ischan, »bislang vermag ich noch Gold von Mist zu unterscheiden.«

»Dann schau her«, erwiderte der Arme zornig, nahm den Goldbrocken und warf ihn dem Ischan zu.

Bei dem Anblick des Goldes zitterten dessen Hände. »Oho!« rief er. »Das ist ja pures Gold! Wo hast du es gefunden?« Der Arme hub zu erzählen an: »Ich ging in die Wüste, um Reisig zu sammeln, und bekam plötzlich mächtiges Bauchgrimmen. So legte ich mich in den Schatten eines Strauches, schlief ein und hatte einen Traum.«

»Was hast du geträumt?« fragte der Ischan ungeduldig. »Jemand habe mein Reisigbündel angezündet. Da erwachte ich, sprang auf und sah, dass alles unberührt lag. Die Sonne neigte sich schon. Ich dachte, bald bricht der Abend an, ich aber habe mein Tagewerk noch nicht vollbracht. Da kam ein Wind auf...«

»Ich frage dich, wie hast du das Gold gefunden?« Abermals unterbrach der Ischan erzürnt den Armen. Der Arme hatte eigentlich nichts von seinem Fund erzählen wollen, doch es blieb ihm nichts übrig, er musste es tun.

Als der Ischan alles vernommen hatte, sprach er: »Das ist eine würdige Gabe für den Ischan! Brich ein Stückchen von deinem puren Gold ab und schenke es mir, die Reisigbündel aber magst du behalten.«

»Wenn du etwas von mir willst«, entgegnete der Arme, »so triffst du mich immer an. Wenn ich aber etwas brauche, dann ist der Ischan niemals daheim.« Doch der Ischan hörte ihm gar nicht zu. Eigenhändig brach er ein Stück von dem Goldbrocken ab und sagte zum Abschied: »Möge Allah dir Glücklichem viele Söhne bescheren und jedem Sohn eine Braut, schön wie eine Peri.« Betend hob er die Hände und glättete seinen Bart. Der Arme sah ihn an und sprach: »Der Ischan besitzt keine Scham, deshalb nimmt er's den Lebenden und den Toten.«

»Möge Allah deinem Haus alle Güter im Überfluss schenken!« sprach der Ischan. Er war schon aus der Kibitka verschwunden und tat, als habe er die Worte des Armen gar nicht vernommen.

Auf seinen Hof zurückgekehrt, nahm er Strick und Spaten, bestieg seinen Esel und ritt in die Wüste, um Reisig zu sammeln. Er versuchte zu werken, doch da er niemals zuvor in seinem Leben gearbeitet hatte, wurde er rasch müde. »Ach, was hab ich für Bauchgrimmen!« stöhnte der Ischan heuchlerisch und legte sich in den Schatten eines Strauches. Er schob sich den Turban unter den Kopf, schloss die Augen und fühlte miteins, wie eine Schlange ihm unter das Hemd kroch. Das träume ich wohl, dachte der Ischan. Die Schlange rollte sich indes auf seinem Leib zusammen.

Der Ischan richtete sich auf und fragte erzürnt: »Weshalb bist du auf meinen Bauch gekrochen?«

»Warum lügst du, dass du Bauchgrimmen hast?« erwiderte die Schlange. »Weißt du, Schlange«, sagte da der Ischan, »gestern ist hier ein armer Mann eingeschlafen, hat einen Traum gehabt, und dann hat er pures Gold gefunden.«

»Das war doch ein Armer«, entgegnete die Schlange, »der hatte in der Tat Bauchgrimmen, weil er hungrig war. Du aber lebst im Reichtum und genießt alle Freuden. Nur deine Augen sind unersättlich. Wenn du dich nicht davonmachst, will ich dich beißen.«

Der Ischan kehrte mit einem Gesicht heim, als habe er Gift genommen. »Was ist dir zugestoßen?« fragte seine Frau teilnahmsvoll. »Die Frau soll ihrem Mann keine Fragen stellen!« schrie der Ischan und schickte sich an, sein Weib zu verprügeln. Auf das Geschrei eilte das Weib des Armen herbei und flehte den Ischan an: »Erbarme dich deines Weibes! So verprügelst du ja sonst nicht einmal deinen Esel!«

»Hebe dich hinfort!« schrie der Ischan. »Geh mir aus den Augen! Nun ist gar ein Weib gekommen, um den Ischan zu belehren! Das Ende der Welt scheint nicht mehr fern!« Da kroch die Schlange hervor, die den Ischan aus der Wüste vertrieben hatte, und biss ihn. Der Ischan stöhnte und verschied.