[swahili, "Geschichte, Legende"]

Das Feuer der Hexe

Einstmals lebten in einer Vorstadt vier Fräulein: eine Spinnerin, eine Weberin, eine Näherin und eine Hauswirtin. Es bestand aber seit langem dort ein Gebot: In der ganzen Stadt durfte niemand Feuer halten, nicht einmal einen Span zum Leuchten durften sie sich anzünden. Nur außerhalb der Stadt wohnte eine Alte, bei der konnte man gewöhnlich Feuer bekommen. In der Stadt pflegten aber die Leute am Abend die Fensterläden zu schließen, sie zündeten sich Licht an, saßen und arbeiteten.

Da geschah es, dass den Fräulein das Flämmchen am Span erlosch. Alle sitzen sie und arbeiten, keine will gehen, Feuer zu holen - doch Licht brauchen sie. »Geh«, sagen sie, »liebe Spinnerin, hole Feuer, wir brauchen Licht!«

»Mir leuchtet mein Spinnrocken.«

»Geh, liebe Weberin, hole Feuer, wir brauchen Licht!«

»Mir leuchtet meine Webewalke«, antwortet sie. »Geh, liebe Näherin, hole Feuer, wir brauchen Licht!«

»Mir leuchtet mein Nadelchen.«

»Geh, Hauswirtin, hole Feuer, wir brauchen Licht!« Ihr leuchtete nichts, daher musste sie gehen. Und sie ging los. Sie geht und geht, und da sieht sie - ein weißer Mann reitet auf einem weißen Ross, und ein weißer Hund folgt ihm nach. Sie geht weiter, sie sieht - ein schwarzer Mann reitet auf einem schwarzen Ross, und ein schwarzer Hund folgt ihm nach. Sie geht weiter, sie sieht - ein roter Mann reitet auf einem roten Ross, und ein roter Hund folgt ihm nach. Sie geht noch weiter, sie sieht - da stehen Menschen mit den Füßen nach oben. Sie kommt an eine Tür, sie sieht - ein Menschenkopf; wo die Klinke sein muss, da ist eine Menschenzunge. Sie geht in die Küche, sie sieht - Menschengedärm hängt überall wirr herab, neben dem Topf ist statt eines Schöpflöffels eine Menschenhand aufgehängt, Feuer lodert auf dem Herd, und auf dem Feuer kocht ein Topf. Sie hebt den Deckel ab, sie sieht: Menschenknochen steigen auf und versinken wieder - es wird wohl Sülze gekocht! Sie geht in die Stube zum alten Hexenweib, sie sieht - das alte Hexenweib zerschneidet ein kleines Kind und frisst es.

Sie tritt heran und bittet um Feuer. Aber die Hexe sagt: »Sage, was du gesehen hast, dann gebe ich dir Feuer!« Und sie begann von Anfang an zu erzählen: »Hausherrin«, sagte das Fräulein, »ich gehe, ich sehe - ein weißer Mann reitet auf einem weißen Ross, und ein weißer Hund läuft hinterher.«

»Das ist mein Tag«, sagt die Hexe. »Aber hast du noch etwas gesehen?«

»Ich gehe weiter, ich sehe - ein schwarzer Mann reitet auf einem schwarzen Ross, und ein schwarzer Hund läuft hinterher.«

»Das ist meine Nacht. Aber weiter, was hast du noch gesehen?«

»Ich gehe, ich sehe - ein roter Mann reitet auf einem roten Ross, und ein roter Hund läuft hinterher.«

»Das ist mein Morgen- und Abendrot. Aber was hast du weiter gesehen?«

»Danach, bei deinem Haus eine Reihe Menschen mit den Füßen nach oben.«

»Das ist mein Zaun. Aber weiter, was hast du noch gesehen?«

»Ich sehe - vor deiner Tür den Kopf eines Menschen.«

»Das ist mein Wächter. Aber weiter, was hast du noch gesehen?«

»Ich gehe, ich sehe - die Hand eines Menschen ist da aufgehängt.«

»Das ist mein Schöpflöffel. Aber weiter, was hast du noch gesehen?«

»Ich sehe - ein Topf kocht, ich blicke hinein - Menschenknochen steigen auf und versinken wieder.«

»Das ist meine Sülze. Aber weiter, was hast du noch gesehen?«

»Ich komme zu dir in die Wohnung, ich sehe - du hast dir ein Kind geschlachtet, zerschneidest und frisst es...«

»Oh, ich werde auch dich fressen!« schrie die Hexe auf, fiel über das Fräulein Hauswirtin her, schlachtete es und fraß es auf.