[swahili, "Geschichte, Legende"]

Brautgeld für die Tochter des Padischahs

In fernen Zeiten lebte einst ein Padischah. Dieser Padischah besaß einen einzigen Sohn, der zwei Laster hatte: Er war über alle Maßen ungeduldig und von Eigenliebe besessen. Einmal saß der Sohn des Padischahs zwischen den Höflingen und lauschte ihren Erzählungen darüber, was sie erlebt, gesehen und gehört hatten. Einer der Höflinge sagte, um den Sohn des Padischahs zu erheitern: »Ich will euch erzählen, was ich selbst gesehen habe.« Und er hub an: »Vor einem Jahr ritt ich mit einem Auftrag in die Hauptstadt unseres Nachbarreichs zu einem mächtigen Padischah. Unterwegs überfielen mich Wegelagerer, nahmen mir mein Pferd, die Kamele, alles Geld und meine Kleider ab. Ich gelangte zu Fuß in die Hauptstadt jenes mächtigen Padischahs und setzte mich unter den Baum an der Mauer eines Gartens, um zu rasten. Aus dem Garten tönte Musik. Sie war so herrlich anzuhören, dass ich mich an ihr noch länger erfreuen wollte. So kletterte ich auf den Baum und versteckte mich im dichten Laubwerk. Die Klänge kamen immer näher. Ich erblickte junge Mädchen, die sich auf einem breiten, von Rosenstöcken gesäumten Weg ergingen. Ein Mädchen war holder anzuschauen als das andere. Ihre Gewänder hätten die ganze Welt in Entzücken versetzt. Ihre Wangen waren rot wie Granatapfelsaft, ihre Haut durchsichtig und klar wie Weinrebensaft. Sie schienen mit ihren Füßen die Erde kaum zu berühren, so leicht und schwebend war ihr Gang. Hinter ihnen tauchte ein prunkvoller Palankin auf. Er wurde von ebenso schönen, in Seide gehüllten Jungfrauen getragen. Der sanfte Wind bewegte leicht den Vorhang, und ich erblickte ein Mädchen von solcher Schönheit, dass man nicht mehr essen und trinken, sondern sich nur noch an ihrem Anblick erfreuen mochte. Sie war schön wie der Mond, aber sie besaß überdies Lippen, sie war schön wie die Sonne, aber sie besaß überdies Augen. Ich erkundigte mich in der Stadt, wer dieses schöne Mädchen sei, und erfuhr, dass es die einzige Tochter des Padischahs war. Ein Mädchen wie sie wäre dir eine würdige Braut.«

Mit diesen Worten schloss der Höfling seine Erzählung. Der Sohn des Padischahs entbrannte alsbald in Liebe zu der holden Maid. Sie allein lebte in seinem Herzen, und er begann vor Liebeskummer schier zu vergehen. Der Wesir bemerkte, dass der Sohn des Padischahs litt. »Ist's Wehmut, die dein Herz bedrückt?« fragte er. »Eröffne mir dein Geheimnis! Der Vater liebt dich so unsäglich, dass er dir jeden Wunsch erfüllt.« Entgegnete der Sohn des Gebieters: »Ich habe gehört, dass der mächtige Padischah unseres Nachbarreichs eine wunderschöne Tochter besitzt. Ich habe sie von Herzen lieb gewonnen und all meine Ruhe verloren. Wenn der Vater Brautwerber zu jenem Padischah ausschicken und mich mit dessen Tochter vermählen würde, so würde ich meine Ruhe wieder finden und genesen.« Als der Sohn des Padischahs sich solchermaßen dem Wesir anvertraut hatte, sprach jener: »Ich will zu deinem Vater gehen und alles zum Besten richten. Es sollte nicht allzu schwer sein, deinen Gram zu lindern.«

