[swahili, "Geschichte, Legende"]

Das ungewöhnliche Nachtquartier

Man sagt, es war vor sehr, sehr langer Zeit (schon meine selige Großmutter sagte so), in sehr alten Zeiten waren einmal zwei Brüder - der eine reich, der andere arm. Und du weißt ja, in alten Zeiten war es Sitte, dass man zu Weihnachten früh zur Kirche fuhr, und jeder musste eine Kerze mitbringen.

Na, und siehst du, der reiche Bruder fährt los zur Kirche, aber der Arme arbeitet und hämmert unentwegt. Der Reiche fragt: »Was machst du denn da?«

»Na, du siehst doch«, antwortet der Arme, »all die Tage habe ich mich abgemüht, um Brot zu schaffen, und da hatte ich keine Zeit, mir einen Schlitten zu bauen. Zu Fuß kann ich nicht zur Kirche kommen, und wenn ich den Schlitten fertig habe, will ich auch zur Kirche fahren.« Aber der Reiche nimmt ihn nicht in seinem Schlitten mit. Er sagt: »Vielleicht hast du keine Kerze? Na sieh, ich will dir eine Kerze geben.« Der Arme sagt: »Ich werde vielleicht doch nicht mehr hinfahren, nimm sie also mit, du Herr du, und zünde sie für mich an!«

Nun, da fuhr der Reiche also los. Als er ein Stück gefahren war, sagt er zum Kutscher: »Wie soll ich als vornehmer Herr mit solch einem Kerzenstummel ankommen?!« Na, und er warf ihn weg. Als sie ein kleines Stückchen gefahren waren, sieht er - die kleine Kerze brennt im Schnee. Da sagte er dem Kutscher, er solle hingehen und die Flamme austreten, auslöschen. Der Kutscher löschte sie aus und ging zum Herrn zurück.

Sie fuhren weiter, er sieht - wieder brennt das Kerzlein! Der Herr befahl wieder, die Flamme auszutreten, damit das Kerzchen nicht mehr brenne. Der Kutscher ging hin, löschte sie, trat sie aus. Als er zum Schlitten zurückkam, sieht er - sie brennt schon wieder! Der Herr sagt: »Du hast sie vielleicht nicht richtig ausgetreten?«

»Doch, ich habe sie ganz ausgetreten.« Da sagt der Reiche: »Ach, Lass sie brennen, sie brennt ab, bis wir zurückkommen. Na, und die Leute werden sie vielleicht nicht sehen.«

Der Reiche fahrt von der Kirche nach Hause (sie hatten die Kerze doch brennen lassen), er fährt den Weg zurück, und als sie an die Stelle gekommen waren, sieht er - da, wo die Kerze gebrannt hatte, liegt ein Mann. Aber ein Mann ohne Hände und ohne Füße, und er ächzt und stöhnt. Und da nahm er den Mann auf, der Reiche, ganz gegen seine Gewohnheit, und brachte ihn in seinen Schlitten, den ohne Hände und Füße, er wusste wohl selbst nicht warum. Er versorgte den Mann ohne Hände und Füße einen Tag - da fingen kleine Händchen und Füßchen an zu sprießen. Na, er versorgte ihn den zweiten Tag - die Hände und Füße waren schon größer geworden. Am dritten Tage, den er ihn bei sich behielt, waren ihm richtige kleine Hände und Füße gewachsen, er fing schon an herumzuspazieren. Nun, als ihm die Hände und Füße gewachsen waren, sagte er: »Herr, du hast mich drei Tage aufgenommen und mir zu essen gegeben, so will ich dich, Herr, jetzt bitten: Komm mit zu mir, denn ich möchte dich drei Tage bei mir aufnehmen und dich bewirten.«

Na, und der Herr fährt mit ihm zu Besuch, das heißt, zu jenem Manne. Als er bei ihm angekommen war, bewirtete er ihn (das Herrenhaus stand, wie man sagt, an der Stelle, wo er ihn im Schnee liegend gefunden hatte), die Tische sind zum Brechen voll, er bewirtet den Gast, wie es kaum zu glauben ist. Da rückte auch schon die Nacht heran, und er dringt in den Herrn, bei ihm zu übernachten.

Nun und weißt du, als der Herr sich zur Nacht hingelegt hatte, drückt auf ihn eine Last, ganz schrecklich, unaussprechlich, als ob die ganze Welt auf ihm zusammengestürzt wäre. So eine Last, ach, so eine Last! Da denkt er: Die nächste Nacht werde ich um keinen Preis mehr bei ihm schlafen!

Doch am anderen Morgen kam der Herr, weckte ihn, und wieder bewirtete er ihn und trank mit ihm. Der Gast aber denkt: Jetzt werde ich um keinen Preis mehr über Nacht bleiben, auch wenn er noch so viel bittet! Doch es wurde wieder Abend. Und wieder drängt er ihn, zur Nacht zu bleiben. Aber der Gast will nicht mehr bleiben. Da sagt der Wirt: »Es ist doch schon lange abgemacht, lieber Herr! Du hast mich drei Tage aufgenommen, so nehme auch ich dich, mein Herr, drei Tage auf. da gibt es keinen Widerspruch!« Na, und er brachte ihn wieder zu seinem Nachtlager, doch nicht mehr in das Zimmer, in dem er zuerst gelegen hatte, sondern in ein anderes.

Und als er sich kaum in dem anderen Zimmer niedergelegt hatte, da begannen Frösche über ihn zu kriechen, Nattern, Schlangen, Teufel und allerlei großes, widerliches Ungeziefer! Es kriecht und kriecht unaufhörlich über ihn hin! Er denkt: Die kommende Nacht werde ich aber um keinen Preis mehr bei ihm schlafen! Da will er auf und davon, aber er kann sich nicht erheben. Er wäre diese Nacht fortgelaufen, aber er kann nicht aufstehen!

