[swahili, "Geschichte, Legende"]

Das Märchen von der schlanken Birke

Es war einmal ein armer Mann und eine arme Frau, die hatten niemand auf der Welt - aber den Wald nebenan.

Als der Alte einmal in den Wald ging, um Holz für ein Feuer zu holen, erblickte er auf einer Lichtung eine Birke, weiß, schön und schlank wie ein Mädchen. »Holla«, rief der Alte, »viel zu schade, einen so schönen Baum umzuhauen - aber was soll ich machen? Holz brauche ich nun mal.«

Der Alte bekreuzigte sich, spuckte in seine schwieligen Hände und wollte gerade mit der Axt ausholen, als die Birke zu sprechen anfing: »Hab Mitleid, Alterchen! Ich bin doch noch so jung!«

Der Alte bekam einen Schreck, ließ die Birke stehen und sammelte alte Zweige.

Zu Hause erzählte er seiner Frau von dem Erlebnis, die aber ärgerte sich nur: »Hättest dir von der Birke wenigstens ein paar Zweige für unsere Ziege geben lassen können!«

Sie ließ nicht nach zu drängeln, bis der Alte schließlich wieder zu der Birke ging und sie um Zweige bat.

»Lass mir doch meine Schönheit, Alterchen!«, bat die Birke, »Zu Holz will ich dir schon verhelfen.«

Der Alte machte kehrt - und als er zu seiner schäbigen Kate kam, lag da ein so großer Stapel Holz, dass sie für den ganzen Winter genug hatten.

»He, Frau, jetzt haben wir Holz für den ganzen Winter!«, freute sich der Mann.

Die Frau aber murrte: »Was nützt uns das Holz, wenn wir nichts zu beißen und zu brechen haben! Zieh los und besorge Mehl!«

Dem Alten blieb nichts übrig, als wieder zur Birke zu gehen. Er streichelte ihre schöne Rinde und klagte ihr sein Leid.

»Sei nicht traurig«, tröstete die Birke den Mann. »Mit der Zeit kommst du schon zu deinem Mehl.«

»Hab Dank, Du Schöne, ohne dich wäre ich verloren!«

Als der Alte nach Hause kam, war die Vorratskammer mit Mehl angefüllt. Der Mann war überglücklich. Die Frau aber ließ ihm keine Ruhe: »Mehl ist ja ganz schön«, sagte sie, »aber Gold könnten wir besser gebrauchen. Schaff Gold herbei!«

Der Mann hielt seine Frau für völlig übergeschnappt. Die aber drohte ihm Prügel an. Was blieb ihm also übrig, als wieder der Birke sein Leid zu klagen? Als er zu der Lichtung kam. sah er zu seiner großen Verwunderung, dass die Birke über und über mit Gold bedeckt war.

»Was soll ich bloß tun?« sprach der Alte zu seiner Birke. »Jetzt verlangt sie einen Sack voll Gold von mir!«

»Deiner Not ist abzuhelfen. Ich besorge dir den Sack Gold.« erwiderte die Birke.

Als er seine Kate betrat, fand der Alte seine Frau auf einem Sack Gold sitzend vor. Und die Alte sprach: »Diesen Sack müssen wir gut verstecken! Sicherlich will man uns bestehlen. Wir tun ihn hinter den Ofen! Aber am besten, du gehst zu deiner Birke und bittest sie, uns zu garstigen Ungeheuern zu machen. Dann wird es jeden grausen, unser Haus zu betreten.«

Der Alte ging in den Wald und erkannte seine Birke nicht wieder. Ihre goldenen Blätter waren abgefallen. Kahl und grau stand sie da. Der Alte verneigte sich und bat mit kläglicher Stimme: »Schlanke Birke, du, die Alte will den Menschen durch unser Aussehen Angst einjagen, damit sie uns das Gold nicht stehlen!«

Da bog sich die Birke im kalten Wind und ließ die Äste knarren, aber sagen konnte sie nichts. Der Alte ließ den Kopf hängen und ging niedergeschlagen heim. Da kam ihm die Alte als Bärin entgegen und verschwand im Wald. Nun konnte auch er nur noch knurren und als Bär hinter ihr her in den Wald trotten.

Als die Nachbarn das verwaiste Haus fanden, entdeckten sie hinter dem Ofen einen Sack goldener Weizenkörner. Der Wald aber wurde von nun an gemieden, weil dort neuerdings Bären hausten.