Und der Wesir begab sich in die Gemächer des Padischahs. »Jetzt ist nicht mehr die Zeit, um Staatsgeschäfte zu regeln, ich habe schon das Abendgebet verrichtet«, sprach der Padischah. »Gnädiger Padischah«, entgegnete der Wesir, »nicht von Staatsgeschäften möchte ich sprechen. Vernimm vom Leid deines Sohnes.«

»So sprich«, gewährte der Padischah. Der Wesir hub an: »Dein Sohn hat die Tochter des Nachbars, des mächtigen Padischahs, lieb gewonnen und will sich mit ihr vermählen. Er sagt: ›Wenn mein Vater nicht bereit ist, die Brautwerber auszuschicken, so wird er bald den Tod seines Sohnes beweinen müssen.‹« Diese Worte machten den Padischah unruhig. »Du sprichst die Wahrheit, mein Wesir«, gab er seufzend zur Antwort, »es ist schon lange an der Zeit, dass mein Sohn sich vermählt. Doch unser Nachbar, jener mächtige Padischah, wird es kaum wünschen, Familienbande zwischen unseren Herrscherhäusern zu knüpfen.«

»Gnädiger Padischah«, entgegnete der Wesir, »Lasst es uns versuchen. Wir wollen Brautwerber ausschicken und sehen, was für eine Nachricht sie uns bringen.«

Lange sann der Padischah nach und sagte endlich: »Mag es nach deinem Rat geschehen, mein Wesir. Begib dich als Brautwerber auf den Weg!« Der Padischah schrieb eigenhändig einen Brief und reichte ihn dem Wesir. Der Wesir versammelte die ehrwürdigsten Ältesten aus dem ganzen Reich und die gelehrtesten Mullahs und machte sich auf, um als Brautwerber die Schöne zu freien. Über kurz oder lang erreichten sie die Hauptstadt des mächtigen Padischahs und begaben sich in den Palast. Nach der Begrüßung stellten sie sich mit ehrfurchtsvoll gefalteten Händen schweigend vor dem Thron auf und warteten, dass der Padischah ihnen eine Frage stellen würde. Der Padischah hatte inzwischen die Brautwerber gemustert, um herauszufinden, wer von ihnen den längsten Bart besäße. Endlich wandte er sich an den Langbärtigsten. Es war der Wesir. »Was für eine Nachricht überbringst du mir?« fragte der Padischah. »Wir sind Gesandte und Brautwerber zugleich«, entgegnete der Wesir. »Ihr habt eine Tochter, unser Padischah besitzt einen Sohn.« Nach diesen Worten reichte der Wesir dem Padischah das Schreiben seines Gebieters.

Der Padischah kratzte sich den Kopf und dachte: Wenn ich sie einfach fortjage, erzürnt sich ihr Padischah und zieht am Ende gar gegen mich zu Felde. Es ist wohl besser, wenn ich ein so hohes Brautgeld fordere, dass er von allein sein Ansinnen aufgibt. Laut sagte er zum Brautwerber: »Hast mir eine gute Nachricht überbracht. Noch ist meine Tochter im Jungfernstand. Nur ist das Brautgeld schwer. Doch Euer Padischah ist reich, er wird es schon heben können.«

»Oh, großer Padischah«, entgegnete der Wesir, »wie schwer auch das Brautgeld sein mag, die Staatskasse unseres Padischahs ist schwerer. Nenne den Preis. Er wird es zufrieden sein.«

»Mag er mir tausend Kamelballen Gold und tausend Kamelballen Silber schicken.« Entgegnete der Wesir: »Wir wollen diese Antwort unserem Padischah überbringen. Lasst derweilen ein Gemach für die Unterbringung des Brautgeldes richten.«