Na, schließlich wird es wieder Tag, wieder kommt der Wirt ihn wecken. Als er ihn geweckt hatte, stand er auch auf. Wieder prassten sie beide den ganzen Tag über. Da war es schon wieder am späten Nachmittag, und der Herr macht sich für die Heimfahrt fertig, er will hier nicht mehr übernachten. »Keine Widerrede, lieber Herr«, sagt der Wirt, »wie du mich drei Tage aufgenommen hast, so will auch ich dich drei Tage aufnehmen!« Was sollte der arme Herr machen? Er muss wieder schlafen gehen, ein Gast ist wie ein Sklave. Na, der Wirt redete wieder auf ihn ein, bei ihm zu übernachten, und er führte ihn in ein anderes Zimmer, in ein drittes: wunderbar weich war es da, schön, weiß, sauber! Beim Hinlegen war es herrlich, und wenn man lag, war es herrlich. Na, und als er so lag, fühlte er eine wunderbare Seligkeit - er sieht Gott, er sieht die Allerheiligste Mutter! Er denkt bei sich: Nun gehe ich nicht mehr fort, so unsäglich wohl ist mir! Unaussprechlich beglückt war er, er sieht die ganze Herrlichkeit des Himmels. So denkt er: Ich will nicht mehr von hier wegfahren, ich will ihn bitten, er soll mich ja hier behalten!

Nun, da kam der Morgen heran, er weckte ihn wieder, und wieder prassten beide den Tag über. Na, und als sie so geprasst hatten, als schon die Mittagszeit vorüber war, da sagt der Wirt: »Jetzt, lieber Herr, kannst du nach Hause fahren.« Und der Gast macht sich für die Heimfahrt fertig. Schon ist er bereit, gleich will er losfahren.

Doch der Herr, bei dem er Nachtlager gehabt hatte, sagt: »Warum sagst du mir eigentlich nicht, was du gesehen hast, als du bei mir schliefst?« Er aber sagt: »Eine unsägliche Last bedrückte mich in der ersten Nacht! Ich glaubte, dass die ganze Welt auf mir lastete!« Darauf sagt der Wirt: »Das ist dein Platz, wenn du gestorben bist, das heißt, nach deinem Tode. Und was«, sagt er, »hast du die zweite Nacht gesehen?« Da sagte der Gast, was er gesehen hatte: allerlei Abscheulichkeiten. Darauf sagte der Wirt: »Das ist der Platz für deine Frau, denn sie hat immer ganz schrecklich geflucht. Darum wird es ihr so ergehen.« Und danach sagt er: »Doch in der dritten Nacht, was hast du da gesehen?« Darauf erzählte er, wie er die wunderbare, unaussprechliche Herrlichkeit des Himmels gesehen hätte. Und jener sagt: »Die Herrlichkeit, die du in der dritten Nacht gesehen hast, die wird nach seinem Tode dein Bruder erleben.«

Er kam nach Hause und verabredete mit seiner Frau folgendes: »Wir wollen ein großes Festgelage veranstalten und dazu meinen Bruder einladen!« Er ordnete das Fest selbst und lud selbst alle ein: seinen Bruder und eine Menge Herren. Er hatte sich ausgedacht und mit seiner Frau besprochen, er wollte mit seinem Bruder den Besitz tauschen. Siehst du, wegen dieses Tausches tat er alles. Er glaubte, dass er auf diese Weise nach dem Tode den guten Platz bekommen werde, wo er die Herrlichkeiten erlebt hatte.

Doch das behält er für sich, niemandem sagt er etwas davon, weder seinem Bruder noch seiner Frau. Er beredete die Gäste und sagte: »Helft mir, meinem Bruder zuzureden, dass er mit mir den Besitz tauscht!«

Na, und da begann der Reiche auf ihn einzureden: »Wollen wir doch unsere Höfe tauschen, liebes Brüderlein«, sagt er, »ich habe hier schon lange genug gelebt, ich bin müde und schwach geworden, jetzt will ich mich ausruhen.« Der arme Bruder wurde sofort traurig. Ja, der Bedauernswerte fing sogar an zu weinen, steht auf und geht hinaus. Er sagt: »Hat mich denn mein Bruder nur eingeladen, um mich zu verspotten?« sagt er, »da hätte er mich lieber nicht einladen sollen!«

Alle Gäste hielten ihn auf, hielten ihn zurück. Darauf sprechen sie miteinander, sie bitten ihn zurück und locken ihn wieder mit dem Tausch. Na, schließlich war er auch einverstanden. Sie tauschten, das heißt: ihren Besitz. Der Arme kommt, um hier zu wohnen, und der Herr zieht in die ärmliche Hütte.

Na und, was war nun? Der Arme bekam solch einen großen Besitz, er ist nun reich, er kann mit allen Armen teilen, da er von allem genug hat. Der Reiche zog in die Hütte. Doch sein Weib fluchte jetzt noch viel schrecklicher, denn nichts ist da: also flucht sie und flucht! So ist es denn, wie es heißt, ausgegangen: Der Reiche bekam nach seinem Tode doch jenen Platz, den er zuerst erlebt hatte! Für den Armen, so heißt es, wurde alles gut wegen seines guten Herzens. Doch wenn der Reiche den Armen am Weihnachtsmorgen zur Kirche mitgenommen hätte, hätte er vielleicht nach seinem Tode einen besseren Platz bekommen. Der Mann ohne Hände und ohne Füße war kein gewöhnlicher Mensch. Was für einer, das wurde nicht gesagt, vielleicht war er ein Engel.