Die Brautwerber kehrten in ihr Reich zurück, und der Wesir berichtete dem Padischah alles, wie es sich zugetragen hatte. Traurig erwiderte der Padischah: »Hatte ich dir nicht gesagt, dass er seine Tochter mit meinem Sohn nicht vermählen will? Wo soll ich so einen hohen Kalym hernehmen?« Der Sohn des Padischahs, der ebenfalls zugegen war, rief: »Vater, töte mich nicht! Erfülle die Forderung, sonst sterbe ich vor Sehnsucht, und du wirst es bitter bereuen!« Dem Padischah tat der Thronerbe leid, und er befahl dem Schatzmeister, den Staatsschatz zu zählen. Als alles gezählt war, zeigte sich, dass Gold und Silber nur für die Hälfte des Brautgeldes reichten. Der Sohn bedrängte den Padischah: »Vater, verkaufe deine Äcker, die Weiden, die Gärten und das Vieh - dann wirst du das Geld zusammenbekommen.« Der Padischah liebte seinen Sohn so abgöttisch, dass er beschloss, all sein Hab und Gut zu verkaufen. Doch auch dies war zu wenig. Noch immer fehlte ein Drittel des Brautgeldes. Da fiel der Sohn vor seinem Vater auf die Knie und flehte ihn unter Tränen an: »Vater, treibe das fehlende Geld von den Untertanen ein: Sie sollen mir helfen, mich zu vermählen!«

»Mein geliebter Sohn«, entgegnete der Padischah, »was kann man bei unseren Untertanen holen. Sie sind sowieso bettelarm.«

»Vater, lass bei denen Geld eintreiben, die niesen, Schluckauf haben, stöhnen und jeden Tag Tee trinken und Fladen essen!« Der Padischah winkte ab. »Wohin denkst du! Dann verjagt mich das Volk. Wenn das Volk mich aber fortjagt, dann wird es auch dir schlimm ergehen!«

Da mischte sich der Wesir ins Gespräch: »Dein Sohn gibt dir einen vernünftigen Rat. Fordere von den Untertanen, dass sie für jeden Fladen und für jede Piale Tee eine Steuer entrichten.« Wenn sich der Padischah auch anfänglich widersetzte, so willigte er am Ende dennoch ein. Das Brautgeld reichte aber trotzdem nicht. Da forderte der Sohn des Padischahs, dass sein Vater alles Gold und Silber, was sie zusammenbekommen hatten, dem Vater der Braut zusende. »Vielleicht nimmt der mächtige Padischah das Brautgeld gnädig an und stundet uns den Rest«, sagte er zum Vater. Jener war einverstanden, und die Karawane machte sich auf den Weg. Sie wurde vom Großwesir begleitet.

Der Padischah, der Brautvater glaubte seinen Augen nicht zu trauen, als er die vielen Kamelballen mit Gold und Silber erblickte, die der fremde Herrscher für seine Tochter geschickt hatte. Er befahl, das Geld nachzuzählen, erhob sich alsdann von seinem Thron und wog es eigenhändig auf der Waage nach. Als alle Säcke ordentlich gestapelt waren, sagte der Padischah zum Wesir, dem Brautwerber: »Schön, dass dein Padischah sich nicht als geizig erwiesen hat, als es ums Brautgeld ging. Doch über die Hochzeit wollen wir uns erst verständigen, wenn er das restliche Geld schickt.« Der Wesir kehrte heim und erzählte dem Sohn des Padischahs, wie geizig sein künftiger Schwiegervater war.

Da entschloss sich der Thronerbe zu einem letzten Schritt. Er sammelte getreue Jessaule, verließ heimlich den Palast und beschloss, eine Kaufherrn-Karawane auszurauben. Bald begegnete ihnen tatsächlich eine Karawane, und der Sohn des Padischahs gebot seinen Jessaulen, sie zu überfallen. Die Wache erwies sich jedoch als stark, und der Angriff der Jessaule wurde zurückgeschlagen, der Sohn des Padischahs aber geriet in Gefangenschaft. Man führte ihn vor den Karawan-baschi, einen sehr reichen Kaufherrn. Jener war ein kluger Mann und erkannte sofort, dass der Anführer dieser Angreifer kein Wegelagerer war. Er wandte sich an den Sohn des Padischahs: »Mein Sohn, sprich die Wahrheit: Wer bist du, und weshalb wolltest du uns berauben?« Der bekannte alles rückhaltlos. Der Kaufherr merkte, dass es ihm Nutzen bringen könnte, wenn er dem Sohn des Padischahs Geld leihen würde und ihn nicht unter Bewachung in den Palast zurückbringen ließe. Deshalb sagte er: »Ich will dir so viele Kamelballen mit Silber geben, wie du benötigst. Als Gegenleistung aber gewähre mir deinen Schutz, wenn ich mich an den Wesir oder den Padischah wenden muss.«

Der Sohn des Padischahs versprach alles zu tun, worum der Kaufherr ihn jemals bitten würde, und jener gab ihm so viel Geld, wie für den Loskauf der Braut notwendig war. Der Sohn des Padischahs nahm das Geld und machte sich abermals auf den Weg. Als er in der Hauptstadt seines künftigen Schwiegervaters anlangte, begab er sich also gleich in den Palast und sprach: »Gnädigster Padischah, ich habe den Rest des Brautgeldes gebracht. Zähle es nach und bestimme den Tag der Vermählung.« Dem Padischah gefiel der künftige Schwiegersohn, und er befahl ihm alle Ehren zu erweisen. Der Wesir führte den Freier in den Garten, wo sich die Tochter des Padischahs erging. Dort war für ihn ein Königszelt aufgestellt. Musikanten und Sänger suchten den Bräutigam zu erheitern. Doch nichts vermochte dem Sohn des Padischahs ein Lachen zu entlocken. All sein Sinnen und Trachten war ausschließlich auf die Braut gerichtet, und er konnte es kaum erwarten, sie endlich von Angesicht zu schauen.

Nachts verließ der Bräutigam sein Zelt und überlegte, wie er in die Gemächer der Tochter des Padischahs eindringen könnte. Da erblickte er Licht in einem hohen Fenster. Der Freier schlich sich herbei, schob den Vorhang zur Seite und schaute ins Zimmer. Er erblickte eine Liegestatt, die Dienerinnen mit Samt und Seide und duftenden Blumen schmückten. Nachdem alles bereit war, kam die Tochter des Padischahs. Als der Bräutigam sie sah, erstarrte er vor Überraschung. Fast wären ihm die Sinne geschwunden. Das Mädchen war so schön, dass die Peri im Vergleich zu ihr wie abscheuliche Missgeburten erschienen wären. Der Sohn des Padischahs schrie auf vor Glück. »Wer belauert mich da?!« rief die Tochter des Padischahs erschrocken aus. »Packt den Unverschämten und Lasst ihn blenden.« Die Dienerinnen liefen in den Hof, packten den Sohn des Padischahs, verprügelten und blendeten ihn.

Als der Wesir das vernahm, eilte er zum Brautvater und sprach: »Deine Tochter, für die wir ein so hohes Brautgeld gezahlt haben, hat soeben ihren Bräutigam blenden lassen!«

»Soll ich nun etwa das Brautgeld zurückzahlen?« rief der allergnädigste Padischah verzweifelt aus. »Deine Tochter konnte nicht ahnen, dass der Bräutigam es nicht über sich bringen würde, die Braut vor der Hochzeit nicht zu sehen«, sagte der Wesir. »Doch helfen kann ihm nun keiner mehr.« Und der blinde Sohn wurde zu seinem Vater gebracht. Als der alte Padischah von dem Unglück vernahm, das seinen einzigen Sohn ereilt hatte, erkrankte er schwer. Alle Ärzte des Reichs wurden gerufen, doch keiner vermochte weder den Sohn noch den Padischah zu heilen. Von Tag an ging es dem Padischah schlechter, und bald musste er sterben.

Der Wesir und die Höflinge wollten den blinden Erben auf den Thron setzen, doch das Volk versammelte sich vor dem Palast und schrie: »Wir wollen nicht so einen Padischah! Er zieht Steuern ein von jedem Fladen, den wir verzehren!«